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Instrumental & integrativ

April 2017 / Victoriah Szirmai

Bonobo – Migration

Was macht eigentlich New Electro Acoustic, diese „Tanzmusik für Intellektuelle“? Gerade noch der dernier cri, wirkt die Paarung computergenerierter Beats und organischer Instrumente spätestens seit der rollenden Singer/Songwriter-Welle seltsam anachronistisch. So ist es dann auch seit 2013 still um einen der Helden der Szene geworden, Produzent Simon Green aka Bonobo. Jetzt ist er wieder da und beweist: Auch (oder gerade) inmitten bärtiger, akustikgitarrenbehängter Hipster-Barden, die wimmernd ihre intimsten und doch oh-so-allgemeingültigen Befindlichkeiten zum Besten geben, kann Elektroakustisches seinen Platz behaupten.

Bonobo | Migration Cover

Mit seinem sechsten Album Migration definiert der Brite nicht nur sein persönliches Verständnis von Identität und Heimat als Spannungsfeld zwischen dem Ort, an dem man sich gerade befindet versus jenem, von dem man kommt, sondern auch seine musikalische Positionsbestimmung neu. Wo er bislang auf big female voices – von Bajka bis Andreya Triana – setzte, kommen diese auf der neuen Platte zum Großteil gerademal in Form von Samples zum Zuge, denn Migration baut weitestgehend auf Instrumentales, vor allem auf Streicher, aber auch Flöten, Flügelhörner und Bassklarinetten, die für cinematoskopische Soundstrukturen sorgen.

Mittels des titelgebenden Tracks nähert sich die Platte traumgleich: Über einem sanft wabernden Rhythmus verlangt ein einsamer, verhaltender, durch permanente Wiederholung nichtsdestoweniger fordernder, ja: weckergleicher Klavierton Aufmerksamkeit für das, was er noch zu sagen hat und gibt damit den Startschuss für eine phantastische Reise, auf der er verlässlicher Begleiter ist, so, wie er sicher über die elektronischen Untergründe, die auch schon mal Abgründe sein können, trägt. Doch will er nicht nur begleiten, sondern auch führen, gleichsam Reiseleiter sein durch eine Klangwelt, in der sich Schlagzeugsoli mit collagenartigen Klangflächen abwechseln. Temporeicher geht es auf „Break Apart“ mit seinem nervösen, leierkastenartigen Beat weiter, der nach Konterkarikatur verlangt. Die kommt prompt mit den verhauchten Vocals des kanadisch-dänischen Indie-Duos Rhye, das seine Karriere als Internet-Mysterium begann, als noch niemand wusste, dass Instrumentalist Robin Hannibal und Sänger Mike Milosh, der sich einen ätherisch-androgynen Stil zum Markenzeichen gemacht hat, dahinterstecken. Wie auch immer: Ein großartiger Song, der nach der Repeat-Taste geradezu schreit!

Bonobo | Migration 1.1

Mit dem geräuschig-instrumentalen „Outlier“ wird das Album fassbarer, ganz so, als wäre die Traumreise jetzt vorbei und man müsse zusehen, wie man sich in der – gar nicht mal so unfreundlichen – Realität durchschlägt. Und dann folgt mit „Grains“ auch schon der Höhepunkt des Albums: Hier lässt Green über einem schleppenden TripHop-Beat ein Pete-Seeger-Sample mit Streichern im Duett singen, und es ist gar nicht so leicht, die menschliche und die instrumentale Stimme voneinander zu scheiden. Ob nun die Streicher beängstigend menschlich klingen oder Seegers Stimme verwirrend instrumental erscheint: „Grains“ ist ein kleines Meisterwerk der Produzierkunst – und gleichzeitig ein spirituelles Kleinod, nach dessen Genuss man das Album abschalten möchte, um es nachklingen zu lassen.

Doch versteht Green es, mit „Second Sun“, das durch sein unterzuckertes Streicherarrangement besticht, sanft die Tür zu den restlichen Tracks aufzustoßen. Zum Beispiel zum irgendwo zwischen Chill-out und rockigeren Klängen mäandernden „Surface“, das Hundred Waters-Sängerin/Pianistin/Flötistin Nicole Miglis die Bühne bereitet, oder dem raumschiffpiepsenden „Bambro Koyo Ganda“ mit Innov Gnawa – einem New Yorker Musikerkollektiv, das sich der rituellen Gnawa Musik Marokkos verschrieben hat, die Green hier mit pumpenden Technobässen unterlegt. „Kerala“ vereint Repetitiv-Spieluhrenartiges mit Tiefergelegt-Pulsierendem und einem Brandy-Sample, während „Ontario“ völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint – sowohl vor- als auch rückwärts. Und wenn dann noch der aus Saxophon, Trompete, Flügelhorn und Posaune bestehende Chor aus allen Rohren feuert, ist das nichts weniger denn erhebend.

Da kommt das New Wave-Reminiszenzen weckende „No Reason“ mit Nick Murphy aka Chet Faker gerade recht, das sich nach fünf Minuten vom Future Soul- zum Deep House-Track wandelt und alle Entrücktheit vertreibt. Noch mehr Stampf gibt’s auf „7th Sevens“, der ab und an von zarten Flötentönen angehalten wird, nur um danach umso unerbittlicher weiterzupumpen, während der auf einem Elkie Brooks-Sample basierende Closer „Figures“ atmosphärisch an Marvin Gayes „Trouble Man“ erinnert und sich mit einer Streichercoda so sanft aus dem Album stiehlt, wie es sich angeschlichen hat.

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Llorca – The Garden

Llorca | The Garden Cover

Wo Bonobo meistenteils auf kompositorischen Alleingang setzt, ist das aktuelle Album seines französischen Gegenparts Ludovic Llorca deutlich stärker von Zusammenarbeit geprägt. Die zehn neuen Tracks des DJs und Produzenten sind in enger Partnerschaft mit dem jeweils tonangebenden Vokalisten entstanden und stehen ganz im Zeichen retrofuturistischer Funk- und Soul-Grooves. Wer Ben L’Oncle Soul oder Allen Stone liebt, kommt um The Garden nicht drum herum. Da gibt es vogelgezwitscherunterlegten Midtempo-Funk wie auf dem titelgebenden Opener, der mich an Pimps immer gern gehörte „In The River“-EP erinnert, Titel wie das dank Frank H Carter III vokalstarke „You“ mit gute Laune verbreitendem Streicherüberguss oder Düster-Ambientiges mit an Isaac-Hayes- oder Bootsy-Collins-Produktionen erinnerndem Basslauf und Hitchcockscore-artigem Streicherarrangement wie „Waiting“.

Spätestens der drängende Pianogroove und die nicht minder dringlichen Vocals von Mawogany Wood auf „Make Your Own Choice“ lassen aber ahnen, dass The Garden kein bloßer Sonntagsfrühstückssoundtrack ist – schließlich ist es Llorca eben nicht um regressives Neospießertum in Form von Urban Gardening oder Rückzug in die Kleingartenidylle zu tun, sondern eher um die Flucht aus der Geborgenheit des heimischen Gartens, die von Stücken wie dem schwül-sinnlichen „All Right“ mit dem als Georg von dem Bussche geborenen Berliner Soul-Gentleman Georg Levin an den Vocals vorgetäuscht wird. Eine Art weibliches Pendant zu Levins Gesang findet sich auf „Rather Be Lonely“ in Gestalt der Stimme der Pariser Soul-Queen Laëtitia Dana, deren Phrasierung vor allem auf zarte rhythmische Zäsuren setzt. Die wiederum spiegeln sich im an Marvin Gaye erinnernden Falsett von Samuel „Sapele“ Lancine auf dem streicherumwobenen „Wonder Why“.

Llorca | The Garden 2.1

Den relaxten Fluss, der bislang nur von den etwas irritierenden Spoken-Word-Szenen zwischen einzelnen Songs gestört wird, unterbricht Llorca mit „All We Ever Have Is Now“, einem Stück Partymucke à la Kool & The Gangs „Celebration“, das der packenden Stimme von – nicht mit dem gleichnamigen TV-Doktor zu verwechselnden! – Großmeister Stefan Frank huldigt, die dem Funk-Fan schon von George Clintons 1995er Our Gang Funky bestens vertraut ist. Mit dem offiziellen Closer „Addiction Days“ samt den supersinnlichen Vocals von der unlängst mit ihrem Dancehall-goes-Dark-Swing-Cover von Erykah Badus „On & On“ auf YouTube für Furore sorgenden Halley Hiatt, die von einer gedämpften Trompete umspielt, ge- und letztendlich verlockt werden, entführt das Album in den Verbotenen Garten, durch den man sich nur noch flüsternd zu bewegen getraut, bevor es mit dem Hidden Track „Trigger Happy“ noch einmal Stefan Frank strahlen lässt, der auch als großer Polit-Entertainer eine gute Figur macht. Message verpacken in Partyklänge: Das kann Llorca wie kein anderer.

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