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Seit dem Test der Monos M8 700m von Musical Fidelity dienen mir die bärenstarken Endverstärker als Arbeitsgeräte – und machen dabei eine exzellente Figur. Als Vorstufe ist meistens eine Octave HP300 im Einsatz, denn vom Klangcocktail „Röhre vorne, Transistor hinten“ nippe ich ganz gerne. Ja, schon bevor ich die Musicals erstand, hörte ich so.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht erstaunen, dass ich dem aktuellen Testmodell Musical Fidelity Nu-Vista 600 (Vertrieb: www.reichmann-audiosysteme.de) erwartungsfroh entgegenblicke – schließlich kombiniert dieser Vollverstärker Röhren mit Halbleitern, genauer: Nuvistoren im Vorstufenabteil mit Endstufen, deren Schaltungsprinzip dem meiner Monos gleicht, auch wenn sie „nur“ 2 x 200 statt etwas poserhaft daherkommende 700 Watt an 8 Ohm bereitstellen. Sollte sich dieser Nu-Vista 600 etwa als Schrumpfversion meines Verstärkerensembles herausstellen? Nun – preislich schon mal auf jeden Fall, Musical Fidelitys neuester Integrierter ist mit 6.500 Euro nämlich nicht einmal halb so teuer wie das, was bei mir drei Rackebenen okkupiert.
Womit schon das benannt ist, was mir an Vollverstärkern am meisten gefällt: Die machen sich nicht so dicke im Hörzimmer. Wahrscheinlich werde ich mein‘ Lebtag nicht von einer amtlichen Vor/End-Kombi wegkommen, aber das ist ja eher eine audiophile Neurose und heißt nicht, dass ich es auch optisch elegant oder auch nur praktisch finde. Der Musical Fidelity Nu-Vista 600 kommt dagegen amtlich und elegant zugleich rüber – Ersteres allein schon wegen seiner Größe: 48 x 19 x 51 cm (BxHxT) ist nicht eben kompakt, und Letzteres durch die Symmetrie und Schlichtheit der Front, die offenbar von den gewaltigen, nicht mehr im Programm befindlichen Titan-Monoendstufen inspiriert ist – sowie wegen der Verarbeitungsqualität: Die ist nämlich einfach top. Was meiner Meinung nach die Optik etwas stört, ist die Disco-Beleuchtung der Röhren im hinteren Teil des Amps. Aber egal, die lässt sich ja auch ausschalten.
Featureseitig muss man zum Musical Fidelity Nu-Vista 600 wenig ausführen. Wie beim B.M.C. Audio CS 3, der zuletzt bei mir zu Gast war, handelt es sich bei ihm um einen reinrassigen Vollverstärker: Fünf Hochpegelinputs (4 x Cinch, 1 x XLR) hat er, das verstärkte Signal wird an zwei Paar Lautsprecherklemmen sowie am Pre-Out und Fixpegel-Ausgang bereitgestellt. Ende der Geschichte. Ach, doch nicht: Einen der unsymmetrischen Inputs kann man zum Homecinema-Direkteingang deklarieren. Immerhin. Aber es gibt keine Digitaleingänge oder gar einen Streamer, keine Klangregelung, nicht mal ein Kopfhörerausgang ist an Bord, was man sich von solch einem Gerät ja eigentlich schon erhoffen könnte. Nun, wer sich für einen Musical Fidelity mit Funktionsvielfalt interessiert, sollte sich den M6 Encore ansehen, das ist quasi der Gegenentwurf zum 600er. Die Geräte der Nu-Vista-Serie – zurzeit gibt‘s neben dem großen Bruder unseres Probanden noch einen CD-Player, Phonopre und Hochpegelvorstufe sind in Planung – sind dagegen alle sehr puristisch gehalten.
Die Endstufensektion des Musical Fidelity Nu-Vista 600 ist, das klang schon an, eine „alte Bekannte“, nämlich eine herunterskalierte Version des Musical-Endstufenflaggschiffs M8-700m – und damit indirekt eine weiterentwickelte Variante der alten Titan-Monos, so der Hersteller. Statt wie bei den M8 zehn, schieben beim Nu-Vista 600 je zwei Paar Bipolar-Transistoren in gebrückter Konfiguration (mehr dazu hier) Dienst. Eine Spitzenstromlieferfähigkeit von bis zu 120 Ampere soll dafür bürgen, dass auch fordernde Lautsprecher betrieben werden können.
Das namensgebende Bauteil sitzt in der Vorstufe: Insgesamt vier Nuvistoren finden dort ihren Platz. Es handelt sich bei ihnen um eine spezielle Form von Elektronenröhren, deren historisches Schicksal es war, kaum Verwendung zu finden, kamen sie doch just zu dem Zeitpunkt auf den Markt, als gerade der Siegeszug des Transistors einsetzte. Gleichwohl haben sie bei einigen Audioentwicklern – und so eben auch bei Anthony Michaelson von Musical Fidelity – einen sehr guten Ruf als spannungsverstärkendes Vorstufenbauteil.
Dank grundsätzlich anderer Bauform und -größe im Vergleich zu üblichen Vorstufenröhren (Nuvistoren messen circa 1 cm im Durchmesser bei etwa 2 cm Höhe) und anderen Materialeinsatzes (der Sockelboden besteht aus Keramik, der Kolben aus Metall statt aus Glas) soll die Mikrofonieneigung bei Nuvistoren deutlich geringer ausfallen – und die gilt bei Röhren ja immer als ein wesentliches Problem. Auch sind sie deutlich langlebiger: Jürgen Reichmann vom deutschen Musical-Vertrieb gibt 50.000 Stunden an, „und zwar nach Militärspezifikationen“, was de facto bedeute, dass sie eigentlich nie ausgetauscht werden müssen. Einen Nachteil haben die Nuvistoren freilich auch: Sie sehen im Vergleich zu ihren Pendants aus Glas ziemlich langweilig aus. Deshalb wohl die Lightshow drum herum …
Test: Musical Fidelity Nu-Vista 600 | Vollverstärker