Wieso gelingt es ausgerechnet einem schlichten, kompakten Vollverstärker einer relativ kleinen Manufaktur aus Norwegen leichter, mich in meine Jugend zurückzuversetzen, als den Boliden mit den wohlklingenden Namen, die in den Wochen zuvor bei mir zu Gast waren? Schon beim Auspacken weckt er bei mir Erinnerungen an eine Zeit, in der die NAD- und B&W-Anlage meines Patenonkels und die Grundig-FineArts-Komponenten eines Kollegen meines Vaters meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zogen. Nun, vielleicht sind es ja gerade die Einfachheit und diese zielgerichtete Weniger-ist-mehr-Attitüde des Hegel H120 (Vertrieb: www.hegel.com) – und nicht zuletzt sein noch geerdeter Preis von 2.595 Euro.
Ausstattungsseitig bringt der flach bauende Hegel H120, der den Vorgänger Hegel Röst ersetzt, schon einmal gute Voraussetzungen für eine lange währende Freundschaft mit: Der H120 bietet drei analoge Line-Level-Eingänge – zweimal Cinch und einmal XLR, wobei die interne Verarbeitung des Signals durchgängig unsymmetrisch erfolgt. Auf der digitalen Seite nehmen gleich drei Toslink- und ein koaxialer S/PDIF-Eingang, ein USB-B- sowie ein Netzwerkanschluss die Datenströme in Empfang. Anders als beim jüngst getesteten Mark Levinson No. 5805 dient Letzterer zum Musikstreamen und nicht nur zur Steuerung und für Updates des Gerätes. WLAN gibt es allerdings hier wie dort nicht, doch ein solches Covenience-Feature interessiert in dieser Klasse wohl eh nicht jeden. Dank UPnP versteht sich der Hegel H120 auf das Streaming von einem lokalen NAS ebenso wie auf Spotify Connect und Apple AirPlay. Die Funktion als Roon-Endpoint soll als Software-Update folgen. Aufmerksame Leser werden festgestellt haben, dass bei all dieser Vielfalt dann doch noch etwas fehlt: Richtig, auf eine integrierte Phonostufe verzichtet der Hegel H120.
Klassisch
Dass im Hegel H120 kein schmalbrüstiges Schaltnetzteil seine Arbeit verrichtet, merkt man am anständigen Gewicht von knapp über 11 Kilogramm. Dieses geht vor allem auf das Konto eines Ringkerntrafos, der dem Vollverstärker-Flachmann mit Unterstützung von vier 10.000-Mikrofarad-Kondensatoren zu einer stabilen Ausgangsleistung von 2 x 75 Watt an 8 Ohm verhelfen soll.
Diese stellt er an stabil ausgeführten Lautsprecherterminals zur Verfügung – des Weiteren darf sich der Besitzer über eine 6,3-Millimeter-Kopfhörerbuchse sowie einen Vorverstärker-Ausgang freuen.
Integriertes Konzept
Hegel glaubt an einen ganzheitlichen Ansatz – das dürfte spätestens dann klar werden, wenn man sich das propagierte „Hegel Concept“ genauer anschaut. Man nutze neueste Technologien, um die Audiowiedergabe so natürlich wie irgend möglich wirken zu lassen, so die Norweger. Zu nennen wäre zum Beispiel die „Hegel SoundEngine II“, die ein sauberes, detailreiches Musiksignal, einen großen Dynamikumfang sowie einen enorm hohen Dämpfungsfaktor von über 2000 ermögliche, so Hegel. Die patentierte Technologie kombiniere die Vorteile von Class-AB– und Class-A-Verstärkern, ohne deren Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Leider geht man dabei nicht so recht ins technische Detail, sondern lässt es bei schnittigen Marketing-Bezeichnungen. Das Ganze funktioniere jedenfalls, so Hegel, ohne globale negative Rückkopplung. Stattdessen setze man auf eine „lokale und adaptive Feedforward-Technologie“ (mehr zu dieser „vorauseilenden adaptiven lokalen Gegenkopplung“ lesen Sie im Test des Hegel H160), sollte es denn notwendig sein, etwaig auftretende Verzerrungen zu beseitigen.
Zudem verwenden alle Hegel-Audioverstärker die sogenannte „DualAmp Technology“. Während die meisten Verstärker die Spannungs- und die Stromverstärkungsstufen im gleichen Verstärkermodul kombinierten, trenne die DualAmp-Technologie diese Stufen auf, um spezialisiertere und im Endeffekt bessere Bauteile für die unterschiedlichen Jobs nutzen zu können. Und um diesen Bauteilen die bestmögliche Ausgangsgrundlage bereitzustellen, setzt Hegel auch bei der Stromversorgung auf eine strikte Arbeitsteilung, weshalb der H120 getrennte „DualPower“-Netzteile besitzt. Während der erwähnte große Ringkerntrafo sich um den Ausgangsverstärker kümmert, dient ein zweiter, kleinerer Ringkern zur Versorgung der Eingangs- sowie der Spannungsverstärkungsstufe. Die speziell für Hegel angefertigten Transformatoren verfügen über separate Wicklungen, die voneinander unabhängige Gleichrichter und Netzteilkondensatoren versorgen. Durch diese doppelte Arbeitsteilung will Hegel die empfindlichen Schaltkreise der Eingangsstufe von den großen Strömen in der Endstufe fernhalten. Die Resultate seien eine geringere Gesamtverzerrung und ein höherer Dynamikumfang.
Eins, null …
Auch in der Digitalsektion macht Hegel einiges anders als die meisten anderen. Das muss nicht immer „besser“ bedeuten, doch nach meinen Erfahrungen mit dem Hegel H160 beschreiten die Norweger damit keinesfalls den berühmten Holzweg. Auch im Hegel H120 kommen das sogenannte „Synchronized Upsampling“ sowie die „Direct MasterClock“-Technologie zum Einsatz, bei der die Master Clock des Wandlers direkt auf dem DAC-Board sitzt. So wollen die Norweger Jitter und Fehler bei der Digital-Analog-Wandlung auf ein Minimum reduzieren.
In Sachen Abtastrate und Bittiefe zeigt sich der Hegel H120 praxisgerecht und nimmt über seine S/PDIF-Eingänge sowie via Netzwerk auch Highres-Files bis 192 kHz/24 Bit entgegen. Interessanterweise bietet der USB-Eingang nur maximal 96 kHz/24 Bit – das ist ungewöhnlich. Auf Nachfrage bei Hegel liegt dieser Umstand darin begründet, dass man einen ganz besonderen USB-Chip gefunden habe, der einerseits extrem gut klinge und andererseits auch kostengünstig zu implementieren sei. Die Limitierung auf eine Abtastrate von 96 kHz habe man bewusst und gerne in Kauf genommen, da man so mehr Budget für die analoge Signalverarbeitung zur Verfügung gehabt habe und am Ende den besten Klang fürs Geld verwirklichen konnte, so Hegel. Auch verzichtet der Hegel H120 auf die DSD-Kompatibilität und bietet keinen MQA-Support.
Hegel H120: Klangtest & Vergleiche
Da der Hegel H120 in der Praxis wohl vor allem als Streaming-Verstärker, zumindest aber als Verstärker mit DAC genutzt werden dürfte, findet auch das Gros der Hörvergleiche in diesen Modi statt – mit einem kurzen Quervergleich zu den analogen Eingängen.
Der Hegelsche Philosophie-Ansatz eines auf objektiver Analyse basierenden Weltverständnisses beschreibt auch recht gut, wie der Hegel H120 sich der Präsentation der Musik widmet: Detailreich, frisch und dynamisch gibt sich der Norweger, klanglicher Euphemismus ist ihm dagegen eher fremd. Wem es primär um feinduftig texturierte, luftig schwebende Obertonwolken und/oder einen satt aufgetragenen Klangfarbenpinselstrich mit kräftigem Grundtonfundament geht, wird den Norweger eher nüchtern finden.
Auf der Bühne
Die räumliche Darstellung des Hegel H120 lässt sich kaum bekritteln. So trennt der norwegische Vollverstärker die Sänger und Sängerinnen das Westminster Choirs in R. Vaughan Williams‘ „Antiphon“ vom Chesky-Album Like as a Hart: Psalms & Spiritual Songs (auf Amazon anhören) geflissentlich voneinander und ordnet sie auf der Bühne fest ihren Plätzen zu. Auch die Abstands- und Größenbeziehungen von Instrumenten stellt er realistisch dar – gemeinhin eine Königsdisziplin für Verstärker. Dabei legt der Hegel H120 größeren Wert auf die hochpräzise Abbildung als auf eine ausufernde räumliche Darstellung oder raumgreifende Tiefe. Klar, es geht bei Bedarf schon mal seitlich über die Lautsprecher hinaus und auch hinter die Lautsprecherebene pinselt der H120 seine Klanggemälde ab und an – doch meist passiert die Bühnenaufführung auf oder knapp vor der Lautsprecherebene.
Das überaus interessante Album 3×3 von Aaron Weinstein (auf Amazon anhören) stellt zehn Titel in drei verschiedenen Mikrofonierungskonfigurationen vor. Die rein akustische Aufnahme erlaubt wie kaum eine andere, genau zu eruieren, an welcher Stelle im Raum und wie weit voneinander sowie von den Wänden des Aufnahmeraums (eine Kirche) entfernt die Instrumentalisten tatsächlich stehen. Dem Hegel H120 fällt es leicht, die Position von Kontrabass, Klavier und Bläsern zu er- und vermitteln. Allerdings bleibt der Raum zwischen den Akteuren vergleichsweise „leer“. Subtile Ambience-Informationen, die man vielleicht als „Aura“ von akustischen Instrumenten und Stimmen bezeichnen könnte und die zum Beispiel ein Norma HS-IPA1 (um 2.500 Euro) ins Bild einbringt, lässt der Hegel H120 zugunsten einer klaren Kantenschärfe und einer strikten räumlichen Gliederung eher außen vor. Eine verwandte Charakteristik fiel mir übrigens auch beim Primare i25 (2.499 Euro) auf, der eine ähnliche räumliche Darstellung von einzelnen Akteuren wie der Hegel H120 pflegt.
Keine Kleisterei
Den Oberbass reicht der Hegel H120 gut durchhörbar ans Ohr und bleibt dabei etwas straffer und schlanker als der Primare I25. Euphonische Pölsterchen lassen sich nicht ausmachen. Interessanterweise schiebt der flache Vollverstärker jedoch ganz untenrum mit vergleichsweise viel Elan und Energie (mehr als der Primare I25) und erdet das Geschehen mit einem erstaunlich fundamentalen Tiefbass, den ich ihm angesichts seiner Statur gar nicht zugetraut hätte. Das wirkt sich natürlich nur dann aus, wenn auf einem Track auch Informationen unterhalb von etwa 40 Hertz vorhanden sind, wie zum Beispiel in „A Battle Between“ von Blue Tofu, das sich mit einem ordentlich gepolsterten Tiefsttonteppich im Hörraum ausbreitet. Die Kontrolle dieser Energieschübe gelingt dem Hegel ordentlich, auch wenn ein (mit 4.299 Euro allerdings auch wesentlich teurerer) Naim Supernait 3 die Zügel hier natürlich noch fester in der Hand hält.
Der E-Bass in Rage Against The Machines „Bombtrack“ vom gleichnamigen Album ist dagegen ohne nennenswerte Tiefbassanteile abgemischt und wirkt eher drahtig als übermäßig druckvoll im Bass und Oberbass, und die Bassdrum kickt knackig und flott statt mit massivem, physisch spürbarem Ooomph. Auch Grund- und Mittelton des H120 halten sich ein wenig zurück. Stimmen wie die von Jacintha in „Danny Boy“ vom Album Here’s to Ben oder Leonard Cohen in „You Want it Darker“ vom gleichnamigen Album wirken etwas leicher als gewohnt, quasi „wie von unnötigem Ballast befreit“ und folglich bis in feinste artikulatorische Details bestens nachvollziehbar.
Präsenzzeiten
Während sich der Norma HS-IPA1 im oberen Mittelton und Präsenzbereich vergleichsweise zurückhält, liefert der Hegel H120 hier, ähnlich wie der Densen Cast Amp (2.200 Euro), etwas mehr Energie und Information und reproduziert Impulse in diesem Bereich knackiger.
Dass die tonale Über-Alles-Balance trotz dieser Offenheit zu keinem Zeitpunkt ins Stressige kippt, liegt zuallererst mal daran, dass ich von Tendenzen spreche und nicht von großen Amplituden. Zudem ist die saubere Gangart des Hegel H120 über den gesamten Frequenzbereich hinweg ein Grund dafür, dass man auch bei höheren Lautstärken keinerlei Verzerrungen wahrnehmen kann, die dem Hörgenuss abträglich wären. Das ist vor allem angesichts des recht frischen Hochtons erstaunlich, der mit einer für diese Preisklasse bemerkenswert lässigen Detailanalyse aufwarten kann. In „The Sea“ von HAEVN zirpen die Grillen zu Beginn unaufdringlich und bestens aufgedröselt aus dem linken Halbfeld und die Schellenringe differenzieren sich tatsächlich in ihre einzelnen Schellen. Die Textur im Hochton ähnelt dabei eher der des straighten Naim Supernait 3 (dessen Auflösungsvermögen der Hegel auch durchaus erreicht) als der des romantischeren Norma HS-IPA1. Im Superhochton agiert der Hegel H120 dann wiederum ganz leicht zurückgenommenen, was der Langzeittauglichkeit zuträglich ist.
Speed!
Der Frequenzbereich vom oberem Mittelton zum Hochton trägt sicherlich auch sein Schärflein dazu bei, dass der Hegel H120 feindynamisch und in Bezug auf Speed und Artikulation von Impulsen in dieser Klasse kaum zu schlagen sein dürfte. Mir fällt in der Tat erst der Naim Supernait 3 als nicht zu überwindende Hürde für den Hegel H120 ein. Das perfekte Anschauungsmaterial dafür liefert „Kompet Gar“ (Album: Blue; auf Amazon anhören) von Terje Rypdal & The Chasers: Das macht richtig an, wie der relativ schlank reproduzierte Slap-Bass aus dem rabenschwarzen Nichts in der Mitte der Lautsprecherbasis ansatzlos hervorprescht und wie die Snaredrum und die Toms des Schlagzeugs energiegeladen explodieren. So richtig grandios wird’s dann in Victor Wootens „U Can’t Hold No Groove (If You Ain’t Got No Pocket)“ vom Album A Show of Hands. Dieses Stück zeigt wie kein anderes von mir mit dem Hegel H120 gehörtes auf, was seine Mission ist: die dynamisch unlimitierte, extrem schnelle, saubere, verzerrungsfreie Durchreiche von Details, Transienten und Impulsen, ohne dass ein zu kräftiger Bassbereich diese Informationen je zudecken würde.
Rundes Paket
Liefern die Mitspieler Auralic Aries (1.700 Euro) und Linnenberg Telemann (4.400 Euro) die Signale an die analogen Eingänge des Hegel H120, so legt dessen Performance – erwartbarerweise – zu. Jedoch bleiben die Unterschiede durchaus im Rahmen. Am deutlichsten fallen mir die Verbesserung des Raumeindrucks und das Zustandekommen der oben bereits erwähnten „Raum-Ambiance“ auf: Das Geschehen wirkt größer, atmet lockerer durch und strahlt etwas mehr. Zudem wirkt der Grundton etwas kräftiger und farbsatter, wenn’s denn auf der Aufnahme so drauf ist. Das ist einerseits ein echtes Kompliment für die fürs Geld sehr gute Digitalsektion des ungleich günstigeren Hegel H120 und andererseits ein Ritterschlag für seine Analogsektion, die diese Unterschiede problemlos zu transportieren vermag – was keine Selbstverständlichkeit ist.
Test: Hegel H120 | Vollverstärker