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Es mag sein, dass das Wörtchen „Traditionshaus“ bisweilen etwas überstrapaziert wird, doch wenn ein Lautsprecherhersteller wie Orbid Sound (Web: www.orbid-sound.de) nun schon seit 57 Jahren seinem Gewerbe nachgeht, dann darf es wohl fallen. Und wenn aus diesem baden-württembergischen Traditionshaus dann ein neues Flaggschiff kommt, das relativ untraditionelle Preislevel erklimmt, ist mein Interesse geweckt. Orbid ist vor allem für bodenständig gepreiste „Boxen mit Kick“ bekannt, doch mit der Beyond-Serie gibt es auch kostspieligere Angebote. Die neue Nummer eins, die Orbid Sound Maridur, erreicht mit 15.000 Euro Paarpreis aber neue Höhen. Hm, Orbid Sound Maridur also – ungewöhnlich sieht der neue Top-Lautsprecher aus Balingen auf jeden Fall schon mal aus.
Erstkontakt
Ungewöhnlich ist nicht zuletzt das „Köpfchen“, das oben auf der Box thront, den Hochtöner entkoppelt vom Hauptgehäuse beherbergt und ganz schön weit hinten auf dem Korpus sitzt. Der Sprungantwort wird es vermutlich guttun: Hochtöner reagieren schneller auf Impulse als Mittel- und Tieftöner, und lässt man sie, wie hier, „ein Stückchen weiter laufen“, haben Entwickler meist die zeitliche Kohärenz mit den restlichen Chassis im Blick. Die tragen gleichfalls zur auffälligen Erscheinung der Maridur bei, denn die beiden Achtzöller im Hauptgehäuse besitzen ungewöhnliche achteckige Körbe und markante Membranen aus geflochtener Carbonfaser.
Die Orbid Maridur ragt 1,24 Meter in die Höhe, und da sie sich in der Breite an den Tiefmitteltönern orientiert, wirkt sie halbwegs schlank, ja, fast so wie ein auf Kopf gestelltes Ausrufezeichen. Zugegeben – ich hatte auf eine etwas spannendere Farbe für unser Testmuster spekuliert als ausgerechnet „Hellelfenbein“. Aber gut, das ist ja nur ein Finish von über 2500 möglichen: Wer eine Orbid Maridur ordert, darf aus der gesamten RAL-Farbpalette wählen, da wird sich bestimmt etwas Passendes finden. Apropos ordern: Die Maridur wird erst nach Auftragseingang individuell für den Kunden gefertigt. Auf eine Lieferzeit von um die sechs Wochen müssen Sie sich einstellen.
Technisches Konzept der Orbid Sound Maridur
Die Orbid Sound Maridur ist ein Zweieinhalbwege-Lautsprecher mit drei Chassis. Der untere Konus verantwortet ausschließlich den Tiefton, der Kollege oben drüber bestellt zusätzlich die Mitten, bis er schließlich Richtung Hochton an die 25-mm-Gewebekalotte im „Köpfchen“ übergibt. Wo die Trennfrequenzen liegen, will der Hersteller nicht verraten – Betriebsgeheimnis!
Bei anderen Informationen zur Frequenzweiche zeigt er sich weniger schmallippig. So betont Orbid Sound, dass es sich um ein symmetrisches Weichendesign handelt. „Symmetrie“ meint in diesem Zusammenhang, dass die Bauteile räumlich symmetrisch im Plus- und Minuszweig angeordnet wurden, was elektrisch eigentlich egal sein sollte, es laut Hersteller klanglich aber nicht sei. Diese symmetrische Frequenzweiche baut Orbid in freier Verdrahtung auf einer mit Filz bezogen MDF-Platte auf, was die Mikrofonieneigung minimieren soll. Zusätzlich sichern und dämpfen Filzstreifen die einzelnen Bauteile, die die Orbidianer bei Mundorf einkaufen. Die Abmessungen der Weiche entsprechen ungefähr denen der Aluminiumplatte auf der Rückseite des Lautsprechers, mit der sie (sprich die MDF-Platte) verschraubt wird. Bei den Induktivitäten vertraut Orbid auf Kupferbandspulen, und das Single-Wiring-Terminal der Maridur stammt ebenfalls von Mundorf.
Die Treiber hingegen kommen vom Hersteller Beyma. Die Maridur sei tatsächlich das erste Lautsprechermodell, das den neuen Achtzoll-Woofer der Spanier (Beyma 8NMFW) am Start hat. Bei Orbid Sound ist man von dessen Fähigkeiten sehr angetan: Zu den technischen Highlights zählen die schon erwähnte Kohlenstofffaser-Membran, die immense Steifigkeit für ein kolbenförmiges Schwingverhalten biete, die sogenannte „Quattro“-Schwingspule, welche einen hohen Kraftfaktor und damit sehr gute Kontrolle der bewegten Masse garantiere, sowie – neben einem Korb aus Aluminiumguss, einer Bimax-Spider und vorgeblich hochbeständigen NBR-Sicken – eine patentierte Technologie namens „Maltcross“, die für die Linearisierung der Impedanz und die Kühlung der Schwingspule verantwortlich ist. Relativ niedrige Temperaturen machen sich hinsichtlich der dynamischen Kompression natürlich bezahlt: Je geringer die Temperatur einer Spule, desto geringer ihr elektrischer Widerstand, was unter sonst gleichen Umständen die Antriebskraft erhöht. Die beiden Achtzöller arbeiten in einem Bassreflex-Gehäuse, das 57 Liter Volumen bietet und aus 25 Millimeter starken MDF-Platten aufgebaut sowie im Innern mit Rundstäben versteift wurde. Rund seien die Stäbe, um Reflexionen zu vermeiden, so der Orbid-Chefentwickler Daniel Beyersdorffer.
Auch der Tweeter stammt von Beyma, und bei seiner Entwicklung kam wie bei den Woofern die Finite-Elemente-Methode zum Einsatz, namentlich bei der Konstruktion des Magnetsystems. Das T-förmige Polstück besitzt eine Kupferkappe, wovon man sich „extrem symmetrische Kraftfaktorwerte“ verspricht, zudem soll sie die Induktivität niedrig halten. Den Hochtöner gibt es in zwei Versionen: mit Gewebe- und mit Metallkalotte. Letztgenanntes Modell spiele zwar noch etwas höher hinauf, so Thomas Feil, Geschäftsführer bei Orbid Sound, doch es klänge ein wenig härter, weshalb man sich bei der Maridur fürs Modell mit der beschichteten Seidenkalotte entschieden habe.
Orbid Sound Maridur: Hörtest und Vergleiche
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Die Maridur ist eine „Box mit Kick“, wie ich oben schrieb, also eine typische Orbid Sound. Ihre dynamische Gangart gehört zu den Hauptverkaufsargumenten. Typisch Orbid ist auch die tonale Mischung: Attribute wie knackig, straff, einen Tick schlanker passen zur Charakterisierung der Maridur besser als satt, weich oder sonor. Und wie es so geht, zahlt die tonale Abstimmung wiederum auf die „gefühlte Dynamik“ ein. Was das heißen soll? Zweierlei …
Tonalität & Dynamik
Also: Man kann fürs Geld anderenorts schon mehr Bass einkaufen – schlicht mehr Tieftonpegel, mehr Substanz untenrum. Und tiefer hinab langt der ein oder andere Lautsprecher dieser Liga ebenfalls. Aber: Man merkt stets, dass da ein großer Lautsprecher vor einem steht. Wenn echte Tieftonattacken gefordert sind, liefert die Maridur locker-souverän aus. So etwa beim bösen Bass-Geknurre in „No Wow“ von The Kills. Das kommt eben nicht fett, sondern abgehangen, trocken und, naja … knurrig.
Man achtet bei der Maridur automatisch mehr auf die Bass-Qualität, nicht aufs schiere Quantum: Schnell, zackig, unmittelbar, federnd – diese Begriffe kommen mir in den Sinn. Ein bisschen überrascht mich das schon, denn das neue Orbid-Flaggschiff erinnert mich tatsächlich ein wenig an Lautsprecher mit „großen Pappen“, sprich Woofern mit großen Durchmessern – vielleicht nicht gleich an die 16-Zöller der Blumenhofer Genuin FS 1 MK 2, mit der ich lange Zeit gehört habe, aber so Richtung einer anderen meiner „Verflossenen“, den Dynamikks Monitor 8.12 mit ihren Zwölfern, geht es durchaus. Nun, vielleicht ist es doch nicht so erstaunlich, zwei Achter pro Seite bieten durchaus ein bisschen Treiberfläche und können für eine locker-souveräne Ansprache gut sein.
Jedenfalls kommen Bassimpulse (zum Beispiel Bassdrums) leichtfüßig und unmittelbar rüber, bieten also genau jene Qualität, die Boxen, die im Bass eher mit Masse beeindrucken (möchten), oft abgeht, denn mit denen klingt’s gerne mal nach „Hauruck“ und Schwerathletik statt federnd. Wie auch immer, ob Ihnen das Bassvolumen der Maridur reicht, dürfte neben Ihrem persönlichen Geschmack vor allem an den akustischen Gegebenheiten Ihres Hörraums liegen. Viele Räume wirken wegen der unvermeidlichen stehenden Wellen „zu dick unten“, da kann die etwas straffere Diktion der Maridur genau das Richtige sein. Qualitativ, das sollte klar geworden sein, ist sie sowieso vorne mit dabei.
Und ich bin hier immer noch dabei, zu erklären, wie die Tonalität die Wahrnehmung der „gefühlten Dynamik“ unterstützt. Neben dem federnd-agilen Bass, der jeder rhythmischen Wendung nachjagt, ist da noch etwas: Die Maridur gibt ab den oberen Mitten etwas mehr Gas. Nicht viel, aber doch ein bisschen. So geht nun mal der „Orbid-Sound“: Wo andere Lautsprecherentwickler den Präsenzbereich gerne ein wenig abmildern, um bloß niemanden zu erschrecken, legen die Balinger mit einem Augenzwinkern ein-zwei Dezibel drauf. Der Abteilung Attacke tut es gut: Rimshots knallen, Gitarrensaiten flirren, harte Klavieranschläge kommen mit ordentlich Verve. Aber kann das nicht zu viel des Guten werden? In den ersten 100 Betriebsstunden der Maridur durchaus. Danach hat sie sich freigespielt, vormals vorhandene Eckigkeiten verloren und wirkt für mein Empfinden nicht hart, sondern angenehm lebendig und forsch. Okay, mit karg abgemischten Achtzigerjahre-Produktionen ist das nicht gerade der reine Schmuseklang. Ich habe Best-of-Alben von The Smith und The Cure ausgegraben und auch Joe Jacksons Big World angespielt. Das ginge mit einer Grundtonbetonung und Präsenzsenke natürlich kuscheliger, logisch, liegt zum Hauptteil aber an den Aufnahmen selbst.
Und der Rest des Frequenzschriebs? Grund- und Mittelton der großen Orbid Sound sind neutral gehalten. Einige Lautsprecher gönnen sich einen sanften Schub im Grundton, um Stimmen Gewicht zu verleihen. Das kann ich hier nicht feststellen. Tiefe Männerstimmen sind gleichwohl aus Fleisch und Blut, nur nicht XL-formatig, und dass Frauenvocals sehr offen und luftig erscheinen, liegt weniger am neutralen Grund- als am leicht expressiveren Hochton.
Um kurz zusammenzufassen: Das Orbid-Flaggschiff ist ein sehr lebendiger, spielfreudiger und dynamischer Lautsprecher – und diese mitreißende Gangart wird von der tonalen Abstimmung unterstützt, die auf flotte Ansprache im Bass statt Erdenschwere sowie leichte Betonung im Präsenz- und Hochtonbereich setzt, was Impulse und Transienten akzentuiert. Das Ganze ist subtil ausgeführt, doch so, dass sich sagen lässt: Die Orbid Sound Maridur besitzt Charakter.
Raum & Auflösung
„Wow, ist das groß!“, entfährt es mir unwillkürlich, als ich ein Duett von Lonna Kelly und Howe Gelb höre („Irresponsible Lovers (Recycled)“ vom Album Further Standards). Ja, groß, nah und mit einer tollen Präsenz stehen die beiden vor mir. Die Stimmwiedergabe ist eine weitere Stärke der Maridur – zumindest dann, wenn man bereit ist, sich ein bisschen überwältigen zu lassen. Die große Orbid marschiert gerne mal ein Stück nach vorne Richtung Hörer. Für diejenigen, die Distanz und eine Abbildung auf der Stereobasis brauchen, ist die Box wohl eher nichts. Nicht mein Problem, ich mag eine direkte Ansprache.
Mir kommen schon wieder Parallelen mit gut gemachten Hornlautsprechern in den Sinn. Das liegt an besagter Präsenz, diesem Gefühl, dass die oder der Sänger(in) wirklich vor einem steht, der Illusion, dass es keine Illusion ist. Meiner Meinung nach resultiert das (bei Hörnern und hier) aus dreierlei: Die Stimme ist a) näher bei mir, deshalb b) auch etwas größer gezeichnet und c) kommt die sehr gute Dynamik ins Spiel.
Die Auflösung allein ist es jedenfalls nicht, auch wenn sie natürlich nicht schadet. Die Orbid Maridur besitzt ein gutes Auflösungsvermögen, wobei in der Preisklasse schon noch mehr geht. Das beweist die erst jüngst getestete Betonart Audio Arrivato V2 (15.700 Euro) mit ihrem Accuton-Edelmitteltöner und Hochtonbändchen, oder die inzwischen ähnlich teure Paradigm Persona 3F, die Beryllium-Hoch- und Mitteltöner besitzt. Beide holen noch mehr Details aus dem Mittel- und Hochtonband, beide haben genau hier ein besonderes Talent – und spielen generell ganz anders auf als unser Testkandidat.
Charakterstark
Um das näher zu erläutern, muss ich etwas ausholen. Ralf Pioch, seit seiner Jugend Orbid-Fan und inzwischen mit seiner Agentur marketingseitig mit den Balingern verbandelt, allerdings in Berlin beheimatet, ließ sich die Chance, bei uns auf eine Hörsession plus Kaffee vorbeizukommen, nicht nehmen und brachte gleich Musikideen mit. Zum Beispiel „Woke up Dreaming“ von Joe Bonamassa (Album: Live at Carnegie Hall – An Acoustic Evening). Oh ja, gute Wahl! Diese Live-Nummer ist der Orbid wie auf den Leib geschneidert und macht klar, dass mit ihr nicht nur Stimmen nach vorne gehen, sondern dass die „freundliche Offensive“ eher eine Grundtendenz der Maridur darstellt: Die Bühne öffnet sich weit vor die Lautsprecherebene, Publikumsgeräusche klingen wunderbar darin eingebettet, Hallfahnen lassen sich mühelos nachverfolgen, und das zuweilen wilde Gitarrenspiel hat richtig Biss und wirkt tatsächlich live.
Wenn es um schiere Raumdimensionen geht, beeindruckt insbesondere die Breite des Panoramas. Die Tiefenstaffelung gelingt der Maridur ebenfalls gut, fällt aber weniger auf. Gleiches lässt sich über die Abbildung sagen: präzise, aber nicht maximal randscharf, sondern etwas weicher gezeichnet. Das empfinden manche Hörer als natürlicher, ich würde es als Sache des Hörgeschmacks bezeichnen. Was nebenbei auch klar wird: Mit infernalischen Pegeln hat die Maridur keine Probleme, sie kann richtig zulangen.
Dieser musikalische Ausflug bringt mich abschließend wieder zum Grundcharakter der Orbid Sound Maridur. Der ist schon etwas anders als bei vielen Lautsprechern – und vor allem im Vergleich zu den letztgenannten von Paradigm und Betonart Audio. Die beiden sind ebenfalls beeindruckende Lautsprecher, vor allem deshalb, weil sie deutlich mehr Transparenz und Auflösung bieten, als in dieser Preisklasse üblich ist. Sie sind eher Vertreter der reinen Lehre und in dieser Hinsicht außergewöhnlich. Die Maridur verfolgt einen anderen Ansatz. Sie zwinkert einem fröhlich zu und legt dann richtig los. Auch sie bietet eine gute Detailzeichnung, doch das ist nicht ihr Hauptthema, das macht sie nebenbei. Sie will vor allem eines: mitreißen. Dafür weicht sie schon mal von der reinen Lehre ab, kommt auf einen zu, begeistert und fordert den Hörer.
Test: Orbid Sound Maridur | Standlautsprecher