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Über zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass ich über die Marke Abacus das erste Mal stolperte: in Gestalt des kleinen, puristischen Verstärkers Ampino, der seinerzeit in einer nur kurzen Newsmeldung der Zeitschrift Klang & Ton erschien und dennoch sofort instinktiv meine Neugier weckte. Geweckt, getan: Nur wenige Tage später schlug der Ampino bei uns auf. Ein so ziemlich sofortiger Check im Hörraum und der nachfolgende, ausgiebige Test des Kollegen Martin Mertens bekräftigten, dass es sich ab und an sehr wohl lohnt, seinen highfidelen Urinstinkten zu folgen. Der knuffige Abacus Ampino ist seitdem mehrfach überarbeitet worden – und nach wie vor „Kult“ bei uns in der Redaktion. Aber die Nordniedersachen haben freilich auch deutlich dickere Kaliber am Start: beispielsweise den ganz frisch überarbeiteten Abacus Ampollo Dolifet (4.500 Euro | https://www.abacus-electronics.de), den wir uns im Folgenden genau ansehen und vor allen Dingen anhören wollen.
Abacustypisch lässt sich natürlich auch das Topmodell des Hauses sowohl als Endstufe wie als puristischer Vollverstärker betreiben. Über die technischen Weiterentwicklungen im Vergleich zum Vorgängermodell, aber auch Abgrenzungen zu den preiswerteren Amps des Hauses wie den Abacus 60-120D werde ich natürlich auch noch ein paar Worte verlieren. Zunächst aber einmal der grundsätzliche Steckbrief:
Doll, doller, dolifet?
Der Abacus Ampollo Dolifet ist ein mit 2 x 190 Watt an 8 Ohm spezifizierter, reinrassiger Transistorverstärker, weist mit Blick auf die Beschaltung der ausgangsseitigen Halbleiter aber durchaus Ähnlichkeiten mit Röhrenverstärkern auf – seit jeher einer der Clous von Abacus-Schaltungen. In der Ausgangsstufe des Ampollo kommen mithin insgesamt 16 selektierte Feldeffekttransistoren zum Einsatz, die so beschaltet sind, dass die Lautsprecher über den Drain-Anschluss der Transistoren angetrieben werden. Damit erklärt sich gleichzeitig das Akronym Dolifet („Drain Output Load Independent Field Effect Transistor). Ein Schaltungskniff, der übrigens Gefahr läuft, mit erhöhter Schwingneigung einherzugehen, gleichwohl muss man sich in Sachen Betriebssicherheit bei den über Jahrzehnte gereiften Konzepten der Nordenhamer keine Sorgen machen. Im Gegenteil soll gegenüber vielen herkömmlichen Schaltungen sogar für zusätzliche Sicherheit gesorgt sein: Alleine bei durch Lautsprecherüberlastung hervorgerufenen Fehlerströmen würden bereits Schutzschaltungen ansprechen, verspricht Abacus. Eine microcontrollergesteuerte Temperaturüberwachung sowie ein DC-Offset-Schutz zählen zu den weiteren Beruhigungspillen, die man sich als Eigner eines Abacus Ampollo einwerfen darf.
Insbesondere belohnt die Schaltung aber mit sehr niedriger Ausgangsimpedanz, was gleichbedeutend mit einem extrem hohen Dämpfungsfaktor ist: Abacus beziffert diese Kenndaten mit null Ohm beziehungsweise unendlich großen Werten. Grundsätzlich sollte dies einem lastunabhängigen (Stichwort: lautsprecherseitig schwankende Impedanzverläufe inklusive Phasenverschiebungen) und kontrollierten Lautsprecherbetrieb förderlich sein. Nicht zuletzt auch Probleme durch das Nachschwingen der Membranen werden minimiert.
Vollverstärker oder Endstufe?
Der Abacus besitzt zwei Hochpegeleingänge (Cinch und XLR) zwischen denen per Taster auf der Gerätefront umgeschaltet werden kann sowie einen schön griffig-großen Lautstärkeregler. Schalten und walten lässt sich zudem mittels standardmäßig beiliegender Metallfernbedienung. Typisch Vollverstärker also. Dessen Laustärkeregelung übrigens gleichlaufpräzise und verschleißminimal mit einer 265-stufigen Widerstandsleiter inklusive Mikrocontroller realisiert wurde.
Der Einsatz als reine Endstufe, nicht zuletzt die Kombination mit dem hauseigenen Preamp 14 samt Zusatzfeatures wie AudioVero Cleaner, AudioVero Raumkorrektur und Aroio-Streamer, ist aber nicht minder typisch und reizvoll. Dazu die Lautstärkeregelung ganz einfach auf 12 Uhr setzen – keinesfalls den Vollausschlag wählen, hier kommt es zu stärkerem Rauschen und etwas klirrigem Sound. Oder kompromisslos straight die Lautstärkeregelung komplett deaktivieren – das ist neuerdings nämlich per internen Jumper möglich.
Ein Klavier, ein Klavier …
So puristisch der Abacus Ampollo Dolifet trotz der nun im Unterschied zum Vorgängermodell vorhandenen Fernbedienbarkeit und Eingangswahl nach wie vor wirkt, so überraschend sind auf den zweiten Blick dann doch einige nicht unbedingt alltägliche Features. Mithilfe eines rückwärtigen „Mäuseklaviers“ lassen sich nämlich das linke und rechte Eingangssignal überkreuz zum rechten und linken Lautsprecherausgang führen, vertikales/horizontales Bi-Amping oder Monobetrieb fahren (zweiter Ampollo vonnöten) sowie zwei Ampollos im Master-Slave-Modus lautstärkesynchronisieren, was etwa beim Bi-Amping hilfreich ist, wenn das Quellgerät ohne Lautstärkeregelung kommt. Ein aktivierbares Ground Lift der XLR-Eingänge wirkt zudem möglichen Brummschleifen entgegen.
Abgrenzung von der lieben Verwandtschaft
Gegenüber dem „alten“ Ampollo sind also einige Einstellmöglichkeiten, Fernbedienung, eine hochwertigere Laustärkeregelung sowie die DOLIFET-Leistungsstufen hinzugekommen. Darüber hinaus sind eine avancierte Stromversorgung mit einem von 160000 µF Siebkapazität flankierten 600-VA-Ringkerntrafo sowie einem aktiven Leistungsgleichrichter für den Leistungsteil und dedizierten Stromversorgungen für den Kleinleistungs- und Steuerungsteil ins Feld zu führen. Wer sich hingegen für den nächstkleineren, ebenfalls DOLIFET-geadelten, aber fernbedienungslosen Abacus 60-120D entscheidet, spart erfreulicherweise zwar erkleckliche 3.500 Euro, muss aber Abstriche bei der Stromversorgung (250 VA-Trafo, 40000 µF), der Endstufendimensionierung samt Ausgangsleistung und einigen Schutzmechanismen hinnehmen sowie aufs Mäuseklavier und die umschaltbaren Eingänge verzichten.
Was kann man sich noch wünschen?
Mehr Eingänge, einen integrierten DAC, ein Phonoteil oder ein Display? Auf keinen Fall. Der Abacus Ampollo Dolifet ist für Hörer, die wissen, was sie wollen. Nämlich ein auf den ersten Blick puristisches, im Grunde aber – nur an anderen Stellen als üblich ansetzend – auch ziemlich flexibles Konzept.
Gleichwohl: Mutmaßlich eine Banalität, aber im alltäglichen Gebrauch wünschenswert wäre eine sichtbarere Markierung am Lautsprecherknopf des Ampollo – um vom Sofa aus die Stellung des Drehreglers zu erkennen, müsste man schon Mäusebussard sein. Ausgemachte Leisehörer, die womöglich auch noch über wirkungsgradstarke Lautsprecher verfügen, sollten zudem wissen, dass die Laustärkeregelung des Abacus Ampollo Dolifet, wenn man vom Linksanschlag langsam hochregelt, mit einem etwas höheren Pegel anspringt, als das bei den meisten anderen Amps der Fall ist.
Und zu guter Letzt noch ein Tipp: Der Ampollo goutiert durchaus einige Minuten Aufwärmzeit. Kalt, sprich frisch eingeschaltet, muten der Bass tonal etwas verhaltener und die Räumlichkeit einen Tick weniger plastisch an.
Abacus Ampollo: Klangtest & Vergleiche
Formel-1-Flitzer
Fallen wir zu Beginn gleich mit der Tür ins Haus: Wer auf rasante Dynamik steht, wird diesen Amp umarmen wollen! Der Track „Obelisk Monolith“ (Album: Horizons/Rapture) der Experimental-Rock-Combo The Physics House Band (auf Amazon anhören) startet mit vollem Schlagzeugeinsatz von Dave Morgan: Bassdrum, Becken, Hi-Hat, Toms, Snare schlagen, wirbeln und zischeln so zackig-akzentuiert auf einen ein, dass es die wahre Freude ist. Um mich noch vorsichtig auszudrücken: Der Ampollo lässt sich von meiner 17.000-Euro-Verstärker-Kombi mit den jeweils 600 Watt starken, ebenfalls pfeilschnellen Bryston-7B³-Monos dynamisch in keiner Weise abhängen. Hut – oder besser: Rennhelm – ab!
Auch im Bass ist der Abacus Ampollo Dolifet so auf Zack, wie man sich es nur wünschen kann: Die tiefen, für jeweils etwa eine Sekunde stehenden Bassflächen in „Am I“ von Kode9 (Album: Black Sun; auf Amazon anhören), die anfangs die spärlich gesetzten Bassdrumbeats rhythmisch ergänzen, stehen auch dann noch absolut sauber, wenn sie sich im Refrain plötzlich gegen die ebenfalls hochpräzise ans Ohr schleudernden Achtel-Bassdrum-Salven zur Wehr setzen müssen: In Sachen Energie, Differenziertheit(!), das Ausrufezeichen muss da einfach hin, aber auch Tiefgang spielt der Ampollo im Grunde in der Premier League, oder sagen wir: auf Augenhöhe selbst mit den hochenergetischen, schnellen Dickschiffen von Bryston oder Krell. Meine verflossenen NuForce Reference 20 mit ihrer naturgegebenen Class-D-Basskompetenz hätten gegenüber dem Ampollo Dolifet hingegen mit Sicherheit das Nachsehen gehabt.
En détail
Die Auflösung steht der Dynamik in keiner Weise nach: Ich meine sogar, auf das Schlagzeugdickicht im erwähnten „Obelisk Monolith“ noch klarer, noch trennschärfer schauen zu können als mit meiner ebenfalls hochdurchsichtigen Kombi, die allerdings in allerhöchsten Sphären Richtung Superhochton noch etwas feinpixliger anmutet. Aber auch in „Rhododendron“ der Mathrocker Quadrupède (Album: Togoban) ist das Spiel der sich zunächst offen schimmernd und dann zunehmend verschlossen-zischelnd durch den Titel ziehenden Hi-Hat extrem gut nachverfolgbar.
„Mountains made of Steam“ von A Silver Mt. Zion (Album: Horses in the Sky; auf Amazon anhören) startet mit einer ausschließlich auf dem rechten Kanal gehaltenen, gezupften Gitarre – quasi in mono. Das Stereobild wird vornehmlich durch Rauschen aufgezogen und von offenbar versehentlichen, ganz subtilen Bewegungs- oder Griffgeräuschen der zweiten Gitarre auf dem linken Kanal, die eigentlich erst später einsetzt. Auch solche Feinheiten lässt sich der Abacus Ampollo Dolifet ebenso wenig entgehen wie meine Funk/Bryston-Kombi.
On Stage
Nach alledem nur logisch ist, dass der Abacus Ampollo Dolifet auch räumlich nichts anbrennen lässt – ohne hohe Ortungsschärfe ließe sich ja auch ein wild vor sich hinwirbelndes Schlagzeug nicht richtig differenzieren. Insgesamt gibt sich die Bühne in Breite und Höhe großzügig dimensioniert und streckt sich involvierend nach vorne, Richtung Hörer – genau nach meinem Geschmack. Mag sein, dass in Sachen Tiefenstaffelung noch mehr ginge, ich selbst vermisse hier nichts, bin bei diesem Kriterium aber auch nicht so „feinhörig“. Allenfalls in Sachen Plastizität mutet meine Referenzkombi noch avancierter an, wenn es dabei auch eher um ein unterschwelliges Gefühl, denn sofort aufs erste Hören greifbare Unterschiede geht. So entführt mich das mit lediglich zwei Instrumenten auskommende, wunderschöne „Murata: Liange“ (Anoice: Selected Works) mit seinem zunächst ätherischen Flügel, der im Verlauf des Stücks als perkussiver Begleiter der schmachtend-melodiösen Viola dient, noch mehr in den Aufnahmeraum, wenn es über mein Bryston/Funk-Gespann verstärkt wird.
Obenrum
Das mag am Hochton liegen, der auf das Raumgefühl natürlich ebenfalls Einfluss nimmt: Der Abacus Ampollo Dolifet spielt obenrum straight, extrem gut definiert und ist mithin auf tonmeisterliche Wahrheit trainiert. Nichts für hoffnungslose Romantiker mit Faible für fortwährend gülden-seichte Streicheleinheiten aus den oberen Lagen. Künstliche Schärfen oder Härten glänzen beim Ampollo dennoch durch Abwesenheit, selbst 80er-Jahre Plastikaufnahmen wie Peter Gabriels „Sledgehammer“ mit seinen durchaus nicht ungefährlichen Sibilanten (ja, ich weiß, auf Vinly soll’s wohl besser klingen als mit meiner 08/15-Digitalversion) bleiben genießbar. Nur den letzten feinen Hochtonhauch, der letzte seidig-ätherische Schimmer Richtung Superhochton, der sich zuweilen wie eine feine Aura um Instrumente zu legen scheint, spart sich der Ampollo im Vergleich zu meiner Bryston/Funk-Kombi etwas aus.
Fast ein Widerspruch
Und wenn ich die Gesamttonalität des Abacus eigentlich als „neutral, mit einer leichten Präsenzprise“ umschreiben würde (die extrem hohe Transparenz sowie die ultradefinierten, dadurch automatisch weniger massig wirkenden Bässe spielen hier hörpsychologisch sicher mit rein), wirkt die tonale Balance der Mitten-/Stimmwiedergabe des Ampollo fast wie ein Widerspruch dazu. Denn selbst beim von A Silver Mt. Zion-Mastermind Efrim Menuck in „God bless our dead Marines“ sehr intensiv, eigentümlich-kehlig vorgetragenen „They put angels in the electric chair, straight-up angels in the electric chair …” , das durch die zunehmend hysterisch agierende Violine noch schriller wird, kann ich dem Ampollo keine tonalen Disbalancen vorwerfen. Nein, Stimmen hat er echt gut drauf – sowohl tonal als auch mit Blick auf die Ausleuchtung der Texturen.
Vergleiche
Vergleichen wir den Abacus Ampollo Dolifet abschließend noch mit einigen Vollverstärkern und Endstufen, die mir gerade in den Sinn schießen:
Ein Technics SU-G700 (1.999 Euro, eine meiner Topempfehlungen seiner Klasse) liefert ebenfalls ein eher auf „Sportlichkeit“, denn auf „Romantik“ ausgelegtes, knackiges Klangbild; beide Amps sind auch sonst durchaus seelenverwandt. Die ausgesucht hohe Differenzierung insbesondere in den Mitten und die sensationell kraftvoll-ansatzlose Dynamik des Ampollo erreicht der Technics aber nicht. Ebenfalls zu meinen Lieblingsamps zählt der extrem musikdienliche Genuin Nimbus (7.950 Euro), der allerdings in Sachen dynamischer Attack und Bassdruck nicht das Niveau des Ampollo erreicht, dafür – bei aller Neutralität – zusätzliche Sinnlichkeit und Geschmeidigkeit ins Spiel bringt. Ein objektives „besser“ oder „schlechter“ gibt’s hier nicht. Vielmehr dreht sich’s um die Geschmacksfrage, ob der auf jeden Fall neutrale neue Verstärker mehr in die kunstvoll-sensible oder sportlich-packende Richtung gehen soll. Auch ein Meridian 857 Reference punktet mit angenehmer Wärme, Substanz, ja: Süffigkeit, kann aber in Sachen Dynamik und Auflösung ebenfalls mit dem Ampollo nicht mithalten. Toningenieure und Hörer, die es lebhaft wollen, greifen zum Ampollo, wer es schwelgerischer und behaglicher liebt, wird sich zu Amps wie dem Meridian hingezogen fühlen.
Test: Abacus Ampollo Dolifet | Endstufe, Vollverstärker