Januar 2012 / Victoriah Szirmai
Es ist heutzutage nicht unüblich, dass Künstler, Promoter, Labels etc. einen Song aus einem in naher Zukunft erscheinenden Album vorab zum Gratis-Download anbieten, gewissermaßen als Appetitmacher. So war es auch im Falle der brasilianischen Wahlberlinerin Dillon. Ich hörte ihren Song „Thirteen Thirtyfive“ und dachte sofort: Mehr! Mehr davon!!
Mehr davon gibt es seit dem 18. November dieses Jahres mit This Silence Kills, einem Album, das von Kollegen gern mit den „Youth Novels“ (2008) von Lykke Li verglichen wird, wobei sie die Musikerin selbst als eine Mischung aus Lykke Li und CocoRosie beschreiben. Auch wenn Vergleiche, egal wie schmeichelhaft sie sein mögen, manchmal eine zwiespältige Sache sind, weisen sie im Falle Dillons in die richtige Richtung, denn der irgendwo zwischen Pop und Elektronika oszillierende Sound der 23-jährigen Dominique Dillon de Byington, bei dem schon mal eine Luftpumpe als Rhythmusgeber herhalten muss, ist als eigenwillig im besten Sinne zu beschreiben. Dillon entwickelt völlig autark einen ganz eigenen Klangkosmos, so dass sich Fans der vorgenannten Damen – ebenso wie jene von Soap&Skin oder Alev Lenz – auf eine weitere singende, Geschichten erzählende Frau am Klavier freuen können, die keine Angst vor allerlei Geräusch aus ihrem Laptop hat.
Tatsächlich wird der Hörer schon bald feststellen müssen, dass This Silence Kills eine Platte ist, die sich sehr vertraut, ja: fast heimisch anfühlt, obgleich einem Musik wie diese nicht alltäglich über den Weg läuft. Eingänglich sind hier allenfalls das kindlich-charmante „Tip Tapping“ mit seinem dominierenden Tuba-Bass, der an eine am Berliner Hackeschen Markt für Touristen spielende Balkan-Combo erinnert und zuckersüße Textzeilen wie „You turn my legs into Spaghetti“. Ansonsten geht es Dillon vornehmlich um das klangliche Ausloten der eigenen Gefühlswelten, sehr intim einerseits und doch distanziert, ja: schroff, auf der anderen Seite. Überhaupt sind es die Gegensätze, die This Silence Kills ausmachen, Gegensätze, die sich hier jedoch keineswegs abstoßen oder gar ausschließen, sondern einander vielmehr benötigen. Schon in Dillons rauer Kleinmädchenstimme, die mit Leichtigkeit dem abgesteckten klanglichen Rahmen zwischen akustisch-hausmusikalischer Momentaufnahme und ausgetüftelter, exzentrischer Elektro-Chanson-Kleinkunst gerecht wird, sind sie angelegt und werden fortgeführt in den Texten, die nicht mehr von einem Mädchen stammen, aber auch noch nicht ganz Frau sind. So etwas kann schief gehen und nicht Fisch, nicht Fleisch werden. Die von laut.de als „Indies upcoming Klassenbeste“ Bezeichnete hingegen macht die Suche, das Pendeln zwischen den Polen zu ihrem ureigenen Gegenstand.
Dabei ist Dillon, ähnlich Maïa Vidal, ein von den sozialen Medien ermöglichtes Phänomen: Mit neunzehn postet sie erste Videos von sich am elterlichen Klavier auf MySpace und Youtube, die solch einen Erfolg haben, dass 2008 die 3-Track-EP „Ludwig“ folgt – minimalistischer Elektro-LoFi-HipHop-Pop, komponiert auf ihrem Roland-PC-180. Natürlich dürfen auch die passenden Live-Auftritte nicht fehlen, beispielsweise als Vorband von Tocotronic. Obwohl sich die Blogger weltweit vor Begeisterung überschlagen, hat Dillon nicht das Bedürfnis, ein „Youtube-Star“ zu werden: Sie studiert erst einmal Fotografie, bevor sie sich entschließt, dann doch ein ganzes Album zu produzieren. Dem ist es ohrenfällig gut bekommen, dass es so lange auf sich warten ließ, hat es doch die HipHop-Kinderstube der EP abgestreift und präsentiert sich als Werk eines mit dekontextualisierenden Electrosounds flirtenden Singer/Songwriters. Wären nicht diese teils undurchdringlichen Klangflächen, klänge This Silence Kills schon fast nach Ninja-Tune’s-Folk-Troubadour Fink oder der auf DJ Kozes Pampa Records veröffentlichenden Elektroakustikerin Ada. Und tatsächlich hört man Dillons Debüt-Longplayer die Zugehörigkeit zu Ellen Alliens Berliner Techno-Label BPitch Control einzig beim letzten Song „Abrupt Clarity“ an, denn eine Techno-Platte ist This Silence Kills ansonsten mit Sicherheit nicht – es sei denn, man ist bereit, dem Genre eine Weiterentwicklung in akustischere Gefilde zu einer Art Singer-Songwriter-Techno zuzugestehen.
This Silence Kills ist lieblich genug, um als Pop-Platte durchzugehen und experimentell genug, um als Kunst-Projekt ernst genommen zu werden. Wie das eben so ist bei den Künstlerinnen, die sich selbst via Internet erschaffen: Fixen Genregrenzen fühlen die sich nicht unterworfen. Hören Sie also am besten selbst! Anspieltipp ist neben der Singleauskopplung „Tip Tapping“ das düster-reduzierte „From One To Six Hundred Kilometers”. Mein absolutes Lieblingslied ist aber nach wie vor das von Jens Lenkmans „Pocketful Of Money“ inspirierte „Thirteen Thirtyfive“ mit seinem „I come running with a heart on fire“-Refrain. Irgendwie klar, dass bei Dillon nicht die Konstellation Lolita/älterer Mann besungen wird, nein, hier ist die Protagonistin des Songs fünfunddreißig, während der, der ihre Beine in Spaghetti verwandelt, erst dreizehn ist … This Silence Kills gibt es auch als Vinyl.