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„Boooorn in the U.S.A.!“ Warum nur habe ich eigentlich jedes Mal, wenn ich einem Klipsch-Lautsprecher (Web: https://de.klipsch.com/) aus der „Heritage“-Serie gegenüberstehe, den alten Springsteen-Klassiker im Ohr? Wahrscheinlich deshalb, weil es sich sowohl beim „Boss“ wie bei den seit Jahrzehnten in Hope (Arkansas) handgefertigten Schallwandlern um amerikanische Legenden handelt. Die mindestens so gut zueinanderpassen wie Strohballen auf der zerschrammten Pritsche eines Ford F 250 Pickup. Auch so eine Legende. Aber ich schweife ab …
Das von Paul Wilbur Klipsch gegründete Unternehmen gibt es seit 1946. Der erste selbst entwickelte Lautsprecher, das legendäre – ich muss langsam aufpassen, dass ich dieses Wort nicht verschleiße – „Klipschorn“ wird bis heute, freilich in x-ter Evolutionsstufe, gebaut. Und trägt die bahnbrechende Erfindung des Firmengründers, eine mehrfach gefaltete Horn-Konstruktion, im Namen. Mit Hornlautsprechern wurde Klipsch berühmt und so gut wie jeder, der Klipsch sagt, meint bis heute ein Horn.
Das bei mir zum Test angetretene Modell „Heresy“, inzwischen in vierter Generation am Start (Preis: 4.998 Euro), bildet den Einstieg in Klipschs exklusive Produktlinie „Heritage“. Die heißt deshalb so, weil die Amerikaner hier alle Tugenden und Zutaten, die zu ihrer DNA gehören, in die Waagschale werfen und in traditionelle Gewänder hüllen, wobei sie dies mit höchster Verarbeitungsqualität tun. Das ist so „retro“ oder „vintage“, wie es nur geht, funktioniert aber ganz hervorragend, wie die stabilen Absatzzahlen zeigen. Für runde „fivethousand bucks“, wie die Amerikaner sagen würden, steht mit der Heresy IV eine mit 63 Zentimetern kniehohe Lautsprecherbox im Zimmer, die dank angeschrägtem Sockel leicht nach oben abstrahlt, was man bei der Hörposition berücksichtigen sollte. Mein Exemplar kam in „Black Ash“-Furnier (also schwarz), die „Ketzerin“ (dt. für „Heresy“) ist aber auch in Nussbaum, Kirsche und Eiche zu haben. Hinter der selbstverständlich abnehmbaren Frontbespannung aus robust gewebtem Stoff – auch dies unterstreicht den heimeligen Vintagelook der Box – verbergen sich drei Chassis, wobei zwei von ihnen (natürlich) Hörner sind.
Bei der Heresy IV handelt es sich, wie bei ihren Vorgängerinnen, um eine Dreiwegekonstruktion, deren Gehäuse ohne nennenswerte Innenversteifungen auskommt. Wer meint, dass so etwas akustisch rappelt und zappelt wie ein Lämmerschwanz, irrt. Der Korpus der untersetzten Amerikanerin resoniert praktisch nicht. Für Bewegungen der Umgebungsluft sorgen ausschließlich die sauber in die Schallwand eingepassten Wandler, zuunterst der Bassist mit hochfester 12-Zoll-Pappmembran, der ähnlich wie in einem PA-System sehr hart aufgehängt ist und von seiner Gewebesicke präzise geführt wird. Erstmals in der Heresy-Ahnenreihe arbeitet der Tieftöner auf einen rückwärtigen Bassreflexport. Alle vorherigen Generationen verwendeten ein geschlossenes Gehäuse und waren nicht gerade als „Bassbiester“ bekannt. Nun, zu einem solchen wird die „IV“ auch nicht, eine untere Eckfrequenz von 48 Hertz (bei -4 dB) geben die Amis an, was für einen Lautsprecher dieser Liga nicht gerade gewaltig wirkt, bei Klipsch jedoch System hat. Tiefgang kostet bei gegebener Größe der Box Wirkungsgrad, die Amis mögen ihre Speaker aber „laut“.
Neben der „Systemumstellung“ auf eine Bassreflex-Konstruktion haben die Entwickler in Hope ein wenig an der Frequenzweiche gefeilt und verbauen in der Midrange einen neu entwickelten Druckkammertreiber, der auf die Modellbezeichnung „K-702“ hört. Herzstück des Mitteltöners ist eine 1,75-Zoll-Polyamidmembran, vor der ein Kunststoffhorn sitzt, dessen Krümmung rechnerisch bis ins Letzte ausgefeilt sein soll. Ziel: eine möglichst verfärbungsarme Wiedergabe bei gleichzeitig horntypisch hohem Kennschalldruck. Des Weiteren wollen die Amerikaner damit das Abstrahlverhalten des Mitteltöners verbessert haben. Klipsch nennt seine patentierte Horntechnologie „Tractrix“. Hat nichts mit „Tick, Trick und Track“ zu tun und ist auch nicht komisch, sondern Mathematik: Eine Traktrix bezeichnet eine sogenannte Schleppkurve, mehr dazu hier.
Im Hochtonbereich bedient man sich im Grunde desselben Prinzips, nur kleiner dimensioniert. Und ohne zu viel verraten zu wollen, lässt sich über die Horntreiber sagen: Laut, aber nie vorlaut! Wirklich bemerkenswert, wie natürlich eine Klipsch inzwischen auftritt, ohne ihre spezielle Technologie zu verleugnen. Übrigens gibt Klipsch den Kennschalldruck mit 99 dB @ 2,83 V/1 m an. Der Heresy IV reicht also bereits ein Verstärker mit geringer Leistung, um ausreichend laut zu spielen.
Angesichts des Paarpreises fällt die Ausführung des Bi-Wiring-Terminals, das oberhalb der Bassreflex-Öffnung montiert ist, arg pragmatisch aus. Robust und langlebig mögen die Buchsen ja sein, optisch wie haptisch sind sie aber kein Highlight. Blechbrücken verwenden an dieser Stelle auch andere namhafte Hersteller, deshalb wiederhole ich gerne meinen Tipp: Ordentliche Kabelbrücken machen meist einen besseren Job, probieren Sie es selbst einmal aus.
Klipsch Heresy IV: Hörtest und Vergleiche
„Klipsch? Das sind doch diese lauten Boxen aus Amiland“, so das etwas abschätzige (Vor-)Urteil eines Freundes, als ich ihm von meinem bevorstehenden Test erzählte. Nun, nach etwa zwei Stunden Hörerfahrung, zu der ich ihn einlud, revidierte er seine Aussage: „Laut können sie, aber … das ist auch richtig gut!“ Ja. Natürlich können Klipschies laut. Das konnten sie immer schon und entsprechend maskulin-raue Werbefotos sind über die Jahrzehnte massenhaft verbreitet worden. Die Amerikaner sind fürwahr nicht unschuldig an ihrem Image. Wenn das aber alles wäre, was sie draufhätten, würde dieser Test extrem kurz ausfallen. Hören wir einmal genauer hin.
Tiefton & Dynamik
„Wie wandnah kannst Du sie stellen?“, fragte mich Malte Ruhnke, der das Marketing von Klipsch betreut, vor dem Versand der Heresy IV. „Die arbeiten zwar nach dem Bassreflex-Prinzip, völlig frei aufgestellt könnten sie aber etwas zu schlank rüberkommen.“ Danke, lieber Malte, den Tipp habe ich gern beherzigt. Er ist auch sehr wertvoll. Erwartet man doch im Refrain von „Schwarzes Konfetti“ des Hamburger Kettcar-Frontmanns Marcus Wiebusch (Album: Konfetti) ein unheilvoll-drohendes, massives Tiefbassbett, bei dem zuweilen die Weingläser in der Vitrine klirren können. Mit den Klipsch Heresy IV kann man Entwarnung läuten. Weder klirren Gläser noch schwimmt der Bass unangenehm auf. Sagen wir so: Die letzten anderthalb Oktaven unten spart sich die traditionsreiche Amerikanerin einfach. Was zweierlei Konsequenzen hat: Subbass-angereicherten Dancetracks wie „Easy Way Out“ von Roosevelt (Album: Polydans) oder eben Wiebuschs „Schwarzes Konfetti“ fehlt die echte Zwerchfellmassage, was manchen Hörertypen nicht zusagen dürfte – andererseits setzt die Heresy IV bereits an ihrem unteren Frequenzende auf Schnelligkeit und Impulsivität. Wirklich tief hinab reicht sie nicht, aber sie ist unheimlich agil und sprichwörtlich „auf Zack“. Reliefartig präzise und knorrig-trocken gerät ihr der Tiefton.
Was die Heresy IV in den Hörraum zaubert, wenn etwa Dave-Matthews-Band-Drummer Carter Beaufort zu einem seiner berühmten Live-Soli ansetzt, sucht seinesgleichen. Da brennt förmlich die Luft. Die Snaredrum peitscht, die Toms pochen, die Becken zischen und krachen, die Bassdrum kickt – trocken, hart und ansatzlos. So unmittelbar, als würde der Schlegel direkt an die Magenwand klopfen. Ja, es gibt Lautsprecher in der Preisklasse, da kickt die Bassdrum weniger, als dass sie schiebt. Das passiert hier nicht. Und wer so eine Bugwelle im Raum zu seinem HiFi-Glück braucht, sollte entweder woanders oder innerhalb des Klipsch-Portfolios eine Nummer größer suchen. Das Schwestermodell „Forte IV“ (Paarpreis: um 6.998 Euro) bietet noch mehr Tieftöner-Membranfläche und ein größeres Gehäusevolumen, reicht damit auch hörbar tiefer hinab.
Worauf ich hinaus möchte, und das muss man gleich im Ansatz verstehen, ist: Tieftontechnisch geht man bei der Heresy IV einen gewissen Kompromiss ein. Wer sagt: In dieser Preisklasse bekomme ich mehr Bass(pegel) für mein Geld, hat recht. Dieser Kunde möchte in der Regel aber auch einen ganz anderen Lautsprecher. Für knapp unter 5.000 Euro können Sie sich beispielsweise eine Nubert nuVero 140 in den Hörraum stellen – einen turmhohen Kontrapunkt zur Klipsch, mit schwäbischer Akribie und herstellertypischem Faible für untere und unterste Frequenzlagen entwickelt. Die schiebt. Und drückt. Und grollt. Ein gnadenlos massives Fundament, das aber 1.) auch „angetrieben“ werden muss, 2.) natürlich nicht in jede Hörumgebung passt und 3.) mit ganz anderen als den klassischen Horn-Tugenden der Klipsch einhergeht.
Denn was unbedingt für die Heresy IV spricht – und das kann sie einfach deutlich ansatzloser als „konventionell“ gebaute Lautsprecher – ist ihre raketenartige Dynamik. Ihre Fähigkeit, sofort mitten ins Geschehen zu „springen“ und ihre Zuhörer mitzunehmen. Beim Rocker „Ringin in my Head“ von Black Stone Cherry (Album: The Human Condition) ruhig auf Ihrem Sofa sitzen zu bleiben, können Sie getrost vergessen. Sie werden zunächst anfangen, mit den Füßen zu wippen, dann den Takt auf Ihren Oberschenkeln mitklopfen und spätestens beim ersten Refrain auf die Idee verfallen, die Luftgitarre auszupacken und die Bühne zu entern. Warum? Weil Sie nicht anders können! Die anmachende und mitreißende Spielfreude der Amerikanerin ist einfach zu charmant, um ihr widerstehen zu können. Eine Nubert nuVero 140 – für sich genommen eine absolut agil aufspielende Box – wirkt gegenüber der Horndynamik der Heresy, als würde sie versehentlich mit gezogener Handbremse losfahren wollen. Horn ist einfach anders.
Wichtig dabei: Dynamik und Spielfreude der Klipsch wirken gleichwohl kontrolliert, ja, genau kalkuliert. Man gewinnt den Eindruck: Die Heresy IV soll genau so spielen, wie sie spielt. Eine ebenfalls auf Dynamik gezüchtete Vestlyd V12c tönt dagegen wilder und schießt schon mal übers Ziel hinaus, was ihr angesichts des günstigen Preises wohl keiner krummnimmt. So etwas passiert der Klipsch aber nicht.
Stage diving
Unweigerlich dürfte jetzt die Frage aufkommen, ob dieser Charakterzug nicht zu aufdringlich ist, ob die Klipsch Heresy IV nicht zu dicht an ihr Auditorium heranrückt? Nun, das ist aus meiner Sicht eindeutig eine Frage des Geschmacks. Wer sich von audiophil-nobler Distanz „berieseln“ lassen möchte, ist eindeutig der falsche Kunde für diesen Lautsprecher. Wer sich eine solche Box anschafft, muss wissen, dass ihm das musikalische Geschehen intensiver, näher und unmittelbarer präsentiert wird als über viele andere Wettbewerber.
Um es ein wenig übertrieben auszudrücken: Die Bühne der Heresy IV startet vor Ihren Füßen. Nicht – um Sie zu beruhigen – auf Ihrem Schoß. So viel Contenance wahrt sie dann doch. Aber eben ganz schön weit vorne, und das muss man wollen. Die „nahbare“ Wiedergabe der Klipsch führt als Nebeneffekt mit sich, dass ohnehin dicht abgenommene Instrumente wie etwa der Kontrabass in „Hello“ vom John Butler Trio (Album: Sunrise over Sea) etwas größer wirken. Künstlich aufgebläht wirkt das aber trotzdem nicht. Zumal sich die Darstellung der Klipsch Heresy IV keine Fisimatenten leistet: Die Bühnenabbildung ist in Breite und Tiefe glaubwürdig realistisch, nur eben insgesamt etwas näher am Auditorium, die Lokalisierung einzelner Schallereignisse gelingt prima, alle Musiker stehen sehr gut ortbar dort, wo man sie vorm inneren Auge erwartet.
Intensive Mitten
Horntreiber und Stimmwiedergabe – das ist immer so eine Sache und Gegenstand wilder Diskussionen unter Musikliebhabern. „Die näseln und tröten!“, rufen die einen. „Plastischer und greifbarer geht nicht!“, entgegnen die Fans dieser Schallwandler-Bauform. Die Wahrheit liegt – wie so oft – irgendwo dazwischen. Wobei: Wenn Sie einen Klipsch-Lautsprecher von vor über 20 Jahren seinen heutigen Enkeln gegenüberstellen, werden Sie schnell hören: Das mitunter leicht Nasale vor allem bei höheren Lautstärken haben die Hornspezialisten ihren jüngeren Kreationen abgewöhnt. Höchstens in der Einspielphase, wenn die Boxen wirklich knackeneu aus dem Karton kommen, mag es sein, dass manche Sängerin eine Klammer auf der Nase trägt. Die legt sie aber rasch ab.
Was bleibt, ist eine faszinierende Griffigkeit im Mittenband, wie sie für meine Ohren nur Horntreiber produzieren. Christian Kjellvanders unheilvoll-düstere Note in „Redemption“ (O.S.T.: Die Toten von Marnow) baut sich zum Greifen nah vor dem Hörplatz auf und fährt mit dunkel-schwerem Timbre durch Mark und Bein. Bereits bei einer tiefen Männerstimme fällt auf, wie unverfärbt-natürlich und neutral dieses Mittenhorn abbildet. Bei weiblichen Gesangsstimmen wird´s noch deutlicher: Wie herzzereißend-eindringlich Alin Coen ihr entzückendes Liebeslied „Entflammbar“ (Album: Nah) zu Gehör bringt, stellt über die Heresy IV jedes, aber auch jedes (!) Nackenhaar auf. Es scheint, als verschwände der Lautsprecher hinter der Stimme. In der Tat: So „echt“ kann Horn sein. Chapeau!
Höhenlagen
In den Höhenlagen setzt sich der „griffige“ Eindruck fort. Wer Härten, Rauigkeiten oder Verfärbungen erwartet, unterschätzt den Reifegrad Klipsch‘scher Horntechnologie. Es stimmt schon: Gegenüber konventionellen Kalotten bildet die Heresy IV die oberen Frequenzlagen minimal lauter, crisper und gefühlt „verdichteter“ ab, zu unangenehm störenden Zisch- oder Klirreinlagen kommt es indes allenfalls dann, wenn man die Amerikanerinnen mit schlecht komprimierter „Software“ bei sehr hohen Abhörpegeln provoziert. Diesen „Stress“ reichen sie dann an ihr Publikum weiter. Was ja auch bedeuten kann: „Hör halt besseres Zeug, Alter!“
Da ist es gut zu wissen, dass die Klipsch feinfühlig auf die Einwinkelung auf den Hörplatz reagiert. „Schaut“ einen das Hochtonhorn nicht direkt an, soften die oberen Lagen geschmeidig ab, ohne ihre Detailfülle zu verlieren. Hier sollte man einfach ein bisschen experimentieren, bis das optimale Ergebnis erzielt ist.
Test: Klipsch Heresy IV | Standlautsprecher