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Berlin Lounge | Martina Topley Bird | Andreya Triana | Kathrin Scheer | Peder af Ugglas | Fredrika Stahl | Thomas Quasthoff | Stephan Scheuss

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Berlin Lounge | Martina Topley Bird | Andreya Triana | Kathrin Scheer | Peder af Ugglas | Fredrika Stahl | Thomas Quasthoff | Stephan Scheuss
  2. 2 Berlin Lounge / The Finest German Downtempo Selection

    Berlin Lounge

    Das Ganze war eine Erfindung der New Economy. Ob Sie es nun Chillout, Ambient, Lo-fi, Lounge, Downtempo, Smooth Jazz oder schlechterdings Klangtapete nennen möchten - die unaufdringlichen, halb elektronischen, halb organischen Klänge störten weder bei Business Lunch noch Afterwork Party. Kein Wunder, dass sie fortan wie Pilze aus dem Boden schossen, und mit ihnen die neuen, leisen Helden einer ganzen Generation von Musikhörern: Massive Attack, Morcheeba, Moloko oder Thievery Corporation, Nightmares on Wax, Kruder & Dorfmeister hat wohl ein jeder in seinem CD-Regal stehen. Das Problem mit dieser Musik ist: Sie gefällt jedem. Als kleinsten gemeinsamen Nenner zeitgenössischen Musikgeschmacks setzte ihr Benjamin Stuckrad-Barre, einer der Hauptakteure des ebenfalls der New Economy entsprungenen Phänomens namens „Pop Literatur“, in seinem Roman Soloalbum ein Denkmal. Dort bittet eine Partybekanntschaft den Erzähler, die DJ Kicks des Wiener Duos Kruder & Dorfmeister aufzulegen:

    „Platten wie eben die oder auch Portishead, Daft Punk, Massive Attack oder so sind ein echtes Problem - gute Musik, aber eben doch von allen so gnadenlos gerngemocht, dass man wirklich wieder dieses gymnasiale Abgrenzungsproblem aufkeimen spürt: Die sind blöd, die können also auch keine gute Musik hören. Und Umkehrschluss: Dann ist ja vielleicht doch die Musik doof? Ist sie natürlich nicht. Trotzdem ist DJ Kicks jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit die Köln Concerts dieser Generation.“

    Mehr als eine Dekade später und lange nachdem die New Economy zugrunde gegangen ist, erfreut sich Loungemusik in all ihren Spielarten immer noch ungebrochener Beliebtheit. Die damaligen Protagonisten arbeiten mal mehr, mal weniger erfolgreich an der Erneuerung des Genres (siehe zum Beispiel: Thievery Corporatio, Morcheeba), und auch einschlägige Sampler werden in die jeweils nächste Runde geschickt. Gelangweilt davon? Das wäre schade, denn hier kommt eine Compilation, die Sie nicht verpassen sollten, und das aus gleich drei Gründen.

    Berlin Lounge

    Erstens: Warum in die Ferne schweifen oder: Es muss nicht immer Morcheeba sein. Auch in Deutschland gibt es großartige Downbeat-Acts. Wenn Sie diese bislang noch nicht kennen, können Sie durch Berlin Lounge. The Finest German Downtempo Selection von Wagram Music eine musikalische Bildungslücke schließen. So kompakt bekommen Sie die etablierten heimischen Genre-Vertreter, bei denen es sich keinesfalls nur um Berliner handelt, nie wieder. Hier tummelt sich alles, was Rang und Namen hat, von Micatone und Boozoo Bajou über RE:Jazz und Jazzanova bis hin zu Lützenkirchen und De-Phazz, deren Album Lala 2.0 ich, nebenbei bemerkt, bislang für das Album des Jahres halte - und das nicht nur wegen des genialen Titels! Für den Frischekick sorgen ausgesuchte Newcomer der Szene, die das Doppel-Album auch für Kenner interessant machen.

    Zweitens: Berlin Lounge ist um Klassen cooler als es Café del Mar je war. Vielleicht haben Sie ja auch die eine oder andere Party zu beschallen und einen Ruf zu verlieren ... Und schließlich drittens: Neben ausgemachten Electro-, Lounge- und Chillout-Acts finden Sie hier das großartige Duett Come Marry Me der Berlin-Balkan-Connection Ms Platnum und Peter Fox. Sollten Sie dieses bisher aus welchen abstrusen Gründen auch immer noch nicht kennen, etwa, weil Sie die letzten zwei Jahre auf dem Mond verbracht haben, dann wird es jetzt höchste Zeit. Ein Über-Song, der sich überraschend gut in diesen Sampler einfügt - das muss daran liegen, dass hier eigentlich nur tolle Titel vertreten sind. Ein Sampler ohne Schwachpunkt. Das ist auch selten.

    Martina Topley Bird / Some Place Simple

    Martina Topley Bird

    Weil wir schon einmal dabei sind: Bleiben wir doch bei „Downtempo“ und „großartig“, schon haben wir die Zutaten für das dritte Werk der Topley-Bird. Regelmäßigen Lesern muss die Pop Noir-Musikerin wohl nicht mehr vorgestellt werden, schließlich hatte es mir ihr Album The Blue God zu sehr angetan.

    Neu im eigentlichen Sinne sind die Songs auf Some Place Simple nicht. Vielmehr hat Martina Topley-Bird ihre persönlichen Favoriten aus den beiden letzten Alben Quixotic und The Blue God mit brüchiger Stimme zu den trockenen Klängen von entweder gedämpfter Akustikgitarre, afrikanischem Daumenklavier, Glockenspiel oder Orgel im Rahmen ihrer Live-Auftritte neu eingespielt. Stellenweise sogar komplett a capella ist Some Place Simple eher ein Unplugged- denn klassisches Live-Album. Bis auf wenige Ausnahmen spielt Martina Topley-Bird solo, oftmals nur ergänzt um Englands Top-Perkussionisten Fergus Gerrand, der allerlei Schlagwerk clever und versiert bedient.

    Da gibt es den Topley-Bird Klassiker Baby Blue, der auf drei Akkorde eines mexikanischen Party-Songs zurückgeht oder meinen Favoriten Phoenix, dessen knödelige Keyboardparts die Affinität der Musikerin zu kambodschanischer 60er-Jahre-Musik anklingen lassen. Das karibisch anmutende Da Da Da, das gänzlich ohne Lyrics auskommt. Oder Poison mit seiner treibenden Xylofonbegleitung. Rockig wird es bei den Sandpaper Kisses mit schweren Gitarren und Hau-drauf-Schlagzeug. Schlagzeuglastig bleibt es auch bei All Day, einem Duett zwischen Stimme und Drums. Beim nächsten Song Ilya dann Vocals und Fingerschnippen, begleitet von der live multiplizierten Gesangsstimme - eine Loopstation macht den Effekt möglich.

    Martina Topley Bird

    Dank der minimalistischen Herangehensweise wird hier, was auf The Blue God noch düster und unheilvoll daherkommt, leicht und hell. Die reduzierte Instrumentierung lässt keinen Platz für Überproduktion; die Songs sind oftmals nur ein oder zwei Minuten kurz und erinnern mit ihren tröstlichen Melodien an Schlaflieder, die man jeden Abend gern wieder hören möchte. Eigentlich hat die Topley-Bird mit Some Place Simple eine Folk-Platte gemacht. Tragischer TripHop wird hier volkstümlich im besten Sinne. Und trotzdem nicht simpel, denn dieses feine Wunderwerk entfaltet mit jedem neuen Hören einen weiteren Teil seiner - zunächst verborgenen - Komplexität.

    Andreya Triana / Lost Where I Belong

    Andreya Triana, Lost Where I Belong

    Der britische Produzent und DJ Simon „Bonobo“ Green, der schon Bajka zum Durchbruch verhalf, hat ein Händchen für ungewöhnliche Vokalistinnen mit Wurzeln im Spoken Word-Sektor. Kein Wunder, dass er auch für das Debütalbum Lost Where I Belong der Londoner Autodidaktin Andreya Triana verantwortlich zeichnet. Diese begann bereits im zarten Alter von sieben Jahren mit dem Schreiben eigener Lieder, wobei sie sich von ihrer multikulturellen Südlondoner Umgebung inspirieren ließ. Zehn Jahre später konnte man sie nachts auf diversen Open Mic-Veranstaltungen antreffen, während sie sich tagsüber ihrem Tonmeisterstudium widmete. Nach ihrem Abschluss entschied sich Andreya Triana jedoch für die andere Seite der Regler, tourte als Frontsängerin mit verschiedenen Formationen aus dem Funk-, Nu Soul- und Latin Jazz-Bereich, um schließlich eine Solokarriere einzuschlagen. Eine Anzahl von Gastauftritten auf den Alben anderer Künstler folgte, bei denen sie ihren experimentellen Gesangsstil vervollkommnete, der schließlich in von ihr „FreeFlo Sessions“ getauften Home-Recording-Sitzungen seinen vorläufigen Niederschlag fand.

    Mit Lost Where I Belong teilt Andreya Triana ihren musikalischen Kosmos nun auch mit dem Rest der Welt. Schon der Opener Draw The Stars nimmt den Hörer behutsam an die Hand und führt ihn ins Triana’sche Klangreich ein. Die Marimbas erinnern an die Topley-Bird, doch mildert Triana den ungewöhnlichen Sound mit einlullenden Streichern ab. Das gefällt sofort, ohne aber je gefällig zu sein.

    Der zweite, titelgebende Track, ist zwar rhythmusgetriebener, aber immer noch schläfrig. Überhaupt haftet dem ganzen Album etwas angenehm Verschlafenes an.

    Andreya TrianaAndreya Triana haucht sich durch die neun Tracks; mühelos erklimmt ihre Stimme jene Höhen, die bei Sängern wie Mariah Carey einfach nur anstrengend wirken, hier aber als luftig-leichte Hochseilakrobatik daherkommen. Und selbst wenn sie ihre Message nachdrücklich auf den Punkt bringt, klingen die mal rauchig-heiseren, mal spielerisch losgelösten Vocals von Andreya Triana immer noch tiefenentspannt. Wie Neneh Cherry oder Lauryn Hill nach Einnahme eines Muskelrelaxans, wie Sade gepaart mit etwas Jazzclub und einigen urbanen Szenen. Bei allem bleibt sie aber immer unverbindlich und schwerelos, selten schön, um genau zu sein. Anspieltipp: Daydreamers, vom Lie In The Sound-Kollegen Christoph Brandl aufs Treffendste als „zauberhafte Verflüsterung“ bezeichnet.

    Kathrin Scheer / Rare

Victoriah Szirmai / Dezember 2010

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Berlin Lounge | Martina Topley Bird | Andreya Triana | Kathrin Scheer | Peder af Ugglas | Fredrika Stahl | Thomas Quasthoff | Stephan Scheuss

Berlin Lounge / The Finest German Downtempo Selection

Berlin Lounge

Das Ganze war eine Erfindung der New Economy. Ob Sie es nun Chillout, Ambient, Lo-fi, Lounge, Downtempo, Smooth Jazz oder schlechterdings Klangtapete nennen möchten – die unaufdringlichen, halb elektronischen, halb organischen Klänge störten weder bei Business Lunch noch Afterwork Party. Kein Wunder, dass sie fortan wie Pilze aus dem Boden schossen, und mit ihnen die neuen, leisen Helden einer ganzen Generation von Musikhörern: Massive Attack, Morcheeba, Moloko oder Thievery Corporation, Nightmares on Wax, Kruder & Dorfmeister hat wohl ein jeder in seinem CD-Regal stehen. Das Problem mit dieser Musik ist: Sie gefällt jedem. Als kleinsten gemeinsamen Nenner zeitgenössischen Musikgeschmacks setzte ihr Benjamin Stuckrad-Barre, einer der Hauptakteure des ebenfalls der New Economy entsprungenen Phänomens namens „Pop Literatur“, in seinem Roman Soloalbum ein Denkmal. Dort bittet eine Partybekanntschaft den Erzähler, die DJ Kicks des Wiener Duos Kruder & Dorfmeister aufzulegen:

„Platten wie eben die oder auch Portishead, Daft Punk, Massive Attack oder so sind ein echtes Problem – gute Musik, aber eben doch von allen so gnadenlos gerngemocht, dass man wirklich wieder dieses gymnasiale Abgrenzungsproblem aufkeimen spürt: Die sind blöd, die können also auch keine gute Musik hören. Und Umkehrschluss: Dann ist ja vielleicht doch die Musik doof? Ist sie natürlich nicht. Trotzdem ist DJ Kicks jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit die Köln Concerts dieser Generation.“

Mehr als eine Dekade später und lange nachdem die New Economy zugrunde gegangen ist, erfreut sich Loungemusik in all ihren Spielarten immer noch ungebrochener Beliebtheit. Die damaligen Protagonisten arbeiten mal mehr, mal weniger erfolgreich an der Erneuerung des Genres (siehe zum Beispiel: Thievery Corporatio, Morcheeba), und auch einschlägige Sampler werden in die jeweils nächste Runde geschickt. Gelangweilt davon? Das wäre schade, denn hier kommt eine Compilation, die Sie nicht verpassen sollten, und das aus gleich drei Gründen.

Berlin Lounge

Erstens: Warum in die Ferne schweifen oder: Es muss nicht immer Morcheeba sein. Auch in Deutschland gibt es großartige Downbeat-Acts. Wenn Sie diese bislang noch nicht kennen, können Sie durch Berlin Lounge. The Finest German Downtempo Selection von Wagram Music eine musikalische Bildungslücke schließen. So kompakt bekommen Sie die etablierten heimischen Genre-Vertreter, bei denen es sich keinesfalls nur um Berliner handelt, nie wieder. Hier tummelt sich alles, was Rang und Namen hat, von Micatone und Boozoo Bajou über RE:Jazz und Jazzanova bis hin zu Lützenkirchen und De-Phazz, deren Album Lala 2.0 ich, nebenbei bemerkt, bislang für das Album des Jahres halte – und das nicht nur wegen des genialen Titels! Für den Frischekick sorgen ausgesuchte Newcomer der Szene, die das Doppel-Album auch für Kenner interessant machen.

Zweitens: Berlin Lounge ist um Klassen cooler als es Café del Mar je war. Vielleicht haben Sie ja auch die eine oder andere Party zu beschallen und einen Ruf zu verlieren … Und schließlich drittens: Neben ausgemachten Electro-, Lounge- und Chillout-Acts finden Sie hier das großartige Duett Come Marry Me der Berlin-Balkan-Connection Ms Platnum und Peter Fox. Sollten Sie dieses bisher aus welchen abstrusen Gründen auch immer noch nicht kennen, etwa, weil Sie die letzten zwei Jahre auf dem Mond verbracht haben, dann wird es jetzt höchste Zeit. Ein Über-Song, der sich überraschend gut in diesen Sampler einfügt – das muss daran liegen, dass hier eigentlich nur tolle Titel vertreten sind. Ein Sampler ohne Schwachpunkt. Das ist auch selten.

Martina Topley Bird / Some Place Simple

Martina Topley Bird

Weil wir schon einmal dabei sind: Bleiben wir doch bei „Downtempo“ und „großartig“, schon haben wir die Zutaten für das dritte Werk der Topley-Bird. Regelmäßigen Lesern muss die Pop Noir-Musikerin wohl nicht mehr vorgestellt werden, schließlich hatte es mir ihr Album The Blue God zu sehr angetan.

Neu im eigentlichen Sinne sind die Songs auf Some Place Simple nicht. Vielmehr hat Martina Topley-Bird ihre persönlichen Favoriten aus den beiden letzten Alben Quixotic und The Blue God mit brüchiger Stimme zu den trockenen Klängen von entweder gedämpfter Akustikgitarre, afrikanischem Daumenklavier, Glockenspiel oder Orgel im Rahmen ihrer Live-Auftritte neu eingespielt. Stellenweise sogar komplett a capella ist Some Place Simple eher ein Unplugged- denn klassisches Live-Album. Bis auf wenige Ausnahmen spielt Martina Topley-Bird solo, oftmals nur ergänzt um Englands Top-Perkussionisten Fergus Gerrand, der allerlei Schlagwerk clever und versiert bedient.

Da gibt es den Topley-Bird Klassiker Baby Blue, der auf drei Akkorde eines mexikanischen Party-Songs zurückgeht oder meinen Favoriten Phoenix, dessen knödelige Keyboardparts die Affinität der Musikerin zu kambodschanischer 60er-Jahre-Musik anklingen lassen. Das karibisch anmutende Da Da Da, das gänzlich ohne Lyrics auskommt. Oder Poison mit seiner treibenden Xylofonbegleitung. Rockig wird es bei den Sandpaper Kisses mit schweren Gitarren und Hau-drauf-Schlagzeug. Schlagzeuglastig bleibt es auch bei All Day, einem Duett zwischen Stimme und Drums. Beim nächsten Song Ilya dann Vocals und Fingerschnippen, begleitet von der live multiplizierten Gesangsstimme – eine Loopstation macht den Effekt möglich.

Martina Topley Bird

Dank der minimalistischen Herangehensweise wird hier, was auf The Blue God noch düster und unheilvoll daherkommt, leicht und hell. Die reduzierte Instrumentierung lässt keinen Platz für Überproduktion; die Songs sind oftmals nur ein oder zwei Minuten kurz und erinnern mit ihren tröstlichen Melodien an Schlaflieder, die man jeden Abend gern wieder hören möchte. Eigentlich hat die Topley-Bird mit Some Place Simple eine Folk-Platte gemacht. Tragischer TripHop wird hier volkstümlich im besten Sinne. Und trotzdem nicht simpel, denn dieses feine Wunderwerk entfaltet mit jedem neuen Hören einen weiteren Teil seiner – zunächst verborgenen – Komplexität.

Andreya Triana / Lost Where I Belong

Andreya Triana, Lost Where I Belong

Der britische Produzent und DJ Simon „Bonobo“ Green, der schon Bajka zum Durchbruch verhalf, hat ein Händchen für ungewöhnliche Vokalistinnen mit Wurzeln im Spoken Word-Sektor. Kein Wunder, dass er auch für das Debütalbum Lost Where I Belong der Londoner Autodidaktin Andreya Triana verantwortlich zeichnet. Diese begann bereits im zarten Alter von sieben Jahren mit dem Schreiben eigener Lieder, wobei sie sich von ihrer multikulturellen Südlondoner Umgebung inspirieren ließ. Zehn Jahre später konnte man sie nachts auf diversen Open Mic-Veranstaltungen antreffen, während sie sich tagsüber ihrem Tonmeisterstudium widmete. Nach ihrem Abschluss entschied sich Andreya Triana jedoch für die andere Seite der Regler, tourte als Frontsängerin mit verschiedenen Formationen aus dem Funk-, Nu Soul- und Latin Jazz-Bereich, um schließlich eine Solokarriere einzuschlagen. Eine Anzahl von Gastauftritten auf den Alben anderer Künstler folgte, bei denen sie ihren experimentellen Gesangsstil vervollkommnete, der schließlich in von ihr „FreeFlo Sessions“ getauften Home-Recording-Sitzungen seinen vorläufigen Niederschlag fand.

Mit Lost Where I Belong teilt Andreya Triana ihren musikalischen Kosmos nun auch mit dem Rest der Welt. Schon der Opener Draw The Stars nimmt den Hörer behutsam an die Hand und führt ihn ins Triana’sche Klangreich ein. Die Marimbas erinnern an die Topley-Bird, doch mildert Triana den ungewöhnlichen Sound mit einlullenden Streichern ab. Das gefällt sofort, ohne aber je gefällig zu sein.

Der zweite, titelgebende Track, ist zwar rhythmusgetriebener, aber immer noch schläfrig. Überhaupt haftet dem ganzen Album etwas angenehm Verschlafenes an.

Andreya TrianaAndreya Triana haucht sich durch die neun Tracks; mühelos erklimmt ihre Stimme jene Höhen, die bei Sängern wie Mariah Carey einfach nur anstrengend wirken, hier aber als luftig-leichte Hochseilakrobatik daherkommen. Und selbst wenn sie ihre Message nachdrücklich auf den Punkt bringt, klingen die mal rauchig-heiseren, mal spielerisch losgelösten Vocals von Andreya Triana immer noch tiefenentspannt. Wie Neneh Cherry oder Lauryn Hill nach Einnahme eines Muskelrelaxans, wie Sade gepaart mit etwas Jazzclub und einigen urbanen Szenen. Bei allem bleibt sie aber immer unverbindlich und schwerelos, selten schön, um genau zu sein. Anspieltipp: Daydreamers, vom Lie In The Sound-Kollegen Christoph Brandl aufs Treffendste als „zauberhafte Verflüsterung“ bezeichnet.

Kathrin Scheer / Rare

Kathrin Scheer / Rare

Und gleich noch ein Debüt. Das Muster im CD-Inlay erinnert mich an die Tapete im Siebziger-Jahre-Badezimmer meiner Kindheit. Sie glasfaserte enorm, immer, wenn man ihr zu nahe kam, kriegte man – brizzel! – eine gewischt. Das ist aber auch das Einzige, was Kathrin Schers Erstling mit vergangenen Zeiten gemeinsam hat. Zwar gibt einige wenige Klangzitate der früheren Grandes Dames der Jazz-Szene, während das mit reichlich Taxigehupe unterlegte Metropolenatmo-Intro die Platte im Hier und Jetzt verortet, ansonsten aber scheint die zeitlose Musik auf Rare schon immer dagewesen zu sein, nicht Retro, nicht modern, ohne Beginn, ohne Ende, ein kontinuierlicher Strom aus Klang und Zeit.

Wie im Schaumbad dümpelt man in Kathrin Scheers Liedern, die am ehesten als Contemporary Jazz mit einem guten Schuss Pop zu beschreiben sind, wohlig vor sich hin. Dass die Eigenkompositionen erst das Debüt der Kölnerin markieren sollen, ist schwer vorstellbar: zu ausgereift klingt die Stimme, zu selbstverständlich der Stil. Der Hörer glaubt, beides schon irgendwo gehört zu haben. Und tatsächlich ist Kathrin Scheer kein musikalisches Greenhorn mehr. Schließlich ging sie bereits vor zehn Jahren als beste Sängerin aus dem Bundesrock- und Popwettbewerb hervor, steuerte ihre Songs zu diversen Filmproduktionen bei (darunter Kassenschlager wie Wilde Hühner) und brilliert im Berliner Vokalensemble Klangbezirk.

Und auch das eingespielte Quartett, das neben Scheer aus Olaf Drewes (Klavier), Markus Bender (Bass) und Heiko Brau (Schlagzeug) besteht, existiert schon seit gut fünf Jahren. Vielleicht ist das die Erklärung für das Wohlige in der Musik Kathrin Scheers, auch wenn sie selbst es eher mit dem Wort „melancholisch“ beschreiben würde. Verzehrende Sehnsucht und wehmütigen Weltschmerz jedenfalls findet man auf Rare nicht. Eher Träume, Ruhe und – ja – Geborgenheit.

Kathrin Scheer

Kathrin Scheer schreibt unaufgeregte, tröstliche Songs, wo nichts Verstörendes unter der Oberfläche brodelt, und ist damit im besten Sinne anachronistisch. Auch ihre Mitstreiter haben es nicht nötig, durch ewige Soli oder ausufernde Improvisationen auf ihr Können aufmerksam zu machen. Auf Rare fügt sich alles ineinander; für das exotische Element sorgen allenfalls Gastmusiker wie Julia Klomfass, die eine Singende Säge bedient. Ansonsten keine Dämonen, nirgends. Das Besänftigende des Albums kumuliert in dem Song Little Night Music mit Til Schneider an der Posaune und Frederik Köster am Flügelhorn – ein ferner Vorgeschmack auf die Weihnacht im Geiste von Pachelbels Kanon. Zum Abschluss gibt es noch ein bisschen Grillengezirpe in Sechsachtel: The Night Is Young (And So Are We) könnte glatt ein Easy Listening-Klassiker aus der Feder Burt Bacharachs sein, mit einer Reprise, die jede gehobene 50er- und 60er-Jahre-Gesellschaft stilecht unterhalten würde. Mir allerdings gefällt Justanothersong am besten, das mit der Melodie wirklich großer Herzbrecherballaden gesegnet ist. Kathrin Scheers Gespür für Stile, Gefühle und Melodien erweist sich hier einmal mehr als äußerst treffsicher.

Welches auch immer Ihr ganz persönlicher Favorit des Albums ist – getriebene Geister werden Rare als puren Nervenbalsam erleben.

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Plattenkritik: Berlin Lounge | Martina Topley Bird | Andreya Triana | Kathrin Scheer | Peder af Ugglas | Fredrika Stahl | Thomas Quasthoff | Stephan Scheuss

  1. 1 Berlin Lounge | Martina Topley Bird | Andreya Triana | Kathrin Scheer | Peder af Ugglas | Fredrika Stahl | Thomas Quasthoff | Stephan Scheuss
  2. 2 Berlin Lounge / The Finest German Downtempo Selection

    Berlin Lounge

    Das Ganze war eine Erfindung der New Economy. Ob Sie es nun Chillout, Ambient, Lo-fi, Lounge, Downtempo, Smooth Jazz oder schlechterdings Klangtapete nennen möchten - die unaufdringlichen, halb elektronischen, halb organischen Klänge störten weder bei Business Lunch noch Afterwork Party. Kein Wunder, dass sie fortan wie Pilze aus dem Boden schossen, und mit ihnen die neuen, leisen Helden einer ganzen Generation von Musikhörern: Massive Attack, Morcheeba, Moloko oder Thievery Corporation, Nightmares on Wax, Kruder & Dorfmeister hat wohl ein jeder in seinem CD-Regal stehen. Das Problem mit dieser Musik ist: Sie gefällt jedem. Als kleinsten gemeinsamen Nenner zeitgenössischen Musikgeschmacks setzte ihr Benjamin Stuckrad-Barre, einer der Hauptakteure des ebenfalls der New Economy entsprungenen Phänomens namens „Pop Literatur“, in seinem Roman Soloalbum ein Denkmal. Dort bittet eine Partybekanntschaft den Erzähler, die DJ Kicks des Wiener Duos Kruder & Dorfmeister aufzulegen:

    „Platten wie eben die oder auch Portishead, Daft Punk, Massive Attack oder so sind ein echtes Problem - gute Musik, aber eben doch von allen so gnadenlos gerngemocht, dass man wirklich wieder dieses gymnasiale Abgrenzungsproblem aufkeimen spürt: Die sind blöd, die können also auch keine gute Musik hören. Und Umkehrschluss: Dann ist ja vielleicht doch die Musik doof? Ist sie natürlich nicht. Trotzdem ist DJ Kicks jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit die Köln Concerts dieser Generation.“

    Mehr als eine Dekade später und lange nachdem die New Economy zugrunde gegangen ist, erfreut sich Loungemusik in all ihren Spielarten immer noch ungebrochener Beliebtheit. Die damaligen Protagonisten arbeiten mal mehr, mal weniger erfolgreich an der Erneuerung des Genres (siehe zum Beispiel: Thievery Corporatio, Morcheeba), und auch einschlägige Sampler werden in die jeweils nächste Runde geschickt. Gelangweilt davon? Das wäre schade, denn hier kommt eine Compilation, die Sie nicht verpassen sollten, und das aus gleich drei Gründen.

    Berlin Lounge

    Erstens: Warum in die Ferne schweifen oder: Es muss nicht immer Morcheeba sein. Auch in Deutschland gibt es großartige Downbeat-Acts. Wenn Sie diese bislang noch nicht kennen, können Sie durch Berlin Lounge. The Finest German Downtempo Selection von Wagram Music eine musikalische Bildungslücke schließen. So kompakt bekommen Sie die etablierten heimischen Genre-Vertreter, bei denen es sich keinesfalls nur um Berliner handelt, nie wieder. Hier tummelt sich alles, was Rang und Namen hat, von Micatone und Boozoo Bajou über RE:Jazz und Jazzanova bis hin zu Lützenkirchen und De-Phazz, deren Album Lala 2.0 ich, nebenbei bemerkt, bislang für das Album des Jahres halte - und das nicht nur wegen des genialen Titels! Für den Frischekick sorgen ausgesuchte Newcomer der Szene, die das Doppel-Album auch für Kenner interessant machen.

    Zweitens: Berlin Lounge ist um Klassen cooler als es Café del Mar je war. Vielleicht haben Sie ja auch die eine oder andere Party zu beschallen und einen Ruf zu verlieren ... Und schließlich drittens: Neben ausgemachten Electro-, Lounge- und Chillout-Acts finden Sie hier das großartige Duett Come Marry Me der Berlin-Balkan-Connection Ms Platnum und Peter Fox. Sollten Sie dieses bisher aus welchen abstrusen Gründen auch immer noch nicht kennen, etwa, weil Sie die letzten zwei Jahre auf dem Mond verbracht haben, dann wird es jetzt höchste Zeit. Ein Über-Song, der sich überraschend gut in diesen Sampler einfügt - das muss daran liegen, dass hier eigentlich nur tolle Titel vertreten sind. Ein Sampler ohne Schwachpunkt. Das ist auch selten.

    Martina Topley Bird / Some Place Simple

    Martina Topley Bird

    Weil wir schon einmal dabei sind: Bleiben wir doch bei „Downtempo“ und „großartig“, schon haben wir die Zutaten für das dritte Werk der Topley-Bird. Regelmäßigen Lesern muss die Pop Noir-Musikerin wohl nicht mehr vorgestellt werden, schließlich hatte es mir ihr Album The Blue God zu sehr angetan.

    Neu im eigentlichen Sinne sind die Songs auf Some Place Simple nicht. Vielmehr hat Martina Topley-Bird ihre persönlichen Favoriten aus den beiden letzten Alben Quixotic und The Blue God mit brüchiger Stimme zu den trockenen Klängen von entweder gedämpfter Akustikgitarre, afrikanischem Daumenklavier, Glockenspiel oder Orgel im Rahmen ihrer Live-Auftritte neu eingespielt. Stellenweise sogar komplett a capella ist Some Place Simple eher ein Unplugged- denn klassisches Live-Album. Bis auf wenige Ausnahmen spielt Martina Topley-Bird solo, oftmals nur ergänzt um Englands Top-Perkussionisten Fergus Gerrand, der allerlei Schlagwerk clever und versiert bedient.

    Da gibt es den Topley-Bird Klassiker Baby Blue, der auf drei Akkorde eines mexikanischen Party-Songs zurückgeht oder meinen Favoriten Phoenix, dessen knödelige Keyboardparts die Affinität der Musikerin zu kambodschanischer 60er-Jahre-Musik anklingen lassen. Das karibisch anmutende Da Da Da, das gänzlich ohne Lyrics auskommt. Oder Poison mit seiner treibenden Xylofonbegleitung. Rockig wird es bei den Sandpaper Kisses mit schweren Gitarren und Hau-drauf-Schlagzeug. Schlagzeuglastig bleibt es auch bei All Day, einem Duett zwischen Stimme und Drums. Beim nächsten Song Ilya dann Vocals und Fingerschnippen, begleitet von der live multiplizierten Gesangsstimme - eine Loopstation macht den Effekt möglich.

    Martina Topley Bird

    Dank der minimalistischen Herangehensweise wird hier, was auf The Blue God noch düster und unheilvoll daherkommt, leicht und hell. Die reduzierte Instrumentierung lässt keinen Platz für Überproduktion; die Songs sind oftmals nur ein oder zwei Minuten kurz und erinnern mit ihren tröstlichen Melodien an Schlaflieder, die man jeden Abend gern wieder hören möchte. Eigentlich hat die Topley-Bird mit Some Place Simple eine Folk-Platte gemacht. Tragischer TripHop wird hier volkstümlich im besten Sinne. Und trotzdem nicht simpel, denn dieses feine Wunderwerk entfaltet mit jedem neuen Hören einen weiteren Teil seiner - zunächst verborgenen - Komplexität.

    Andreya Triana / Lost Where I Belong

    Andreya Triana, Lost Where I Belong

    Der britische Produzent und DJ Simon „Bonobo“ Green, der schon Bajka zum Durchbruch verhalf, hat ein Händchen für ungewöhnliche Vokalistinnen mit Wurzeln im Spoken Word-Sektor. Kein Wunder, dass er auch für das Debütalbum Lost Where I Belong der Londoner Autodidaktin Andreya Triana verantwortlich zeichnet. Diese begann bereits im zarten Alter von sieben Jahren mit dem Schreiben eigener Lieder, wobei sie sich von ihrer multikulturellen Südlondoner Umgebung inspirieren ließ. Zehn Jahre später konnte man sie nachts auf diversen Open Mic-Veranstaltungen antreffen, während sie sich tagsüber ihrem Tonmeisterstudium widmete. Nach ihrem Abschluss entschied sich Andreya Triana jedoch für die andere Seite der Regler, tourte als Frontsängerin mit verschiedenen Formationen aus dem Funk-, Nu Soul- und Latin Jazz-Bereich, um schließlich eine Solokarriere einzuschlagen. Eine Anzahl von Gastauftritten auf den Alben anderer Künstler folgte, bei denen sie ihren experimentellen Gesangsstil vervollkommnete, der schließlich in von ihr „FreeFlo Sessions“ getauften Home-Recording-Sitzungen seinen vorläufigen Niederschlag fand.

    Mit Lost Where I Belong teilt Andreya Triana ihren musikalischen Kosmos nun auch mit dem Rest der Welt. Schon der Opener Draw The Stars nimmt den Hörer behutsam an die Hand und führt ihn ins Triana’sche Klangreich ein. Die Marimbas erinnern an die Topley-Bird, doch mildert Triana den ungewöhnlichen Sound mit einlullenden Streichern ab. Das gefällt sofort, ohne aber je gefällig zu sein.

    Der zweite, titelgebende Track, ist zwar rhythmusgetriebener, aber immer noch schläfrig. Überhaupt haftet dem ganzen Album etwas angenehm Verschlafenes an.

    Andreya TrianaAndreya Triana haucht sich durch die neun Tracks; mühelos erklimmt ihre Stimme jene Höhen, die bei Sängern wie Mariah Carey einfach nur anstrengend wirken, hier aber als luftig-leichte Hochseilakrobatik daherkommen. Und selbst wenn sie ihre Message nachdrücklich auf den Punkt bringt, klingen die mal rauchig-heiseren, mal spielerisch losgelösten Vocals von Andreya Triana immer noch tiefenentspannt. Wie Neneh Cherry oder Lauryn Hill nach Einnahme eines Muskelrelaxans, wie Sade gepaart mit etwas Jazzclub und einigen urbanen Szenen. Bei allem bleibt sie aber immer unverbindlich und schwerelos, selten schön, um genau zu sein. Anspieltipp: Daydreamers, vom Lie In The Sound-Kollegen Christoph Brandl aufs Treffendste als „zauberhafte Verflüsterung“ bezeichnet.

    Kathrin Scheer / Rare