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Das Ding ist Kult – das ist das Erste, was mir beim Anblick des Stingray II der Manley Laboratories einfällt (Vertrieb: www.inputaudio.de). Die eigentümliche, sechseckige Bauform des Vollverstärkers, die es ermöglicht, zwei Mono-Endstufen und einen Vorverstärker mit möglichst kurzen Signalwegen in einem Gehäuse unterzubringen, hat ihn gleich nach seiner Markteinführung zum Kultobjekt gemacht.
Kult können sie da drüben in Amiland. Egal ob Jeans, Sonnenbrillen oder Motorräder, eine Firma zum Mythos und deren Produkte zum Kult zu machen, beherrscht man in keinem Land so souverän wie in den USA. Der Kultstatus des Stingray ist einerseits seiner auffälligen Bauform geschuldet, andererseits der Firma, aus der er stammt – wer mehr zur Unternehmensgeschichte wissen möchte, kann so einiges darüber in unserem Test der Phonostufe Manley Chinook nachlesen. Merke: Manley Laboratories ist eine der wenigen Studio- und HiFi-Firmen, die von einer Frau geführt werden.
Kultstatus erlangte die Marke zunächst im angestammten Pro-Audio-Segment. Hier bietet Manley ein beeindruckendes Portfolio von Mikrofonen, Mikrofonvorverstärkern, Channel-Strips, Equalizern, Kompressoren und Limitern bis hin zu Masteringequipment – alles auf Basis von Röhrentechnik. Und alles in einem Design, das selbst Unkundigen die Äußerung entlockt: „Ich weiß nicht, wozu man das braucht, aber ich will es haben.‟ Leute die wissen, wozu man das braucht, geht es meist nicht anders. Und klar, auch die HiFi-Produkte von Manley profitieren vom hervorragenden Ruf des Studio-Equipments.
Manley Stingray II – Technik & Konzept
Liebhaber großer Glaskolben werden vermutlich enttäuscht sein. Zur Leistungsverstärkung setzt Manley beim Stingray II auf EL84-Röhren. Die sind sogar noch ein gutes Stück kleiner als die weitverbreiteten, eh schon pragmatisch-schmächtigen EL34. Dafür kommen im Manley Stingray II gleich vier Stück pro Kanal in einer Push-Pull-Schaltung zum Einsatz. Zwei kleine Schalter erlauben es, zwischen Ultralinear- und Trioden-Betrieb umzuschalten. Im Ultralinear-Betrieb stehen zwei mal 32 Watt zur Verfügung, im Trioden-Betrieb gut die Hälfte. Anschlüsse für Lautsprecher unterschiedlicher Impedanzen gibt es nicht, der Manley Stingray II ist für 5-Ohm-Lasten ausgelegt. Das ist letztlich eine Frage der Philosophie: Einige Entwickler schwören auf eine Impedanzanpassung, andere sagen, dass die Impedanz von Lautsprechern eh stark schwankt und man mit verschiedenen Abgriffen am Übertrager mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Sollten Sie einen Verstärker für extrem hochohmige Lautsprecher suchen, wird der „Stachelrochen‟ wohl nicht ihre erste Wahl sein.
Die Vorstufe des Stingray II arbeitet passiv. Zwischen den Eingängen wird mithilfe von Relais umgeschaltet, die Lautstärkeregelung erfolgt über ein Widerstandsnetzwerk. Neben den drei Cinch-Eingängen und einem Eingang in Form einer 3,5-mm-Klinkenbuchse (links neben der Front) gibt es eine Tape-Schleife sowie einen Subwoofer-Ausgang. Erst nachdem das Eingangssignal geroutet und lautstärkegeregelt ist, wird es von den Eingangsröhren (12AT7) und den Treiberröhren (12BH7) für die finale Verstärkung durch die EL84 aufbereitet. Als kleine Besonderheit gibt es noch einen Kopfhöreranschluss in Form einer 6,3-mm-Klinkenbuchse. Der ist allerdings recht hochohmig ausgelegt. Moderne, niederohmige Kopfhörer werden über ihn eher suboptimal bedient. Für Kopfhörer-Freaks gibt es im Manley-Produktportfolio den „Absolute Headphone Amplifier‟ (6.500 Euro), über dessen Design sich streiten lässt, der in Sachen Flexibilität und Klang aber zum Besten gehört, was man aktuell an Kopfhörerverstärkern so kaufen kann. Glauben Sie mir, ich durfte mich ausgiebig mit dem Gerät beschäftigen.
Die Lightshow, die die LEDs rund um Eingangswahlschalter und Lautstärkeregler veranstalten, sobald man den Manley Stingray II durch einen Druck auf die Stand-by-Taste auf der Front oder via Fernbedienung erweckt, ist nicht schlecht. Wobei die Fernbedienung selbst eine noch größere Show ist: Sie ist groß, aus Metall und bietet die Möglichkeit, den Stingray II per Infrarot oder per Funk zu steuern. Ihre Tasten leuchten auf, sobald man sie drückt und jeder Befehl wird durch blaues Blinken am Verstärker bestätigt. Sie dient neben der Eingangswahl und Lautstärkeregelung auch dazu, einige weitere Funktionen einzustellen – etwa die Helligkeit und das automatische Abschalten der Regler-Beleuchtung.
Weniger Show, sondern ein Sicherheitsaspekt, ist der Röhrenkäfig, den der deutsche Vertrieb Input Audio exklusiv für den Manley Stingray II fertigen lässt und jedem Gerät beilegt. Erstens ist er in Deutschland beziehungsweise der EU vorgeschrieben, damit sich niemand an den Röhren die Finger verbrennen kann, und zweitens sieht das Ganze sogar richtig schick aus. Besonders, da das verwendete Lochgitter fast das gleiche ist wie das, das Manley als Bodenblech verwendet. Apropos Boden: Eine Gefahr für jede schöne Rack-Oberfläche sind die Spike-bewehrten Füße des Manley Stingray II. Ja, klar, passende Spikes-Pucks liegen bei, doch bis man die richtig unter die Füße geschoben hat, sind die ersten Druckstellen im HiFi-Rack garantiert. Also lieber Deutschlandvertrieb – wenn sogar ein schicker Röhrenkäfig drin ist, dann vielleicht auch eine einfache Papp-Schablone, mit deren Hilfe man die Unterleger exakt positionieren kann?
Da es hier um einen Röhrenverstärker geht, müssen wir über den Ruhestrom der Leistungsröhren sprechen. Der muss nämlich individuell für jede Röhre eingestellt werden, damit sie optimal arbeitet – und er kann sich im Laufe eines Röhrenlebens ändern. Einige Hersteller liefern ihre Geräte mit „eingebrannten‟ Röhren aus, bei denen der benötigte Ruhestrom im Idealfall konstant bleibt. Solche Verstärker werden werksseitig eingestellt und der Besitzer muss (und kann) nichts mehr ändern. Sollte nach vielen Betriebsstunden mal ein Röhrenwechsel fällig sein, muss der in einer Fachwerkstatt erfolgen. Andere Hersteller setzen auf eine Auto-Bias-Schaltung: Die ist praktisch, da sich der Verstärker selbst auf die Röhren einstellt, ist klanglich aber nicht ganz unumstritten.
Manley hat sich für die dritte Möglichkeit entschieden und überlässt das Einstellen des Ruhestroms dem Besitzer. Das hat den Vorteil, dass man die Röhren wechseln und ihren Ruhestrom gelegentlich auch selbst kontrollieren kann. Auf eingebaute Anzeigeinstrumente verzichtet Manley und legt stattdessen ein Multimeter bei. Die passenden Messpunkte und Potis sind auf der Geräteoberseite gut erreichbar angeordnet und klar beschriftet. Damit sollte jeder, der in der Lage ist, einen Verstärker an seine HiFi-Anlage anzuschließen, auch das Thema Ruhestrom meistern.
Manley Stingray II: Hörtest und Vergleiche
Anlässlich eines Leserbriefs habe ich kürzlich mit dem Kollegen Jörg Dames diskutiert, ob man bestimmten Verstärkertechnologien jeweils einen eigenen Klangcharakter zuordnen kann. Nach einigem Hin und Her haben wir uns darauf verständigt, dass ein guter Entwickler heute mit jeder Verstärkertechnologie so gut wie jeden Klang realisieren kann und dass es viel eher darauf ankommt, was ein Käufer erwartet, wenn er eine bestimmte Art von Verstärker kauft. Und für Röhrenverstärker gilt, da waren wir uns einig: Wer Röhren sehen will, will auch Röhren hören.
Wie Röhren allerdings genau zu klingen haben, lässt einigen Interpretationsspielraum. Es geht durchaus auch neutral, wie Octave Audio das zum Beispiel bei seinen Verstärkern vormacht. Hier stellen sich manche allerdings die Frage, warum man dann überhaupt einen Röhrenverstärker kaufen soll. Nun, es gibt ja auch noch andere Tugenden neben dem Tonalen. Eine recht moderne Interpretation von Röhrensound ließ kürzlich auch der Audio Note Cobra (5.500 Euro) hören. Der warf vor allem eine herrliche Feindynamik, Strahlkraft, hohe Auflösung und eine extrem plastische Raumabbildung in die Waagschale, nahm sich dafür aber im Grundton etwas zurück. Einen ähnlichen, fast schon ins Ätherische gehenden Charakter wies der Audio Hungary Qualiton A20i (4.500 Euro) auf, der eine schöne Luftigkeit und Leichtigkeit ins Klanggeschehen brachte. Okay, zugegeben – diese Spielarten von Röhrenklang sind eher die Ausnahme. Die Mehrheit der Röhrenverstärker huldigt einem vollmundigen Klang mit mehr oder minder betontem Bass- und Grundtonbereich. Die Mitten zeichnen sich dabei oft durch gute Dynamik und Auflösung aus, während es bei den Höhen zwei Richtungen gibt: entweder seidig-charmant oder leicht betont, was mit der richtigen Musik ein schönes Air und strahlende Klangfarben ergibt.
Tonalität und Dynamik – reine Lehre vs. musikalisch richtig
Der Manley Stingray II gibt sich mehrheitsfähig. Was zunächst einmal heißt, dass er tonal nicht unbedingt neutral abgestimmt ist. Bass und Grundton sind präsenter als Normalnull, und die Höhen empfinde ich als spritzig-luftig. Wenn Sie einen unbestechlichen „Reine Lehre“-Amp suchen, können Sie an dieser Stelle aufhören zu lesen. Andererseits hätten sie dann wohl auch nie damit angefangen, oder?
Im Bass mag es der Manley Stingray II satt. Was nicht heißt, dass er träge ist. Im Gegenteil, er spielt flott und scheint sich förmlich auf jeden Tiefton-Impuls zu stürzen. Dabei geht er mit Eifer vor und hat die Tendenz, jedem Ton in Sachen Tempo und Druck noch mal einen daraufzusetzen. Das funktioniert mit knackigen Synthie-Impulsen gut und macht mit organischen, akustischen Tönen noch mehr Spaß. Nehmen wir den Großmeister des E-Bass-Slappens, Stanley Clarke. Auf dem Album The Message (auf Amazon anhören) geht es recht jazzig zu. Fast alle Stücke werden von der Basslinie getragen und hier lässt es der Manley Stingray II wirklich sehr einnehmend grooven. Das Spiel von Clarke kommt druckvoll, facettenreich und substanziell rüber. Wobei ich den Eindruck habe, dass der Manley Stingray II einem tiefen, satten „Swoop‟ deutlich zugeneigter zu sein scheint als einem nüchternen, trockenen „Tok‟ – um es mal lautmalerisch auszudrücken. Die künstlichen, seltsam abgehackten Bassimpulse, mit denen Madonna auf American Life rumspielt, kommen über den Manley ebenfalls gut rüber, doch ein fetter E-Bass- oder Kontrabass-Ton oder eine machtvolle Bassdrum machen mit dem Ami noch mehr Spaß.
So ein bisschen Extra gibt es auch im Grundton. Und genau dafür schätzen die meisten Röhrenverstärker-Liebhaber ihre Amps. Der Manley Stingray II wahrt hierbei ein sehr gutes Maß. Verstärker, die mit direkt geheizten Trioden in Single-Ended-Class-A-Schaltungen arbeiten, wie etwa der kürzlich von mir besprochene Cayin CS-300A (4.000 Euro), würzen noch mal stärker nach. Der Stingray belässt es bei einer feinen Nuance, einer gewissen Raffinesse, die man ohne direkten Vergleich kaum heraushören würde. Die Wirkung ist jedoch extrem angenehm.
Ich habe kürzlich SZA (Solana Rowe) und ihren verlockenden Stil zwischen Soul und Rap für mich entdeckt. Nehmen wir das Album Ctrl (auf Amazon anhören). Klassischem 1980er Jahre Soul-Pop à la Janet Jackson, den ich eigentlich nicht mehr hören kann, obwohl ich ihn mag, verpasst SZA eine richtiggehende Frischzellen-Kur. Schmalzige Pop-Elemente werden durch Rap und andere im Trend liegende Einflüsse ersetzt. Frau Rowe besitzt eine tolle Stimme, und der kommt die Abstimmung des Manley Stingray II maximal entgegen. Die Dame hat genug Power und Ausdruck, um eigentlich keine Unterstützung nötig zu haben, und doch nimmt mich ihr Gesang über den Stachelrochen noch einmal mehr mit als über mein sehr neutrales Verstärker-Gespann aus SPL Elector und Bryston 4B³ (2.700 Euro + 9.000 Euro). Und trotzdem ist das Ganze so dezent, dass nichts ungebührlich aufgedickt wird. Selbst Leonhard Cohen macht enormem Spaß, obwohl sein tiefes Knödeln schnell unerträglich wird, wenn ein Amp im Grundton zu viel des Guten tut. Tut der Manley aber nicht.
Absolut überzeugend kommt auch klassische Musik über den Manley Stingray II. Strawinskys Le Sacre du Printemps (Pierre Boulez, Cleveland Orchestra, 1992; auf Amazon anhören) entwickelt über den Ami eine beeindruckende Ausdruckskraft. Zum einen zeigt er die einzelnen Instrumente und ihre Melodielinien sehr sauber auf, was ich seiner hervorragenden, ins Kräftige gehenden Klangfarbenzeichnung zuschreibe, zum anderen kann er hier seine grob- wie feindynamischen Talente ausspielen. Dynamik kann auch meine SPL/Bryston-Verstärkerkombi sehr gut vermitteln. Über sie wirkt das alles noch etwas konkreter und griffiger – was ich auf die trockeneren, kontrollierteren Bässe der Bryston zurückführe. Lebendiger und emotionaler klingt es aber über den Manley. Hey, hier geht es um die großen Themen – Leben, Opfer, Tod! Das ist nix Akademisches, das ist hochemotional. Und so was transportiert der Manley Stingray II auf wirklich beeindruckende Art und Weise. Ein bisschen erinnert mich das an den T.A.C. V-88 (5.000 Euro), wobei der mit noch mehr „Drama“ aufspielte. Auf jeden Fall klingt der Manley eingängiger als ein Line Magnetic LM-150IA (5.000 Euro), der kontrollierter agiert und damit nicht ganz den Zauber des Manley entwickelt.
Die Höhen zeichnet der Manley Stingray II gerne strahlend und schafft so viel Luft. Das bringt Klangfarben schön zur Geltung und verleiht dem Geschehen Glanz. Erfreulicherweise vermeidet er trotzdem jegliche Schärfe. Insgesamt gefällt mir der Hochton sehr gut. Auch hier geht es weniger um die akademische, sondern um die musikalische Wahrheit.
Die Auflösung – röhrentypisch
Röhrentypisch ist auch die Auflösung, die der Manley Stingray II bietet. Er spielt detailreich, lässt aber jedes Detail in den jeweiligen Kontext eingebunden. Ein einzelner Klavierton setzt sich beim genauen Hinhören aus den Geräuschen der Mechanik, dem Auftreffen des Hammers auf den Saiten, der Resonanz des Resonanzbodens, dem Mitschwingen anderer Saiten und des Rahmens und zum Schluss dem Auflegen der Dämpfer zusammen. Beim Manley steht das „übergeordnete‟ Ereignis, der Ganze im Vordergrund. Es gibt andere, hochauflösende Verstärker, bei denen die Einzelereignisse mehr im Vordergrund zu stehen scheinen, die sich dann erst zu einem Ganzen zusammensetzen. Insofern spielt der Stingray II für mein Empfinden angenehm organisch, auch wenn es Vertreter der Zunft gibt, die noch mehr Auflösung fürs Geld bieten.
Was die räumliche Darstellung betrifft, bietet der Manley einen guten Kompromiss. Allerletzte Stabilität und Präzision, was die Raumgröße und die Lokalisationsschärfe betrifft, ist nicht seins. Diese Aspekte sind eher einer gewissen „Dynamik‟ unterworfen. Nehmen wir noch mal Strawinsky. Das einsame Fagott, das den Auftakt spielt, scheint der Manley etwas heranzuzoomen. Je mehr Instrumente sich dann ins Spiel mischen, desto mehr scheint er einen Schritt zurückzugehen, um das musikalische Geschehen immer gut „im Blick‟ zu behalten. Letztendlich wirkt das sehr stimmig. Wobei er unter allen Bedingungen einen realistischen Abstand zur Bühne hält und einen nicht zu dicht vors Geschehen beamt. Beim Cayin CS300A zum Beispiel hatte ich bisweilen das Gefühl, mich beim Interpreten entschuldigen zu müssen, weil ich ihm auf die Füße getreten sein könnte.
Ultralinear- vs. Trioden-Modus
Einen kleinen Exkurs bin ich Ihnen noch zum Unterschied zwischen Ultralinear- und Trioden-Betrieb schuldig. Ich habe den Amp beim Hörtest im Wesentlichen im Ultralinear-Modus betrieben. Ganz einfach deshalb, weil mich zwei kurze Versuche im Trioden-Modus wenig überzeugt haben. Im Prinzip gibt es dann mehr Röhren-Romantik, das Ganze klingt etwas wärmer und geschmeidiger, dafür allerdings auch sanfter. Was ich am Manley Stingray II aber besonders schätze, ist genau seine wunderbare Dynamik und Lebendigkeit. Und diese frappierende Dynamik tauscht er im Trioden-Betrieb gegen eine einschmeichelnde Samtigkeit ein. Es mag Menschen geben, die das mögen. Vielleicht ist es die richtige Betriebsart für einen kuscheligen Winterabend. Meins ist es weniger – aber das ja ist Geschmackssache.
Test: Manley Stingray II | Vollverstärker