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„Majistra“, das klingt ein bisschen wie ein Gericht auf der Speisekarte meines Lieblingsinders – würzig, cremig, sahnig. Google spuckt zum Namen eine Göttin der Finsternis und Macht des Streits aus dem Comic-Universum von DC Comics aus, vor allem aber einen neuen 2-Wege-Regallautsprecher von Neat Acoustics (4.298 Euro | https://bellevueaudio.de). Der stammt weder aus den USA noch aus Indien, sondern – oh my goodness! – aus England. Mal hören, ob wir es mit dem typisch britischen Kompaktmonitorsound zu tun bekommen …
Die Majistra gehört wie die Orkestra, Ekstra und Ministra zur neuen Strata-Serie der Briten, die bei Neat Acoustics die goldene Mitte im Portfolio bildet. Unter ihr rangiert die Einsteigerserie Motive, über ihr die Ultimatum-Reihe. Während die Familienmitglieder Orkestra und Ekstra als Standmodelle konstruiert sind, zählen die beiden Zwei-Wege-Lautsprecher Neat Majistra (Paarpreis: 4.298 Euro) und Ministra (Paarpreis: 2.798 Euro) zu den Kompaktboxen.
Auf den ersten Blick gleichen sich die beiden Kompakten bis auf die Größe fast wie ein Ei dem anderen, doch der Eindruck täuscht: „Gegenüber der Neat Ministra ist der Gehäuseaufbau der Majistra komplexer“, erläutert Andreas Sehlhorst vom deutschen Vertrieb Bellevue Audio. „In der Ministra kommt zudem ein kleinerer Bändchen-Hochtöner zum Einsatz.“
Doppeldecker: isobarisches Prinzip
Gemein ist allen Strata-Familienmitgliedern hingegen die Isobaric-Bass-Loading-Technik, eine Spezialität, die der Referenzlinie der Briten entlehnt wurde und die Basswiedergabe verbessern soll. Zwei gänzlich identische Tiefmitteltöner arbeiten dabei gemeinsam auf ein inneres Luftvolumen, was für konstante Druckverhältnisse sorgt – und letztlich für die Verringerung von Nichtlinearitäten sowie vermehrte Effizienz. Laut Neat Acoustics sinke das erforderliche Gehäusevolumen gegenüber üblichen Lösungen um 50 Prozent, mithin würden kompaktere Gehäuse bei gleichzeitig tiefreichendem Frequenzgang realisierbar.
Das heißt konkret: Die Neat Acoustics Majistra verfügt über einen zweiten, von außen unsichtbaren Konustreiber, der auf gleicher horizontaler Ebene in einem gewissen Abstand genau hinter dem sichtbaren Chassis positioniert ist. Die gegenseitige Kontrolle der Chassis soll zusätzlich die Ein- und Ausschwingvorgänge bei gesteigerter Tieftondynamik optimieren. Auch der Wirkungsgrad im Bass nähere sich einem herkömmlichen Konzept mit doppeltem Volumen an, hierauf zahle die zusätzliche Bassreflexankopplung des inneren Bassmitteltontreibers ein. Als Gesamtwirkungsgrad gibt der Hersteller ordentliche 88 dB (2,83 V/m) an.
Glanzlicht: der Bändchen-Hochtöner
Zu den weiteren Besonderheiten der Neat Majistra zählt der 60-mm-Bändchenhochtöner, der von der Firma Fountek stammt und, so die Engländer, speziell für Neat Acoustics hergestellt werde. Die Schallerzeugung erfolgt bei Bändchen-Hochtönern bekanntermaßen durch eine extrem leichte und dünne Folie, die von zwei Magneten in Bewegung versetzt wird und superschnell reagiert. Getrennt wird flach mit 6 dB/Oktave (siehe Frequenzweiche im fairaudio-Lexikon), hilfreich nicht zuletzt, um Phasenkohärenz zu befördern. Eine Filterdimensionierung, die bei Bändchen, die auf aus den oberen Mitten/unteren Höhen stammenden Lasten gerne allergisch reagieren, allerdings eine höhere Trennung nötig macht – wobei die 3,5 kHz bei der Neat Majistra sogar eher moderat ausfallen. Die unten ankoppelnden 170-mm-Tiefmitteltöner mit Papiermembran stammen von Peerless und sind laut deutschem Neat-Vertrieb ebenfalls „custom made“, also Spezialanfertigungen.
Konventionell-modern: das Gehäuse
Auffällig mutet die vorne aufgesetzte Schallwand an, die über eine Polyethylenmembran vom MDF-Hauptgehäuse entkoppelt ist. Sie verleiht der ansonsten eher kantig-quadratischen, dezent bis konventionell gestylten Majistra mit Maßen von 380 x 220 x 290 mm (H x B x T) eine etwas modernere Optik. Nicht zuletzt klanglich soll die Schallwand mit ihren seitlichen Rundungen auf Höhe des Bändchen-Hochtöners etwas bringen, nämlich weniger Gehäusevibrationen eintragen. Interne Verstrebungen sollen die Box zusätzlich stabil und verwindungssteif machen. Käufern stehen vier Farbvariationen zur Auswahl: schwarze Eiche, Eiche natur, Walnuss (wie das Testpärchen) und Weiß (satiniert). Die uns zur Verfügung gestellte Walnuss-Ausführung sieht sehr edel und zeitlos aus, die Verarbeitung ist erstklassig und absolut makellos. Man glaubt sofort, dass hier Kenner mit drei Jahrzehnten Erfahrung im Boxenbau am Werk waren.
Wer möchte, kann die Schallwände der Majistra hinter schützenden schwarzen Stoffabdeckungen verbergen, die sich im Lieferumfang befinden. Sie haften magnetisch und lassen sich leicht anbringen und wieder entfernen. Auf der Rückseite der Kompaktlautsprecher befindet sich neben dem oben sitzenden Bassreflexrohr ein Single-Wiring-Terminal mit soliden Schraubklemmen. Direkt darüber platzieren die Briten silberne Aufkleber mit der Typenbezeichnung und der Seriennummer, wobei der Hinweis „Manufactured in the UK“ nicht fehlen darf.
Aufstellung und Raum
Die Neat Acoustics Majistra eignet sich laut Vertrieb für kleine bis mittelgroße Räume und kann auch wandnah stehen. Das mit der wandnahen Aufstellung kann ich nach ein paar Wochen Beschäftigung mit dem Lautsprecher bestätigen, bei der Raumgröße möchte ich ergänzen: Auch in meiner 26-Quadratmeter-Männerhöhle erzeugte sie ausreichend Druck, sofern man(n) nicht Konzertpegel erwartet. Aber hören wir uns die Lautsprecher endlich mal genauer an:
Neat Acoustics Majistra: Klangtest & Vergleiche
Auch aus Bequemlichkeit und Neugierde habe ich die Neat Acoustics Majistra zum Einspielen auf meinen Schrank gestellt und sie mit nur 20 Zentimeter Wandabstand betrieben. Als Spielpartner diente der 50 Watt starke McIntosh-Kopfhörerverstärker MHA100, der auch über Lautsprecheranschlüsse verfügt. Ich habe mich zwar nie bewusst sehr lange davorgesetzt, wunderte mich dennoch über folgende kurze Bemerkung auf einem Schmierzettel: „Leicht warm und rund, überraschend bassstark.“ Das sind eher erste vage Eindrücke im Vorbeigehen, doch bestätigen die sich auch in der großen Kette auf Ständern mit mehr Wandabstand?
Zunächst nicht. Ich sitze wie ein begossener Pudel vor der Anlage und erinnere mich an den Unterricht in der Schule und meine Englischlehrerin, die uns im feinsten Oxford-Englisch „It’s raining cats and dogs“ einhämmerte. Denn jetzt klingt es – oh dear – eher dünn und blutleer. Deshalb verringere ich den Wandabstand auf einen halben Meter, winkele die Boxen nicht so stark ein und nehme die Stoffbespannung ab. Et voilà: Jetzt klingt es ausgewogen, die Spiele können beginnen!
Basswiedergabe meets Zettelwirtschaft
Bleiben wir beim Schmierzettel und „überraschend bassstark“. Im Tiefton soll der Kompaktbox laut Hersteller erst bei 35 Hertz die Luft ausgehen, eine Angabe, bei der selbst manche große Standlautsprecher grün vor Neid anlaufen. Gefühlt sind es beim Zusammenspiel mit dem leicht warm abgestimmten, bassstarken McIntosh-Vollverstärker MA8900 AC nicht ganz 35 Hertz, aber wie tief die kleinen Kästchen runterkommen, das beeindruckt schon. Selbst bei der remasterten Version des Nine-Inch-Nails-Klassikers „Down In It“, der Boxen mit seinen ultratiefen Tönen auf die Probe stellt (auf Amazon anhören), verliert die Neat Majistra nicht die Contenance, keine Spur von Wackelpudding. Im Vergleich zu den Drei-Wege-Bassreflex-Kompaktboxen Elac Concentro S 503 (ab 7.000 Euro pro Paar) reichen die Neat Majistra nicht ganz so tief hinab, in puncto Präzision bewegen sie sich jedoch auf gleichem hohen Niveau und arbeiten auch feine Details hervorragend heraus.
Überprüfen wir noch den Kickbass mit „Factory Of Faith” von den Red Hot Chili Peppers – der Bass von Flea hüpft hier tatsächlich so rasant wie ein Floh durchs Kurzhaarfell und beißt immer wieder zu. Auch hier reichen die Neat an die Elac heran – mit ihrem trockenen, schnellen Bass reproduzieren sie das Geschehen auch bei höheren Lautstärken millimetergenau. Das „überraschend bassstark“ vom Zettel trifft zwar größenbezogen zu, muss aber noch um die Adjektive präzise, zackig und konturiert ergänzt werden. Das „leicht warm“ auf dem Zettel fällt hingegen dem Rotstift zum Opfer.
Vulkanisch dynamisch?
Grobdynamisch und in Sachen Maximallautstärke kann ein Kompaktlautsprecher von der Größe der Neat Majistra konstruktionsbedingt natürliche keine Vulkaneruptionen oder Space-Shuttle-Starts nachbilden, logisch. Die dynamische Basswucht und die Darstellung von Pegelsprüngen ist preisklassenbezogen standesgemäß, aber längst nicht so fulminant wie zum Beispiel bei der explosiven Kompakten Audio Note AN-J/LX HEMP (rund 6.800 Euro pro Paar), aber die kostet ja auch eine ganze Ecke mehr und ist ein gutes Stück größer. Dafür entfaltet die Neat Majistra mit ihrer zackigen, schnellen Gangart ihren ganz eigenen Reiz bei basslastiger Musik, nicht zuletzt bei elektronischer Musik ist sie eine Bank. Zumal man Details entdeckt, die man vorher nicht kannte. Um meine Beobachtungen zu verifizieren, setze ich gern meine Frau vor die Anlage, die sich neue Lautsprecher oder andere Komponenten völlig unbelastet und vorurteilsfrei anhört. Ihr Urteil nach zwei, drei Lieblingsliedern: „Ich habe Sachen rausgehört, die ich vorher nicht kannte.“ Bingo.
Ein Gläschen aufs Bändchen
Das liegt auch am sechs Zentimeter langen Bändchen-Hochtöner, der sehr hoch auflöst und selbst kleinste Details ans Tageslicht bringt. Das geht ein gutes Stück über das hinaus, was ich in der 4.000-Euro-Preisklasse erwartet hätte.
Das eigentliche Kunststück besteht jedoch darin, den Ohren die ganzen Informationen stressfrei zu präsentieren, und diesen Spagat meistert die Britin bei den meisten Aufnahmen sehr gut – trotz Frische und hohem Informationsgehalt. Insgesamt ragt der Hochton aufgrund der hohen Informationsdichte, Frische und Luftigkeit etwas aus dem Klangbild heraus, wodurch der Lautsprecher trotz seiner Tiefbassfähigkeit gefühlt eher auf der hellen als auf der dunklen Seite der Macht spielt.
In Kombination mit einem hellen, analytischen Verstärker könnte es vor allem Genusshörern womöglich etwas zu viel des Guten werden. Zumal bei sehr höhenlastigen Aufnahmen, wie etwa „Rise To The Bait“ – einer Single-Auskoppelung aus dem neuen Album („Hunger“) der schwedischen Gothic-Rocker Then Comes Silence. Hier hatte der Tonmeister statt ein paar gesunder Häppchen im Magen offenbar drei, vier Bierchen zu viel in der Krone, als er am Mischpult saß. E-Gitarren und Hi-Hats klingen ungewöhnlich blechern und aggressiv, sodass der an sich herrlich hymnische Song weniger Spaß macht. Mit den teilaktiven, noch hochauflösenderen Elektrostaten Martin Logan Impression 11A (15.000 Euro) nervt die Produktion zwar immer noch, das Versagen des Produzenten tritt allerdings nicht ganz so prominent ins Rampenlicht. Die hochauflösenden, offenen Neat Majistra sind hier noch entlarvender. Nichts für Kuschelrocker, sondern für Hörer, die es genau wissen wollen.
Womit wir jetzt auch den typisch britisch-verzeihenden Sound aus der Einleitung streichen können, wie ihn beispielsweise der BBC-Kompaktmonitor Harbeth P3ESR XD in der 3.000-Euro-Preisklasse zelebriert. Die Neat rundet nicht ab, sie stellt dar: Ist die Aufnahme mies, klingt es auch im Hörraum mies. Sie verzeiht nicht, färbt nicht schön, aber sie verzaubert, wenn Musiker und Produzent ein Team bildeten – zum Beispiel bei der melancholischen, aber dennoch nach vorne abgehenden Rocknummer „Best Years“ von den amerikanischen Alternative-Rock-Senkrechtstartern Social Animals. Das hervorragend produzierte, transparente Stück zeigt, was die Neat Majistra kann: alles detailgenau darstellen, ohne zu nerven. Der agile Bass, die feine Gitarrenarbeit, die helle, leicht an Placebo erinnernde Stimme – ein Genuss, dem Ganzen zu folgen, das klingt im besten Sinne transparent, völlig mühelos und lässig, ohne in Einzelteile zu verfallen.
In diesem Zusammenhang darf die Feindynamik natürlich nicht fehlen: Die Neat Majistra gibt geringste Lautstärkeänderungen und kleinste Schattierungen präzise wieder. Während sie grobdynamisch aufgrund ihrer kompakten Bauart naturgemäß limitiert ist, spielt sie mit ihrer von Kopf-bis-Fuß-Antrittsschnelligkeit und -Transparenz in puncto Feindynamik ganz weit vorne mit, eine ihrer großen Stärken. Wie das natürlich generell auch für ihre Auflösung im gesamten Frequenzspektrum gilt.
Klare Botschaft: die Mitten
Um sich ein Bild von den Mitten zu machen, eignet sich Musik mit akustischen Instrumenten besonders gut. Da kommt das neue Album von Heather Nova gerade recht, die mit Other Shores in diesen Tagen ihr erstes Werk mit Coverversionen veröffentlicht (auf Amazon anhören). Dabei spielt sie die Songs nicht einfach nach, sondern verleiht ihnen ein neues Gesicht, indem sie sie mit spärlicher Begleitung auf das Wesentliche reduziert.
Das beste Beispiel: „Waiting For A Girl Like You“, eine Mainstream-Rock-Nummer von Foreigner aus dem Jahr 1981. Heather Novas Version, die nur aus ihrer Stimme und einem Klavier besteht, macht aus dem Stück etwas völlig anderes, das ist pure, unpeinliche Emotion jenseits von Herzschmerz-Schmalz mit einer bezaubernden, einzigartigen Stimme. Ihr Organ und auch die Darstellung des Klaviers wirken über die Neat Majistra absolut authentisch. Die Mittenwiedergabe gerät neutral, was bitte nicht mit langweilig oder unspektakulär zu verwechseln ist. Sie schüttet nur keinen Zuckerguss über Stimmen, sondern zelebriert schöne Klangfarben dann, wenn es tatsächlich etwas Schönes darzustellen gibt.
In den Mitten erinnert mich die Neat Majistra an die erwähnten Elac Concentro S 503, die noch in meinem Hörraum steht. Auch bei ihr wirkt der Grundton leicht zurückgenommen und nicht besonders warm. Deshalb spielt sie für einen Bauchhörer wie mich nicht ganz so mitreißend wie meine Martin Logan Impression 11A, sondern ein Stück sachlicher.
Beeindruckende Bühnenshow
Wie sieht es mit der Räumlichkeit und Tiefenstaffelung aus? Mit Blick auf die Bühnenausdehnung lässt sich das pauschal nicht beantworten. Beim Hören fiel mir bei unterschiedlichen Musikstilen und Bands auf, dass sich die Bühne manchmal sehr weit nach vorne ausdehnt und einem fast ins Gesicht springt. Bei anderen Aufnahmen wirkt die Bühne wieder etwas weiter weg und das Geschehen scheint sich teilweise auch hinter den Boxen abzuspielen.
Ich dachte erst, dass ich vielleicht mal wieder zum HNO-Arzt gehen sollte, bis mir klar wurde, dass dahinter etwas anderes steckt: Die Neat Majistra lotet die Songs schlichtweg aufnahmegetreu aus, sie stellt die jeweilige Aufnahme extrem genau dar. Das habe ich in dieser Ausprägung bei noch keiner Kompaktbox erlebt! Dieses Phänomen betrifft in erster Linie die Abbildung vor, auf oder hinter der Lautsprecherbasislinie und nicht so sehr die Bühnenbreite. Letztere variiert zwar ganz leicht von Album zu Album, erstreckt sich gleichwohl immer nur ein kleines Stückchen über die Schallwandler hinaus. In puncto Abbildungsbreite kann zum Beispiel die Elac Concentro S 503 etwas mehr, aber die kostet auch fast 3.000 Euro mehr. Instrumente und Stimmen projiziert die Neat Acoustic Majistra mit korrekter Aufstellung und leichter Einwinkelung bei alledem so klar umrissen, dreidimensional und greifbar in Raum, wie es auch die Elac nicht besser vermag.
Test: Neat Acoustics Majistra | Kompaktlautsprecher