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Christina Lux | Lyambiko | Leonard Cohen | Solveig Slettahjell | Alex Winston | Florian Fleischer | The Stewardesses | El Bosso & Die Ping Pongs

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Christina Lux | Lyambiko | Leonard Cohen | Solveig Slettahjell | Alex Winston | Florian Fleischer | The Stewardesses | El Bosso & Die Ping Pongs

Victoriah Szirmai / Februar 2012

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Christina Lux | Lyambiko | Leonard Cohen | Solveig Slettahjell | Alex Winston | Florian Fleischer | The Stewardesses | El Bosso & Die Ping Pongs

Christina Lux | Playground

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Im schönen Rheinland hat Christina Lux den Status eines bloßen Geheimtipps schon längst hinter sich gelassen. Dort feiert die von ihren Anhängern nur „die Lux“ Genannte spätestens seit ihrem 2005er-Auftritt auf dem Montreux Jazz Festival und ihrem ersten „richtigen“ Debütalbum „Coming Home At Last“ (2006) Erfolge, während ich hier im kalten Berlin eher durch Zufall auf die gitarrespielende Sängerin/Songwriterin stieß: Nämlich, als ich vor fast auf den Tag genau einem Jahr an einem rauen, preußischen Winterabend Soulsänger Stephan Scheuss live hören wollte und dieser kurzerhand seine ehemalige Vocaleros-Mitstreiterin mitbrachte. Eigentlich war es sogar umgekehrt, denn die Lux bestritt das Hauptprogramm des Abends. „Der ursprüngliche Plan war, Stephan Scheuss zu hören und nach Hause zu gehen. Doch schon das erste Lied von Christina Lux und vor allem ihre Stimme haben mich derart geflasht, dass ich mich zum Bleiben entschloss“, notierte ich damals in meinem Scrapbook. Davon, dass besagter Song nichts von seinem Flash-Potenzial eingebüßt hat, konnte ich mich beim Hören von „Playground“ überzeugen. „Forget You“ heißt er und eröffnet die aktuelle Produktion der Lux.

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In Zusammenarbeit mit dem Dresdner Gitarristen und Perkussionisten Reentko entstanden, weist der intime Songzyklus von Playground einen poetischen und chilligen Unterton auf und gemahnt damit einerseits an den Klang- und Gedankenkosmos von Joni Mitchell, scheint aber andererseits auch durchaus dem Geiste cooler britischer Indie-Soul-Diven verhaftet zu sein. So beispielsweise könnte „Longing“ direkt einer Platte von Des’ree oder Gabrielle entstammen. Wenn die Lux jedoch in ihre Muttersprache wechselt, klingt sie weitaus weniger smooth, wie beispielsweise das Schokoladen-auf-der-Zunge-zergeh-Lied „Es ist gut so“ beweist, das mit einem opulenten Cello-Arrangement besticht und auf dem mich Christina Lux‘ Gesang eher an Meike Koesters „Seefahrerherz“ erinnert. Und manchmal glaubt man gar, dass Tracy Chapmans folkloristischer Blues um die Ecke lugt.

Rein musikalisch betrachtet ist das minimalistisch instrumentierte Playground ein eher ruhiges Album (auch wenn die Texte oftmals alles andere als kuschelig sind), und man kann nur hoffen, dass ihm – vor allem aufgrund der gleichzeitig intensiven und zurückhaltenden Produktion Reentkos, die unter dem Motto „Akustikgitarre paart sich mit dezentestem Elektrogeschnassel und jazziger Flüsterstimme“ zu stehen scheint – nicht unverdientermaßen das Schicksal einer Lounge-CD beschieden ist, die zur akustischen Aufwertung von hippen Cafés und Klamottenläden genutzt wird.

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Ausnahmen im ruhigen Fluss sind Stücke wie das hochenergetische „Head Held High“, das auch das „Nutbush City Limits“ der 2010er-Jahre sein könnte und vom ersten Ton an gehörig knallt sowie „War Torn“, das unvermittelt die Regler hochdreht, die elektronischen Gitarren jaulen und das Schlagwerk gewittern lässt. „Vergehen“ holt den Hörer dann, nicht zuletzt aufgrund des wunderschönen Spiels von Jazz-Cellist Stephan Braun, wieder sanft herunter. Das ist wie Fallschirmschweben!

Am schönsten aber ist immer noch die Lux ganz pur, wie beispielsweise auf „Defenses“: Nur sie und ihre Gitarre, denen sich nach einiger Zeit Reentkos dezente Sounds zugesellen. Ohnehin ist Playground ein Lehrstück nicht nur traditioneller Songwriter-Kunst, sondern auch klassischen Liedaufbaus. Die meisten Songs beginnen a cappella oder zumindest nur gitarrenbegleitet, bauen sich allmählich auf und steigern sich zum großen Finale. Ein Fest!

Lyambiko | Sings Gershwin

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Ähnlich wie bei Playground könnte der oberflächliche Hörer auch bei „Lyambiko sings Gershwin“ geneigt sein, die Platte vorschnell in die Smooth-Jazz-Ecke abzuschieben, denn so richtig spielfreudig à la Good Morning Lilofee oder Poesiealbum wird das mittlerweile siebte Studioalbum der in Thüringen geborenen Sängerin erst zur Mitte des vierten Tracks „Somebody Loves Me“. Dann aber!

Nach ihrem letzten Album „Something Like Reality“, das sich neben Eigenkompositionen auch der Neuinterpretation von Popsongs verschiedener Stile und Epochen widmete, schließt „Lyambiko sings Gershwin“ wieder an den Geist der vorangegangenen Veröffentlichung „Saffronia“ an, wo sich die Sängerin am Liedgut Nina Simones versuchte. „…sings Gershwin“ schließt eine Trilogie der Lyambiko-Rezensionen in diesem Medium, und das Album, soviel sei vorweggenommen, ist das Beste dieser drei. Und dabei vermutlich auch das Unwägbarste, denn schließlich kursieren Tausende von Gershwin-Interpretationen – allein die Anzahl der „Summertime“-Versionen gilt als in der Musikgeschichte unübertroffen, und Künstler von Ella Fitzgerald bis Janis Joplin haben hier Maßstäbe gesetzt. Für Lyambiko hat sich die Frage gestellt, wie man Stücken, deren berühmteste Interpretationen bereits tief im kulturellen Gedächtnis verankert sind, gerecht werden kann. Will man etwas völlig Neues wagen oder sich ganz und gar auf das Original besinnen? Die Sängerin beschreibt es als „einzig richtigen Weg“, sich selbst in dieser Musik zu suchen – wobei dies durchaus auch das Partitur-Studium beinhaltete, aus dem sie gemeinsam mit ihren Mitmusikern langsam ihre ureigene Interpretation herausschälte.

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Und tatsächlich gelingt es Lyambiko, vor allem aber ihren Marque Lowenthal (Klavier), Robin Draganic (Bass) und Heinrich Koebberling (Schlagzeug), das tausendundeinmal gehörte „Summertime“ und andere Evergreens wie „Nice Work If You Can Get It“ oder „‘S Wonderful“ immer noch oder immer wieder spannend klingen zu lassen, was schlicht und ergreifend als große Leistung bezeichnet werden kann. Und dabei krempeln sie den Song keineswegs um; im Gegenteil, alles in allem ist „Lyambiko sings Gershwin“ eine nachgerade klassische Auslegung des Materials, klassisch auch im Sinne von zeitlos-modern. Großartig auch die kleinen Zwischen- und Querverweise, etwa wenn Lyambiko am Ende von „I Got Rhythm“ auf das erst viel später im Tracklisting folgende „Fascinating Rhythm“ vorgreift!

Allein mit „Who Cares“ bin ich nicht besonders glücklich, aber das kann auch an dem Song liegen, dessen Komposition mir nicht liegt. Umgekehrt wird aber auch ein Schuh draus: Der wohl coolste Song des Albums, „Slap that Bass“, ist einfach schon von Haus aus mit dieser unglaublich effektvollen Kontrabass-Stimme-Instrumentierung angelegt, da kann man als versierter Jazzer nicht mehr viel falsch machen. Zwar endet der 15-Song-Zyklus mit „How Long Has This Been Going On?“ ebenso smooth, wie er angefangen hat, doch gelingt es Lyambiko und ihren Musikern mit „… sings Gershwin“ keine Best-of-Werkschau zu betreiben, sondern ein sehr lebendiges, zeitgenössisches Jazzalbum vorzulegen.

Leonard Cohen | Old Ideas

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Nachdem Leonard Cohen auf „Live In London 2008“ seinen Hits aus fast fünf Jahrzehnten endlich die musikalische Form verlieh, die sie schon immer verdient hatten und längst hätten haben sollen, präsentiert er nach zwei weiteren Live-Mitschnitten mit „Old Ideas“ wieder neues Material. Und tatsächlich mögen zwar die Songs neu sein, die Ideen sind es nicht, denn das Album kreist um Cohens bevorzugte poetische Themen, die nichts Geringeres als die existenziellen Motive menschlichen Seins beinhalten: die Beziehung zu einem transzendentalen Wesen, Liebe, Sexualität, Verlust und Tod.

Auch musikalisch bleibt Cohen Senior der großen spirituellen Ballade treu. Allein der Opener „Going Home“ – ein einziges Gebet, in das aber durchaus schon einmal ein „lazy bastard living in a suit“ eingeschlossen wird. Bezeichnenderweise ist der Folgetrack „Amen“ trotz seines Titels weniger geheiligt; und böse Stimmen mögen der um Pseudo-Exotismus bemühten Begleitmusik hier schon mal Alleinunterhalter-Flair attestieren, aber ach, die unvergleichliche Stimme Cohens – und nicht zu vergessen der einzigartige Sound seiner sich gar nicht so sehr im Hintergrund haltenden Backgroundsängerinnen Sharon Robinson und The Webb Sisters (Hattie and Charley Webb) und das Duett zwischen Trompete und Geige – macht auch diesen Song zum Niederknien schön. Sollen die doch alle meckern. Ich liebe diese Platte schon nach zwei Liedern heiß und innig und gebe sie nie nie wieder her.

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Okay, Track drei mit seinem aufdringlichen Streicher und dem „Show me the Place“-Refrain zuckert auch mir etwas zu sehr. Und was ist das da auf „Darkness“? Ist das etwa Bluegrass? Schnell weiter, denn dann kommt auch schon „Anyhow“, was vielleicht nicht sonderlich inspiriert sein mag, dafür aber verdammt sexy, wie der alte Mann da so „I dreamed about you, baby“, flüstert, und dass er „now naked and filthy“ sei. Sofort heiraten würde ich den, würde er fragen, sofort!

Zugegebenermaßen: „Old Ideas“ hat stellenweise Easy Listening-Qualitäten. „Banjo“ zum Beispiel ist eine Nummer, die man am freundlichsten als „altersgemäß“ beschreiben kann. Der alte Mann und das Meer, äh, das broken Banjo. Aber Cohen wäre nicht Cohen, wenn es nicht auch hier ein paar subversive Balkan-Bläser gäbe, die nahezu unbemerkt im Hintergrund agieren. Der alte Mann und der Humor? Gut möglich! „Lullaby“ allerdings mundharmonikat ganz unerträglich vor sich hin, mitsamt einem programmierten Synthie-Beat, den ich so tatsächlich eher von der einschlägigen Biergarten-Alleinunterhalter-Szene erwarten würde. Rein musikalisch betrachtet ist der Mittelteil von „Old Ideas“ schon hart an der Grenze. Aber dann wieder der bestrickende Zwiegesang Cohens und Robinsons beziehungsweise der Webb-Sisters, der selbst dieser schlageresken Nummer einen mythischen Zauber verleiht. Wie macht der das nur?

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„Old Ideas“ beweist, dass auch für das Einzelalbum gilt, was schon für das Gesamtwerk Geltung beansprucht: das Beste kam zuerst. Nachdem Leonard Cohen schon ganz zu Beginn seiner Karriere 1967 Hits wie „Suzanne“ geschrieben hatte, ja, was sollte da noch kommen? Ähnlich hier: Mit dem unglaublich starken „Going Home“ hat Cohen sein Pulver weitestgehend verschossen. Erst das Schlussstück „Different Sides“ schließt den Kreis zu dem tollen Opener, und ich weiß nicht, welchen der beiden Song ich mehr lieben soll. Ein anbetungswürdiges Lied, dem es auch an der lennytypischen Sexyness nicht mangelt. Tolles Teil!

Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass ich im Grunde nur drei Songs des Albums liebe – die übrigen sieben halte ich sogar für komplett verzichtbar. Die drei Geliebten allerdings reichen aus, das ganze Album zu lieben und nie mehr herzugeben.

Solveig Slettahjell | Anthologie

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Wer die vorangegangene Kritik gelesen hat, weiß jetzt mit Sicherheit eines: Leonard Cohen zu covern ist ein Sakrileg. Zumindest ein Wagnis. Ähnliches gilt für Tom Waits, an dessen Songs viele scheitern – man denke hier nur an die singende Schauspielerin Scarlett Johansson, die sich auf „Anywhere I Lay My Head“ an den Songs des Kaliforniers versuchte. Die norwegische Sängerin Solveig Slettahjell wagt sich dessen ungeachtet an die übermächtigen Originale Cohens und Waits – und außerdem noch an Stücke von solch höchst unterschiedlichen Künstlern wie beispielsweise den Stones, Paul McCartney, Radiohead, Annie Lennox, Cindy Lauper oder dem Projekt Gnarls Barkley, hinter dem sich HipHop Produzent Danger Mouse und Sänger Cee-Lo Green verbergen. Letzteres übrigens – ein im Original hochgradig Beat-getriebenes und recht elektronisiertes Stück nur mit Stimme und Klavier zu covern – kann man nur als genial bezeichnen, wenn es gut geht. Im Falle Solveig Slettahjells und ihres ebenso langjährigen Freundes wie kongenialen Begleiters Morten Qvenild geht es gut. Meistens zumindest.

Eröffnet wird „Anthologie“ von der Rolling Stones-Nummer „Wild Horses“, die zuletzt als Duett von Alicia Keys und Maroon 5-Sänger Adam Levine (den ich, für den Fall, dass es mit Leonard Cohen nicht klappt, auch sofort heiraten würde) ungeheure Popularität erreicht hat. Slettahjells Version ist zwar weniger druckvoll, aber nichtsdestoweniger nachhaltig. Leider kann man das nicht von allen Songs des Albums sagen, denn so manche Interpretation ist entweder arg pathetisch geraten wie beispielsweise der Hidden Track oder belanglos („There There“) oder schlicht enorm nervig („Fly“). Nicht zuletzt hat sie mir mit der für Nordlichter wohl unvermeidlichen Abba-Coverversion von „The Winner Takes It All“ einen ebenso unangenehmen wie hartnäckigen Ohrwurm beschert. Abba covern darf aber nur Gitarrist David Sick ungestraft.

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Abgesehen von den genannten Ausnahmen aber besticht die „Anthologie“ neben der eklektizistischen Songauswahl vor allem durch durchweg elegante Arrangements. Fast könnte man meinen, man habe es hier mit einem klassischen Piano-Jazz-Album zu tun, bevor man realisiert, dass es sich um aller Schnörkel entledigte Popsongs handelt. Kühl, distanziert, ja nahezu spröde ist der Blick der beiden Musiker auf ihr Ausgangsmaterial, sodass bei manchen der Songs die Grenze zwischen Interpretation und Neuschöpfung verwischt. Wunderschön die Version von Cohens „Famous Blue Raincoat“, die von dem akzentuierten Klavierspiel Qvenilds getragen wird. Ohnehin ist „Anthologie“ definitiv als Duo-Produktion zu sehen und nicht als weiteres Soloprojekt von Solveig Slettahjell. Dem traumwandlerischen Vertrauen der beiden Musiker zueinander ist ihre mehr als zehnjährige Zusammenarbeit anzuhören; hier sind zwei zusammen gewachsen und mithin bei den Lieblingssongs ihrer Jugend angekommen. „Geborgte Songjuwelen“ nennen sie selbst ihre Auswahl, die nur einem Kriterium genügen musste: subjektivem Gefallen. Und das gefällt auch objektiv.

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Plattenkritik: Christina Lux | Lyambiko | Leonard Cohen | Solveig Slettahjell | Alex Winston | Florian Fleischer | The Stewardesses | El Bosso & Die Ping Pongs

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