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Hach ja, die Deutsche Bahn … Fällt der Zug nicht aus, geht’s mit gemütlicher Geschwindigkeit gen „Anschlusszug verpasst“. Gepriesen seien da die mobilen Musikabspielgeräte samt Kopf- beziehungsweise Ohrhörer – und zum Glück hatte ich auf dem letzten Abenteuer Bahn gleich zwei hochqualifizierte Kandidaten dabei.
Nein, ich bin keiner dieser ewig nörgeligen Bahn-Basher, eigentlich. Bisher sind mir die schlimmsten Horrorgeschichten erspart geblieben, aber seit etwa einem Jahr erlebe ich selbst und im Freundeskreis immer wieder Dinge, die mir eine zarte Wutröte ins Gesicht steigen lassen – konkret eine doppelte Sitzplatzreservierung auf der Strecke Berlin-Frankfurt. Gut, dass ich nicht nur meine iTunes-Bibliothek, sondern auch die Etymotic Research ER3SE und ER3XR In-Ear-Hörer (Vertrieb: https://headtek.de | Preis: je 230 Euro) dabei habe. Und das Beste: Ein Album des Panzerballetts mit dem schönen Titel „X-Mas Death Jazz“… Das dient hervorragend ebenso zur Abwehr allzu nörgeliger Mitfahrender wie dem eigenen Aggressionsabbau.
Aber langsam, fangen wir mal mit den beiden Testkandidaten und dem mir bis vor kurzem nicht geläufigen Hersteller Etymotic Research an. Die Firma wurde schon 1983 von Dr. Mead Killion gegründet, und zwar ursprünglich als Manufaktur für Produkte im Bereich des auditorischen Gesundheitswesens. Messgeräte, Software, Mikrofone und Ohrhörer für Forschung und medizinische Untersuchungen bilden die Grundlage für die Consumer-Electronic-Produkte der Firma aus Illinois, USA. Das Portfolio umfasst acht Modelle einschließlich der „Safety Earplugs“ für laute Arbeitsumgebungen und speziell für Kinder designte „ETY Kids Earphones“. Die verbleibenden sechs Modelle spielen im Preisbereich zwischen 70 und 400 Euro, wobei unsere beiden Testkandidaten und neuesten am Markt erhältlichen Modelle mit jeweils 230 Euro zu Buche schlagen.
Warum zwei Modelle zum gleichen Preis? Nun, Etymotic Research ist sich anscheinend bewusst, dass es in diesem Segment genug Interessenten gibt, denen ein maximal neutraler Klang nicht so wichtig ist wie maximal viel Spaß beim Hören, was übersetzt meist bedeutet: Etwas mehr Bass als es „nötig“ wäre. Daher bietet Etymotic vom ER3 ein neutral abgestimmtes SE-Modell sowie ein etwas basskräftiger ausgerichtetes XR-Modell an. SE steht dabei für „Studio Edition“, setzt sich also selbst explizit den Anspruch auf studiotaugliche Neutralität, während XR die Auflösung „Extended Range“ mit sich bringt. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein „moderater Bass-Boost für Hörer, die eine etwas kräftigere Tieftonwiedergabe bevorzugen“, eingebaut wurde. Die untere Grenzfrequenz ändert sich dadurch nicht, sie beträgt bei beiden Modellen 20 Hz.
Komplett ausgestattet: Etymotic Research ER3-In-Ears
Die Etymotic ER3-Modelle kommen beide mit identischer Ausstattung daher, die ziemlich komplett ausfällt. Zwei verschieden große Silikon-Aufsätze mit sich verbreiternden, überlappenden Triflanges sollten in jedes Ohr passen und vermögen laut Herstellerangaben Außengeräusche mit -35 bis -42 dB (je nach Frequenz) zu dämmen, was ein außerordentlich guter Wert wäre. Zusätzlich liegt ein Paar Schaumstoffpfropfen bei, dessen Sinnhaftigkeit sich meinen Ohrkanälen nicht so recht erschließen mag – aber da sind die Geschmäcker sicher unterschiedlich. Ein Revers-Clip hält das recht einfach ausgeführte und zirka 1,15 Meter lange Zuleitungskabel am Hemdkragen fest. Ein Metallstäbchen dient dem Austausch der Filter, von denen auch ein Ersatzpärchen beiliegt. Filter? Die Ohrhörer von Etymotic sind mit einem Filter am vorderen Ende des Gehäuses versehen, der den Frequenzgang glättet und im Nebeneffekt verhindert, dass Ohrwachs in den Treiber gerät. Für den Fall, dass sie verstopfen, sollten sie ausgetauscht werden. Man sieht die kleinen blauen Filter, wenn man die Silikonaufsätze entfernt – und es wird auch schnell klar, dass man ohne das Metallstäbchen keine Chancen hat, sie zu aus dem Gehäuse zu entfernen. Besser also gut auf das Zubehör Acht geben! Der 3,5-Millimeter-Klinkenstecker ist praktischerweise um 90° abgewinkelt (Hosentaschen-Handy-Hörer sagen Danke!) und hat natürlich einen zusätzlichen Knickschutz. Was fehlt, ist ein Mikrofon, das heutzutage angesichts des Einsatzes von Smartphones als Musikplayer und Kommunikationsgerät eigentlich auch in Ohr- und Kopfhörern mit gehobenem klanglichen Anspruch Standard sein sollte.
Die Ohrhörer selbst sind – wie alle In-Ears mit Balanced-Armature-Treiber – recht schmal und länglich, die Zuleitung ist hier mit etwa 45° abgewinkelt eingeführt. Das Kabel kann komplett ausgetauscht werden, die Kupplungen an den Gehäusen sind qualitativ hochwertig ausgeführt und bieten genau das richtige Maß an Haltekraft, um den Austausch des Kabels nicht zum Kraftakt werden zu lassen und andererseits einen festen Sitz der Zuleitung zu garantieren.
Balanced-Armature-Treiber sind eine Spezialität, die von einigen Manufakturen aufgrund ihres geringen Platzbedarfs in höherwertigen In-Ears und seltener auch in ohraufliegenden oder ohrumschließenden Kopfhörern verwendet werden, so zum Beispiel vom japanischen Hersteller Final Audio. Das Balanced-Armature-Design (wörtlich übersetzt bedeutet es soviel wie „ausgewogener Anker“) besteht aus einem Permanentmagneten und einem genau in dessen Magnetfeld zentrierten, beweglich gelagerten Anker. Mehr zur Konstruktion und dem Wirkprinzip von Balanced-Armature-Treibern finden sie in unserem Lexikon. Gemeinhin sagt man den BA-Treibern nach, dass sei in bestimmten Frequenzbereichen hervorragende Resultate liefern. Zum Beispiel ist der Hochton mit einem BA-Treiber meist sehr sauber, detailliert und schnell. Für den Bass hingegen setzen einige Hersteller lieber herkömmliche Treiber oder auch mehrere BA-Treiber ein, Sony zum Beispiel gleich drei Stück im XBA 3 iP. Das ist wegen der geringen Baugröße der Treiber auch kein Problem.
Die Etymotic Research ER3SE/XR vertrauen hingegen auf einen einzigen Treiber, und das sei ganz im Sinne der Eytmotic-Philosophie, vertraut mir Erik Schaeffer vom deutschen Vertrieb an: „Vor allem die Phasengenauigkeit an den ansonsten nötigen Frequenzweichen ist ein Problem. Etymotic will so akkurat wie denkbar möglich sein. Echte Puristen eben!“ Finden wir also heraus, wie sich der Einzelkämpfer im Hörtest schlägt.
Klang & Vergleiche: Etymotic Research ER3SE & ER3XR
Wow, die gehen aber tief rein ins Ohr – und das müssen sie auch, denn ein nahtloser und luftdichter Abschluss des Ohrs von seiner Umgebung ist eine unabdingbare Voraussetzung für guten Klang, und vor allem eine ordentliche Basswiedergabe. Auch die Außengeräuschdämmung profitiert selbstredend davon. In der Tat lassen die Ohrhörer fast den gesamten Geräuschhintergrund des rollenden Zuges außen vor – Respekt! Etymotics erklärt dankenswerterweise in der Bedienungsanleitung ebenso wie mit einem putzigen Video auf der Webseite, wie man das Einsetzen der Ohrhörer am besten bewerkstelligt. Das Greifen über den Kopf und jeweilige Hochziehen des der Hand gegenüberliegenden Ohrs sieht zwar nicht wirklich elegant aus, funktioniert aber in der Tat hervorragend. Übrigens kommen die Etymotic-In-Ears hervorragend mit den Ausgängen von MacBook Air, iPhone 6S und selbstverständlich auch zu Hause mit dem AudioQuest Beetle und dem iFi nano iDSD zurecht.
Wie alle Balanced-Armature-Modelle, die ich bisher hören konnte, benötigen auch die Etymotics ER3SE/XR eine gewisse Zeit des Einspielens, bevor sich ihre tonale Signatur festigt. Ganz grundsätzlich aber schlagen sie von Anfang an in dieselbe Kerbe wie zum Beispiel die Final Audio Heaven-Ohrhörer (von etwa 100 bis 400 Euro), überflügeln erwartungsgemäß das kleinste Modell, Heaven II, schon von Beginn an in jeder Hinsicht so deutlich, dass man für einen direkten Vergleich eher in einer höheren Liga bei Final Audio suchen sollte – siehe weiter unten.
Studiomusiker: Etymotic ER3SE
Im ersten Durchgang beschäftige ich mich mit den Etymotic Research ER3SE-Hörern, denen ja eine studiotaugliche Neutralität ins Lastenheft geschrieben wurde. Nachdem sie sich vor meiner Reise gut 12 Stunden über Nacht warmspielen durften, hat sich die BAT-typische anfängliche Sprödigkeit im oberen Mittel- und Hochton gelegt. Dann zeigt sich, wozu ein gut gemachtes Balanced-Armature-Design in der Lage ist: Der Detailreichtum in Bereich zwischen 2.000 und 10.000 Hz ist auf eine unaufdringliche Weise enorm, gerade die Wiedergabe der Obertöne von Analogsynthesizern, Piano und Schlagzeugblechen gerät mit den Etymotic-Research-ER3SE-Ohrhörern zum Fest. Mein derzeitiges Heavy-Rotation-Stück „Blood on the Tightrope“ von Lunatic Soul (Album: Fractured, auf Amazon anhören) bietet da ordentlich Anhörungsmaterial. Die vielen kleinen Klangverästelungen des Synthies, der ab etwa 2:40 ins Spiel kommt, offenbaren die Etymotic Research ER3SE mit spielerischer Einfachheit – und die im und um den Kopf herumschwirrenden Soundfragmente beweisen, dass die Ohrhörer in der räumlichen Abbildung kaum Grenzen kennen.
Richtig krass deutlich wird die Präzision und Auflösung der Etymotic Research ER3SE gleich zu Beginn des folgenden Stücks „Anymore“, wenn sich die elektronisch generierten Drum-Impulse und Synthiesounds mit einer unverzerrt gespielten E-Gitarre und einem E-Bass zu einem äußerst interessanten Klangspektakel vereinen. Das gesamte Klangspektrum der elektrischen Bassgitarre samt feinster Nuancen der Griffbrettarbeit wiederzugeben, ohne dass die tieferen Frequenzen den Rest der Musik überdecken, ist ein kleines Kunststück, das nicht vielen Ohrhörern gelingt. Die Final Audio Heaven VI (um 400 Euro) sollten in diese Regionen feindynamischer Qualität ebenfalls vorstoßen können – die Heaven V, die mit ihrem Preis von um 250 Euro direkt mit den Etymotic Research ER3SE vergleichbar sind, tönen dagegen bei annähernd ähnlichem Auflösungsvermögen etwas weniger nuanciert und tonal (noch) schlanker, mithin weniger ausgewogen als die ER3SE, wenn mich meine Erinnerung nicht gänzlich trügt.
Womit wir beim Bass selbst wären. Der ist eindeutig eher auf der schlanken Seite angesiedelt, mergelt aber gerade noch so nicht aus. Tief geht es durchaus runter, aber sehr gesittet und schön ins unbestechliche restliche Spektrum eingebettet – das unterscheidet die Etymotic Research ER3SE von 95% aller anderen In-Ears, hier gibt es keinerlei gefällige Anwärmung des Bassbereichs. Das muss man nicht lieben, ist aber näher dran an „der Wahrheit“ als so manch wohlig-molliger Bassbauch. Zumal diese angenehme Zurückhaltung die hervorragende Transientenwiedergabe und lockere Dynamik dieser Ohrhörer psychoakustisch noch weiter unterstützt: Die Percussion im Titel „Red Light Escape“ von Lunatic Soul habe ich jedenfalls selbst über meine große Anlage zu Hause noch nicht so direkt und ansatzlos gehört. Die Snaredrum schlägt in dieselbe Kerbe: trocken, präzise und mit einer Genauigkeit, die einfach faszinierend sinnlich wirkt. Das kurz darauf einsetzende Saxophon kann richtig hart schneiden, verliert aber nicht an Substanz und bleibt deshalb integer. Dasselbe gilt auch für die sanfte Stimme von Lunatic Soul-Mastermind Mariusz Duda, bei deren Wiedergabe sich die Etymotic ER3SE jeglicher Verfärbung enthalten und sie sehr frei genau in die Mitte meines Kopfes platzieren.
Noch ein Wort zur Differenzierungsfähigkeit der Etymotic Research ER3SE: Der Titeltrack des Albums beginnt mit einem sehr schnellen, sich wiederholenden Impuls, der sich ein wenig wie ein Rimshot anhört, aber von einem dezenten und sehr, sehr tiefen Basspuls begleitet wird. Die tatsächliche Zweigeteiltheit dieser Sounds (und dass es eben nicht ein einziger Klang ist) wird mir erst mit den Etymotic ER3SE wirklich bewusst – und sie tritt erstaunlich klar zutage.
Bassbruder: Etymotics ER3XR
Bei aller Liebe zur Wahrheit und zur neutralen Wiedergabe: So ein bisschen Spaß muss nach der vergeistigten Beschäftigung doch mal sein. Oder? Also raus mit den SE, rein mit den XR. Und ja, schon bei den ersten Klängen wird klar, dass mit dem Etymotic Research ER3XR untenrum mehr geht. Nicht übertrieben viel, aber eben doch so viel mehr, dass man sich als Home-HiFi-Fan lebhaft den zum Zwei-Wege-System zugeschalteten Subwoofer vorstellen kann. Und um bei der Analogie zu bleiben: Dieser Subwoofer ist eher ein geschlossenes Modell mit zwei, drei kleineren Membranen als ein 38er Bassreflex-Trumm. Will heißen, unter 100 Hz existiert nun eine klangliche Fülle und Wärme, die einem Schlagzeug mehr Körper verleiht, Gitarren etwas fetter macht und das geniale Piano in „Blood on the Tightrope“ noch anrührender und massiver rüberkommen lässt. Diese Körperhaftigkeit und Wucht geht aber eben nicht mit merklich weniger Präzision oder unkontrolliertem Gewummere einher, davon sind die Etymotic Research ER3XR weit entfernt. Sie lassen der Bassdrum den definierten Druckpunkt und machen eine Snare zwar druckvoller, aber auch kaum weniger präzise.
Leider, ja leider gibt es aber auch hier wie bei fast allem Guten in der Welt eine Schattenseite. Denn um beim Piano zu bleiben, so wird dieses über die Etymotic Research ER3XR zwar mächtiger und im ersten Moment scheinbar emotionaler rübergebracht, gleichzeitig verliert es aber etwas an Obertondifferenzierung und Klangfarben-Nuancen, wodurch sich die eigentliche Emotionalität hinter dem vergleichsweise vordergründigen Effekt etwas verliert. Hört sich paradox an, denn normalerweise assoziiert man ja eine vollere Basswiedergabe mit ebenso „volleren“ Klangfarben, doch es ergibt Sinn, wenn man genauer drüber nachdenkt: Klangfarben ergeben sich aus dem Obertonverhalten eines Instruments. Und wenn der Bassbereich so viel Energie produziert, dass das Ohr Schwierigkeiten damit hat, die (eigentlich ja vorhandenen) Obertonstrukturen zu erkennen, dann schlägt sich das in einer zwar wärmer und womöglich „süffiger“ wirkenden Charakteristik nieder, bedeutet gleichzeitig aber auch, dass man die „Wahrheit“ der Komfortzone opfert. Ist halt wie im richtigen Leben auch …
Test: Etymotic Research ER3SE & ER3XR | In-Ear-Kopfhörer