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Ada | Illute | Maria Taylor | Seide | The Waterboys | Beirut | Megafaun | Krispin

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Ada | Illute | Maria Taylor | Seide | The Waterboys | Beirut | Megafaun | Krispin
  2. 2 Ada / Meine zarten Pfoten

    Ada / Meine zarten Pfoten

    Beginnen wir mit der Kölnerin Michaela Dippel aka Ada. Deren Zweitling Meine zarten Pfoten ist bereits im Juni dieses Jahres erschienen, damals aber komplett an mir – und demzufolge auch an den Lesern von Victoriah’s Music – vorbeigegangen. Leider, muss ich hinzufügen, denn als ich die Platte mit dem rätselhaften Titel kürzlich zum ersten Mal gehört habe, war mir sofort klar, dass es sich hier um eine dieser stillen Schönheiten handelt, die selten sind – und glücklicherweise auch zeitlos. Meine zarten Pfoten passt zum September jedenfalls ebenso gut wie zum Juni, minimalistisch, zart und versponnen, wie sie ist. Ob nun eine Jahreszeit freudig erwartend begrüßt oder wehmütig leise verabschiedet wird – Meine zarten Pfoten ist wie geschaffen für Übergänge, und es wäre schade, die Platte nicht noch einmal in dem ihr angemessenen Rahmen zu würdigen.

    Gleich der Opener „Faith“ ist ein Song, der zumindest für mich wie geschaffen ist. Würde ich Musik machen, ich wünschte, sie wäre wie „Faith“: Da gibt es dezentes Elektrogeschnassel und fedrig-leichte Synthieflächen, die sich mit einer zarten Akustikgitarre paaren, es gibt gehauchten Satzgesang, zu dem sich bald verführerisch schleppende Percussions gesellen. Ganz am Schluss hat auch noch ein betörend vor sich hinblubbernder Bass seinen großen Auftritt. Sexy und schlau, eine unwiderstehliche Kombination. Allein für Adas Version von „Faith“, einem Cover der Indieband Lucious Jackson, muss man diese Platte lieben, denn er macht wunschlos glücklich. Und wenn man nur diesen einen Track auf Repeat laufen lässt – er allein lohnt den Kauf. Ich jedenfalls bin hin und weg.

    Die übrigen acht Songs können nichts dafür, aber sie erreichen die Qualität von „Faith“ nicht. Was jetzt Jammern auf höchstem Niveau ist, denn natürlich sind auch diese minimalistischen Preziosen mehr als hörenswert. Bei Ada stehen Computer gleichberechtigt neben akustischen Instrumenten, noch dazu hat sie die komplette Platte im Alleingang eingespielt, was schon gehörigen Respekt verdient. „On The Mend“ kreiert eine träumerische Atmosphäre, hat aber, da er jenseits von herkömmlichen Strophe-Refrain-Strukturen ohne Gesang auskommen muss, weniger etwas von einem Song als von einer kleinen Sound-Geschichte. Straßegeräusche hier, skizzierte Flamencogitarren da – klar hat das was von Chill-Out. Aber eben nicht nur. Die Café del Mar-Macher hätten mal bei Ada reinhören sollen, bevor sie ihre Wellenrauschakustikgitarrenbelanglosigkeiten in die Welt setzten. Bei Ada rauscht und zupft es auch – aber eben mit Verstand, Sinn und ganz viel Wärme. Selbst Mopedgeknatter schafft es auf Meine zarten Pfoten, eine wohlige Atmosphäre zu vermitteln.

    Ein gewisses Südsee-Flair kann man Meinen zarten Pfoten nicht absprechen, besonders wenn es zu Stücken wie „Likely“ kommt. Nur ist man hier nicht wie bei CdM beim Wollen stehen geblieben, sondern zeigt auch Können. Und das ist immer angenehm zu hören. Und eine schöne Hammond gibt es hier auch noch, sodass „Likely“, dessen Text ausschließlich aus dem komplex arrangierten Mantra Happy or Sad besteht, auf höchst angenehme Weise vor sich hin orgelt. „The Jazz Singer“ wartet auch mit allerlei Glockenspiel, Vibraphon und Harmonica auf, überrascht aber vor allem durch den R&B-Beat und den Gesang im Beyoncé-Stil, wobei auch hier die Grundentspanntheit Adas nicht verloren geht.

    Ada

    Das rein instrumentale Intro ist da schon deutlich nervöser, besticht aber immer noch durch einen butterweichen Bass. Auf der Vinyl-Version von Meine zarten Pfoten eröffnet es die B-Seite und bringt gleichzeitig einen clubbigeren Ton ins Spiel. Spätestens mit „At the Gate“ hat sich das Album zur düsteren House- wenn nicht gar Techno-Platte ausgewachsen. Gäbe es das Genre Organic-House, Ada wäre seine Hohepriesterin, denn sie versteht es, den teilweise an den Nerven zerrenden Beats mit Flughafenatmosphäre eine menschliche Komponente zu verleihen, beispielsweise wenn ein E-Piano das Geschnassel bricht und dann völlig selbstverständlich wieder fortsetzt. Oder ein einsamer Streicher am Schluss dazu fiedelt. Schön, das. Man könnte es auch als Songwriter-Techno bezeichnen.

    Einzig „Interlude“ zerrt mit seinen Flötenhöhen dann doch sehr an Nerven und Gemüt. Nicht mal der Samba-Untergrund kann das abfangen. Schade, denn hier gibt es endlich wieder Vocals, auch wenn Ada ihre Stimme oft nur wie ein weiteres Instrument einsetzt und sich der Text auf das Wort „Hey“ beschränkt – ihre Chorsätze sind nichtsdestotrotz immer wunderschön anzuhören! „Happy Birthday“ ist dann wieder eine klassische Housenummer und meiner persönlichen Meinung nach der verzichtbarste (und mit gut sechs Minuten definitiv zu lange) Song des Albums, der vocoderverzerrte Gesang allerdings auch hier hörenswert. Bei den letzten Tracks wird ganz klar, weshalb Ada ihre musikalische Heimat auf Pampa Records, dem Label von DJ Koze, gefunden hat.

    Der Schlusstrack „2 Likely“ – eine A-Capella-Reprise von „Likely“, zu der sich ein vertracktes Streichquartett gesellt und allerlei Geräusch passiert – versöhnt allerdings wieder komplett mit dem Album. Auch hier wird in der Ada-typischen Reduziertheit wieder die richtige Frage gestellt, wenn aus „happy or sad?“ „lucky or mad?“ wird. Wozu mehr Worte machen. Der Aufforderung „Keep me in Mind“ des Hidden-Tracks jedenfalls wäre ich gern nachkommen.

    Die A-Seite dieser wundervollen Elektroakustikplatte kann man sonntagmorgens im Bett hören, die B-Seite als klassische Chill-out-Platte beim Nachhausekommen nach einer durchgemachten und -wachten Nacht. Und allein das Cover des Zartpföters rechtfertigt den Kauf eines Plattenspielers, falls man bisher keinen hatte. Das muss man einfach in groß haben.

    Illute / Immer Kommt Anders Als Du Denkst

    Illute / Immer Kommt Anders Als Du Denkst

    Schöne Bilder, viele Akustikinstrumente und singende Computer gibt es auch bei Illute. Atmosphärisch ähnlich wie Ada, wenngleich technisch komplett anders, umkreist die Berliner Illustratorin und Musikerin Ute „Illute“ Kneisel in klugen Worten ihren Themenkreis um Alltägliches und Zwischenmenschliches.

    Wenn Ada ein wunderbar zartes Elektronikalbum gelungen ist, dann hat Illute mit Immer kommt anders als du denkst ein herrlich reduziertes Songwriter-Album gemacht, das den Flirt mit Electro-Elementen nicht scheut. Bei beiden Künstlerinnen entfaltet sich die Schönheit im Minimalismus.

    Obwohl von Illute einige EPs in Umlauf sind, gilt das bei Analogsoul in Leipzig und Las Vegas Records in Wien erschienene Immer kommt anders als du denkst als ihr eigentliches Debüt-Album. Und tatsächlich hat Produzent Alexander Nefzger Illutes „tiefgründige Fräulein-Musik“ (Lie In The Sound), die im Illute-typischen Sprachmix aus Deutsch, Englisch und Spanisch zum Teil – wie beispielsweise „Viva laIgnorancia“ – schon vor diesem Album veröffentlicht wurde, endlich in die Form gegossen, die sie schon immer verdient hat.

    Ein erstes Highlight ist sicherlich „Es wird gehen“, das auf der Platte in ungewohnt rockigem Gewande daherkommt, mit nahezu martialisch anmutendem Schlagwerk und Schwermetallgitarren, die sich zu einer richtiggehenden Wall of Sound steigern. Wandelbar, wie Illutes Lieder sind, habe ich neulich eine ambientige Live-Version von „Es wird gehen“ gehört. Auf der Platte aber bleibt es mit „Ob es genug ist“ und „My Music is a Boat“ erst einmal rockig.

    Überhaupt „My Music Is A Boat”! Einmal gehört und verstanden, was ein Freund meinte, als er von Immer kommt anders als du denkst von einer „lebensrettenden Platte“ sprach. Part 1 könnte als Craig Armstrong’sche Score-Music durchgehen, mit seinen ätherischen Pianokaskaden und wabernden Gesang. Wieder so ein Lied, das tagelang auf Repeat laufen kann, ohne dass man seiner Illuteüberdrüssig wird. Dabei hat gerade der zweite Teil eine Schlagzeug-, Bass- und Gitarrenfront, die sich fast zur Rockoper steigert – niemandem sonst würde ich so etwas verzeihen, aber hier ist es einfach nur verdammt großartig.

    „Verschwende deine Zeit“ macht restlos glücklich, ähnlich wie der schmeichelnde Opener „Du bist eine Stimme“. Ein weiterer Liebling – wenn nicht gar der zweite Lieblingssong des Albums – ist „Dünner Tag“ mit seiner gedämpften Swing-Trompete und dem ebenso gedämpften Gesang, der klingt wie durch ein Bändchenmikro aus den Vierzigerjahren aufgenommen. Dazu noch eine Ukulele und sich proportional zum Bläsersatz steigernde Circen-Chöre sowie ein hübscher Text – die Zutaten für den perfekten Song. Je öfter ich „Dünner Tag“ höre, desto mehr läuft er „My Music Is A Boat“ den Rang ab. (Über-)Produziertes gegen Minimalismus – ich kann mich nicht entscheiden. Bei anderen Platten ist man froh, wenn sie einen Lieblingssong enthalten. Auf Immer kommt anders als du denkst gibt es gleich so viele ...

    Dazu schimmert bei Illute trotz aller Leichtigkeit und Zartheit immer eine unglaubliche Gefasstheit, ja: Stärke durch. Diese Musik ruht sehr in sich selbst, die Gefahr, dass der nächste Windstoß sie davonträgt, wie das bei ihren ätherischen Kolleginnen oftmals der Fall ist, besteht hier nicht. Geerdet fliegen, das ist es, was man beim Hören von Illutes Musik kann.

    Maria Taylor / Overlook

    Maria Taylor / Overlook

    Und gleich noch ein tiefgründiges Fräulein, weil es so schön ist. Die 1976 geborene Indierock- und Folk-Singer-Songwriterin Maria Taylor hat mit Overlook ihr mittlerweile viertes Album veröffentlicht – zählt man die beiden Alben Who Did You Pay (1997) und It's in the Sound (2000) mit ihrer ehemaligen Band Little Red Rocket, drei weitere Alben mit dem Duo Azure Ray sowie die EP Savannah Drive (2008) mit Andy LeMaster nicht mit. Nebenbei hat Taylor noch die Zeit gefunden, für Mobys Album 18 zu schreiben und zu singen. Jemand mit so einem Output ist entweder übernatürlich mitteilsam – oder hat wirklich etwas zu sagen. Im Idealfalle natürlich beides zusammen.

    Und Gedanken macht sich Maria Taylor – die allerdings erwartet sie auch von ihren Hörern. So beispielsweise gab sie ihr letztes Album Lady Luck (2009) mit der Anweisung heraus, es im Liegen zu hören, damit man sich richtig darauf einlässt, anstatt nebenbei durch die Wohnung zu laufen und noch andere Dinge zu tun. Und auch Overlook verlangt dem Hörer wieder seine volle Aufmerksamkeit ab. Zu den Aufnahmen ist Taylor eigens wieder aus ihrer Wahlheimat Los Angeles, die ihrem vorigen Album einen Hauch sonnendurchfluteter Leichtigkeit verlieh, in ihre Heimatstadt Birmingham, Alabama zurückgekehrt. Nicht umsonst hat sie ihr Album nach der dortigen Overlook Road benannt. Hier konnte sie sich ganz auf die leisen Töne besinnen, die sich dann auch in der behutsamen Instrumentierung von Overlook spiegeln: Akustikgitarre, Bass, Piano und Schlagzeug. Der Flirt mit den Elektronika der Vorgängeralben scheint endgültig passé. Selbst der Synthesizer wird nur noch zu besonderen Anlässen ausgepackt, beispielsweise auf dem Opener „Masterplan“, der mit seinem treibenden Bass und seinen schlagkräftigen Drums schon fast mit plakativ-pathetischer Rockstar-Attitüde daherkommt. „Matador“ steht dem mit seinem „Everyday is a new day“-Schlachtruf in nichts nach. Folkig-hippiesker geht es da schon auf „Happenstance“ zu, und hier erst entfaltet sich die Magie der Maria Taylor, der auch die Serienproduzenten von Grey's Anatomy, Private Practice oder Scrubs erlegen sind. Ihre Songs laufen im Hintergrund der modernen amerikanischen TV-Serien jedenfalls rauf und runter.

    Maria Taylor

    Schon auf „Like It Does“ packt Taylor aber wieder die E-Gitarre aus, ohne aber das Träumerische der Nummer preiszugeben, die eher ans Lagerfeuer als auf die große Bühne gehört. Ohnehin wohnt den meisten Liedern der Maria Taylor eine Intimität inne, die einen zögern lässt, das Album außerhalb der eigenen vier Wände zu hören. Für Mitsinger wie „Bad Idea“ oder „In A Bad Way“ gilt das indessen nicht. Diese Songs schreien regelrecht danach, bei offenem Fenster oder Verdeck gehört zu werden.

    Und dann gibt es auch noch Stücke wie „Idle Mind“, denen ein abgrundtiefer Selbstzweifel innewohnt, während „This Could Take A Lifetime“ zwar zerbrechlich, aber dennoch optimistisch daherkommt. Abgerundet wird dieses rundum heimelige, vor allem aber abwechslungsreiche Neun-Track-Album mit dem elegischen „Along For The Ride“, das meiner Meinung nach das verzichtbarste Stück von Overlook ist, es aber auch nicht mehr schafft, das positive Gesamtbild zu trüben.

    Seide / Passion, Pain & Poetry

Victoriah Szirmai / September 2011

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Ada | Illute | Maria Taylor | Seide | The Waterboys | Beirut | Megafaun | Krispin

Ob zarte Pfoten, Seidenhaare oder Wolfsgötter – die neue Ausgabe von Victoriah’s Music steht ganz im Zeichen von versponnener Poesie und mystischer Verträumtheit – perfekt für den dahinscheidenden Sommer, der ohnehin nie ein Sommer war. Außerdem ist diese Victoriah’s Music eine Art Retro-Ausgabe, denn nicht alle der hier vorgestellten Platten sind erst gestern erschienen – passen dafür aber umso mehr zueinander. Mehr als diese acht Platten braucht es nicht für einen glücklichen Spätsommer:

Ada / Meine zarten Pfoten

Ada / Meine zarten Pfoten

Beginnen wir mit der Kölnerin Michaela Dippel aka Ada. Deren Zweitling Meine zarten Pfoten ist bereits im Juni dieses Jahres erschienen, damals aber komplett an mir – und demzufolge auch an den Lesern von Victoriah’s Music – vorbeigegangen. Leider, muss ich hinzufügen, denn als ich die Platte mit dem rätselhaften Titel kürzlich zum ersten Mal gehört habe, war mir sofort klar, dass es sich hier um eine dieser stillen Schönheiten handelt, die selten sind – und glücklicherweise auch zeitlos. Meine zarten Pfoten passt zum September jedenfalls ebenso gut wie zum Juni, minimalistisch, zart und versponnen, wie sie ist. Ob nun eine Jahreszeit freudig erwartend begrüßt oder wehmütig leise verabschiedet wird – Meine zarten Pfoten ist wie geschaffen für Übergänge, und es wäre schade, die Platte nicht noch einmal in dem ihr angemessenen Rahmen zu würdigen.

Gleich der Opener „Faith“ ist ein Song, der zumindest für mich wie geschaffen ist. Würde ich Musik machen, ich wünschte, sie wäre wie „Faith“: Da gibt es dezentes Elektrogeschnassel und fedrig-leichte Synthieflächen, die sich mit einer zarten Akustikgitarre paaren, es gibt gehauchten Satzgesang, zu dem sich bald verführerisch schleppende Percussions gesellen. Ganz am Schluss hat auch noch ein betörend vor sich hinblubbernder Bass seinen großen Auftritt. Sexy und schlau, eine unwiderstehliche Kombination. Allein für Adas Version von „Faith“, einem Cover der Indieband Lucious Jackson, muss man diese Platte lieben, denn er macht wunschlos glücklich. Und wenn man nur diesen einen Track auf Repeat laufen lässt – er allein lohnt den Kauf. Ich jedenfalls bin hin und weg.

Die übrigen acht Songs können nichts dafür, aber sie erreichen die Qualität von „Faith“ nicht. Was jetzt Jammern auf höchstem Niveau ist, denn natürlich sind auch diese minimalistischen Preziosen mehr als hörenswert. Bei Ada stehen Computer gleichberechtigt neben akustischen Instrumenten, noch dazu hat sie die komplette Platte im Alleingang eingespielt, was schon gehörigen Respekt verdient. „On The Mend“ kreiert eine träumerische Atmosphäre, hat aber, da er jenseits von herkömmlichen Strophe-Refrain-Strukturen ohne Gesang auskommen muss, weniger etwas von einem Song als von einer kleinen Sound-Geschichte. Straßegeräusche hier, skizzierte Flamencogitarren da – klar hat das was von Chill-Out. Aber eben nicht nur. Die Café del Mar-Macher hätten mal bei Ada reinhören sollen, bevor sie ihre Wellenrauschakustikgitarrenbelanglosigkeiten in die Welt setzten. Bei Ada rauscht und zupft es auch – aber eben mit Verstand, Sinn und ganz viel Wärme. Selbst Mopedgeknatter schafft es auf Meine zarten Pfoten, eine wohlige Atmosphäre zu vermitteln.

Ein gewisses Südsee-Flair kann man Meinen zarten Pfoten nicht absprechen, besonders wenn es zu Stücken wie „Likely“ kommt. Nur ist man hier nicht wie bei CdM beim Wollen stehen geblieben, sondern zeigt auch Können. Und das ist immer angenehm zu hören. Und eine schöne Hammond gibt es hier auch noch, sodass „Likely“, dessen Text ausschließlich aus dem komplex arrangierten Mantra Happy or Sad besteht, auf höchst angenehme Weise vor sich hin orgelt. „The Jazz Singer“ wartet auch mit allerlei Glockenspiel, Vibraphon und Harmonica auf, überrascht aber vor allem durch den R&B-Beat und den Gesang im Beyoncé-Stil, wobei auch hier die Grundentspanntheit Adas nicht verloren geht.

Ada

Das rein instrumentale Intro ist da schon deutlich nervöser, besticht aber immer noch durch einen butterweichen Bass. Auf der Vinyl-Version von Meine zarten Pfoten eröffnet es die B-Seite und bringt gleichzeitig einen clubbigeren Ton ins Spiel. Spätestens mit „At the Gate“ hat sich das Album zur düsteren House- wenn nicht gar Techno-Platte ausgewachsen. Gäbe es das Genre Organic-House, Ada wäre seine Hohepriesterin, denn sie versteht es, den teilweise an den Nerven zerrenden Beats mit Flughafenatmosphäre eine menschliche Komponente zu verleihen, beispielsweise wenn ein E-Piano das Geschnassel bricht und dann völlig selbstverständlich wieder fortsetzt. Oder ein einsamer Streicher am Schluss dazu fiedelt. Schön, das. Man könnte es auch als Songwriter-Techno bezeichnen.

Einzig „Interlude“ zerrt mit seinen Flötenhöhen dann doch sehr an Nerven und Gemüt. Nicht mal der Samba-Untergrund kann das abfangen. Schade, denn hier gibt es endlich wieder Vocals, auch wenn Ada ihre Stimme oft nur wie ein weiteres Instrument einsetzt und sich der Text auf das Wort „Hey“ beschränkt – ihre Chorsätze sind nichtsdestotrotz immer wunderschön anzuhören! „Happy Birthday“ ist dann wieder eine klassische Housenummer und meiner persönlichen Meinung nach der verzichtbarste (und mit gut sechs Minuten definitiv zu lange) Song des Albums, der vocoderverzerrte Gesang allerdings auch hier hörenswert. Bei den letzten Tracks wird ganz klar, weshalb Ada ihre musikalische Heimat auf Pampa Records, dem Label von DJ Koze, gefunden hat.

Der Schlusstrack „2 Likely“ – eine A-Capella-Reprise von „Likely“, zu der sich ein vertracktes Streichquartett gesellt und allerlei Geräusch passiert – versöhnt allerdings wieder komplett mit dem Album. Auch hier wird in der Ada-typischen Reduziertheit wieder die richtige Frage gestellt, wenn aus „happy or sad?“ „lucky or mad?“ wird. Wozu mehr Worte machen. Der Aufforderung „Keep me in Mind“ des Hidden-Tracks jedenfalls wäre ich gern nachkommen.

Die A-Seite dieser wundervollen Elektroakustikplatte kann man sonntagmorgens im Bett hören, die B-Seite als klassische Chill-out-Platte beim Nachhausekommen nach einer durchgemachten und -wachten Nacht. Und allein das Cover des Zartpföters rechtfertigt den Kauf eines Plattenspielers, falls man bisher keinen hatte. Das muss man einfach in groß haben.

Illute / Immer Kommt Anders Als Du Denkst

Illute / Immer Kommt Anders Als Du Denkst

Schöne Bilder, viele Akustikinstrumente und singende Computer gibt es auch bei Illute. Atmosphärisch ähnlich wie Ada, wenngleich technisch komplett anders, umkreist die Berliner Illustratorin und Musikerin Ute „Illute“ Kneisel in klugen Worten ihren Themenkreis um Alltägliches und Zwischenmenschliches.

Wenn Ada ein wunderbar zartes Elektronikalbum gelungen ist, dann hat Illute mit Immer kommt anders als du denkst ein herrlich reduziertes Songwriter-Album gemacht, das den Flirt mit Electro-Elementen nicht scheut. Bei beiden Künstlerinnen entfaltet sich die Schönheit im Minimalismus.

Obwohl von Illute einige EPs in Umlauf sind, gilt das bei Analogsoul in Leipzig und Las Vegas Records in Wien erschienene Immer kommt anders als du denkst als ihr eigentliches Debüt-Album. Und tatsächlich hat Produzent Alexander Nefzger Illutes „tiefgründige Fräulein-Musik“ (Lie In The Sound), die im Illute-typischen Sprachmix aus Deutsch, Englisch und Spanisch zum Teil – wie beispielsweise „Viva laIgnorancia“ – schon vor diesem Album veröffentlicht wurde, endlich in die Form gegossen, die sie schon immer verdient hat.

Ein erstes Highlight ist sicherlich „Es wird gehen“, das auf der Platte in ungewohnt rockigem Gewande daherkommt, mit nahezu martialisch anmutendem Schlagwerk und Schwermetallgitarren, die sich zu einer richtiggehenden Wall of Sound steigern. Wandelbar, wie Illutes Lieder sind, habe ich neulich eine ambientige Live-Version von „Es wird gehen“ gehört. Auf der Platte aber bleibt es mit „Ob es genug ist“ und „My Music is a Boat“ erst einmal rockig.

Überhaupt „My Music Is A Boat”! Einmal gehört und verstanden, was ein Freund meinte, als er von Immer kommt anders als du denkst von einer „lebensrettenden Platte“ sprach. Part 1 könnte als Craig Armstrong’sche Score-Music durchgehen, mit seinen ätherischen Pianokaskaden und wabernden Gesang. Wieder so ein Lied, das tagelang auf Repeat laufen kann, ohne dass man seiner Illuteüberdrüssig wird. Dabei hat gerade der zweite Teil eine Schlagzeug-, Bass- und Gitarrenfront, die sich fast zur Rockoper steigert – niemandem sonst würde ich so etwas verzeihen, aber hier ist es einfach nur verdammt großartig.

„Verschwende deine Zeit“ macht restlos glücklich, ähnlich wie der schmeichelnde Opener „Du bist eine Stimme“. Ein weiterer Liebling – wenn nicht gar der zweite Lieblingssong des Albums – ist „Dünner Tag“ mit seiner gedämpften Swing-Trompete und dem ebenso gedämpften Gesang, der klingt wie durch ein Bändchenmikro aus den Vierzigerjahren aufgenommen. Dazu noch eine Ukulele und sich proportional zum Bläsersatz steigernde Circen-Chöre sowie ein hübscher Text – die Zutaten für den perfekten Song. Je öfter ich „Dünner Tag“ höre, desto mehr läuft er „My Music Is A Boat“ den Rang ab. (Über-)Produziertes gegen Minimalismus – ich kann mich nicht entscheiden. Bei anderen Platten ist man froh, wenn sie einen Lieblingssong enthalten. Auf Immer kommt anders als du denkst gibt es gleich so viele …

Dazu schimmert bei Illute trotz aller Leichtigkeit und Zartheit immer eine unglaubliche Gefasstheit, ja: Stärke durch. Diese Musik ruht sehr in sich selbst, die Gefahr, dass der nächste Windstoß sie davonträgt, wie das bei ihren ätherischen Kolleginnen oftmals der Fall ist, besteht hier nicht. Geerdet fliegen, das ist es, was man beim Hören von Illutes Musik kann.

Maria Taylor / Overlook

Maria Taylor / Overlook

Und gleich noch ein tiefgründiges Fräulein, weil es so schön ist. Die 1976 geborene Indierock- und Folk-Singer-Songwriterin Maria Taylor hat mit Overlook ihr mittlerweile viertes Album veröffentlicht – zählt man die beiden Alben Who Did You Pay (1997) und It’s in the Sound (2000) mit ihrer ehemaligen Band Little Red Rocket, drei weitere Alben mit dem Duo Azure Ray sowie die EP Savannah Drive (2008) mit Andy LeMaster nicht mit. Nebenbei hat Taylor noch die Zeit gefunden, für Mobys Album 18 zu schreiben und zu singen. Jemand mit so einem Output ist entweder übernatürlich mitteilsam – oder hat wirklich etwas zu sagen. Im Idealfalle natürlich beides zusammen.

Und Gedanken macht sich Maria Taylor – die allerdings erwartet sie auch von ihren Hörern. So beispielsweise gab sie ihr letztes Album Lady Luck (2009) mit der Anweisung heraus, es im Liegen zu hören, damit man sich richtig darauf einlässt, anstatt nebenbei durch die Wohnung zu laufen und noch andere Dinge zu tun. Und auch Overlook verlangt dem Hörer wieder seine volle Aufmerksamkeit ab. Zu den Aufnahmen ist Taylor eigens wieder aus ihrer Wahlheimat Los Angeles, die ihrem vorigen Album einen Hauch sonnendurchfluteter Leichtigkeit verlieh, in ihre Heimatstadt Birmingham, Alabama zurückgekehrt. Nicht umsonst hat sie ihr Album nach der dortigen Overlook Road benannt. Hier konnte sie sich ganz auf die leisen Töne besinnen, die sich dann auch in der behutsamen Instrumentierung von Overlook spiegeln: Akustikgitarre, Bass, Piano und Schlagzeug. Der Flirt mit den Elektronika der Vorgängeralben scheint endgültig passé. Selbst der Synthesizer wird nur noch zu besonderen Anlässen ausgepackt, beispielsweise auf dem Opener „Masterplan“, der mit seinem treibenden Bass und seinen schlagkräftigen Drums schon fast mit plakativ-pathetischer Rockstar-Attitüde daherkommt. „Matador“ steht dem mit seinem „Everyday is a new day“-Schlachtruf in nichts nach. Folkig-hippiesker geht es da schon auf „Happenstance“ zu, und hier erst entfaltet sich die Magie der Maria Taylor, der auch die Serienproduzenten von Grey’s Anatomy, Private Practice oder Scrubs erlegen sind. Ihre Songs laufen im Hintergrund der modernen amerikanischen TV-Serien jedenfalls rauf und runter.

Maria Taylor

Schon auf „Like It Does“ packt Taylor aber wieder die E-Gitarre aus, ohne aber das Träumerische der Nummer preiszugeben, die eher ans Lagerfeuer als auf die große Bühne gehört. Ohnehin wohnt den meisten Liedern der Maria Taylor eine Intimität inne, die einen zögern lässt, das Album außerhalb der eigenen vier Wände zu hören. Für Mitsinger wie „Bad Idea“ oder „In A Bad Way“ gilt das indessen nicht. Diese Songs schreien regelrecht danach, bei offenem Fenster oder Verdeck gehört zu werden.

Und dann gibt es auch noch Stücke wie „Idle Mind“, denen ein abgrundtiefer Selbstzweifel innewohnt, während „This Could Take A Lifetime“ zwar zerbrechlich, aber dennoch optimistisch daherkommt. Abgerundet wird dieses rundum heimelige, vor allem aber abwechslungsreiche Neun-Track-Album mit dem elegischen „Along For The Ride“, das meiner Meinung nach das verzichtbarste Stück von Overlook ist, es aber auch nicht mehr schafft, das positive Gesamtbild zu trüben.

Seide / Passion, Pain & Poetry

Seide / Passion, Pain & Poetry

Auch Seide fügen ihrer CD eine Höranweisung bei: „Lausche dieser Musik am besten über gute Kopfhörer oder gute Lautsprecherboxen. Schenke Dir Zeit. Befreie Dich von allen Ablenkungen. Schalte all Deine Telefone aus. Mach es Dir bequem. […] Genieße!“ Eine schöne Anleitung, die nicht nur fürs Musikhören, sondern für ein entschleunigtes Leben im Allgemeinen Gültigkeit besitzen sollte. Seide machen konsequent Slow Music. Die mit Stimme, Posaune und Tasten ungewöhnlich besetzte Jazz-Formation wird in der Presseinformation nicht grundlos als „Feinton-Trio“ bezeichnet. Ebenso sanft wie der edle, namensgebende Stoff, glänzt, gleitet und schimmert die Musik des beharrlich auf Balladen setzenden Debütalbums von Sabine Müller, Christoph Müller und Tino Derado, schmeichelt dem Körper, streichelt die Seele. Free-Jazz ist ihre Sache nicht. Eher ein Lazy-Sunday-Afternoon-Wohlfühl-Jazz, wären da nicht die Abgründe in der Stimme der studierten Jazzsängerin und Wahl-Nürnbergerin Müller. Denn sie ist es, worum es bei Seide geht. Ihr Namensvetter an der Posaune sowie Derado an den Tasten, ob Piano oder Akkordeon, sind lediglich dazu da, ihr – gänzlich uneitel – den Raum zu gewähren, den sie benötigt, um ihre bittersüßen Labyrinthe der menschlichen Leidenschaften auszuloten.

Allein schon der Opener „My Wish (I Like)“ – einer der Schlüsselsongs des Albums –schleicht sich täuschend harmlos mit perlenden Pianokaskaden ran, und auch der Text deutet zunächst auf ein einfaches Liebeslied – aber weit gefehlt! Recht eigentlich werden dem literarischen Du hier die Leviten gelesen. Sabine Müller versteht es, ihre Songs seidig zu ummanteln, um dann Seideallein durch ihre Interpretation offenzulegen, dass die Schönheit manchmal auch nur des Schrecklichen Anfang ist. Leidenschaften sind für Müller, die nicht nur für alle bis auf einen der Texte, sondern auch für den Großteil der Kompositionen verantwortlich zeichnet, ohnehin nicht ohne Schmerz zu haben. Selbst in dem Rhodes-dominierten Instrumental „Past III“ kommt diese Bittersüße zum Tragen. Hell gibt es bei Seide nicht ohne Dunkel, den Tag nicht ohne die Nacht, Freude, Vertrauen und Liebe nicht ohne Wut, Angst und Schmerz.

Wenn Sabine Müller auf „Kleiner blauer Vogel“ zum ersten Mal ins Deutsche – und zwar in ein seit mindestens dreihundert Jahren nicht mehr gehörtes „Ach, wie teuer bist du mir“-Deutsch – wechselt, überrascht das für einen Moment. Aber es passt zu dieser Platte, die die Blaue Blume der Romantik erfunden haben könnte. Und mit einem Mal fühlen sich die folgenden englischen Songs fremd an.

Spätestens beim zwölften Song – dem einzigen, wo das Piano etwas mutiger wird – lähmt die Balladenseligkeit der Platte allerdings etwas. Und ob das Album nun unbedingt mit „Send In The Clowns“ aus Stephen Sondheims Musical „A Little Night Music“ abgeschlossen werden musste, sei dahingestellt. Immerhin fügt sich das Stück nahtlos in das Plattenkonzept ein. Einzig mit der Rezitation „Februarnacht“ werde ich nicht warm. Vielleicht liegt da ja in der Natur von Februarnächten.

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Plattenkritik: Ada | Illute | Maria Taylor | Seide | The Waterboys | Beirut | Megafaun | Krispin

  1. 1 Ada | Illute | Maria Taylor | Seide | The Waterboys | Beirut | Megafaun | Krispin
  2. 2 Ada / Meine zarten Pfoten

    Ada / Meine zarten Pfoten

    Beginnen wir mit der Kölnerin Michaela Dippel aka Ada. Deren Zweitling Meine zarten Pfoten ist bereits im Juni dieses Jahres erschienen, damals aber komplett an mir – und demzufolge auch an den Lesern von Victoriah’s Music – vorbeigegangen. Leider, muss ich hinzufügen, denn als ich die Platte mit dem rätselhaften Titel kürzlich zum ersten Mal gehört habe, war mir sofort klar, dass es sich hier um eine dieser stillen Schönheiten handelt, die selten sind – und glücklicherweise auch zeitlos. Meine zarten Pfoten passt zum September jedenfalls ebenso gut wie zum Juni, minimalistisch, zart und versponnen, wie sie ist. Ob nun eine Jahreszeit freudig erwartend begrüßt oder wehmütig leise verabschiedet wird – Meine zarten Pfoten ist wie geschaffen für Übergänge, und es wäre schade, die Platte nicht noch einmal in dem ihr angemessenen Rahmen zu würdigen.

    Gleich der Opener „Faith“ ist ein Song, der zumindest für mich wie geschaffen ist. Würde ich Musik machen, ich wünschte, sie wäre wie „Faith“: Da gibt es dezentes Elektrogeschnassel und fedrig-leichte Synthieflächen, die sich mit einer zarten Akustikgitarre paaren, es gibt gehauchten Satzgesang, zu dem sich bald verführerisch schleppende Percussions gesellen. Ganz am Schluss hat auch noch ein betörend vor sich hinblubbernder Bass seinen großen Auftritt. Sexy und schlau, eine unwiderstehliche Kombination. Allein für Adas Version von „Faith“, einem Cover der Indieband Lucious Jackson, muss man diese Platte lieben, denn er macht wunschlos glücklich. Und wenn man nur diesen einen Track auf Repeat laufen lässt – er allein lohnt den Kauf. Ich jedenfalls bin hin und weg.

    Die übrigen acht Songs können nichts dafür, aber sie erreichen die Qualität von „Faith“ nicht. Was jetzt Jammern auf höchstem Niveau ist, denn natürlich sind auch diese minimalistischen Preziosen mehr als hörenswert. Bei Ada stehen Computer gleichberechtigt neben akustischen Instrumenten, noch dazu hat sie die komplette Platte im Alleingang eingespielt, was schon gehörigen Respekt verdient. „On The Mend“ kreiert eine träumerische Atmosphäre, hat aber, da er jenseits von herkömmlichen Strophe-Refrain-Strukturen ohne Gesang auskommen muss, weniger etwas von einem Song als von einer kleinen Sound-Geschichte. Straßegeräusche hier, skizzierte Flamencogitarren da – klar hat das was von Chill-Out. Aber eben nicht nur. Die Café del Mar-Macher hätten mal bei Ada reinhören sollen, bevor sie ihre Wellenrauschakustikgitarrenbelanglosigkeiten in die Welt setzten. Bei Ada rauscht und zupft es auch – aber eben mit Verstand, Sinn und ganz viel Wärme. Selbst Mopedgeknatter schafft es auf Meine zarten Pfoten, eine wohlige Atmosphäre zu vermitteln.

    Ein gewisses Südsee-Flair kann man Meinen zarten Pfoten nicht absprechen, besonders wenn es zu Stücken wie „Likely“ kommt. Nur ist man hier nicht wie bei CdM beim Wollen stehen geblieben, sondern zeigt auch Können. Und das ist immer angenehm zu hören. Und eine schöne Hammond gibt es hier auch noch, sodass „Likely“, dessen Text ausschließlich aus dem komplex arrangierten Mantra Happy or Sad besteht, auf höchst angenehme Weise vor sich hin orgelt. „The Jazz Singer“ wartet auch mit allerlei Glockenspiel, Vibraphon und Harmonica auf, überrascht aber vor allem durch den R&B-Beat und den Gesang im Beyoncé-Stil, wobei auch hier die Grundentspanntheit Adas nicht verloren geht.

    Ada

    Das rein instrumentale Intro ist da schon deutlich nervöser, besticht aber immer noch durch einen butterweichen Bass. Auf der Vinyl-Version von Meine zarten Pfoten eröffnet es die B-Seite und bringt gleichzeitig einen clubbigeren Ton ins Spiel. Spätestens mit „At the Gate“ hat sich das Album zur düsteren House- wenn nicht gar Techno-Platte ausgewachsen. Gäbe es das Genre Organic-House, Ada wäre seine Hohepriesterin, denn sie versteht es, den teilweise an den Nerven zerrenden Beats mit Flughafenatmosphäre eine menschliche Komponente zu verleihen, beispielsweise wenn ein E-Piano das Geschnassel bricht und dann völlig selbstverständlich wieder fortsetzt. Oder ein einsamer Streicher am Schluss dazu fiedelt. Schön, das. Man könnte es auch als Songwriter-Techno bezeichnen.

    Einzig „Interlude“ zerrt mit seinen Flötenhöhen dann doch sehr an Nerven und Gemüt. Nicht mal der Samba-Untergrund kann das abfangen. Schade, denn hier gibt es endlich wieder Vocals, auch wenn Ada ihre Stimme oft nur wie ein weiteres Instrument einsetzt und sich der Text auf das Wort „Hey“ beschränkt – ihre Chorsätze sind nichtsdestotrotz immer wunderschön anzuhören! „Happy Birthday“ ist dann wieder eine klassische Housenummer und meiner persönlichen Meinung nach der verzichtbarste (und mit gut sechs Minuten definitiv zu lange) Song des Albums, der vocoderverzerrte Gesang allerdings auch hier hörenswert. Bei den letzten Tracks wird ganz klar, weshalb Ada ihre musikalische Heimat auf Pampa Records, dem Label von DJ Koze, gefunden hat.

    Der Schlusstrack „2 Likely“ – eine A-Capella-Reprise von „Likely“, zu der sich ein vertracktes Streichquartett gesellt und allerlei Geräusch passiert – versöhnt allerdings wieder komplett mit dem Album. Auch hier wird in der Ada-typischen Reduziertheit wieder die richtige Frage gestellt, wenn aus „happy or sad?“ „lucky or mad?“ wird. Wozu mehr Worte machen. Der Aufforderung „Keep me in Mind“ des Hidden-Tracks jedenfalls wäre ich gern nachkommen.

    Die A-Seite dieser wundervollen Elektroakustikplatte kann man sonntagmorgens im Bett hören, die B-Seite als klassische Chill-out-Platte beim Nachhausekommen nach einer durchgemachten und -wachten Nacht. Und allein das Cover des Zartpföters rechtfertigt den Kauf eines Plattenspielers, falls man bisher keinen hatte. Das muss man einfach in groß haben.

    Illute / Immer Kommt Anders Als Du Denkst

    Illute / Immer Kommt Anders Als Du Denkst

    Schöne Bilder, viele Akustikinstrumente und singende Computer gibt es auch bei Illute. Atmosphärisch ähnlich wie Ada, wenngleich technisch komplett anders, umkreist die Berliner Illustratorin und Musikerin Ute „Illute“ Kneisel in klugen Worten ihren Themenkreis um Alltägliches und Zwischenmenschliches.

    Wenn Ada ein wunderbar zartes Elektronikalbum gelungen ist, dann hat Illute mit Immer kommt anders als du denkst ein herrlich reduziertes Songwriter-Album gemacht, das den Flirt mit Electro-Elementen nicht scheut. Bei beiden Künstlerinnen entfaltet sich die Schönheit im Minimalismus.

    Obwohl von Illute einige EPs in Umlauf sind, gilt das bei Analogsoul in Leipzig und Las Vegas Records in Wien erschienene Immer kommt anders als du denkst als ihr eigentliches Debüt-Album. Und tatsächlich hat Produzent Alexander Nefzger Illutes „tiefgründige Fräulein-Musik“ (Lie In The Sound), die im Illute-typischen Sprachmix aus Deutsch, Englisch und Spanisch zum Teil – wie beispielsweise „Viva laIgnorancia“ – schon vor diesem Album veröffentlicht wurde, endlich in die Form gegossen, die sie schon immer verdient hat.

    Ein erstes Highlight ist sicherlich „Es wird gehen“, das auf der Platte in ungewohnt rockigem Gewande daherkommt, mit nahezu martialisch anmutendem Schlagwerk und Schwermetallgitarren, die sich zu einer richtiggehenden Wall of Sound steigern. Wandelbar, wie Illutes Lieder sind, habe ich neulich eine ambientige Live-Version von „Es wird gehen“ gehört. Auf der Platte aber bleibt es mit „Ob es genug ist“ und „My Music is a Boat“ erst einmal rockig.

    Überhaupt „My Music Is A Boat”! Einmal gehört und verstanden, was ein Freund meinte, als er von Immer kommt anders als du denkst von einer „lebensrettenden Platte“ sprach. Part 1 könnte als Craig Armstrong’sche Score-Music durchgehen, mit seinen ätherischen Pianokaskaden und wabernden Gesang. Wieder so ein Lied, das tagelang auf Repeat laufen kann, ohne dass man seiner Illuteüberdrüssig wird. Dabei hat gerade der zweite Teil eine Schlagzeug-, Bass- und Gitarrenfront, die sich fast zur Rockoper steigert – niemandem sonst würde ich so etwas verzeihen, aber hier ist es einfach nur verdammt großartig.

    „Verschwende deine Zeit“ macht restlos glücklich, ähnlich wie der schmeichelnde Opener „Du bist eine Stimme“. Ein weiterer Liebling – wenn nicht gar der zweite Lieblingssong des Albums – ist „Dünner Tag“ mit seiner gedämpften Swing-Trompete und dem ebenso gedämpften Gesang, der klingt wie durch ein Bändchenmikro aus den Vierzigerjahren aufgenommen. Dazu noch eine Ukulele und sich proportional zum Bläsersatz steigernde Circen-Chöre sowie ein hübscher Text – die Zutaten für den perfekten Song. Je öfter ich „Dünner Tag“ höre, desto mehr läuft er „My Music Is A Boat“ den Rang ab. (Über-)Produziertes gegen Minimalismus – ich kann mich nicht entscheiden. Bei anderen Platten ist man froh, wenn sie einen Lieblingssong enthalten. Auf Immer kommt anders als du denkst gibt es gleich so viele ...

    Dazu schimmert bei Illute trotz aller Leichtigkeit und Zartheit immer eine unglaubliche Gefasstheit, ja: Stärke durch. Diese Musik ruht sehr in sich selbst, die Gefahr, dass der nächste Windstoß sie davonträgt, wie das bei ihren ätherischen Kolleginnen oftmals der Fall ist, besteht hier nicht. Geerdet fliegen, das ist es, was man beim Hören von Illutes Musik kann.

    Maria Taylor / Overlook

    Maria Taylor / Overlook

    Und gleich noch ein tiefgründiges Fräulein, weil es so schön ist. Die 1976 geborene Indierock- und Folk-Singer-Songwriterin Maria Taylor hat mit Overlook ihr mittlerweile viertes Album veröffentlicht – zählt man die beiden Alben Who Did You Pay (1997) und It's in the Sound (2000) mit ihrer ehemaligen Band Little Red Rocket, drei weitere Alben mit dem Duo Azure Ray sowie die EP Savannah Drive (2008) mit Andy LeMaster nicht mit. Nebenbei hat Taylor noch die Zeit gefunden, für Mobys Album 18 zu schreiben und zu singen. Jemand mit so einem Output ist entweder übernatürlich mitteilsam – oder hat wirklich etwas zu sagen. Im Idealfalle natürlich beides zusammen.

    Und Gedanken macht sich Maria Taylor – die allerdings erwartet sie auch von ihren Hörern. So beispielsweise gab sie ihr letztes Album Lady Luck (2009) mit der Anweisung heraus, es im Liegen zu hören, damit man sich richtig darauf einlässt, anstatt nebenbei durch die Wohnung zu laufen und noch andere Dinge zu tun. Und auch Overlook verlangt dem Hörer wieder seine volle Aufmerksamkeit ab. Zu den Aufnahmen ist Taylor eigens wieder aus ihrer Wahlheimat Los Angeles, die ihrem vorigen Album einen Hauch sonnendurchfluteter Leichtigkeit verlieh, in ihre Heimatstadt Birmingham, Alabama zurückgekehrt. Nicht umsonst hat sie ihr Album nach der dortigen Overlook Road benannt. Hier konnte sie sich ganz auf die leisen Töne besinnen, die sich dann auch in der behutsamen Instrumentierung von Overlook spiegeln: Akustikgitarre, Bass, Piano und Schlagzeug. Der Flirt mit den Elektronika der Vorgängeralben scheint endgültig passé. Selbst der Synthesizer wird nur noch zu besonderen Anlässen ausgepackt, beispielsweise auf dem Opener „Masterplan“, der mit seinem treibenden Bass und seinen schlagkräftigen Drums schon fast mit plakativ-pathetischer Rockstar-Attitüde daherkommt. „Matador“ steht dem mit seinem „Everyday is a new day“-Schlachtruf in nichts nach. Folkig-hippiesker geht es da schon auf „Happenstance“ zu, und hier erst entfaltet sich die Magie der Maria Taylor, der auch die Serienproduzenten von Grey's Anatomy, Private Practice oder Scrubs erlegen sind. Ihre Songs laufen im Hintergrund der modernen amerikanischen TV-Serien jedenfalls rauf und runter.

    Maria Taylor

    Schon auf „Like It Does“ packt Taylor aber wieder die E-Gitarre aus, ohne aber das Träumerische der Nummer preiszugeben, die eher ans Lagerfeuer als auf die große Bühne gehört. Ohnehin wohnt den meisten Liedern der Maria Taylor eine Intimität inne, die einen zögern lässt, das Album außerhalb der eigenen vier Wände zu hören. Für Mitsinger wie „Bad Idea“ oder „In A Bad Way“ gilt das indessen nicht. Diese Songs schreien regelrecht danach, bei offenem Fenster oder Verdeck gehört zu werden.

    Und dann gibt es auch noch Stücke wie „Idle Mind“, denen ein abgrundtiefer Selbstzweifel innewohnt, während „This Could Take A Lifetime“ zwar zerbrechlich, aber dennoch optimistisch daherkommt. Abgerundet wird dieses rundum heimelige, vor allem aber abwechslungsreiche Neun-Track-Album mit dem elegischen „Along For The Ride“, das meiner Meinung nach das verzichtbarste Stück von Overlook ist, es aber auch nicht mehr schafft, das positive Gesamtbild zu trüben.

    Seide / Passion, Pain & Poetry