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Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Christina Lux | Lyambiko | Leonard Cohen | Solveig Slettahjell | Alex Winston | Florian Fleischer | The Stewardesses | El Bosso & Die Ping Pongs
Wen die ersten vier Alben dieser Ausgabe von Victoriah’s Music jetzt in akute Februar-Depressionen gestürzt haben – hier kommt Abhilfe! „King Con“ ist das, was man am ehesten noch als Electro-Clash-Disco-Pop bezeichnen könnte: Gwen Stefani trifft auf Madonna trifft auf – ach, wen auch immer, Hauptsache, es ist schnell, laut, bunt, wild und in jedem Falle das Gegenteil von melancholisch. Das ist Musik, die man gern beim Hausputz auflegt, damit die ungeliebte Arbeit schneller von der Hand geht. Man kann mit ihr natürlich auch noch andere Dinge anstellen. Genau zuhören, zum Beispiel.
Denn wie zum Trotz geht es bei der bubblegumbunten Musik der Multiinstrumentalistin und zehn Jahre lang in Operngesang ausgebildeten Alex Winston nicht um Kerle, Klamotten und Kurzweil, sondern um die Heuchler dieser Welt: Bauernfänger (englisch: Con Men), Sektenführer und falsche Priester. Nicht zuletzt sind viele der Lieder des Albums von Büchern beziehungsweise Dokumentationen über die marginalen Subkulturen Amerikas inspiriert, wie etwa von „Louis Theroux’s Weird Weekends“.
So gibt Winston beispielsweise auf dem asiatisch angehauchten „Velvet Elvis“ mit seinen herrlichen Nonsensreimen à la „When I feel your velvet/I can’t help it“ eine Art durchgeknallte Electro-Geisha auf Dope; und während sie die Single im Elvis-Kostüm vermarktete, kam ihr in den Sinn, dass die zahllosen Elvis-Imitatoren die eigentlichen Gauner des Landes seien – der Titel „King Con“ war geboren. Dann wieder klingt sie nach bockiger Internatsschülerin, die sich weigert, ihre Medizin zu nehmen („Medicine“), die allerdings ihre Detroiter Motown-Wurzeln nicht verleugnen kann.
Doch sind es nicht die wilden Stücke, die die Faszination des Albums ausmachen; weitaus mehr Strahlkraft wohnt dem – einzigen – ruhigen Track des Albums inne. „Benny“, den ich schon fast als Collage bezeichnen möchte, warnt vor Benny Hinn, einem Prediger, dessen heilende Kräfte proportional zu dem Spendenbetrag steigern. „Benny Benny / Takes my penny / Then he skins me to the bone”, singt Winston, wobei sie mehrere Vokalspuren übereinander legt und damit wiederum voll im Trend liegt, denn Künstlerinnen wie Dillon oder Puder klingen ähnlich. Helicopter Girl hat 2000 damit angefangen und zieht seither eine Reihe von Epigoninnen hinter sich her: Musikalisches Mädchen geht ins Studio, singt in affektierter Kleinkinderstimme versponnene Lyrics, spielt alle Instrumente und produziert das ganze schließlich noch im Alleingang. Kein Wunder, dass auch die Vorgänger-EPs von „King Con“ zunächst im heimischen Wohnzimmer mit Garageband aufgenommen wurden. Für das Album war hier allerdings professionelle Unterstützung am Start, die der berauschend opulenten Songsammlung Alex Winstons den letzten Feinschliff verlieh – von Charlie Hugall, der den überfrachteten „Florence and the Machine“ -Sound beisteuerte, über Lykke Li-Produzent Björn Yttling bis hin zum Electronic Music Duo The Knocks, das 2010 vom New Musical Express zu den „20 hottest producers in music right now“ gewählt wurde.
Florian Fleischer Quintett | Verzücken
Dieses Album hat sich schon allein ob seines schönen Titels einen ganz besonderen Platz in der aktuellen Victoriah’s Music verdient. Wann schon hört man heutzutage noch das wunderbare Wort „verzücken“, obgleich es kein modernes Äquivalent dafür zu geben scheint! Dann wäre da noch mein guter Kumpel, der Fernsehturm, der auf dem Cover abgebildet ist und Florian Fleischers ganz persönliches Verzücken über Berlin ausdrücken soll, welches ich bedingungslos mit ihm teile.
Aber genug der außermusikalischen Gründe, diese CD zu mögen. Musikalisch hebt sie sich von den anderen in dieser Ausgabe besprochenen Alben schon dadurch ab, dass Fleischer keine Songs macht – er macht Stücke. Und die können, wie es sich für ein ordentlich abgehangenes Stück Jazz gehört, durchaus schon mal eine Länge von gut sieben Minuten haben. Die braucht es auch, um die Facetten einer Stadt musikalisch zu erfassen; und der Gitarrist geht dabei mit seinem Quintett den wohl einzig möglichen Weg, um der Vielschichtigkeit der Metropole Rechnung zu tragen: Er lässt seinen Mitmusikern Jens Böckamp am Saxophon, Etienne Nillesen am Schlagzeug, Oliver Lutz am Kontrabass und Philipp Rüttgers am Klavier so viel Freiraum wie nur irgend möglich. Frei indessen heißt nicht Free Jazz, dazu sind die Stücke von „Verzücken“ dann doch wieder zu sehr Songs.
Lieblingstrack ist das titelgebende „Verzücken“, das den zweiten Satz einer fünfteiligen Berlin-Suite bildet, die neben vier formal nicht miteinander verbundenen Stücken das Album ausmacht. Bezeichnenderweise heißt der fünfte Satz der Suite „Klarheit“, denn letzten Endes geht es nach dem anfänglichen „Verzücken“, dem „Erkennen“ und „Begreifen“ um die Durchdringung der Komplexität Berlins. Der Gitarrist Fleischer hält sich dabei selbst ganz uneitel im Hintergrund und lässt statt virtuoser Taschenspielertricks seine Kompositionen für sich sprechen. Und die wissen den Hörer durchaus zu … verzücken.
The Stewardesses | Pussy Empire hebt ab
Ja, dies hier ist die Ausgabe der Cover-Alben (wobei ich mir nicht sicher bin, ob „… sings Gershwin“ als Coverplatte im eigentlichen Sinne gezählt werden kann – schließlich gibt es ja keine Original- beziehungsweise Referenzinterpretation der Stücke). Schließlich ist mir eine gut gemachte Coverplatte immer noch hundertmal lieber als eine mit mittelmäßigen Neukompositionen. Es gibt ohnehin schon viel zuviel Musik auf der Welt! Bezeichnend für Pussy Empire hebt ab ist allerdings, dass diese fünf Künstlerinnen, die sich zum Cover-Projekt The Stewardesses zusammengeschlossen haben, auch ganz wunderschöne Eigenkompositionen verfassen. Vielleicht ist es ja so, dass nur diejenigen, die gute eigene Songs schreiben, auch gute Coverversionen machen.
The Sterwardesses jedenfalls, das sind die Pussy Emire-Künstlerinnen Katriana, Birgit Fischer, Chantal De Freitas und Catharina Boutari, die mit Puder gerade auch eine bezaubernde Soloplatte herausgebracht hat, sowie die auf Las Vegas Records veröffentlichende Illute schenkte. Zu fünft – und außerdem zum zehnten Geburtstag von Pussy Empire – borgt man sich nun dreizehn Songs der jüngeren deutschen Popgeschichte aus, um sie in ein akustisches Gewand zu kleiden, das Eigene im Fremden zu finden und dem Song dadurch bestenfalls ein Publikum zu eröffnen, welches ihm ansonsten versagt geblieben wäre.
Und genau das ist es dann auch, was eine gelungene Cover-Platte ausmacht: Sie bringt einem die Originale auch bei Nichtgefallen näher. In diesem Sinne schafft es Pussy Empire-Labelgründerin Catharina Boutari, mir „Durch den Monsun“ der Teenie-Band Tokio Hotel zugänglich zu machen. Das Gleiche gelingt auch der Pianistin und Sängerin Katriana mit Grönemeyers verhasstem „Mensch“, trotz der aktuell wohl unvermeidlichen Cello-Einlage. Wo mich Grönemeyers Version nie auch nur ansatzweise berührt hat – was aber auch daran liegen kann, dass ich mich mit der plakativen Verarbeitung persönlichen Schicksals in der Popmusik generell eher schwertue, ein Problem, welches ich schon mit Claptons „Tears in Heaven“ immer hatte –, lässt mich Katrianas „Mensch“ nicht kalt. Insofern hat sie schlicht das bessere „Mensch“ gemacht. Das gilt auch für ihre Ukulele-Version des Element of Crime-Stückes „Weißes Papier“ und insbesondere die Interpretation des Juli-Hits „Geile Zeit“, der durch Katriana zur hintergründigen und todtraurigen Ballade gerät. Das Prinzip ist seit Yael Naim hinlänglich bekannt: Man nehme den unmöglichsten Song, den man sich vorstellen kann, und mache dann etwas ganz Wundervolles daraus.
Pussy Empire hebt ab hat, obwohl es sich tendenziell um ein melancholisches Album handelt, auch Tanzbares im Angebot. Die arschtretendste Nummer des Albums ist mit Sicherheit Boutaris Version von „Türlich, Türlich“, dessen „Was? Was? Wir brauchen Bass! Bass“-Refrain mich in der Akustik-Version irgendwie an den Rhythmus von Georg Michaels „Freedom“ erinnert. Ich+Ichs „Vom selben Stern“ wird bei Birgit Fischer zum Latin-Guitar-Mitsinger, während ihre Version von Rammsteins „Sonne“ trotz des grollenden Anfangs eher lahm daherkommt. Das gilt auch für Chantal De Freitas‘ „Jetzt erst recht“, dem wohl verzichtbarsten Stück dieser CD, welches sie aber mit ihrer großartigen Neuinterpretation des Rammstein-Songs „Amerika“, unterstützt von Mark Scheibe am Piano, ganz schnell wieder gut macht.
Zu Illute, die bei den Pussys zu Gast ist, muss ich wohl nicht mehr viel sagen. Ich bin und bleibe Fan, und so verwundert es dann auch nicht, dass ich ihre Version des Peter Schilling-Klassikers „Major Tom (Völlig Losgelöst)“ dann auch für das Highlight dieses Albums schlechthin halte – und das will etwas heißen bei einem Album, das man bis auf ganz ganz wenige Ausnahmen immer und immer wieder hören will.
El Bosso & Die Ping Pongs | Tag vor dem Abend
El Bosso und die Ping Pongs, die in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts als erste deutsche Ska-Band reüssierten, sich 1993 auflösten und seit 2003 wieder in der Ur-Besetzung El Bosso, Skacus und Prof. Richie senior a.k.a. Dr. Ring Ding gemeinsam musizieren, bringen mit Tag vor dem Abend vierzehn brandneue Songs unter die feierwütige Meute und läuten gleichzeitig eine Art Comeback ein – schließlich haben sie seit fast 20 Jahren keine Platte mehr aufgenommen. In der Zwischenzeit haben es sich Bands wie Das Kartell aus Lübeck in der 2-Tone-Style geprägten Popmusik bequem gemacht, und eher Dancehall-orientierten Acts wie beispielsweise Seeed ist der Sprung in die kommerziellen Charts gelungen. Umso interessanter ist es zu schauen beziehunsgweise hören, was die Urväter einer Bewegung heute machen, ohne die es die vorgenannten Künstler wohl nicht geben würde.
Das, was sie machen, sprüht in jedem Falle erst einmal vor genialem Wortwitz. Etwa auf „Prinzessin“, wo sich der Protagonist in eine lesbische Frau verliebt und mit einem resigniert-trotzigen „Ich mach dem Spuk ein Ende und quäle mich nicht länger/die feine Dame kann mich mal: ich steh ab jetzt auf Männer“ schließt. Oder auf der Single „Mädchenmusik“, die Musikern das Rezept verrät, wie man weibliche Fans gewinnt: „die Akkorde sind in Moll/und mein Briefkasten ist voll“. Oder auf dem begnadeten „Metallica“, wo es darum geht, wie sich die Welt verändert, aber Eines eben bleibt, „wie es immer war: Metallica“. Textlich kann man El Bosso und den Ping Pongs nur wenig vormachen, und die fetten Ska-Bläsersätze, die sie auffahren, habe ich zuletzt bei Klezmer-Ska-Fusionbands aus Israel gehört. Coole Sache.
Allein: Trotz aller Dancehall-, Drum&Bass- und Soul-Anleihen kommen El Bosso und die Ping Pongs an den Genius eines Peter Fox nicht heran; und auch musikalisch verharrt Vieles, was hier eigentlich richtig knallen sollte, seltsam in der Andeutung und bleibt zunächst nahezu blutleer. Erst Track vier – das titelgebende „Tag vor dem Abend“ – bringt eine Ahnung davon, wie es wohl sein könnte, wobei der Bläsersatz hier schon ziemlich genau an „Fine“ der HipHop-Funk-Acid-Jazzer House of the Rising Funk erinnert, die in Berlin Mitte der Neunzigerjahre einigen Erfolg hatten. Und es dauert ganze sechs Tracks, bis auf „Schön“ endlich mal die Bässe so dröhnen, wie man es von einer Ska-Band erwartet. Das lässt auf die Live-Autritte hoffen!
Tag vor dem Abend ist ein Album, dem man bei böser Absicht Anlaufschwierigkeiten unterstellen kann, bei mildem Blick eine Wirkung erst aufs zweite Hören. Dennoch macht Tag vor dem Abend meiner persönlichen Meinung nach zu viele Konzessionen an den Zeitgeist, sodass ich mich so manches Mal eher an den verwässerten Culcha Candela-Stil, der auch mit zu vielen Zutaten experimentiert, erinnert fühle. Ganz furchtbar das Pop-Rock-New-Wave-ige „Wo die Mitte liegt“, das in jedem College-Radio, das auch Grönemeyer spielt, dudeln könnte. Ein Totalausfall. „Verlieb dich“ wiederum klingt, als träfen Rammstein auf einen Drum&Bass-DJ. Natürlich ist es immer löblich, wenn sich Legenden nicht auch nach Jahrzehnten andauernd selbst zitieren – aber ein bisschen mehr Ska und ein bisschen weniger von allem anderen hätte diesem Album mit Sicherheit nicht geschadet. Der Band dürfte Tag vor dem Abend allerdings ein über die Ska-Szene hinausgehendes Publikum erschließen, und das sei ihr zu gönnen.
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Plattenkritik: Christina Lux | Lyambiko | Leonard Cohen | Solveig Slettahjell | Alex Winston | Florian Fleischer | The Stewardesses | El Bosso & Die Ping Pongs