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Bahama Soul Club | Bajka | Edgar Knecht | Triosence | A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Bahama Soul Club | Bajka | Edgar Knecht | Triosence | A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate
  2. 2 Bahama Soul Club / Bossa Nova Just Smells Funky
  3. 3 Bajka / Escape From Wonderland
  4. 4 Edgar Knecht / Good Morning Lilofee
  5. 5 Triosence feat. Sara Gazarek / Where Time Stands Still

Victoriah Szirmai / Oktober 2010

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Bahama Soul Club | Bajka | Edgar Knecht | Triosence | A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | C½ur de Pirate

Bahama Soul Club / Bossa Nova Just Smells Funky

Bahama Soul Club / Bossa Nova Just Smells Funky

In der letzten Ausgabe von Victoriah’s Music habe ich Ihnen mit den 2raumwohnungsremixen „eine letzte Hochsommerplatte“ versprochen. Nun, gelogen war das nicht, denn hier kommt die allerletzte Hochsommerplatte dieses Jahres – die sich aber ebenso gut als Soundtrack für einen goldenen Oktober eignet: Bossa Nova Just Smells Funky der aus dem JuJu Orchestra hervorgegangenen niedersächsischen Bossanova-Funk-Kombo Bahama Soul Club um Produzent Oliver Belz. Und ja, ich kenne die Vorbehalte gegen noch eine – oder sollte es besser heißen: nicht schon wieder eine? – Bossa-Scheibe. Warum diese hier aber sein muss? Zum einen, weil es sich eben nicht um die x-te Bossa-Nova-Platte handelt; vielmehr wird hier die zum brasilianischen Synonym für Leichtigkeit und Lebensfreude gewordene Musik in ein weites Spannungsfeld von Soul, Afrolatin und Jazz eingebettet. Zum anderen, weil man ob des Retrosounds der Platte glauben könnte, es mit lange verschollenen Dancefloor-Jazz-Originalaufnahmen der 60er- oder 70er-Jahren zu tun zu haben – ein Effekt, an dem mittels authentischer Analogtechnik lange getüftelt wurde.

Zum Dritten und, wie ich glaube, Wichtigsten: Weil diese Platte einfach Spaß macht. Die Musiker zeichnen sich durch eine schier unglaubliche Spielfreude aus, die sich innerhalb kürzester Zeit auf den Hörer überträgt! Wer kann beispielsweise bei Serious Soul mit John Turrell an den Vocals ruhig auf seinem Stuhl sitzen bleiben? Mit seinen nervösen Rhythmen und der energiegeladenen Gesangslinie könnte es direkt aus einem der Shaft-Filme entsprungen sein. Tatsächlich wurde es im letzten Jahr von der Sportschau verwendet, um die Bundesliga-Höhepunkte des Tages zu untermalen … Überhaupt ist die Rhythmusfraktion getreu dem Titel des Vorgängeralbums Rhythm Is What Makes Jazz Jazz die treibende Kraft des Albums, unterstützt von einer den Groove aufgreifenden Jazzgitarre und einer schlag- beziehungsweise lungenkräftigen Bläsersektion, kommentiert vom Vintagesound der Keys.

Bahama Soul Club / Bossa Nova Just Smells Funky

Garniert wird das Ganze mit solch aufregenden Stimmen wie jener der Holländerin Sitzka (Junkie), der Österreicherin Bella Wagner (Experience In Jazz), des Amy-Winehouse-Mitstreiters Xantoné Blacq (Open Wide) oder eben von Pat Appleton, die mit Sugar Cane nicht nur eine großartige Bossa-Bop-Nummer abliefert, sondern mit Boca Chica/Tangossa auch noch einen eleganten Electrotango. Acid-jazzig wird es dann auf True mit Bajka, deren nach dem ersten Hören im Ohr bleibende Stimme irgendwo zwischen Singen und Sprechen schon seit fünfzehn Jahren zahlreiche Nujazz- und Chillout-Produktionen zuverlässig veredelt. Das riecht nicht nur funky, das ist es auch.

Bajka / Escape From Wonderland

Bajka / Escape From Wonderland

True vom Album Bossa Nova Just Smells Funky diente in einer anderthalb-Minuten-Version schon als Intro des im Februar dieses Jahres erschienenen Bajka-Debüts In Wonderland – einem klassischen Konzeptalbum. Hier nahm sich die in Indien geborene, in Portugal und Südafrika aufgewachsene und nun in Berlin lebende Sängerin mit der katzigen Macy-Gray-Stimme der Nonsensballade The Hunting of the Snark (Die Jagd auf den Snark – eine Agonie in acht Krämpfen) des Alice im Wunderland-Schöpfers Lewis Carroll an – jeder Song ein Kapitel.

In klassischer Trio-Besetzung gewinnt die Sängerin gemeinsam mit ihren beiden musikalischen Mitstreitern, den profilierten Jazzern Daniel Regenberg (Klavier, Rhodes) und Jerker Kluge (Kontrabass), der Carroll’schen Allegorie irgendwo zwischen NuJazz, NuSoul und Spoken Word eine leichte, intuitiv ihre Bedeutung erfassende Interpretation ab. Ergänzt um Drummer Philipp Bernhardt sowie ein Streichquartett und eine Bläser-Sektion, wird hier das musikalische Thema ebenso wie das lyrische zur Metapher auf die allgegenwärtige, wenngleich unterbewusste Suche nach subjektiver Glückseligkeit. Und ganz so, wie sich Carrolls fiktive Jagdgesellschaft an den viktorianischen Zwängen abarbeitet und beständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung oszilliert, gehen Exposition und Variationen der zentralen musikalischen Themen mit beständigen Quer-, Zwischen- und Rückverweisen eine unauflösbare Verflechtung ein und ziehen so eine schier endlose, phantastische Schleife, die das Ende der Carroll’schen Erzählung – der Snark stellt sich als Boojum heraus, und in der Tat könnte jetzt alles von vorn beginnen – fabelhaft transzendiert.

BajkaZwar ist die musikalische Adaption der Jagd auf den Snark nichts Neues – so lieferte beispielsweise Mike Batt 1987 mit The Hunting Of The Snark ein einschlägiges Konzeptalbum ab, während im selben Jahr der norwegische Komponist mit Return of the Snark für Posaune und Tonband reüssierte -, doch begeisterte Bajkas Adaption der Snarkjagd nicht nur das Publikum, sondern auch Kollegen so sehr, dass sie das Label der Sängerin förmlich mit Remix-Anfragen überschütteten. ChinChin Records gab nach und bei den besten Remixern beziehungsweise Produzenten aus dem Lounge/Electro/NuJazz-Bereich wie eben dem Bahama Soul Club, den Basement Freaks, den Renegades of Jazz oder Dr. Rubberfunk, achtzehn Remixe in Auftrag, von denen dreizehn schließlich ihren Weg auf Escape From Wonderland fanden. Herausgekommen ist etwas, was man am ehesten mit „Tanzmusik für Intellektuelle“ umschreiben kann: ein traumhaft schönes Album, das mir persönlich noch besser gefällt als das Original, denn es behandelt das ursprüngliche Material mit großem Respekt, versetzt es aber sogar noch mehr ins Symbolische, Märchenhafte, Phantastische. Schließlich bedeutet Bajka im Slawischen ja Märchen.

Edgar Knecht / Good Morning Lilofee

Edgar Knecht / Good Morning Lilofee

Märchenhaft im doppelten Sinne nimmt sich auch ein zweites Konzeptalbum aus. Zum einen im Wortsinn, hat sich der Kasseler Tastenvirtuose hier doch des siechen teutonischen Volksgutes angenommen, genauer gesagt: sechs traditionellen Volks-, Kirchen- und Kinderliedern – zwei Eigenkompositionen mengt er elegant unter. Zum anderen auf märchenhafte Weise meinungsrevidierend, denn auf Good Morning Lilofee werden all jene, die nie ahnten, dass sie einmal zu urdeutschen Songs wie Der König von Thule, Maria durch den Dornwald ging oder auch Auf einem Baum ein Kuckuck seufzen, lachen und grooven würden, ja, sie gar für altbacken hielten, eines Besseren belehrt.

Nach kurzem, getragenem Auftakt eröffnet Knecht mit seinem Trio (Rolf Denecke am Bass, Stephan Emig beziehungsweise Tobias Schulte an den Drums) das Album rasant und mit ebenso viel Swing wie Humor – wird hier doch aus Heißa Kathreinerle kurzerhand ein „Heißes Kathreinerle“. Kaum mag man glauben, dass sich hinter diesen Loussier’schen Barock-Jazz-Akkorden und den hinreißend südamerikanisierten Rhythmen, in denen die ausgesprochene Latin-Vorliebe Knechts mehr als nur um die Ecke lugt, das beinahe vergessene Volksgut verbirgt. Doch ja, das sind sie tatsächlich, die alten Lieder. Irgendwo freit auf der Platte mit dem Karpfencover der wilde Wassermann, während Maria durch den Dornwald geht und afrikanischer Sechsachtel- mit deutschem Dreivierteltakt im Kanon eine weitere Hochzeit feiert. Mein persönliches Lieblingsstück neben Maria ist die Ballade vom alten Zecher, dem König von Thule, deren letzte Tiefen Knecht in einer berauschenden 10:28-Minuten-Version auslotet, irgendwo zwischen Beethoven und Salsa. Schließlich habe Edgar Knecht seiner Selbstauskunft zufolge zuerst klassisches Klavier studiert, bevor er Salsa für sich entdeckte und über eine lange Zeit Latin-Jazz spielte, nur um festzustellen, dass diese Musik auf Wurzeln beruht, die die seinen nicht sind.

Edgar Knecht Trio

Bei der Suche nach seiner eigenen musikalischen Identität, um nicht zu sagen: Authentizität, sei er schließlich auf die Volkslieder und Balladen gestoßen, die ihn seine Großeltern, aber auch seine Mutter noch, gelehrt haben. Durch seine eigene Vaterschaft sei er unlängst wieder mit seiner Kindheit und ihrem Liedgut konfrontiert worden – sowie der Entdeckung, dass hier seine musikalischen Wurzeln liegen. Alles, was Knecht bislang gemacht habe, schlösse sich mit Good Morning Lilofee zu einem Kreis, womit das Album weitaus mehr ist als die Neuinterpretation wiederentdeckter Weisen: nämlich der – vorläufige – Abschluss des künstlerischen Reifeprozesses eines Individuums.

Das veranlasste selbst die Kollegen der gestrengen FAZ zu dem hingerissenen Ausruf: „Eine solche Musik hat die Welt wohl noch nicht gehört!“ Deutschtümler hingegen werden, wie der englisch-sprachige Titel wohl schon deutlich macht, enttäuscht, denn Lagerfeuerkameradschaft und pathetische „Heimattreue“ sucht man auf Good Morning Lilofee vergeblich.

Triosence feat. Sara Gazarek / Where Time Stands Still

Triosence feat. Sara Gazarek / Where Time Stands Still

Den Schlagzeuger Stephan Emig haben wir ja schon auf Good Morning Lilofee gehört – und das ist leider auch das Beste, was über das neue Album von Triosence gesagt werden kann, das sich treffenderweise die Weisheit „früher war alles besser“ zum Motto machen müsste. Pianist Bernhard Schüler und Bassist Ingo Senst komplettieren die aktuelle Besetzung des 1999 gegründeten Trios, das mit Where Time Stands Still sein mittlerweile viertes Album vorlegt. Ohne Gründungsmitglied Matthias Nowak am Bass, dafür ergänzt um die amerikanische Jazz-Sängerin Sara Gazarek. Die mag zwar „the next important jazz singer“ (Los Angeles Times) sein, doch in Zusammenarbeit mit Triosence wirkt sie einfach nur langatmig und -weilig. Das mag an den gefälligen Stücken des Albums liegen, allesamt Eigenkompositionen Schülers, der auch als Produzent fungiert. Nun, immerhin betritt das Trio mit dieser Kollaboration Neuland.

Bislang glänzten die Produktionen als reine Instrumentalstücke, denen jedoch schon immer eine Seelenverwandtschaft zu Songs innewohnte, sodass diese Entwicklung nur ein logischer Schritt war. Schon das erste Stück schleicht sich auf ätherischen Samtpfotengitarrenklängen und perlenden Pianokaskaden an, doch leider gerät – und das soll für den Rest der Platte symptomatisch bleiben – es spätestens zum Refrain sehr schnell sehr kommerziell. Schade um das eigentlich schöne Stück! Man hört Triosence den sprichtwörtlichen „will to please“ an, man will gefallen, man will unterhalten, nichts Abgedrehtes, Wildes, Experimentelles, bloß keinen Free- oder NuJazz. Das kann funktionieren. Es gibt großartige Classic Jazz Produktionen. Doch obwohl es durchaus bezaubernde Momente aufweist – etwa Sekunde 15 bis 35 von Truly, bevor der Song samt überladenem Refrain ins Kitschige kippt, oder das Pianosolo auf In Silence, umtanzt von Gazareks gehauchten Vokals, das an Black Is The Color Of My True Love’s Hair in der Version von Jasper Van’t Hof und Bob Malach erinnert und mir den Glauben an Schüler zumindest teilweise zurück gibt, oder den Summer Song, wo die Musiker endlich in die sprichwörtlichen Puschen kommen -, fehlt es Where Time Stands Still im Großen und Ganzen an Tiefe, und so hat man bestenfalls ein Album, welches man getrost unter den Weihnachtsbaum legen kann und das von der Oma zum Enkel niemandem weh tun wird.

Triosence feat. Sara Gazarek / Where Time Stands Still

Schmerzfrei muss der Musikliebhaber aber schon sein, sich bei dieser besseren Kreuzfahrt- oder Hochzeitsuntermalungsmusik nicht zu Tode zu langweilen. Vielleicht haben Triosence Pech, dass ich sie nach Edgar Knecht gehört habe – die Kluft zwischen diesen beiden Alben ist himmelweit. Oder vielleicht bin ich nur voreilig, und auch bei Where Time Stands Still würde sich nach 5-maligem Hören der sattsam bekannte Verbesserungs-, weil Gewohnheitseffekt einstellen – allein, ich werde es nie erfahren, denn ich schaffe die Platte nicht einmal ein zweites Mal. Wenn Sie Gründe kennen, weshalb das überhaupt jemand versuchen sollte, dann schreiben Sie mir.

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Dan D'Agostino

Plattenkritik: Bahama Soul Club | Bajka | Edgar Knecht | Triosence | A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate

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