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Juli 2015 / Michael Bruß
Der „Deutsche Idealismus“, als dessen wichtigster Vertreter Georg Wilhelm Friedrich Hegel gilt, wollte mit einem umfassenden Gesamtentwurf die Welt als Ganzes auf wissenschaftliche Weise erkennen, verstehen und darstellen. Dass die Norweger von Hegel Music Systems (www.connectaudio.de) sich des Namens des prominenten Philosophen bedienen, erscheint daher nur logisch, denn schließlich geht es auch bei der Musikreproduktion immer um das große Ganze – um die Wahrheit. Doch wer so denkt, ist zumindest ein klitzekleines bisschen auf der falschen Fährte – oder sagen wir mal, nicht auf dem direktesten Weg zur Wahrheit.
Der vermeintliche Namensgeber diente nur indirekt eben jenem Zweck: Firmengründer Bent Holter spielte nämlich in einer Rock/Metal-Band namens The Hegel Band (die dann aber schon den deutschen Philosophen zur Namensfindung bemüht hatte) und begann alsbald, die Verstärker der Band für deren Auftritte selbst zu bauen. Schon zu diesem Zeitpunkt also, und damit auch während der Zeit, in der er seine Abschlussarbeit an der Technischen Universität Trondheim in Norwegen schrieb, legte Holter den Grundstein für die heute noch gültige Maxime seiner Firma: Der Feind des guten Klangs seien vor allem Verzerrungen, und die müsse man konsequent loswerden. Als Musiker und Klangfreak konnte und wollte Holter nicht akzeptieren, dass die Gleichung „Signal + Verstärker = Signal + x“ lauten muss. Denn dieses x steht in seiner Welt für Verzerrungen, und die sind nicht nur an sich schlecht für den Klang (selbst in kleinen Dosierungen), sondern beeinflussen laut Ben Holter auch andere Parameter des Klangs negativ, so zum Beispiel den Dämpfungsfaktor des Verstärkers. Um dieses Problem anzugehen, erdachte er eine heute patentierte Lösung namens SoundEngine.
Innovative Technik bis zum Abwinken
Was genau diese SoundEngine im Vergleich zu den Bemühungen anderer Hersteller so besonders macht, wäre eine berechtigte Frage. Schließlich ist es das hehre Anliegen wohl aller Produzenten hochwertiger Elektronik (und anderer Komponenten), dem Signal möglichst wenig Degradation durch Verzerrungen angedeihen zu lassen. Jedenfalls hüllt sich die Website von Hegel diesbezüglich ein wenig in Marketing-Worthülsen à la „wir passen auf, dass dem Signal in den verschiedenen Verstärkungs- und Bearbeitungsstufen nichts passiert, damit es am Ende besonders klar, dynamisch und natürlich klingt“. Dann steht da noch, dass man die Vorzüge des Class-AB-Verstärkungsprinzips mit denen der Class-A-Verstärker kombiniere, ohne die jeweiligen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Nicht gerade sehr konkret, und auch nicht wirklich dazu geeignet, dem wissbegierigen HiFi-Profi mehr als ein gelangweiltes Gähnen zu entlocken. Nach Rückfrage beim Entwickler Anders Ertzeid kommt mit Blick auf den Hegel H160 etwas mehr Licht ins Dunkel. Laut der Hegel’schen Philosophie (also der der norwegischen Verstärkerbauer) verfahren mit Gegenkopplung arbeitende Verstärkerschaltungen mit Verzerrungen ebenso wie mit dem zum Eingangssignal-Abgleich nach jeder Verstärkerstufe teilweise zurückgeführten Musiksignal. Dabei werden die Verzerrungen immer wieder mitverstärkt. Wird aber nur wenig oder gar keine Gegenkopplung eingesetzt, dann wird der Amp instabil und verliert schnell die Kontrolle im Bass. Auch eine nur lokal ansetzende Gegenkopplung biete keine wirkliche Lösung des Problems. Hegel setzt nun darauf, das Musiksignal (und damit schon entstandene Verzerrungen) nicht von hinten nach vorne zurückzuführen, sondern gleich von vorne nach hinten zu schieben und zu vergleichen – man nennt das „vorauseilende adaptive lokale Gegenkopplung“. Auf diese Weise könnten in der Verstärkerschaltung entstandene Verzerrungen eliminiert werden, so Hegel-Ingenieur Anders Ertzeid. Dazu könne eine gegenphasige Kopie der Verzerrungen dem Signal beigemischt werden, um selbige auszulöschen, so ähnlich wie dies bei Noise-Canceling-Kopfhörern gemacht wird. Resultat: Kaum Verzerrungen und trotzdem höchste Stabilität. Puh, ein wenig fühle ich mich hier an das Zeitparadoxon erinnert …
Signal auf Zeitreise?
Lassen Sie uns jetzt lieber mal auf die spezifischen technischen Gegebenheiten im Hegel H160 schauen. Die wichtigsten Signalschaltkreise des Hegel H160 befinden sich auf einer separaten Leiterplatte, getrennt vom Netzteil – gut für den Störabstand und das Rauschverhalten. Das Netzteil indes bedient sich eines speziell für Hegel angefertigten Ringkerntrafos. Die Energie wird dann von sechs Nover-Kondensatoren mit einer Kapazität von je 10.000 µF gesiebt. Auf dem Board mit den analogen Schaltkreisen kommen Kondensatoren von Rubycon, WIMA und Nichicon Muses zum Einsatz. Typisch für Hegel-Verstärker sind die blauen SE3090, die das Kanalübersprechen im oberen Frequenzbereich verringern sollen. Der integrierte Kopfhörerverstärker basiert auf einem JRC4556AD-Operationsverstärker, wie er auch im Hegel HD12 D/A-Wandler eingesetzt wird. Die Ausgangstransistoren wurden im Vergleich zum H80 nicht nur in der Anzahl verdoppelt, sondern auch ganz ausgetauscht: Statt der im H80 verbauten Modelle implantierten die Norweger dem H160 solche, die über integrierte Temperatursensoren verfügen und direkt auf einen großen Kühlkörper montiert wurden.
Die Digitalsektion des Hegel H160 wiederum hat mehr gemeinsam mit der des H80 als mit der des H12, was angesichts des Rundum-glücklich-Pakets, das beide Integrierte zum jeweiligen Preis darstellen, auch niemanden verwundern dürfte. Ein dedizierter DAC wie der H12 ist dann eben doch noch mal was anderes und darf sich noch größerer Entwicklerhingabe und noch feinerer Bauteile erfreuen. Der asynchrone USB-Sendeempfänger des H160 basiert auf dem Tenor TE7022L Streaming Controller, der auch im kleineren Bruder verbaut ist. Die anderen digitalen Eingänge arbeiten mit einem Empfänger von AKM, der besonders niedrige Jitter-Werte vorweisen soll. Dieser Chip steckt ebenfalls im HD80 – aber auch im HD12.
Runde Sache
Kommen wir nun zu etwas leichter verdaulichen Dingen, die den Kopf nicht ganz so rauchen lassen wie Schaltungstopologien und ähnliche Nebensächlichkeiten. Nehmen wir doch das Design, zum Beispiel. Schaut man sich den Hegel H160 zum ersten Mal an, wirkt er auf den ersten flüchtigen Blick irgendwie fast schon zu rund, zu glatt, ja (das ist ein höchst persönlicher Eindruck!) geradezu beliebig. Doch nach etwas Zeit auf dem Regal und bei länger währender Betrachtung lerne selbst ich als Freund von entweder sehr geradlinigen Bauhausformen oder aber von extrovertiert geschwungenen Kanten, reflektierenden und sich muskulös spannenden Flächen (BMW- und aktuelleres Mazda- und Mercedes-Design, anyone?) das Aussehen des Gehäuses als klar, ruhig und unaufgeregt wertzuschätzen. Okay, vor Bewunderung ergriffen seufzend sitze ich nicht davor, aber es geht schließlich nicht um Äußerlichkeiten, sondern um handfeste klangliche Qualitäten. Doch schauen wir zunächst noch auf die Rückseite des Hegel H160.
Anschluss gefunden?
Hier, auf seinem Hinterteil, zeigt der Hegel H160, dass er eigentlich gar kein Vollverstärker ist, sondern ein Komplettpaket, das sich vor All-In-One-Geräten wie dem AVM C 2.2 oder dem Linn Majik DSM nicht zu verstecken braucht. Im Gegensatz zu den beiden genannten Konkurrenten lässt er es zwar etwas traditioneller angehen (so fehlen ihm zum Beispiel die HDMI-Ports des Linn Majik DSM und die WLAN-Anbindung des C 2.2), ansonsten bietet er aber die gleichen grundlegenden Funktionalitäten. Traditionell sollte ein Vollverstärker natürlich alle möglichen Quellen verwalten können, und hier liegt der vielleicht einzige Kritikpunkt, was die Anschlussmöglichkeiten angeht: Nur ein dediziertes Analogeingangspaar in Cinch-Ausführung ist selbst in unserer modernen digitalen Welt etwas mager. Immerhin gibt es da noch ein Cinchbuchsen-Pärchen, das mit „Home Theater“ beschriftet ist. Selbiges ist ein im Auslieferungszustand nicht an den Vorverstärker gekoppelter Eingang, der den Hegel H160 zur Endstufe in Heimkinoanwendungen macht. Wer’s braucht … Zum Glück lässt sich dieser Eingang aber auch flugs zum stinknormalen Analogeingang schalten, so dass immerhin zwei Paar Cinchbuchsen für altmodischen Kram wie hochwertige CD-Player, Phonovorverstärker und so weiter zur Verfügung stehen. Abgesehen davon findet auch noch ein symmetrisch beschaltetes und verkabeltes Analoggerät über XLR beim H160 Einlass.
Auf der Ausgangsseite findet sich zentral ein Doppel-Paar stabiler Lautsprecherklemmen, die Spades und Bananenstecker aufnehmen. Hier liegen satte zweimal 150 Watt an acht beziehungsweise 250 Watt pro Kanal an vier Ohm an, und als Dämpfungsfaktor deklariert Hegel über 1000 (!). Mir fällt jetzt so ad hoc eigentlich kein anderes Gerät um 3.000 Euro ein, das eine derartig heftige Leistung UND ein so ausgefeiltes Digitalteil mitbringt.
Das Hochpegelsignal schleift der Hegel H160 über zwei Paar Cinchbuchsen aus. Einmal mit voller Lautstärke (Fixed) und einmal nach dem Umweg über die Lautstärkeregelung (Variable) zur Verwendung externer Endstufen oder von Subwoofern.
Weitaus großzügiger als die Analogseite gibt sich die digitale Eingangs-Fraktion: Gleich drei optische SPDIF-Ports sowie ein koaxialer, ein USB-Eingang sowie ein RJ45-Ethernetport warten auf Bits. Über Letzteren sind alle UPnP- und DNLA-fähigen Geräte im lokalen Netzwerk verfügbar. Die Architektur des AK4396VG-Chipsatzes erlaubt es, 192 KHz/24 Bit-Dateien abzuspielen – außer über USB, da dürfen maximal 96 KHz anliegen, und über AirPlay gestattet der Hegel höchstens CD-Qualität (44,1 kHz/16 Bit) – aber das liegt am AirPlay-Protokoll, nicht am H160.
Erstaunlich ist, dass ein relativ kleiner Hersteller wie Hegel es unternommen hat, den langen und schwierigen Prozess der Apple-Zertifizierung zu durchlaufen. Und noch erstaunlicher ist, dass Hegel es wohl geschafft hat, seine proprietäre Reclocking-Technologie auch für AirPlay einzusetzen, um so eine bessere Performance auch über diesen Kanal zu erreichen, als man es von AirPlay sonst gewöhnt ist.
Ein Wermutstropfen im ansonsten wohlschmeckenden Hegel-Cocktail: Das Apple-Lossless-Format ALAC wird mit UPnP-Geräten (zum Beispiel Network-Attached Storages) nicht unterstützt und soll es auch in Zukunft laut Hegel nicht werden, was für mich als Mac-User, bei dem große Teile der HighRes-Sammlung in eben diesem Format auf dem NAS liegen, leider zu rigorosen Abzügen in der B-Note führt … Aber das sieht ja bei jedem Nutzer anders aus.
Interessanterweise funktioniert ALAC via AirPlay-Protokoll problemlos – mit der genannten Auflösungslimitierung.
Und wo wir gerade am Meckern sind: So ganz fluffig läuft auch die Bedienung des H160 als Streamer über Control-Software wie Linns Kinsky nicht, denn öfter, als er die Steuerbefehle erkennt, tut er das nicht. Kurios: Auch im Fall, dass man per Kinsky die Lautstärke variieren kann (also definitiv eine Verbindung zum Gerät besteht), ist es ab und an nicht möglich, die Wiedergabe zu pausieren. Mit Plugplayer funktioniert das ein wenig besser, doch ebenfalls nicht immer zu meiner vollen Zufriedenheit. So kann man auch mit Plugplayer nicht pausieren, sondern die Wiedergabe eines Tracks nur stoppen. Laut Anders Ertzeid ist man sich des Problems bewusst, hat in der laufenden Serie bereits Abhilfe geschaffen und bietet Besitzern des H160 an, diese Prozedur auch bei schon verkauften Geräten durchzuführen.
Test: Hegel H160 | Vollverstärker