Demnächst im Test:

Billboard
Lyravox Karlmann Monolith

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Guter Freund
  2. 2 Canton GLE 90: Hörtest und Vergleiche

fairaudio's favourite AwardIch muss immer schmunzeln, wenn ich eine Canton auspacke (https://www.canton.de/). Es ist wie mit einem alten Freund: Man hat ihn lange nicht gesehen, doch er hat sich kaum verändert. Okay, vielleicht sind die Haare länger oder kürzer geworden – oder er hat ‘ne neue Brille. Der gute Kumpel, auf den man sich richtig freut, weil er endlich wieder vor einem sitzt, bleibt er trotzdem. Mit den Lautsprechern aus Hessen, namentlich einem Pärchen Ergo 70, hat meine „HiFi-Karriere“ angefangen, und seitdem tragen sie für mich den „Da weiß man was man hat“-Nimbus in sich. Und wissen Sie was? Die GLE-Serie, die gibt‘s auch schon seit über 20 Jahren!

Verändert – zumindest optisch – haben sie sich tatsächlich kaum. Designexperimente standen wohl nie weit oben im Lastenheft. Und so fügt sich die circa einen Meter hohe GLE 90 – die zweitgrößte ihrer Familie, darüber gibt es noch die GLE 100 – sympathisch unauffällig in nahezu jede Wohnumgebung ein. Verfügbar ist sie in drei Farbvarianten: Weiß, Makassar und – wie mein Proband – in dezentem Schwarz.

Dei schwarze Canton GLE 90, ohne und mit Frontbespannung

Der Dreiwegelautsprecher Canton GLE 90 kommt stets mit schwarzer Frontbespannung – und ist in drei Ausführungen zu haben: in Schwarz, wie hier im Bild, sowie in Weiß und Makassar

Die magnetisch haftende und jeweils oben und unten oval zulaufende Stoffbespannung liefert Canton immer in Schwarz, unabhängig von der Gehäusefarbe. Die Verarbeitung der Hessinnen darf als wertig-routiniert gelten, das MDF-Kabinett ist sauber verarbeitet und ohne Tadel foliert. Erstaunlich: Mit unter 20 Kilogramm pro Box sind die Canton GLE 90 leichter als man vermuten würde, was das Auspacken und Aufstellen erleichtert. Bei vielen Standlautsprechern der Größenklasse empfehlen sich für diese Übungen zwei zusätzliche helfende Hände. Das geht hier durchaus auch allein.

Entfernt man die Stoffabdeckung, erwarten den Betrachter zunächst keine Überraschung – insgesamt vier Chassis sind in der Schallwand verschraubt, die, wie eh und je, silbrig glänzen. Der Kenner wusste bislang: Das sind Aluminiumtreiber, die Canton da verbaut. Stimmt nicht (mehr): Die aktuellen GLEs profitieren vom hausinternen Technologietransfer und verfügen nun über Tief- und Mitteltöner aus Titan. Das ist leichter und fester als Alu, lässt sich somit noch einfacher ansteuern, präziser führen und soll die Verzerrungswerte noch weiter nach unten drücken.

Die Sicke des Mitteltonchassis der Canton GLE 90 im Detail

Die Sicken der Tief- und Mitteltonchassis der GLE 90 sind dreifach gefaltet

In der GLE 90 setzt Canton auf zwei 19-Zentimeter-Bässe, die auf ein rückwärtig installiertes Bassreflexrohr arbeiten, und auf einen 17er-Mitteltöner. Bei den Tief- und Mitteltonchassis fallen die dreifach gefalteten Sicken ins Auge, mit denen die Membranen „in der Spur“ gehalten werden. Das Hochtonspektrum übernimmt die bewährte Alu-Mangan-Kalotte mit 25 Millimeter Durchmesser, die dank Waveguide über eine optimierte Schallabstrahlung verfügen soll. Ihr oberes Frequenzende gibt Canton übrigens mit 40 Kilohertz an, also weit außerhalb des menschlichen Hörbereichs. Die Trennfrequenzen des Dreiweglers liegen bei 300 und bei 3200 Hertz.

Schön, dass Canton – wie viele andere Mitbewerber auch – inzwischen vom jahrelang verbreiteten „Bi-Wiring-Terminal-Wahn“ abrückt und auf robust ausgeführte und vergoldete „Einfach-Schraubklemmen“ setzt.

Das Single-Wiring-Lautsprecherterminalder Canton GLE 90

Die Canton GLE 90 besitzt ein Single-Wiring-Lautsprecherterminal

Für die Ankopplung zum Boden haben die Hessen der GLE 90 puckartige Standfüße aus Aluminium unter den Korpus geschraubt, die an ihrer Unterseite samtbezogen sind. Höhenverstellbar sind sie nicht. Es finden sich auch keine Spikes als Alternative im Lieferumfang. Darüber könnte man meckern, wenn man wollte. Da die Ankopplung in meiner Testumgebung aber sowohl auf Teppich als auch auf Parkett passte und die Canton GLE 90 keine Dröhntendenzen zeigte, mache ich das nicht.

Canton GLE 90: Hörtest und Vergleiche

Um sofort ein altes Vorurteil abzuräumen: Mit dem in HiFi-Kreisen bekannten „Taunus-Sound“ (fette Bässe, gepfefferte Höhen …) hat selbst die Einsteigerserie aus dem Hause Canton heute nichts mehr zu tun. Mal davon abgesehen, dass jenem „Badewannen-Frequenzgang“ bis Anfang der Neunzigerjahre so einige Hersteller deutscher Provenienz (auch Heco war dafür bekannt) frönten – heute wäre damit wohl kein Blumentopf mehr zu gewinnen.

Die Canton GLE 90, seitlich angewinkelt

Die tiefen Lagen

The Intersphere WandererWas die Bassperformance der Canton GLE 90 betrifft, lassen die beiden 19-Zentimeter-Treiber einiges erwarten. Und enttäuschen nicht. So donnert die Bassdrum in „Down“ von The Intersphere (Album: Wanderer) schön druckvoll in den Hörraum und macht deutlich, was die Hessinnen unter einem soliden Fundament verstehen. Das reicht – etwa auch in „Toma“ von Puscifer (Album: Conditions of my Parole) – sehr tief hinab und gibt sich, wenngleich nicht staubtrocken durchgezeichnet, erdig und substanziell, ohne unangenehm in den Vordergrund zu drängen oder gar zu „schieben“.

Manau Panique CeltiqueDas ist vor allem in kleineren bis mittelgroßen Räumen von Vorteil: Hat man beispielsweise „nur“ 20 Quadratmeter zur Verfügung, kann so eine knapp einen Meter hohe Klangsäule – zumal, wenn sie mit zwei Basstreibern daherkommt – auch überdimensioniert sein und den Zuhörer „überfahren“. Und hier zeigt sich die Kunst: Die Canton GLE 90 ist keinesfalls schlank abgestimmt, die tiefen Lagen sind durchaus kraftvoll-präsent – aber sie wirken selbst dann nicht fett, wenn der Lautstärkeregler mal etwas weiter aufgezogen wird und man französischen Hip-Hop, zum Beispiel Manau‘s „La Tribu de Dana“ (Album: Panique Celtique), abfeiert. Die pumpenden Bässe knallen nachdrücklich, schwimmen aber nicht auf. Da kann man sich schon mal gehen lassen … Ein wenig „böser-attackierend“ lässt eine Saxx CX-90 (um 1.200 Euro) die tiefen Frequenzen auf ihre Hörer los, das stimmt, aber sie riskiert damit auch, leichter die ein oder andere Raummode anzuregen. Das muss – je nach Beschaffenheit und Möblierung des Wohnraums – nicht unangenehm werden, könnte aber … Die Canton ist da auf der sichereren Seite.

Schwarze Canton GLE 90 vor Backsteinwand

Dynamikverhalten

Dave Matthews Band DMB Live in Europe 2009Diese Bassperformance kommt dem dynamischen Talent der Canton GLE 90 absolut entgegen. Wenn so richtig Attacke losgeht, sind die schwarzen Säulen nämlich vorne mit dabei. Etwa dann, wenn nach dem Intro aus Gitarre und E-Geige in „Two Step“ der Dave Matthews Band (Album: DMB Live in Europe 2009) die komplette Band wie aus dem Nichts voll einsteigt – da ist im Hörzimmer ordentlich was los. Die mitunter abrupten Laut-Leise-Laut-Passagen, die immer dann auftreten, wenn einer der Musiker zu einem Solo aufspielt, verdaut die Canton mit Lässigkeit. Nur um dann, wenn sich die grandiose Livecombo aus St. Louis zum Finale Furioso zusammenfindet, noch mal richtig aufzumachen. Das reißt mit und lässt „aktive Hörer“ auf keinen Fall kalt. Bei ambitioniertem Pegel oberhalb nachbarschaftstauglicher Zimmerlautstärke macht das natürlich so richtig Laune, darunter geht´s aber auch, die Canton GLE 90 lässt einen auch dann nicht im Stich.

Zur Einordnung: Grobdynamisch bewegt sich in dieser Klasse nichts, was ich kenne, an der Vestlyd V12c (um 1.300 Euro) vorbei. Der dänische Hersteller verkauft seine auffälligen Speaker im Retro-Outfit mit dem Werbeslogan „Live louder“. Was durchaus ernst gemeint ist. Das dynamische Talent der V12c als „explosiv“ zu bezeichnen, trifft den Kern, und da kommt auch eine GLE 90 nicht ganz mit. Allerdings ist diese Vestlyd natürlich nichts für jeden Geschmack, die Kombination aus knallhartem Punch und unmittelbarer Attacke kann akustisch anstrengend werden, zumindest auf die Dauer. Die Canton GLE 90 geht bei all ihren dynamischen Meriten als „langzeithörtauglicher“ durch.

Links angewinkelte Canton GLE 90 vor Wand

Auch weniger turbulentes Musikmaterial wird adäquat präsentiert, und vor allem versteht es die Canton, sich feinfühlig dem Gesang zu widmen. David Hodge‘s herzzerreißend dargebotenes „Til you´re Home” (Album: O.S.T. A Man called Otto) zeigt eine sehr natürliche, ganz leicht angewärmte Stimmfarbe. Das möchte ich nicht „Effekt“, sondern „charmant-schmelzig“ nennen. Ganz streng auf dem Pfad der Neutralität wandert die GLE 90 damit nicht, aber hey, es tönt einfach angenehm! Zumal sich der zarte Schmelz im Mittenband mit einer – was zunächst gegensätzlich erscheinen mag – frappierenden feindynamischen Klarheit paart, die beispielsweise eine Akustikgitarre ganz wunderbar frei und plastisch-griffig schwingen lässt. Weibliche Gesangsstimmen profitieren ebenfalls: Agnes Obel fährt dem Auditorium in „Familiar“ (Album: Citizen of Glass) geradezu unter die Haut, so greifbar und authentisch wird sie von der Canton GLE 90 vor mein Sofa projiziert.

Im Getümmel

Etwas anders sieht es mit dem Auflösungsvermögen aus, wenn die Musik stärker instrumentiert ist. Nehmen wir an, Sie wären ein Freund von großorchestralen und komplexen Arrangements, bei denen es Ihnen darauf ankäme, aus sich vielschichtig überlagernden Strukturen feinste Details heraushören zu können. Hier reden wir womöglich von dem Melodielauf einer einzelnen Querflöte – nicht sonderlich laut –, während das Orchester drum herum zum Fortissimo aufläuft … Diese eine Querflöte, die könnte der Canton GLE 90 durchgehen. Nein, nicht so, dass man sie nun gar nicht wahrnähme. Aber Sie als Orchesterfreund würden sie eben doch deutlicher hören wollen.

Die Canton GLE 90 in Makassar-Ausführung

Heißt: Mit akribischster Auflösung im dichten Soundgetümmel hat es die Hessin nicht so. Da gibt es Wettbewerber, die das etwas besser können. Die tragen indes zumeist auch ein anderes Preisschild, wie etwa die Definion 3 (circa 1.800 Euro) aus dem Hause Teufel. Die begab sich etwas tiefer unter die Oberfläche komplexer Strukturen und löste Einzelereignisse trennschärfer heraus, obschon auch sie nicht als akustisches Seziermesser konzipiert wurde. Und die erwähnte Saxx CX-90 geht mit ihrem für die Preisklasse ungewöhnlichen AMT-Tweeter ebenfalls etwas detailverliebter ans Werk. Doch sei’s drum, was die Canton dafür ganz wunderbar kann, ist, den Gesamteindruck der orchestralen Darbietung in einem großen und in sich stimmigen Zusammenhang abzubilden.

Die Raumdarstellung

Dabei zieht sie ein weit gespanntes Panorama auf, was den Musikern viel Raum lässt und eine luftig-locker-entspannte Atmosphäre entwickelt. Dass die GLE 90 in Sachen Bühnenbreite und Größe so weitläufig unterwegs ist, gehört wohl zur aktuellen DNA bei Canton. Diesen Charakter hat sie nämlich sowohl mit ihrer kleinen Schwester C309 (658 Euro) als auch mit ihrer großen, der Vento 100 (ab 4.700 Euro), gemein. Auch deren üppiges Panorama sorgt für einen gewissen Anmachfaktor, den man ihnen nicht übel nehmen möchte, zumal es auch nicht zu übertrieben ‘rüberkommt. Auf mich wirkt das eher wie ein charmanter Charakterzug.

Die Canton GLE 90 aus Vogelperspektive

Die Relationen auf der Bühne bleiben davon unberührt und äußerst stimmig, die Musiker lassen sich sehr gut orten. Das musikalische Geschehen dürfte sich zwar gerne noch ein wenig mehr in die Tiefe staffeln, aber ob das wirklich auffällt, hängt stark von der Musikauswahl ab. Machen wir uns nichts vor: Rock- und Popmusik wird überwiegend nicht sehr dreidimensional abgemischt – was auch darauf hindeutet, auf welchen Hörertypus die GLE 90 hauptsächlich abzielen.

Der weiß dann auch den tendenziell involvierenden Charakter der günstigen – oder sage ich lieber „preiswerten“? – Standbox sehr zu schätzen. Das kraftvoll-energetische „Ringin‘in my Head“ von Black Stone Cherry (Album: The Human Condition) entfaltet seine Präsenz über die Canton GLE 90 ein wenig mehr als sowieso schon, da die Hessin ihre Darbietung von der Grundlinie aus gedacht ein halbes Schrittchen näher ans Publikum heranrückt. Nein, sie rückt einem nicht unangenehm auf die Pelle, besitzt aber doch ein sehr einladendes Profil und unterstreicht so die dynamische Lebendigkeit ihrer Wiedergabe.

Hochton & Justage

Je nach bevorzugtem Musikstil oder der Qualität der Abmischung neigt die Alu-Mangan-Kalotte ein wenig zur Vorwitzigkeit, was bei ohnehin präsenten „S-Lauten“ bisweilen zischelig werden kann. In der Gesamtschau verzichtet die Hessin aber auf glitzernde „Highlights“ und liefert ein vollständiges Hochtonspektrum mit vielen Details. Es handelt sich also eher um Momentaufnahmen, in denen man den Eindruck gewinnt, etwas weniger könnte auf lange Sicht angenehmer sein.

Die Aluminium-Mangan-Kalotte der Canton GLE 90

Der Hochtöner der Canton GLE 90 besitzt eine Aluminium-Mangan-Kalotte

Freilich bietet die Canton GLE 90 eine leichte Möglichkeit der „Justage“: Sie reagiert in den hohen Lagen nämlich sehr feinfühlig auf den Grad ihrer Einwinkelung. In meiner Hörsituation habe ich die für mich passende „Ideallinie“ herausgehört, indem ich die Floorstander nur ganz leicht einwinkelte, wobei die Hochtöner jeweils außen an mir „vorbeischauten“. So passten die Frequenzverhältnisse für mich ausgesprochen gut. Das Schöne daran: Es betrifft nur den Hochton, alle anderen Frequenzbänder sind unabhängig von der Einwinkelung. Ein wenig experimentieren lohnt sich also, zumal es aufgrund des überschaubaren Gewichts der Canton GLE 90 auch keine große Herausforderung ist.

Billboard
Genelec 8381A

Test: Canton GLE 90 | Standlautsprecher

  1. 1 Guter Freund
  2. 2 Canton GLE 90: Hörtest und Vergleiche

Das könnte Sie interessieren: