Demnächst im Test:

Billboard
Teufel

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Something special
  2. 2 Paradigm Premier 200B: Klangeindruck & Vergleiche

Die Auswahl an kompakten Zweiwegebassreflex-Boxen ist riesig: Kleine Manufakturen wie große Marken bieten zahlreiche Modelle an, teils sehr günstig, teils zu fünfstelligen Kursen. Wenn ein renommierter HiFi-Vertrieb wie Audio Components es trotzdem für sinnvoll hält, die Paradigm Premier 200B (Preis: 1.260 Euro) aus Kanada nach Deutschland zu holen, muss es etwas Besonderes mit diesen Lautsprechern auf sich haben.

Nach diesem Intro dürfte wohl klar sein, dass es sich bei den Paradigm Premier 200B um kompakte Zweiwegebassreflex-Boxen handelt. Eine 25-Millimeter-Alu-Hochtonkalotte mit Ferrofluid im Luftspalt und ein 165-Millimeter-Tiefmitteltöner mit carbonverstärkter Polypropylen-Membran stecken in einem 33,5 x 19,8 x 32,1 Zentimeter (HxBxT) großen Gehäuse. Das Nettovolumen der Boxen beträgt damit rund 15 Liter. Die Trennfrequenz zwischen den Chassis gibt Paradigm mit zwei Kilohertz an, die Flankensteilheit der Filter mit 12 Dezibel pro Oktave. Diese beziehungsweise sehr ähnliche Eckdaten teilen die Premier 200B gefühlt mit etwa 100 anderen Lautsprechern, die derzeit in Deutschland angeboten werden. Wenn wir herausfinden wollen, was das Besondere an den Paradigm Premier 200B ist, müssen wir woanders suchen.

Paradigm Premier 200B - Seite und Front

Versuchen wir es beim Hersteller. Paradigm Electronics sitzt in Kanada. Ja, kanadische Marken sind hierzulande recht selten – doch nein, sooo selten nun auch wieder nicht. Bei mir im HiFi-Rack steht eine Endstufe der kanadischen Firma Bryston, die auch Boxen baut. Im Test haben mich schon Lautsprecher von Totem Acoustic und Verstärker von Magnum Dynalab begeistert – ebenfalls kanadische Firmen. Verity, Classe und Axiom hat man auch schon mal gesehen oder gehört und der kanadischen Lenbrook Group gehören unter anderem die Marken NAD und PSB.

Bemerkenswert ist da schon eher, dass Paradigm seine Lautsprecher im Norden Amerikas auch fertigt. Viele andere Hersteller haben ihre Produktion schon längst nach China verlegt. Natürlich entwickelt Paradigm seine Lautsprecher auch in Kanada, das lassen andere ebenfalls in Fernost erledigen. Gut, Lautsprecher sind keine Weltraumtechnik und auch in China gibt es fähige Köpfe. Die kanadischen Experten können allerdings auf 35 Jahre Erfahrung im Lautsprecherbau zurückblicken – das kann wiederum nicht jeder von sich behaupten. Dazu kommt, dass sie in Kanada nicht nur die Gehäuse und Frequenzweichen entwickeln und fertigen, sondern auch die Chassis. Wer mehr über Paradigm und die von den Kanadiern gefertigten Lautsprecher erfahren möchte, findet viele weitere Infos im Text meines Kollegen Ralph Werner, der bereits die Standlautsprecher Paradigm Persona 3F getestet hat.

Das Perforated-Phase-Aligning-Gitter (PPA) des Tiefmitteltöners der Paradigm Premier 200B

Das Perforated-Phase-Aligning-Gitter (PPA) des Tiefmitteltöners der Paradigm Premier 200B

Eine Besonderheit der Paradigm Premier 200B ist gleich augenfällig – und zudem markentypisch: Vor Hoch- und Mitteltönern der höheren Lautsprecherserien setzt Paradigm eigentümlich geformte Streulinsen ein, die wie besonders cool gestaltete Schutzgitter aussehen. PPA – Perforated Phase-Aligning – nennen die Kanadier das. Die sollen die Treiber unter anderem tatsächlich schützen, was bei den teuren Beryllium-Membranen, die Paradigm in der Persona genannten Top-Linie einsetzt, auch dringend geboten scheint. Darüber hinaus und vor allem sollen die PPA-Gitter aber das Abstrahlverhalten der Chassis optimieren. Vor Hochtönern kenne ich das auch von anderen Herstellern, vor den Tweetern meiner Spendor D 9.2 sitzen zum Beispiel ebenfalls Streugitter. Vor Mittel- geschweige denn Tiefmitteltönern habe ich so etwas bisher selten gesehen.

Weiter fällt auf, dass die Hochtöner in einer leichten Senke der Schallwand sitzen. Auch wenn die Kanadier das nicht extra thematisieren, scheint hier ein kleiner Waveguide das Abstrahl- und/oder Phasenverhalten weiter zu optimieren. Eine andere technische Besonderheit, die Active-Ridge-Technologie (ART), kann man bei den Paradigm Premier 200B dagegen kaum erkennen. Es handelt sich um einen besonderen Übergang der Tieftönermembranen zu den Körben beziehungsweise den Schallwänden, eine spezielle Form der Sicke. Die sieht man bei den Testlautsprechern kaum, da sie von den PPA-Gittern vor den Tiefmitteltönern verdeckt werden. Immerhin soll das Ganze für drei Dezibel mehr Kennschalldruck und 50 Prozent weniger Verzerrungen gut sein, so Paradigm.

Der Hochtöner der Paradigm Premier 200B sitzt in einem kleinem Waveguide und hat ebenfalls eine Schalllinse vorgesetzt bekommen

Der Hochtöner der Paradigm Premier 200B sitzt in einem kleinem Waveguide und hat ebenfalls eine Schalllinse vorgesetzt bekommen

Die sehr hochwertige Machart, die Kollege Ralph Werner in seinem Test der Paradigm Persona 3F lobend hervorgehoben hat, ist beim Premier-Modell so leider nicht zu erkennen. Frontverkleidungen und PPA-Gitter bestehen bei den Paradigm Premier 200B aus Kunststoff anstelle von Alu, die Gehäuse laufen in den hinteren zwei Dritteln mit trapezförmig geraden Wänden zu, anstatt sich in einem eleganten Bogen nach hinten zu verjüngen – und sind mit Folie bezogen, nicht lackiert. Deckel und Böden werden dabei von Formteilen verkleidet, die mit leichtem Überstand auf beziehungsweise unter den Seitenwänden sitzen. Das ist zwar alles sauber verarbeitet, die Materialanmutung wirkt aber nicht besonders edel. Angesichts der Preisunterschieds zu den Modellen der Persona-Linie – deren Kompaktmodell das Siebenfache (!) kostet – ist das natürlich nachvollziehbar, aber andere Hersteller bieten in dieser Preisklasse bisweilen mehr.

Paradigm Premier 200B: Klangeindruck & Vergleiche

Eine eindeutige Antwort auf Frage, was an den Paradigm Premier 200B besonders ist, liefert der Hörtest. Denn nachdem ich die kompakten Kanadierinnen in meinem Hörraum aufgestellt habe und Musik spielen lasse, erlebe ich eine Überraschung: Ich höre die Lautsprecher nicht. Also nicht, dass da keine Musik wäre. Ganz im Gegenteil, da ist jede Menge Musik im Raum. Nur hat die scheinbar so überhaupt gar nichts mit den Lautsprechern zu tun, die die Plätze meiner Spendor 9.2 eingenommen haben. So etwas habe ich vor Kurzem schon mal erlebt. Die Lyravox Karlsson hatten ein ähnliches Talent, Musik vollkommen natürlich in meinen Hörraum zu projizieren. Allerdings kosten die aktiven Lyravox deutlich mehr als das Zehnfache der Paradigm Premier 200B und sie wurden in den Raum eingemessen. Die Paradigm Premier 200B können so etwas offenbar gleich out of the box.

Vanessa Carlton / Be Not NobodyNach exaktem Einrichten der Hörsituation und diversen Stunden Einspielzeit festigt sich dieser Eindruck, ja, er verstärkt sich sogar: Die Paradigm Premier 200B besitzen definitiv ein außerordentliches Talent, Musik völlig losgelöst von den Lautsprechern in den Raum zu stellen. Die Wirkung ist umwerfend, einnehmend, süchtig machend. Sängerinnen – zum Beispiel Vanessa Carlton mit „A Thousand Miles“ von ihrem Album Be Not Nobody (auf Amazon anhören)scheinen wirklich im Raum anwesend zu sein, das Klavier von Keith Jarrett, der Bachs Wohltemperiertes Klavier, Buch I (BWV 846 – 869) spielt, wirkt, als stünde es in meinem Zimmer. Ich rede hier nicht über die übliche HiFi-Bühnenabbildung, es geht vielmehr um den Eindruck, dass die Musik hier und jetzt in meinem Hörraum entsteht oder umgekehrt, dass ich mit meinem Umfeld in die Aufnahmesituation versetzt werde.

Paradigm Premier 200B - seitlich-links

Die Wirkung erinnert mich einerseits an die Wiedergabe von omnidirektional abstrahlenden Lautsprechern, wie den DDD-Wandlern von German Physics oder den eigentümlichen Lautsprecherkreationen von Duevel. Da diese Lautsprecher den Schall gleichmäßig in alle Richtungen abstrahlen, erzeugen sie einen hohen Anteil an Diffusschall und beziehen den Hörraum in besonders hohem Maß in die Wiedergabe mit ein. Andererseits hat die Ansprache der Paradigm Premier 200B aber etwas sehr Gradliniges, Unmittelbares, wie ich es eher von Nahfeld-Hörsituationen oder von sehr großen „Pappen“ in kleinen Räumen kenne – was ja irgendwie auf das Gleiche wie Nahfeld hinausläuft. Die Beschreibung mag widersprüchlich wirken, ich weiß, das Ganze klingt aber sehr spannend. Ich führe den Effekt auf die Wirkung der PPA-Gitter zurück, die ja unter anderem für eine definierte Abstrahlcharakteristik sorgen sollen. Wie dem auch sei, ich bin auf jeden Fall mächtig angefixt! Mich macht die Ansprache der Kanadierinnen definitiv süchtig.

Die Paradigm Premier 200B im Hörraum

Die Paradigm Premier 200B im Hörraum

Ein kleiner Hinweis zur Aufstellung: Beim Experimentieren mit verschiedenen Positionen stelle ich fest, dass den Paradigm Premier 200B eine vergleichsweise hohe Aufstellung gut bekommt. Wenn die Tiefmitteltöner auf Ohrhöhe liegen, ist das optimal. Boxenständer mit gut 90 Zentimetern Höhe dürften in den meisten Fällen optimal sein.

Rocker?

Rolling Stones - Beggars BanquetWie üblich müssen auch die Paradigm Premier 200B erst mal zeigen, dass sie rocken können. Weil ich zuletzt großen Gefallen an der Aufnahme gefunden habe, dürfen die Stones mit „Sympathy for the Devil” ran. (Muss ich wirklich dazu sagen, dass der Song auf dem Album Beggars Banquet (auf Amazon) zu finden ist?) Und ja, rocken können sie (die Lautsprecher, die Stones sowieso). Sogar verdammt gut!

Die Paradigm Premier 200B setzen mich recht nah vor die Bühne. Dabei bieten sie ein breites Panorama, das weit über die Grenzen meines Hörraums hinausgeht. Die Tiefe ist nicht ganz so ausgeprägt, doch absolut okay. Alles bewegt sich in einem sehr schlüssigen Rahmen. Die Lokalisationsschärfe geht in Ordnung – die Ortungsschärfe ist zwar nicht gleich „holografisch“ zu nennen, doch das empfinde ich nicht als Manko. Live habe ich noch nie eine solche Räumlichkeit gehört, wie manche Lautsprecher sie bieten, die in diesem Punkt ausgeprägte Qualitäten besitzen. Wie gesagt: Insgesamt würde ich die räumliche Wiedergabe der Kanadierinnen sowie ihr eingangs beschriebenes Talent, die Musik wunderbar losgelöst von den Lautsprechern zu präsentieren, als irgendwo zwischen omnidirektional abstrahlenden Lautsprechern und Nahfeldhören einordnen. Von Rundumlautsprechern kenne ich die nicht ganz so hohe Konturenschärfe, die dem hohen Anteil an Diffusschall geschuldet ist, aus dem Nahfeldhören die etwas nähere, größere und nicht ganz so stark in die Tiefe ausgeleuchtete Bühne. Insgesamt vermitteln die Paradigm Premier 200B eine gute räumliche Orientierung im Klanggeschehen, in meinen Ohren klingt das glaubwürdig, authentisch und ist nah am Live-Eindruck

Paradigm Premier 200B - seitlich-rechts

Tiefton

Zur überzeugenden Rock-Performance tragen unter anderem auch die Talente der Paradigm Premier 200B in Sachen Basswiedergabe bei. Den charakteristischen Basslauf von „Sympathy for the Devil” bringen sie sauber und druckvoll rüber. Klar, meine großen Spendor schaffen ganz unten etwas mehr Kontur und bieten eine andere „Griffigkeit“ der tiefen Töne. Aber mal nüchtern: Für ein Paar Spendor bekommt man etwa sieben Paar Paradigm Premier 200B. Und die Spendor haben für die Basswiedergabe die doppelte Membranfläche und das fünffache Gehäusevolumen zur Verfügung. Es wäre beschämend für sie, wenn sich das nicht bemerkbar machte. Ich bin eher irritiert, wie gering die Unterschiede letztendlich ausfallen – solange ich es pegelmäßig nicht übertreibe. Sobald es richtig laut wird, spielen die Spendor ihren Hubraumvorteil natürlich ganz klar aus.

Paradigm Premier 200B - von oben-rechts

Auch bei anderem Stoff überzeugt mich der Bassbereich der Kanadierinnen: Liszts Preludes, eingespielt vom Chicago Symphony Orchestra unter Sir Georg Solti. Beeindruckend finde ich nicht nur, dass sich in meinem Hörraum mit völliger Selbstverständlichkeit ein großer, breiter Konzertsaal auftut, sondern auch, mit welchem Impact es den vergleichsweise zierlichen Lautsprechern gelingt, das machtvolle Aufbrausen der Kontrabässe in den Fortissimo-Passagen zu inszenieren. Der kritische Testergeist verlangt, das Ganze ins richtige Licht zu rücken: Wir reden von einem Hörraum mit knapp 20 Quadratmetern Fläche. Was hier an Luft bewegt werden muss, um eindrucksvolle Bässe zu erzeugen, ist überschaubar. In einem 100-Quadratmeter-Loft hätten die Paradigm kein so leichtes Spiel. Was die Präzision angeht, ginge insgesamt sicher auch noch mehr, allein: Ich vermisse nichts. Die Sache klingt schlüssig und die Kanadierinnen machen im Preis- und Größenklassenvergleich einen exzellenten Job.

Mittel- und Hochton

Cécile McLorin Salvant / The WindowDas gilt auch für den Mittelton. Cécile McLorin Salvant halte ich für eine beachtliche Jazz-Sängerin. Für ihr Album The Window (auf Amazon anhören) hat sie sich mit dem Pianisten Sullivan Fortner zusammengetan – die beiden vergleichsweise jungen Musiker haben ein superspannendes und anspruchsvolles Album aufgenommen. Das ist sicher weniger etwas zur Hintergrundberieselung, doch wenn man in der Stimmung ist, hinzuhören, nimmt einen die Musik gefangen. Die Paradigm Premier 200B bringen die faszinierende stimmliche Variabilität von Frau Salvant genauso detailliert und eindringlich rüber wie das facettenreiche Klavierspiel von Herrn Fortner, der dem Instrument teilweise überraschende Akzente entlockt. Bei der Performance von Frau Salvant fällt auf, dass sich die Paradigm Premier 200B jeglichen „Extras“ in Sachen Grundton enthalten. Die Stimme kommt klar und präsent rüber, ohne dass hier ein kleiner Boost im Bereich von 200 bis 300 Hertz für Volumen sorgt. Überhaupt sind die Paradigm im Großen und Ganzen sehr neutral abgestimmt. Die Anschlagtechnik von Herrn Fortner ist teilweise etwas speziell, und die Kanadierinnen bringen die Spannung, die er mit dem Instrument erzeugen kann, geradezu knisternd rüber. In Sachen Auflösung und Feindynamik agieren die Pagadigm auf hohem Niveau.

Paradigm Premier 200B - mit und ohne Bespannung

Paradigm Premier 200B – mit und ohne Bespannung

Was mich allerdings am meisten begeistert, sind nicht irgendwelche einzelnen Details, sondern wie selbstverständlich und involvierend das Ganze klingt. Ja, es kann schon sein, dass beispielsweise die XTZ 99.25 Mk3 bei genauem Hinhören noch ein paar mehr Details zu bieten haben. Doch genau das ist der Unterschied: Bei den Paradigm Premier 200B komme ich gar nicht auf die Idee, jetzt unbedingt genau hinhören zu müssen, mich zu konzentrieren, um möglichst alle einzelnen Details mitzubekommen. Was sie von der Musik mitzuteilen haben, bringen sie unmittelbar, direkt und unprätentiös rüber. Da gibt es kein „Kann ich die Stelle noch mal hören? Dieser zarte Flageolettton …“ Bei den Paradigm Premier 200B heißt es: „Wow, hier im Zimmer spielt ein Klavier!“ In bin wirklich begeistert, wie unangestrengt Musikhören mit diesen Lautsprechern ist. Das lässt mich ein wenig über das Hören mit gespitzten Ohren und gerunzelter Stirn nachdenken.

Der Hochton fügt sich nahtlos in die unangestrengte, klare und geradlinige Wiedergabe ein, die die Paradigm Premier 200B auszeichnet. Er ist da, auch durchaus frisch, schießt aber nie über das Ziel hinaus. Kritische Aufnahmen, wie auf dem zum Test immer wieder gerne von mir herangezogenen Album Modern Cool von Patricia Barber, meistern die Premier 200B bravourös, sie klingen weder scharf noch stumpf, sondern finden die optimale Balance.

Billboard
Teac

Test: Paradigm Premier 200B | Kompaktlautsprecher

  1. 1 Something special
  2. 2 Paradigm Premier 200B: Klangeindruck & Vergleiche

Das könnte Sie interessieren: