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„Final Edition“ – da geht einer entweder bald in Rente oder ist vom Reifegrad seiner Lautsprecher ziemlich überzeugt. Für den Ruhestand erscheint mir Bernhard Stephan von Ikon Akustik, der die jeweils exakt einen Zentner wiegenden „Avara – Final Edition“ (ab 14.900 Euro | https://www.ikonakustik.de/) persönlich nach Berlin bringt, zu lebhaft. Die nahezu 17 Jahre währende Entwicklungsevolution der erstmalig 2003 an den Marktstart gebrachten Ikon Avara dürfte da schon eher der Grund für die ultimative Namensgebung sein.
Dass die Ikon Avara – Final Edition auf eine gewisse Historie zurückgreifen, sieht man ihnen schon auf den ersten Blick an, finde ich. Allein die großzügige Fase um die Schallwand geht als, sagen wir mal, recht klassisch durch. Ehrlich gesagt, hatten die Herstellerfotos in Sachen Design wenig Appetit bei mir geweckt. Selten gab es nach dem Auspacken und Aufstellen dann einen derartigen Turnaround: Die Ikon Avara sind ausnehmend sympathische, gediegene, ja, irgendwie auf angenehme Weise „behagliche“ Möbelstücke, die in der eher modernen, funktionellen Atmosphäre meines Hörraums optisch erstaunlich gut funktionieren.
Darauf zahlt natürlich die hervorragende Oberflächenqualität unserer Testlautsprecher ein: Die Struktur des Bubinga-Furniers der Schallwände wurde bei meinem Paar augenscheinlich gematcht und weist ebenso wie der mehrschichtige Perlmuttweiß-Lack des restlichen Lautsprechergehäuses eine schöne optische Tiefe auf. Meine weißen Spendor D9 (ja, ja – wer kauft Spendor-Lautsprecher auch schon in einer Nicht-Furnierausführung …?) muten optisch im direkten Vergleich geradezu schnöde an.
Wenn ich kleinkariert etwas zu meckern hätte, dann höchstens, dass eine Bubinga-Schallwand nicht ganz zehntelmillimetergenau auf den Gehäuserahmen gebracht wurde, was allerdings irgendwie auch wieder als Zeichen für Handarbeit zu werten ist. Ansonsten gilt: Qualität, wohin das Auge blickt. Schraubbare Polklemmen aus dem oberen Regal des Essener Spezialisten WBT samt selbstgefertigter Aluminiumterminals, highendige Basstreiber und Mitteltöner mit Keramikmembranen von Accuton/Thiel aus Pulheim und ein „echtes“, ab 3500 Hertz einsetzendes Bändchen des Berliner Anbieters Expolinear. In Sachen Bändchentechnologie ist das zwar nicht das Ende der Fahnenstange, doch wichtig ist Ikon vielmehr, dass der Hochtöner zusammen mit dem breitbandigen (ab 250 Hertz) 14-cm-Keramikmitteltöner eine akustisch optimale Einheit abgebe und linear bis hoch zu luftigen 30 Kilohertz übertrage. Übrigens: Mit breitbandig arbeitenden Mitteltönern habe ich gute Erfahrungen gemacht und bin durchaus ein Fan solcher Konzepte.
An den Keramiktreibern schätzt Ikon Akustik nicht zuletzt das Impuls- und damit verbunden das Zeitverhalten. Die diesem Material aufgrund seiner Resonanzen häufig unterstellten klanglichen Schärfen oder Härten sehen die Ikon-Entwickler als völlig unbegründet an, wenn man entsprechende Sorgfalt beim Frequenzweichendesign walten lasse. Wir werden hören.
Die Trennfrequenzen nannte ich bereits, die elektrisch 12 dB (akustisch >12 dB) steile Weichenstellung für die Frequenzbereiche des Drei-Wegesystems übernehmen unter anderem frei verdrahtete „SilberGold.Öl“-Kondensatoren, Kupferflachband- und Nullohm-Spulen, die allesamt von Mundorf stammen, sowie eine geschirmte und versilberte Reinkupferinnenverkabelung. Meiner Erfahrung nach geht gutes Engineering zwar über reine Zutatenqualität – nicht zuletzt meine Spendor D9 sind da hörbarer Beweis – dennoch bleibt mit Blick aufs Gehäuse, auf die Treiber und Elektronik der Ikon Avara – Final Edition festzuhalten: Selbst angesichts der avancierten Preisklasse, in der sich die Lautsprecher bewegen, bietet der südhessische Hersteller einen fairen physischen Gegenwert, das ist durchaus ein Extralob wert.
Ikon Akustik?
Apropos Hersteller: Ikon Akustik wird nicht jedem ein Begriff sein, obwohl die insbesondere auf Lautsprecher (und Plattenspieler) spezialisierte Manufaktur aus Mörlenbach bereits seit 1998 am Start ist: In jenem Jahr präsentierte man auf der „High End“ – seinerzeit noch im Frankfurter Kempinski-Hotel – seinen ersten Lautsprecher: ein großer Zweiwegler mit einem 28-cm Tiefmitteltöner von Eton sowie einem schwergewichtigen Stage-Accompany-Magnetostaten. Die aktuelle Produktrange des Teams um die Entwickler Bernhard Stephan und Steffen Eggert beginnt beim koaxialen Kompaktlautsprecher Concento Unico (4.900 Euro) und endet bei den Viola D`Amore mit Diamant-Hochtönern (39.000 Euro). Gefertigt wird übrigens nicht am formalen Firmensitz, sondern im Thüringenschen Altenburg.
3 x Praxis
Bevor wir die Amps scharfschalten und die Ikon Avara – Final Edition zeigen lassen, was sie im Hörraum drauf haben, noch drei praxisrelevante Punkte: Der Hochtonpegel ab zirka 3500 Hertz lässt sich mithilfe dreier mitgelieferter Widerstandspaare (8,2 / 10 / 12 Ohm) in 1-dB-Schritten an den Hörraum oder eigenen Geschmack anpassen. Die Klemmen hierzu finden sich an jedem Lautsprecher unterhalb der Polklemmen für den Verstärkeranschluss. Den Hörtest habe ich in der Neutraleinstellung vorgenommen. Bassseitig bietet sich dem Hörer ebenfalls eine Anpassungsmöglichkeit: Die Bassreflexöffnungen lassen sich gänzlich verschließen oder halboffen sowie offen betreiben – ich komme darauf später noch kurz zurück. Weniger Flexibilität bieten meine Testexemplare dann in Sachen „Besohlung“: Die vormontierten Metallfüße erweisen sich beim Verschieben der Boxen als nicht gerade nett zu meinem Dielenfußboden, zudem sind sie nicht höhenjustierbar (gerade in dieser Preisklasse unverständlich) und eben auch nicht austauschbar. Alternativ bietet Ikon (ab-)schraubbare Füße beziehungsweise eingelassene Gewinde an, die ich unbedingt empfehlen würde.
Ikon Akustik Avara – Final Edition: Klangtest & Vergleiche
Ich sitze auf dem Hörsofa und blicke auf zwei Bändchen und sechs Keramiktreiber. Welche Ideen kommen einem da zum Einstieg in den Hörparcours? Genau, den dynamischen Fähigkeiten, dem Speed sowie dem Auflösungsvermögen auf den Zahn zu fühlen. Nach einigen Frickel-Metal-Scheiben (ich kann einfach nicht anders) schiebe ich schließlich das um den deutschen Schlagzeuger und Komponisten Christian Lillinger entstandene Open Form for Society in die Playlist.
Kurze Töne, große Kunst
Der Track „Aorta“ (auf Amazon anhören) wirkt aufs erste Hören improvisiert, ist aber ein durchkomponiertes, eben nur scheinbares Chaos, das man wohl noch am ehesten in die Schublade „Free Jazz“ stecken könnte. Rhythmisch vielschichtiger und dynamisch fordernder kann ein Song eigentlich nicht sein, wenn man von mächtiger Grobdynamik einmal absieht: Neben der markanten, wieselflinken, sich gleichwohl nicht in der Vordergrund schiebenden Schlagzeugarbeit Lillingers mit seinen 16tel- und 32tel-Schippseln perlen und rasen Piano, Marimbaphone, Vibraphone und Synthesizer über die Bühne, schaffen die Tieftonakzente der akustischen und elektrischen Bässe das nötige Gegengewicht und gibt’s als Gruß aus der Küche noch Synthesizer und Cello. Über das Autoradio ungenießbar, über mittelmäßige Anlagen bestimmt belanglos, entfaltet sich über die von meinen leichtfüßigen Bryston 7B3 befeuerten Ikon Avara eine unglaubliche Spannung und Lust auf Konzentration.
Man ist versucht, jedem einzelnen der unzähligen flüchtigen Töne hinterherzujagen und sich gierig sogleich den nächsten zu schnappen. Eine dermaßen hochakkurate Transientenwiedergabe zählt meiner Meinung nach zu den höchsten Weihen guten High-Ends, und weder meine Sehring 903 noch meine Spendor D9 halten hier vollends mit den Ikon Avara mit: Die Berliner tönen runder, ihnen fehlt obenrum ein ganz klein wenig das Flirrende der Ikon. Und die Engländer muten etwas diffuser an.
Hintergrundmusik geht also anders. Großes Dynamikkino aber genau so, wie es die Ikon Avara – Final Edition vorführen. Zumal sie nicht den Fehler machen, es attackseitig zu übertreiben beziehungsweise das Sustain zu vernachlässigen, wie man es angesichts der auf Impulspräzision getrimmten Treiberbestückung eventuell befürchten könnte. Nein, unangenehm analytisch, spröde, drahtig oder fahl – die typischen Symptome einer zu „attackigen“ Abstimmung – tönt es zu keiner Zeit. Im Gegenteil: Ich finde, dass die Ikon Avara die subtilen, kaleidoskopischen Texturen und Klangfarben im Transientenkosmos von „Aorta“ vorbildlich organisch einfangen.
Wer kann, der kann …
Wer (Fein-)Dynamik kann, kann auch Auflösung. Und so tönen die sphärischen Elektroklänge in Bourbonese Qualks „Temporale“ nahezu unlimitiert ätherisch, vermag man der Brüchigkeit der Stimme Julia Stones in „Here We Go Again“ subtil nachzuspüren und offenbaren die Avara das typische Schnarren der Snare in Red Sparows‘ Achtminüter mit dem passend langen Titel „Alone And Unaware, The Landscape Was Transformed In Front Of Our Eyes“ vorbildlich differenziert. (Die Alben zu den drei Tacks: On Uncertainty, A Book Like This (auf Amazon), At the Soundless Dawn).
Ohne unangenehmen analytischen Beiklang wohlgemerkt. Selbst das zumindest in der mir vorliegenden Version ziemlich nach Plastik klingende „Sledgehammer“ von Peter Gabriel nervt mich im Sibilanz- und Hochtonbereich nur unwesentlich mehr als über meine noch etwas verzeihenderen Arbeitslautsprecher. Die wiederum legen bei den anderen Tracks etwas weniger Vielschichtigkeit an den Tag als die Ikon Avara Final Edition. Dass es obenrum und in den Mitten noch vielschichtiger als bei meinen Lautsprechern und noch feinpixelig-reiner als bei den Avara zugehen kann, beweisen schließlich die Audiaz Cadenza (28.000 Euro, demnächst im Test).
Eichwerkzeug
Tonal gibt sich der komplette Mitten-Hochtonbereich der Ikon Avara übrigens nahezu eichinstrumentmäßig neutral und entstammt mithin der gleichen Schule wie meine Sehring 903 (minimal weniger glänzend als die Avara) oder eine Wilson Sabrina, während meine Spendor D9 (mittlerweile gibt es eine 9.2) einen Tick präsenter tönt und etwa Stimmen noch etwas direkter erscheinen lässt. Was übrigens gerade im Zusammenspiel mit der etwas größeren Abbildung subjektiv auch als echte Stärke durchgehen kann. Die Avara lässt sich davon jedoch nicht die Bohne beeindrucken und gibt James Skellys kehlige Stimme in „Wrapped in Blue“ (Curse of Love, eines der besten Alben von The Coral; auf Amazon anhören) untenrum so unterfüttert und nach oben heraus so präsent, wie ich’s von unbedingt neutralen Lautsprechern eben kenne.
Die authentische, organische Stimmwiedergabe der Ikon Akustik ist für mich durchaus eine Überraschung. Das präzise Herausarbeiten von Texturen hätte ich den Avara – Final Edition mit Blick auf ihre Treiberbestückung zwar ungehört zugetraut: Stimmen muten sehr facettenreich, mithin interessanter an als über viele andere Lautsprecher, selbst in dieser gehobenen Preisklasse. Doch das bruchlose und schlüssige Zusammenwirken von Bändchen und Keramiktreiber erstaunt mich schon ein wenig.
Völlig losgelöst
Allerdings gibt es Lautsprecher, die Stimmen noch fokussierter abbilden. Womit wir schon beim Thema Räumlichkeit wären: Aufs scharf umrissene, plastische Herausschälen von Gesang und Instrumenten wurden die Ikon Avara Final Edition von ihren Entwicklern nicht dressiert. Toll ist zwar, dass Stimmen sich über die Avara schön mittig im Stereopanorama verorten lassen, wenn sie so abgemischt wurden, gleichwohl muten deren räumliche Kohärenz und virtuelle greifbare Physis weniger zwingend, weniger eindeutig an als man das zum Beispiel typischerweise von hochwertigen zweiwegigen Kompaktlautsprechern kennt. Als richtiger Pferdefuß geht das allerdings nicht durch, keine Bange, nur eben auch nicht als auffallend kompetent, die besonderen räumlichen Stärken der Ikon Avara – Final Edition liegen woanders:
Denn in Sachen „Loslösung des Klangbilds von den Lautsprechern“ und „Dimensionierung der Bühne“ lässt sich den Avara fürwahr Exzellenz nachsagen. Gerade die Weitläufigkeit der Abbildung nach oben – meine ehemaligen Spendor Classic SP100R² limitierten hier beispielsweise etwas – hat im Zusammenspiel mit deren Nachvorne-Gerichtetheit etwas sehr Involvierendes. Ich persönlich finde das super! Sie hören gerne opulent und breitbandig abgemischte Gitarren oder Synthesizer im Wall-of-Sound-Style? Nun, die Ikon Avara vermögen hier herrlich großformatige Mauern zu bauen, die zur Abwechslung sogar mal verbindend wirken.
Etwas mehr Auslauf, bitte
Apropos Räumlichkeit: Ikon empfiehlt seine Avara Final Edition für Hörraumgrößen ab 20 Quadratmeter aufwärts. Mein Hörraum misst knapp 30 Quadratmeter bei 3,60 Meter Deckenhöhe und ist ziemlich bassunkritisch. Bei halboffener Bassreflexöffnung beziehungsweise Einsatz des Schaumstoffrings kann ich mich über mangelnden Tiefgang und Bassdruck in keiner Weise beschweren: Die Avara geben sich hier so standesgemäß wie erwachsene, große Standlautsprecher. In Sachen Pegelfestigkeit gilt das übrigens ebenfalls.
25, besser 30 Quadratmeter Auslauf sollte man ihnen nach meinem Gefühl also schon gönnen, ansonsten läuft man unnötig Gefahr, sich raumakustische Probleme (siehe auch unser Artikel zu Raumakustik) einzufangen und somit die Lautsprecher nicht voll auszureizen. Denn die Bassreflexöffnung komplett zu verschließen geht – zumindest nach meinen Versuchen und nicht zuletzt mit Blick aufs Timing – als suboptimale Lösung durch.
Halboffen durchatmen
Also lassen wir die Ikon Akustik Avara mit halboffener Bassreflexöffnung atmen: Sie belohnt den Hörer tieftonseitig dann zum einen mit einer sehr knackigen Attack, einzelne Bassimpulse schwingen ausnehmend zackig ein, und zum anderen mit einem Tiefgang, der beispielsweise Downloads „Outafter“ (Album: The Eyes of Stanley Pain; auf Amazon anhören) regelrecht fühlbar werden lässt: Man spürt die alleralleruntersten Lagen der elektronischen Bassläufe mehr, als dass man sie hört, meint die Druckveränderungen im Raum physisch wahrzunehmen und bekommt die Vibrationen des Sofas vermittelt. Cool! Da dröhnt nix, wenngleich ich den mittleren Bass der Avara tonal eine Kleine-Finger-Breite – und wirklich nicht mehr! – über Normalnull verorten würde. Zur Einordnung: Eine Focal Sopra No 3 oder AudioSolutions Virtuoso M tragen bassseitig wesentlich stärker auf.
Nur bei Musik mit sehr dichten Bassimpulsfolgen, wie beispielsweise in Free the Robots‘ „Turbulence“ (Album: Ctrl Alt Delete; auf Amazon anhören) zu hören, lassen sich die Ikon Avara – Final Edition aus der Reserve locken. Dann perlt und blubbert es nicht so konturiert „abzählbar“, nicht so differenziert, wie ich das von Lautsprechern insbesondere mit Passivmembranen – etwa meinen früheren Thiel CS 3.7 oder auch den aktuellen Sehring 903 – kenne. Hier spielt nach meinem Gefühl das Ausschwingverhalten der beiden 18er-Bässe der Avara mit rein.
Test: Ikon Akustik Avara - Final Edition | Standlautsprecher