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Als HiFi-Novize in den frühen 1990er-Jahren empfand ich zwei Firmen als besonders „kultig“. Erstaunlicherweise stammten beide nicht etwa aus den USA, Deutschland oder Japan, sondern von den britischen Inseln. Es handelte sich um Linn aus Schottland und Naim aus England (Web: www.naimaudio.com). Beide hatten sich mit individuellen, charakterstarken Produkten den Nimbus des leicht schrulligen Einzelkämpfers gegen den zahlengetriebenen Mainstream aufgebaut. Während Linn im Laufe der Jahre zu meinem ständigen Begleiter wurde (dank meines studentischen Aushilfsjobs beim örtlichen Linn-Dealer), hatte ich in all den Jahren nur selten die Gelegenheit, Naim-Gerätschaften zu hören. Nun aber steht ein klassischer Naim auf meinem Rack: Der Naim Supernait 3 (4.299 Euro) ist einer von zwei neuen Vollverstärkern der Firma aus Salisbury, Wiltshire.
Mittlerweile haben beide Hersteller die altgewohnte Schrulligkeit zugunsten innovativer Digitaltechnik abgelegt: Hübsch gestaltete All-in-one-Systeme wie die Naim-Muso-Varianten und schnieke Netzwerkplayer wie die Naim-Uniti-Modelle gehören zum Bild des ehemaligen „Rebellen“. Im Gegensatz zu Linn, die dem klassischen HiFi-Vollverstärker ohne digitale Komponenten schon vor einigen Jahren mit dem Produktionsende des Linn Majik I Lebwohl gesagt haben, hat Naim ein Herz für Traditionalisten behalten und legt immer mal wieder interessante „Puristen“ auf. Die beiden aktuellsten sind der Naim Nait XS 3 (2.699 Euro) und der hier besprochene Naim Supernait 3, der sechs Jahre nach der Vorgängergeneration auf den Markt gekommen ist. Seitdem will Naim so einiges in Forschung und Entwicklung investiert haben, was sich in Ausstattung und Performance niederschlagen soll – und genau das werden wir später noch überprüfen.
Verdoppeln & entkoppeln
Der Naim Supernait 3 aus der Classic-Familie hebt sich vom kleinen Bruder aus der XS-Serie vor allem durch innere Werte ab, denn von außen betrachtet unterscheiden sie sich bis auf den beim etwas flacher bauenden Nait XS 3 fehlenden Balance-Regler kaum. Wichtiger als der Leistungsunterschied von gerade einmal 10 Watt pro Kanal – der Naim Supernait 3 leistet mit seinen Class-A/B-Endstufen je Kanal bis zu 80 Watt an 8 Ohm – sind allerdings andere Dinge.
So wollen die Briten mit der sogenannten „Naim Discrete Regulation“-Technologie einen deutlich höheren Rauschabstand gegenüber herkömmlichen integrierten Spannungsreglern erzielen, was der Reinheit des Klangs zugutekommen soll, und der ziemlich üppig dimensionierte Ringkerntransformator diene dazu, die Speicherkondensatoren des Netzteils schnell nachladen zu können. Laut Hersteller konnte man die Geschwindigkeit der Spannungsverstärker mehr als verdoppeln, womit auch die Reaktionsgeschwindigkeit der Endstufe entsprechend angestiegen sei. Auch dass die zweite Verstärkerstufe nun ohne Kaskodenschaltung auskomme und daher weniger bedämpft werden müsse, sei der Signalanstiegsgeschwindigkeit und somit der Dynamik zuträglich.
Naim setzt auch auf eine effektive Entkopplung von Bauteilen, die mikrofonieanfällig sein könnten – ein Ansatz, der in hochwertigen HiFi-Geräten immer häufiger Beachtung findet. Um die im Signalpfad liegenden Bauteile wie die Leiterplatte effektiv vor Vibrationen zu schützen, entkoppelt Naim sie mechanisch über dämpfende Elemente und verdrahtet die in der Rückwand montierten Anschlussbuchen von Hand mit den Leiterplatten, um eine mechanische Kopplung von außen nach innen zu vermeiden. Eine galvanisch getrennte Mikroprozessorsteuerung und die Keramikisolatoren der Kühlkörper sollen Ausgleichsströme reduzieren, die sonst durch kapazitive Kopplung zwischen Ausgangstransistoren und Gehäuse auftreten können. Dies sind recht aufwendige Maßnahmen, die Naim seinem neuen Verstärker da gönnt, und das treibt meine Erwartungen in die Höhe.
Drum & dran
Zudem kann sich auch die Ausstattung des Naim Supernait 3 sehen lassen. So besitzt er einen Kopfhörerverstärker, der seine Leistung über eine 6,3-Millimeter-Klinkenbuchse abgibt. Der leichtgängig laufende Lautstärkeregler auf der linken Seite der Frontplatte steuert ein Alps-Blue-Velvet-Potenziometer, direkt rechts neben dem Drehrad für die Lautstärke sitzt ein rasterloser Balanceregler im selben Design.
Die Drucktaster für die Eingangswahl sitzen auf der rechten Seite der Frontplatte und aktivieren ein Reed-Relais, das ebenso wie die galvanische Trennung der Mikroprozessorsteuerung störende Einflüsse vom Signalpfad fernhalten soll. Den aktivierten Eingang sowie die aktivierte Mute-Funktion macht der Naim Supernait 3 mit einem grün per LED illuminierten Rand um die jeweilige Taste kenntlich.
Die vier Hochpegel-Eingänge, ein Phono-MM-Input und ein geregelter Ausgang (Sub- oder Pre-Out) stehen als RCA-Buchsen zur Verfügung. Auf die „Restschrulligkeit“ der DIN-Verbindungen will man bei Naim offenbar nicht verzichten: Zwei DIN-Line-Eingänge, zwei DIN-Buchsen für Stream In/Out und AV In/Out (raus geht’s jeweils mit festem Pegel), eine DIN-Buchse für das geregelte Vorverstärkersignal sowie eine weitere, die als 24-Volt-Ausgang für Naim-Phono-Vorverstärker dienen kann, finden sich auf der Rückseite ebenfalls. Per Doppel-DIN-Buchse lässt sich zudem eine entsprechend ausgestattete (Naim-)Vorstufe an die Endstufensektion des Naim Supernait 3 andocken.
Das Gehäuse des Naim Supernait 3 ist in jeder Farbe erhältlich – solang diese Farbe Schwarz ist. Alles andere wäre aber auch Frevel und sowieso unnötig. Denn das Design des Integrierten halte ich persönlich für extrem gelungen, was auch am dunklen Kleid des Supernait 3 liegt. In Silber könnte ich mir das Teil echt nicht vorstellen – und nur mit der Farbe der Nacht kommt die typische grüne Illumination des Firmennamens auf der Frontplatte so richtig gut zur Geltung. Die Qualität des knapp fünf Millimeter starken Metallprofils, das sich hinter der massiven, zwölf Millimeter dicken Alu-Front über das Innenleben des Naim Supernait 3 hüllt, ist einwandfrei. Der Klopftest offenbart allerdings einen gewissen Glockenklang – gut, dass Naim so viel Wert auf die mechanische Entkopplung des Innenlebens vom Gehäuse legt.
Naim Supernait 3: Klangtest und Vergleiche
Man sagt Naim-Komponenten ja von jeher einen charakteristischen Familienklang nach: Alles andere als fettarme Schonkost sollen die Verstärker aus Salisbury liefern, so die herrschende Meinung. Vielmehr seien sie auf kräftig gepfefferte Klanggerichte spezialisiert, die mit reichlich Schmackes, aber nicht ganz so viel Finesse serviert werden. Nun, das mag unter den frühen Chefköchen vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen gewesen sein, doch die derzeitige Crew hat den Laden ein wenig näher an eine mehrheitsfähigere Ausrichtung manövriert – ohne die eigene Tradition zu vernachlässigen. Was das heißt? Lesen Sie weiter!
Konzentriert
Es liegt eine der interessantesten Veröffentlichungen im progressiven Metalbereich auf dem virtuellen Plattenteller: Arjen Lucassen‘s Guilt Machines 2009er Opus On This Perfect Day. Auf diesem Album (auf Amazon anhören) breitet der Niederländer sein ganzes Können in sechs musikalischen Mikrokosmen aus, die ich gar nicht „Songs“ zu nennen wage. „Leland Street“ ist mit 8:03 Minuten das zweitkürzeste Stück, beinhaltet aber schon alles, was den Proggi anfixt: hymnischer Refrain, sphärische Strophe, spacige Soundeffekte, alles hochklassig – allerdings nicht perfekt – produziert. Warum ich das so ausbreite? Nun, mit dem Naim Supernait 3 interessiert es mich nach gerade mal zwei Minuten eigentlich kaum noch, dass die Aufnahme (nicht die Wiedergabe durch den Supernait 3) im Bassbereich ein wenig mehr physischen Druck gebrauchen könnte, oder dass ihr ganz obenrum auch noch ein Quäntchen mehr Luft guttäte, oder dass das Schlagzeug erst mit noch ein wenig mehr Substanz so richtig aus dem Mix hervortreten würde. Innerhalb kürzester Zeit konzentriere ich mich stattdessen auf die blind aufeinander vertrauende Zusammenarbeit von Bassist und Drummer, verfolge gebannt, wie die Gitarren-Magier ein energiegeladenes Riff an der genau passenden Stelle rausballern, und wie die Analogsynthies den tonalen Raum mit Fläche und Volumen füllen.
Das Spiel wiederholt sich mit Melissa Auf der Maurs „Real a Lie“ (Album: Follow the Waves). Diese Scheibe klingt insbesondere in den dynamisch ausgereizten Momenten ein wenig scheppernd, teilweise fast schon verzerrt. Mit dem Supernait 3 ist das eigentlich nicht wirklich anders, und dennoch knallen die Drums einen Hauch fetter, drücken die Gitarren ein entscheidendes Jota gebündelter, satter und konzentrierter als zum Beispiel mit einem Primare i35 Prisma (um 4.500 Euro), der mit seiner etwas strengeren, um nicht zu sagen helleren Gangart die Verzerrungskomponenten des Tracks vergleichsweise stark ins Bewusstsein des Hörers drängen lässt.
Neben einer bemerkenswerten Sauberkeit des Klangbilds über den gesamten Frequenzbereich hinweg, hält sich der Naim Supernait 3 einerseits in den allerallerobersten Frequenzregionen ein wenig zurück. Andererseits besitzt er im Bass und Grundton eine gleichermaßen fiebrige wie präzise, ebenso ungeduldige wie kontrollierte und gleichsam vorpreschende wie straffe Energie, die sich merklich von so gut wie allen anderen Amps absetzt, die ich kenne. Benchmark in dieser Disziplin dürfte dann auch erst der mehr als doppelt so teure Balanced Audio Technology VK-3000SE (9.500 Euro) sein.
Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine tonale Überbetonung, sondern um eine charakterliche Tugend; es geht also um die Art und Weise, wie der Naim mit der gegebenen Quantität im Bassbereich umgeht. Denn dieser Supernait-3-Bass erlaubt es, so richtig – sorry – geilen „dirty fun“ mit dem Tiefton zu haben, ohne dass das audiophile Gewissen sich die Augen (oder Ohren) zuhalten muss. Denn in Sachen Präzision, Kontrolle und Geschwindigkeit macht dem Naim Supernait 3 so schnell keiner was vor. Ein Norma Audio Revo IPA-140 (5.400 Euro) zum Beispiel besitzt zwar ähnlich viel Druck und Präsenz im Frequenzkeller, lässt Bassdrums vielleicht sogar noch etwas mächtiger und voller ertönen, doch er kann nicht ganz so überzeugend Ein- und Ausschwingvorgänge tiefer Klavier- oder Kontrabasssaiten übertragen oder den erwähnten Bassdrumschlag so abrupt initialisieren und stoppen. Daher wirken schnell gespielte Double-Bass-Attacken mit dem Naim Supernait 3 besser nachvollziehbar. Langgezogene Tiefbässe dagegen wirken – wie im Kontrast dazu – fast schon sehnig-straff, nicht so üppig und sämig den Raum füllend wie mit dem Norma Revo IPA-140. Auch scheint mir der Naim einer hart geschlagenen Snaredrum (also im Grundton und Oberbass) ein Quäntchen mehr punktgenau dosierte Energie mitzugeben – einen fähigen Lautsprecher vorausgesetzt, spürt man zum Beispiel die Snare in „Roses for my Friends“ von Ben Harpers Album The Will to Live (auf Amazon anhören) körperlich im Brustbein. Jap, genau so soll das sein!
Im Mittelton gibt sich der Naim bemerkenswert unauffällig, verhält sich tonal linear und zeigt eine der Preisklasse angemessene Auflösung. Selbst wenn ich es wollte: Eine Präferenz hin zu einer eher brust- oder kopflastigen Charakteristik kann ich beim besten Willen nicht ausmachen. Einige Worte zum Mitteltoncharakter verlier ich noch weiter unten, wie so oft bedingen sich gewisse klangliche Effekte gegenseitig.
Eine Etage weiter oben gibt der Naim Supernait 3 (nach gehöriger Einspielzeit) weit weniger das rebellische Raubein als direkt nach dem Auspacken befürchtet. Okay, seine Hochtonqualität würde ich nicht als seidig oder fein-luftig beschreiben. Der erwähnte Norma Revo IPA-140 gibt hier ja sehr überzeugend den italienischen Romantiker – der Naim Supernait 3 lässt sich demgegenüber eher als effizienter Pragmatiker beschreiben. Will heißen: Er überträgt im Hochton genau die Menge an Energie, die im Kontext mit dem energetisch aufgeladenen Bassbereich und dem neutralen Mittelton ein rundes Bild abgibt. Eine ätherische Hochtonshow finden Sie hier also nicht, ein Schlagzeugbecken macht eher mit den primären Transienten auf sich aufmerksam als mit dem Ausklingen und Nachhallen im Raum. Stumpf wirkt das Ganze beileibe nicht, nur eben in den höchsten Sphären weniger offen und fein verästelt als zum Beispiel mit dem Primare i35 Prisma oder gar mit meiner Linnenberg-Kombi aus Telemann-DAC/Pre und Liszt-Endverstärker – die kostet aber auch mehr als das Doppelte.
Auf der Bühne
Auch hinsichtlich der Bühnenabbildung bleibt der Naim Supernait 3 sich treu, spielt tendenziell übersichtlich und kompakt statt ausufernd weiträumig – und das passt zum auf konzentrierten Energietransfer ausgelegten Gesamtcharakter des Supernait 3. In die Tiefe hinter die Lautsprecher will sich der Naim nicht allzu weit vorwagen, das Geschehen bleibt meist auf der Ebene der Lautsprecher und erstreckt sich höchstens ab und zu mal dahinter. So scheinen die Zugvögel in „Masters of the Field“ vom Soundtrack zu Nomaden der Lüfte ein wenig Mühe zu haben, ihre weite Reise zu den grünen Wiesen hinter den schneebedeckten Bergen anzutreten. In Breite und Höhe gibt sich der Supernait 3 großzügiger und bildet Instrumente mit realistischen Proportionen ab, bleibt aber bezüglich der Größe des Klangraums (einigermaßen deutlich) hinter dem Norma IPA-140 oder auch (knapp) dem 4.490 Euro teuren All-in-one-Gerät AVM CS 2.2.
Was dem ein oder anderen an schieren Bühnenausmaßen fehlen mag, macht der Naim Supernait 3 mit einer intimen, greifbaren Projektion meines Erachtens mehr als wett. Zwar sind einzelne Schallquellen „nur“ normal und nicht herausragend kantenscharf umrissen, doch die energetische Unmittelbarkeit und solide Körperlichkeit des Geschehens vermittelt ein umso stärkeres „Dabei-Gefühl“, besonders bei Stimmen und dem sonstigen Mitteltongeschehen. Diese intime, vergleichsweise weniger distanzierte Herangehensweise spricht mich persönlich emotional sehr an.
Sahnestück
Das wirkliche Sahnestück des Naim Supernait 3 ist jedoch – neben seinem energiegeladenen, aufregenden Bass – die Impuls- und Transientenwiedergabe. So flott schießt kein mir bekannter Amp der Unter-5.000-Euro-Klasse auch noch die ungestümste Percussion aus den Transistoren, zupft Gitarrensaiten so impulsiv und prägnant an oder dröselt selbst komplexeste Drum-Arbeit wie auf Tools neuem Album Fear Inoculum (auf Amazon anhören) mit beiläufiger Leichtigkeit auf. Moment, vielleicht könnte ein Atoll IN-400 SE (4.500 Euro) … Nein, auch dieser französische Vollverstärker mit Rennfahrerambitionen kann nicht ganz in die Liga des Supernait 3 vorpreschen.
Das tolle Timing des Naim Supernait 3 hilft ihm auch bei der akustischen Definition feindynamischer Kabinettstückchen. Zum Beispiel vermag er es spielend, alle einzelnen Klick-Impulse eines Güiro, einem spanischen Holzreibe-Instrument, peinlich genau seziert aneinanderzureihen. Auf der anderen Seite ist sich der Supernait 3 auch nicht zu schade, geradezu krachende grobdynamische Salven abzufeuern, und zwar im Bass ebenso wie im Mittelton. Egal, ob es sich um die große Pauke in der Carmina Burana von Carl Orff handelt oder um die sprunghaft anschwellenden Stimmen des Chors im Soundtrack von Nomaden der Lüfte: Auch hier ist anspringende Unmittelbarkeit das Credo des Naim Supernait 3, die aber niemals zulasten der sinnvoll ausbalancierten und angenehmen Tonalität geht.
Test: Naim Supernait 3 | Vollverstärker