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Victoriah Szirmai / Mai 2013
Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Maïa Vidal | Lea W. Frey | Fredrika Stahl | Katriana | Flea | Frederik Köster | Triosence | Dirty Honkers
Maïa Vidal | Spaces
Das zweite Album gilt gemeinhin als das schwierigste – vor allem, wenn das Debüt von Kritik wie Publikum so gefeiert wurde wie Maïa Vidals God Is My Bike. Immerhin hat diese Platte solch glühende Anhänger gefunden, dass unsere Rezension sogar ins Russische übersetzt wurde – das passiert nun auch nicht alle Tage! Um die in sie gesetzten Erwartungen mit ihrem Zweitling zu erfüllen, hätte Maïa Vidal einfach nur so weitermachen müssen, wie auf ihrem Debüt: Punk goes Billie Holiday. Sie entschied sich indessen für den schwereren, dafür aber interessanteren Weg.
Spaces hat so gar nichts von seinem Vorgängeralbum, ignoriert man die Tatsache, dass Vidal auch hier wieder ein ganzes Spielzimmer voller Instrumente im Selbstversuch durchexerziert, von Keyboards, Violine und Kontrabass über Klarinette, Theremin und Trompete bis zu Xylophon, Glockenspiel und Autoharp. Gerade Letztere spielt hier in all ihren Facetten, ob als angezerrter Gitarrenton, als spacige Harfe oder ambientes Rauschen, die tragende Rolle und ist sicherlich nicht unschuldig am raumschiffartigen Sternenklang des Albums. Die Zeiten des omnipräsenten Akkordeons scheinen mit Spaces jedenfalls endgültig der Vergangenheit anzugehören.
Das kann man jetzt gut finden oder schade. In jedem Falle sorgt dieser unerwartete Klangansatz dafür, dass Spaces für mich ein zweigeteiltes Album ist. Es fällt mir schwer, mich einzuhören. So erinnert mich der Opener und gleichzeitig Titeltrack mit seinem penetranten, nach Mandoline klingenden Zupfton und einem nicht weniger penetranten, an synthetische Streichertutti gemahnenden Effekt von Ferne an Jingle Bells, wobei die folgenden vier Stücke diesen Eindruck noch unterstreichen: Santa Claus und sein Rentierschlitten kamen ja auch irgendwo aus dem Space angeflogen.
Dann aber kommt „Brigth“ und lässt erstmalig aufhorchen: Ein unheimlich ausgeklügeltes, vielstimmiges A-Cappella-Intro nimmt hier gefangen; und es schadet dem Stück gar nicht, dass es sich von der puren Vokalharmonie in ein noisiges Etwas verwandelt. Oh ja, so wird das was, denkt man hier, und behält Recht, denn mit dem folgenden „Katerina“ sind wir auch schon bei dem Stück angekommen, weshalb Spaces dann doch ein Muss in jedem gut sortierten Plattenschrank ist: Der Song besticht nicht nur durch sein schräg-schnasseliges Hippie-Feeling, sondern vor allem die sanfte Ironie seines masochistisch angehauchten Textes, in welchem der Erzähler seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, die von Ferne angebetete, grausame Katerina Ivanova eines Tages doch noch als seine „Katye“ kosen zu dürfen.
Leider war das dann auch schon der Höhepunkt des Albums. „Disaster Body“ und „Francis and Fleur“ muten wieder kosmisch-eigenwillig an. Wie gut, dass dann noch „Animals“ kommt, das durch seinen Sechsachtel-Tom-Waits-Groove und feinsinnig arrangierte Harmonien ebenso besticht wie durch seine bewegende Lyrics, in denen eine kindlich-anrührende Vidal den Tod ihres Hundes verarbeitet. Das ist traurig, aber auch sehr, sehr schön. Nichtsdestotrotz kann der Hörer dankbar sein, dass sie ihn im darauf folgenden „Snow In The Summer“ mit Rührtrommeln & Co. auf eine gigantische Space-Parade entführt, dissonant und aufwühlend, wie eigentlich das gesamte Album. Hiernach jedenfalls ist man so weltallfixiert, schwerkraftfasziniert, kometeninfiltriert, dass man „Comets + Stars“, eine folkige Glockenspiel-, Flöten- und Geigen-Reprise des Openers, die klingt, als hätten die 17 Hippies inklusive Kleinkind über das Space-Thema improvisiert, nicht nur völlig entzückend findet – man erschließt sich durch sie auch den zunächst schwerverdaulichen Anfang der Platte: Hört man diese jetzt noch einmal, offenbaren die Spaces nämlich plötzlich die ihnen innewohnende Schönheit.
In diesem Sinne sind die Spaces Maïa Vidals Debütalbum dann doch ähnlicher als zunächst gedacht, denn auch dieses funktionierte nach dem gleichen Muster: Die erste Albumhälfte, die einem beim ersten Hören noch unzugänglich ist, öffnet ihren verborgenen Sinn erst durch die zweite. Maïa Vidals Platten, und diese mehr noch als das Debüt, sind in sich geschlossene Einheiten, selbstreferenzielle Systeme, die sich gegenseitig bedingen, erklären und nicht in separate Einheiten, gemeinhin Songs oder Stücke genannt, untergliedert werden können. Gerade Spaces ist es mehr um die große, nur selten gebrochene Erzählstruktur zu tun als um charmante Dreieinhalbminüter. Damit rückt die Platte in ideologische Nähe zum Prince’schen ¼uvre – ein Vergleich, mit dem jemand, der so autark schreibt, produziert und aufnimmt wie Maïa Vidal, unabhängig von Moden und anderem Zeitgeistlichen, gut bedient sein dürfte.
Lea W. Frey | How Soon Is Now
Das Berliner Label Traumton Records ist definitiv eine meiner Lieblingsplattenfirmen. Hier wird Musik mit Herzblut gemacht, und üblicherweise lässt es sich auf eine einfache Formel bringen: Wo Traumton draufsteht, sind traumhafte Töne drin. Umso enttäuschter bin ich von der Veröffentlichung How Soon Is Now. Von dem zweiten Album der Berliner Sängerin Lea W. Frey und ihrer Mitstreiter Peter Meyer an der Gitarre und Bernhard Meyer am Bass hatte ich organische Elektronik à la Binoculers erwartet, bekomme stattdessen aber schwammige Folktronica, die seltsam distanziert bleiben sollen. Dabei hatte Freys Debüt We Can’t Rewind?, eine Coverplatte der etwas anderen Art, durchaus vielversprechend und vor allem mit der hier schmerzlich vermissten Wärme und Intimität aufgewartet.
Doch von vorn. Dem Ansatz, einer Handvoll Songs aus Rockpopfolk, von Nirvana über Depeche Mode bis Bob Dylan, eine neue, nämlich: die eigene Seite abzutrotzen, bleibt auch How Soon Is Now ebenso treu wie der Frage im Albumtitel. Hätte es das erste Album nicht gegeben, könnte man das aktuelle dann auch getrost als Fingerübung verbuchen. Kann man aber nicht, und fragt sich stattdessen, was das denn nun alles soll.
Schon der titelgebende Opener, im Original von den Smiths, gibt sich stylish lo-fi und legt damit die Marschrichtung fest: Wie ein Filter liegt ein unscharfes Rauschen über dem Gesang Freys, der sich schwertut, zum Hörer durchzudringen und ihn zu berühren. Besser wird es da schon auf dem folgenden „A Forest“, einer Cure-Adaption, die hier im triphoppigen Gewand à la Martina Topley-Bird oder Amatorski erscheint und das bislang nur angedeutete Potenzial der Musiker entfaltet, indem es zur Indie-Noise-Nummer voller Störgeräusch erblüht. Allerdings werden auch jetzt noch die Vocals von der Produktion geschluckt, was umso bedauerlicher ist, da letztendlich doch die menschliche Stimme das Lied in die Lage versetzt, den Hörer s zu berühren – oder eben auch nicht. Lea W. Frey erhält nicht einmal die Chance dazu.
Erst bei „The Drugs Don’t Work“ von The Verve, das von seiner gesamten Tonalität her, seinem Tempo, seinem Störgeräusch-Einsatz und seiner Lo-Fi-Attitüde das bisher Gehörte konsequent, wenngleich mit leicht asiatischem Einschlag fortsetzt, wird ohrenscheinlich, was an dieser Platte noch anders ist als gewohnt: der völlige Verzicht auf Schlagwerk. Dies mag How Soon Is Now? zwar die einst von Brian Eno postulierte Zeitlosigkeit verleihen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Dauer die Besetzung Stimme – Gitarre – Bass doch recht eintönig wird. Da gefällt die nächste The Verve-Nummer, „Weeping Willow“, schon bedeutend besser, selbst wenn sie das ohnehin schon schleppende Tempo in einer Art Meditation völlig stoppt.
Mit How Soon Is Now? verhält es sich ein bisschen so wie mit dem Deal, den die Vorband mit dem Headliner macht: Es gibt siebzig Prozent vom Sound und die Hälfte vom Licht. Die ganze Zeit über wartet der Hörer darauf, wann es denn jetzt mal so richtig losgeht. Auch das obligatorische Dylan-Cover „It Ain’t Me Baby“ macht die Sache nicht runder und ich kann mir nicht helfen zu denken: Ein Stück davon auf einem Cover-Sampler, das wäre nett gewesen. Eine ganze Platte davon hingegen ist, so Leid es mir tut, schlicht langweilig. Das Kate-Bush-Cover „And Dream Of Sheep“ möchte ich dann auch schon fast als Sakrileg bezeichnen, während „Im Plänterwald“, eine Eigenkomposition P. Meyers, auf die ich all meine Hoffnungen gesetzt hatte, gleichermaßen langweilt wie nervt.
Obgleich durch Nirvanas „Something In The Way“ ein kühler Wind weht, ist es eines der besseren Stücke der Platte. So hätten Nirvana in der Interpretation von The Cure geklungen. Klasse! Leider ufert auch dieses Stück aus – 5:16 hätten nicht sein müssen, wenn man nach 2:30 nichts mehr zu sagen hat. Schade. Ab da heißt es „Achtung, Experimente“, was vielleicht an der Kunsthochschule willkommen ist, auf CD gepresst aber allenfalls ein Ärgernis darstellt. „Sind die bald fertig?“, ist dann auch die einzige Frage, die den Hörer hier noch umtreibt. Mit Nick Drakes „Things Behind The Sun“ hingegen kann man nichts falsch machen. Anders ausgedrückt: Der Song ist so stark, dass er quasi unkaputtbar ist. Mit Portishead’schen Klangflächen, eindringlichen, tiefergelegten Vocals und dem dankenswerten Verzicht auf jegliches Soundexperiment bekommt man hier eine erste Ahnung, wie gut und schön das doch alles hätte sein können.
Der Song wäre ein würdiger Abschluss dieser Platte gewesen. Aber nein, es musste ja auch noch der andere Meyer mit einer Eigenkomposition rangelassen werden. Und, Überraschung: Wo sich B. Meyers „Fjor“ in bester Schlafes-Bruder-Manier heranhangelt, kommt man nicht umhin zuzugeben: Das ist eigentlich ziemlich gut. Und dann kann man doch noch froh sein, dass die Platte mit „Things Behind The Sun“ nicht zum Abschluss gebracht wurde, denn „ziemlich gut“ ist auch das Stichwort für die folgende Depeche-Mode-Adaption „One Caress“. Alles, was eingangs bemängelt wurde, löst sich hier, trotz gelegentlicher Ausflüge ins Musiktheaterhafte, in Wohlgefallen auf. Das kann man so machen, das kann man so hören!
Bei der Lennon-McCartney-Nummer „Julia“ dann, auf der der für sein Durchhalten belohnte Hörer schon fast so etwas wie die Spur eines Grooves zu entdecken vermag, ist Lea W. Frey endgültig so präsent, wie man sie sich schon von Beginn an gewünscht hätte – was Jammer, wenn erst der letzte Track zeigt, dass da jemand so richtig singen kann! Ansonsten hat Frey sich und dem Hörer mit den Arrangements auf How Soon Is Now? keinen Gefallen getan: Sie wollen ätherisch sein, sind aber zum großen Teil nur langatmig. Einmal schütteln, durchatmen und weiter.
Fredrika Stahl | Off To Dance
Raus aus dem Depri-Loch, in welches einen Frey und ihre Jungs gestoßen haben, hangelt es sich am besten mit dem „perfekten Pop“ Fredrika Stahls, der schon auf ihrem Debüt Sweep Me Away begeistert hat. Off To Dance – das klingt vielversprechend. Doch schon der in trauertragendem Moll beginnende Albumopener „Willow“, der sich besser als in-die-Kissen-heulend denn ich-bin-dann-mal-weg-zum-Tanzen beschreiben ließe, macht klar, dass wir es hier eher mit Kate Bush als mit Abba oder anderen Disco-Kings und Queens zu tun haben. Der Fluch der zweiten Platte scheint auch bei Fredrika Stahl in Erfüllung zu gehen: Die Künstler werden unweigerlich erwachsen.
Bevor diese Ausgabe von Victoriah’s Music dann aber endgültig zum Herzschmerz-Special verkommt, greift Stahl dann doch noch tief in die Groovekiste: „Trivial Needs“ bluesrockt sich irgendwo zwischen „Nutbush City Limits“ und „Sweet The Sting“ befreiend in die Hörwindungen, nicht ohne eine gehörige Portion georgelten Dramas allerdings. Und dass Fredrika Stahl, deren neues Album kein Geringerer als Rob Ellis (Marianne Faithful, PJ Harvey, Anna Calvi) produziert hat, mit Off To Dance anders als der Titel vermuten ließe endgültig zur Grande Dame gereift ist, beweist ausgerechnet der Titeltrack. Hier entfaltet sich keine Tanzmaus-Nummer, sondern ein getragenes Mid-Tempo-Piece voller Eleganz.
Ohnehin ist „elegant“ das Etikett, das man dieser Platte, sollte man sie in ein einziges Wort fassen, verleihen müsste. Großartig zum Beispiel „Little Muse“, das nach einem bezirzend spröden Beginn mit einem dezenten Latin-Rhythmus aufwartet, der indessen so bestrickend unterkühlt präsentiert wird, wie das wohl nur die Skandinavier können. Damit sich aber das Klischee des kühlen Nordlichts gar nicht erst verfestigen kann, haut Stahl mit „We Are Whole“ eine fast klassische Beat-Nummer im „Do You Love Me/Twist And Shout“-Stil raus, allerdings mit triphoppigen Vocals und Glockenspiel, die immer weiter an Fahrt aufnimmt, bis sie fast Jungle-mäßig abgeht. Wahnsinn, wie man mit solchen Monsterbeats operieren, dabei aber trotzdem immer Stil und Zurückhaltung bewahren kann!
Die Konzession an den Zeitgeist macht die Spieluhr, derer sich Stahl nach Binoculers und Bobo und Herzfeld auf „Gaspared“ bedient. Dieser Vanitas-Countdown ist aber auch ein eindrückliches Symbol, Kindlichkeit und ablaufende Zeit zu vereinen und damit den Kern des memento mori zu veranschaulichen. Ein nicht minder beeindruckendes Bild sind einsame Nächte im Hotelzimmer, geht es hier doch um und an die Substanz des auf sich selbst zurückgeworfenen Individuums, das sich dem wehen Sechsachtelmotiv – Sehnsuchtswalzer, Abschiedswalzer – in „Glory“ jedoch mit einem mehrstimmigen Chorus voller Leben entgegenzustemmen wagt. Da sieht die Welt beim Frühstück doch schon ganz anders aus! Am besten, man setzt sich jetzt gleich mit seiner Akustikgitarre auf die Veranda und meditiert über den „Midday Moon“, bis es wieder Nacht wird.
Wie man Störgeräusch elegant, ja: organisch in ein Stück einbettet, ohne dass es wie bei Lea W. Frey zum enervierenden Klangexperiment gerät, zeigt Fredrika Stahl auf „Trip Me Up“. Nervenzerfetzend sind hier lediglich die Rührtrommeln, die den Eindruck einer morbiden Parade erwecken, die sich immer mehr auf den Abgrund zubewegt. Abschiedswalzer, Todeswalzer. „Deep Breath Then Dive“ mit seiner klassischen, an Carole King erinnernden Songstruktur lässt Off To Dance, das vor diesem Hintergrund nun auch als Tanz ins Verderben interpretierbar wird, dann aber versöhnlich und friedlich enden. Auch wenn – anders als auf dem Vorgängeralbum mit M.O.S.W. – hier ein sofort ins Hirn gehender Ohrwurm fehlt, besticht Off To Dance durch eine gereifte Anmut, die dem jederzeit verfügbaren-mir-schon-beim-ersten-Hören-Klangfastfood allemal vorzuziehen ist.
Katriana | Aber klar doch
Auf den Weg zur Grande Dame hat sich auch Katriana mit ihrem neuen Album gemacht, das uns gleich zu Beginn mit Klavier und Cello die volle Breitseite Eleganz beschert, der Katrianas Gesang die Krone aufsetzt: Wo ihren Kolleginnen Titel wie „Nicht cool genug“ zur rotzig-frechen Abrechnung geraten wären, hat man hier das Gefühl, die Königin habe einen herbeizitiert und sei geneigt, das gemeine Volk ihrer erlauchten Weis- und Wahrheiten teilhaftig werden zu lassen – und dabei zu allem Überfluss auch noch furchtbar charmant zu wirken. Selbst banale Botschaften wie „der Mensch ist nicht gern allein“ glänzen hier als Weisheit letzter Schluss, prächtig in Szene gesetzt von den zum krönenden Finale aufgefahrenen Bläsern. Das Volk ist in Ehrfurcht erstarrt und staunt.
Wohl nicht grundlos heißt Song Nummer zwei dann auch „Erwachsen“. In seiner reifen Herangehensweise erinnert er an Katrianas Grönemeyer-Cover „Mensch“ von der Stewardesses-Veröffentlichung Pussy Empire hebt ab, und auf die Gefahr hin, dass diese Ausgabe von Victoriah’s Music keine Ausgeburt der Fröhlichkeit wird: Die auf dem Tränenmeer dahinsegelnde Katriana ist es, die dieser Platte ihre großen Momente beschert. Berührungsängste indessen sind fehl am Platze, denn der Groove verhindert hier jegliches Abdriften ins Klischee, das bei Reimen wie „es ist okay“ auf „tut so weh“ üblicherweise in gefährlicher Nähe dräut. Natürlich geht es auch weniger bombastisch: „Heute keine Hoffnung“ ist eine rein akustische Nummer im Stile des „Dünnen Tags“ von Katrianas Stewardesses-Kollegin Illute, während der Titeltrack „Aber klar doch“ irgendwo zwischen pointiertem Bigband-Revue-Stück und wildem Pop à la „Raspberry Beret“ oder „Lucy in the Sky with Diamonds“ angesiedelt ist.
Einzig an „Einfach mit“ habe ich etwas auszusetzen. Obgleich es eine Ballade ist und ich Katriana vor allem als Balladensängerin schätze, gelingt hier die Balance auf dem schmalen Grat der Eleganz nicht und kippt stattdessen auf jene gefürchtete Seite, wo die deutsche Sprache in der Popmusik, sagen wir mal: schwierig, werden kann. Erstaunlicherweise klappt dieser Spagat dafür auf „Ballade für Menschen“, obgleich das nur bedingt popmusiktaugliche Flüchtlings-Sujet schnell in Betroffenheitsrock ausarten könnte. Nicht so bei Katriana. Ihre Ballade ist wirklich sehr anrührend; und wer sich bei Maïa Vidals Hundehimmel noch nicht der Traurigkeit hingegeben hat, wird zumindest hier nicht mehr an sich halten können. An besonders sensitiven Tagen sollte man so etwas besser nicht hören.
Ein Lob auf die Dramatik des Albums, die es nicht zulässt, dass man sich jetzt unter die Bettdecke verkriecht und nicht mehr rauskommen möchte – beziehungsweise wenn, dann nicht vor Traurigkeit, sondern aus herrlichster Faulheit. Als bekennender Prokrastinierer fühle ich mich thematisch in der Slacker-Hymne „Die Entdeckung der Müdigkeit“, bei der sich Katriana nur mit der Ukulele begleitet, so richtig zu Hause, selbst wenn die Strophen in einer Leier nach Art mittelalterlicher Epensänger, die den Zuhörern den sinnbildlichen Spiegel vorhalten, daherkommen: „Was du schaffen wolltest/hast du nicht gemacht/was du leisten solltest/hast du nicht gebracht“, denn: „wieder mal ist ein ganzer Tag vergangen/und wieder Mal die Entdeckung der Müdigkeit/und wiedermal stundenlang rumgehangen“ – ja, genau so geht es einem, wenn die Deadline düster dräut. Da geht man doch lieber erst mal in den Biergarten. Und dann noch spazieren. Und muss auch noch dringend ein paar Telefonate führen. Und der Hund will ja auch noch gebürstet werden. Und ist es nicht eigentlich schon längst Zeit fürs Abendessen und den Tatort?
Das pure Klanggegenteil wird dem Hörer auf „Ich singe dir ein Lied“ mit voller Piano-Schlagzeug-Posaunen-Bandbreite um die Ohren gehauen. Und hier ist er, der ultimativ-unglaubliche Ohrwurm, der Höhepunkt des Albums und einer der intensivsten deutschsprachigen Songs der letzten Jahre. Sie glauben, eine Löwenmutter kämpfe entschlossen um ihr Junges? Hören Sie Katriana zu, wie sie um und für ihre Liebe kämpft – das nennt man Entschlossenheit. Dass ich das mal von einem soliden Bluesrock sagen würde, hätte ich selbst nie geglaubt und beweist nur: Wer hierauf nicht abfährt, für den ist der Zug schon abgefahren.
Da ist es schon fast egal, dass die Platte noch zwei weitere Lieder hat – nach „Ich singe dir ein Lied“ sind alle anderen Lieder obsolet. Dabei kommen die „Wilden Ufer“ im Gewand einer hübschen Indie-Nummer daher, warten mit einem supernatürlich wirkenden Arrangement auf, wo in der Popmusik Streicher ansonsten schnell mal zum Klischee geraten, und drehen sich noch dazu um Katrianas Leib- und Magen-Thema der (noch) nicht (beziehungsweise nicht mehr) ganz so erfüllten Liebe. Muss man mögen. Der Abschluss des Albums ist mit „Himmel im Kopf“ dann überraschend elektropoppig, was allerdings lediglich am Programming liegt, denn Katrianas Rhodes-Spiel gibt dem Ganzen auch hier einen unheimlich organischen Groove, besonders, wenn es im Chorus die Achtel schrubbt, ach nee, Tasteninstrumente schrubben ja nicht, also wenn es im Chorus die Achtel hämmert, dann macht das schon sehr happy und entlässt einen gehobener Stimmung aus dieser Platte.
Plattenkritik: Maïa Vidal | Lea W. Frey | Fredrika Stahl | Katriana | Flea | Frederik Köster | Triosence | Dirty Honkers