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Schon beim ersten „Kurz-mal-Reinhören“ fällt mir eine der typischen Eigenschaften und – meines Erachtens – Stärken von Sehring-Lautsprechern ins Ohr: Unaufgeregtheit. Wenn Sie nun süffisant zu Schnarchgeräuschen vor Ihrem Bildschirm ansetzen möchten – nur zu. Dennoch hat dieser leider etwas schwer in Worte zu fassende Charakterzug nichts mit Langeweile gemein. Zumal, darauf gehe ich weiter unten noch ausführlicher ein, gerade die 903 in Sachen Dynamik zweifelsohne lebendige Lautsprecher sind. Wenn man sie – mit 83 dB/W/m keine Wirkungsgrad-Überflieger – denn nicht gerade mit schwachbrüstigen Single-Ended-Trioden-Verstärkern oder sonstigen Watt-Luschen ermüdet.
Nein, die suggerierte Ruhe im Klangbild resultiert vielmehr aus der Abwesenheit jeglicher künstlicher Spratzeleien, Zischeleien, Glanzeffekte oder sonstiger Ecken und Kanten, die bei manchen Komponenten aufs erste Hören bisweilen sogar recht anmachend, zackig-energetisch und erfrischend wirken können, in der Musik im Grunde aber nichts verloren haben. Und meist um so störender auf den Plan treten, je länger man mit dem (neuen) Gerät intensiv hört – nicht selten sind dann plötzlich andere (ältere) Komponenten oder die Kabel schuld, die vorher doch eigentlich untadelig ihren Dienst verrichteten – und das Anlagenkarussell beginnt sich geldbeutelstrapazierend zu drehen … Ein Risiko, das sich mit derartig wie den Sehring 903 abgestimmten Lautsprechern signifikant im Zaum halten lässt.
Aber wie dem auch sei: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der eine oder andere Hörer, der exaltiertere Lautsprecher gewohnt ist, die 903 im Anfangsmoment als weniger „funkenschlagend“ bewertet. Hören Sie den Berlinern dann – um beim Stichwort zu bleiben – in Ruhe einfach mal etwas länger zu – und fragen sich nach einiger Zeit erneut, ob Sie tatsächlich irgendetwas vermissen … Ähnliches würde ich etwa auch beim Probehören der Spendor SP 100R2 empfehlen – meine aktuellen Arbeitslautsprecher -, wenngleich diese im Vergleich zu den Sehring 903 nicht zuletzt in Sachen Dynamik und Auflösung tatsächlich verhaltener zur Sache gehen, um damit schon einmal ein wenig vorzugreifen.
Bevor wir uns noch tiefer in den Hörparcours begeben, einige Anmerkungen. Gehört habe ich mit folgenden Pegelwiderständen, hier stellte sich in meinem Raum ein neutral-ausgewogenes Klangbild ein: Dämpfung: 3,3 Ohm, Mitten und Hochton jeweils 4,7 Ohm, der Ferritkern war zudem aus der Mittel-/Hochtonweiche entfernt, die Bassbrücke auf „neutral“ gesteckt. Änderungen an diesen Einstellungen lassen sich wie erwähnt gut heraushören. Bereits mit einer Dämpfung von 2,7 Ohm etwa tendierte es mit meiner leicht ins Helle gehenden Elektronik tonal einen Tick ins Frische, ohne dass es allerdings unangenehm oder gar bissig wurde. Alternativ geriet’s auch mit abgesenktem Tiefton per besagter Steckbrücke sehr stimmig – ja, mir persönlich gefiel’s so eigentlich sogar noch etwas besser. Ich kann nur empfehlen, den Service des Händlers in Anspruch zu nehmen und die 903 auf den jeweiligen Hörraum und Geschmack einstellen zu lassen. Wenngleich das Ganze freilich alles andere als ein Hexenwerk ist – nachträgliches Feintuning lässt sich jederzeit leicht selbst vornehmen.
So, auf in die weiteren Hörrunden, wobei wir zuerst den Mitten auf den Zahn fühlen wollen:
Legen wir dazu eine böse, kompositorisch recht abstrakte Interpretation des Klassikers „Downtown“ von Petula Clark auf, in welcher das kanadische Projekt Rx (Album: Bedside Toxicology) allerhand Radau nicht zuletzt in Form von scheppernder Perkussion veranstaltet. Trotz der hohen Sound-Dichte, insbesondere der unzähligen Klangelemente, die die Mitten besiedeln und damit auch mit dem Gesang konkurrieren, fällt auf, wie sauber und verständlich sich die Stimmenreproduktion von alledem differenziert. Was einen unwillkürlich stärker auf den Text achten lässt, der – und das ist die sarkastische Anspielung dieser Coverversion – im Grunde auch als Erlebnisbericht nach der Einnahme doch schon härterer Drogen verstanden werden kann. Ob man dieses Cover nun mag oder nicht, die Wirkung, die es durch den Wahnwitz und Zynismus des Gesangs und die anarchische Komplexität der Effekte und Perkussion entfaltet, bringen die Sehring 903 so unmittelbar und authentisch an den Hörer, wie ich es bisher, und das schreibe ich nicht nur einfach so dahin, noch nicht eindrucksvoller gehört habe.
Oder nehmen wir – deutlich ruhiger und melancholischer – „Beautiful Freak“ des amerikanischen Multiinstrumentalisten und Sängers Mark Oliver Everett aka Eels. Die Stimme Mark Oliver Everetts ist aufnahmetechnisch recht komprimiert eingefangen. Leise Stimmanteile werden also künstlich hervorgehoben, was den Gesang sehr intim-unmittelbar wirken lässt, zudem lassen sich ab und an leichte Verzerrungen vernehmen, insbesondere auch beim hallunterlegten Piano, wodurch die Stimme und gesamte musikalische Atmosphäre noch brüchiger, fragiler anmuten. All das vermitteln die Sehring 903 ausnehmend akkurat und feinsinnig.
Ja, die Auflösung, die Detailakribie der 903 – auch mit Blick auf den angenehm luftigen, zu keiner Zeit nervenden und schön zu einer Einheit mit den Mitten verschmelzenden Hochton – liegen generell auf hohem Niveau. Weder meine Spendor SP100R2 noch meine ehemaligen Sehring 703SE können/konnten da mithalten. Dennoch zählen diese Kriterien nicht zu denen, die beim Hören mit den 903 vordergründig auf den Plan treten.
Auf Präzision gezüchtete Wandler, wie etwa meine ehemaligen Thiel CS 3.7 oder auch Audiaz Eta, an deren Test ich mich noch gut erinnere, kokettieren da schon offensichtlicher mit ihren Auflösungsreizen. Ob das wirklich ein greifbares „Mehr“ an Detailfülle bedeutet, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Denn die Sehring 903 sollten eigentlich auch gegenüber Lautsprechern, die betont akribisch-transparent zu Werke gehen, keine Feinheiten wirklich unterschlagen. Nein, bei dieser Abwägung dreht sich’s eher darum, ob man es als Hörer schätzt, dass Details „lediglich“ als organische Bestandteile der Musik behandelt werden, sprich sich ohne viel Aufhebens zu einem großen Ganzen fügen, oder ob man Einzelheiten lieber schärfer gefasst, extrovertierter, als singulärere Ereignisse in den Fokus gerückt bekommen möchte, was meiner Meinung nicht unbedingt natürlicher tönt, bisweilen auch die Klangfarben blasser erscheinen lässt, aber durchaus „aufregend“ wirken kann.
Wo sich der Kreis zur eingangs erwähnten Feststellung, dass die Sehring 903 etwas Unaufgeregtes an sich haben, quasi wieder schließt. Dazu passt interessanterweise auch der spontane Eindruck des Kollegen Martin Mertens, der sich die Sehring 903 eines Abends mal locker für ein paar Tracks vor die Brust nahm: „Lösen gut auf, alles da, haben dabei aber etwas schön Integratives und stellen dadurch die Musik als Ganzes dar – an Deinen Thiel hatte mir immer nicht so gutgefallen, dass die Musik ein wenig in ihre Einzelheiten zerfiel.“
Test: Sehring 903 | Standlautsprecher