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März 2015 / Jörg Dames
-> vom Modell S903 ist in 2020 ein aktuellerer Test veröffentlicht worden
Stefan Sehring – der Gründer und Geschäftsführer von Sehring Audiosysteme (www.sehring-audio.de) – ist schon ein komischer Typ. Rein durch die Brille eines klassischen BWLers betrachtet, versteht sich: Denn in Sachen Marketing über Jahre hinweg so beherzt auf den Tarnkappenmodus zu setzen, ist – vorsichtig ausgedrückt – schon ein veritables Vabanquespiel. Nicht nur, weil man Gefahr läuft, am Markt zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Sondern auch, weil man riskiert, dass selbst bei der treuen Stammkundschaft Zweifel gesät werden, ob denn das Pferd, auf das gesetzt wird, überhaupt noch so richtig im Rennen ist.
Ja, um die Sehring’sche Lautsprecher-Manufaktur war es seit geraumer Zeit scheinbar ein wenig still geworden. Keine Neuentwicklungen, keine Pressemitteilungen, keine Messeauftritte, keine Testberichte. Wenn ich trotz alledem „scheinbar“ schreibe, dann deshalb, weil hinter den Kulissen offenbar doch eine Menge passiert ist und sich Sehring-Lautsprecher trotz des eher dezenten Marktauftritts gleichwohl einer stabilen Nachfrage erfreuen. Von Krisenstimmung war und ist bei den Berlinern, so zumindest mein Eindruck, ähnlich wenig zu spüren wie von besagten Marketingaktivitäten …
Aber fragen wir doch einmal direkt beim Firmenchef nach, der – Überraschung – tatsächlich kein BWLer, sondern Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik ist: Herr Sehring, warum haben Sie Ihre Kunden, was Neuigkeiten aus Ihrem Hause angeht – wie etwa die zum Test anstehenden brandneuen Sehring 903 -, so lange darben lassen?
„Ein modulares Lautsprecherkonzept wie das der neuen 900er-Reihe ist in der Entwicklung natürlich immer um ein Vielfaches aufwendiger als ‚normale‘ Lautsprecher. Außerdem stellen wir selbst sehr hohe Ansprüche an unsere Produkte. Der wichtigste Grund dafür, dass die Kunden diesmal ein bisschen länger warten mussten, war jedoch der Umzug der Firma. Dadurch, dass wir nun in einer eigenen Gewerbeimmobilie arbeiten, konnte die Produktionsfläche von 300 auf 900 Quadratmeter erweitert werden. Das hat allerdings viel Zeit und Geld gekostet. Wenn ich allein an den Umzug der Tischlerei mit den großen Maschinen denke … Aber auch die Ausrichtung auf eine nachhaltige Produktion war ein nicht zu unterschätzendes Thema. Wir sind jetzt Selbstversorger: Mit der eigenen Solaranlage produzieren wir die gesamte für die Produktion benötigte Energie. Ich bin froh, dass ich das nun hinter mir habe. Aber auch ein bisschen stolz. Jetzt ist wirklich alles besser.“
Ein modulares Produktkonzept zieht einen beträchtlichen Mehraufwand bei der Entwicklung nach sich, sagen Sie – was hat aber der Kunde letztlich davon?
„Die Idee ist ein offenes Konzept, bei dem sich der Kunde ganz nach seinen Ansprüchen und Möglichkeiten einen Lautsprecher selbst konfigurieren und jederzeit nachrüsten kann. Passiv, aktiv, beginnend bei der Kompaktvariante oder ausgehend von einem bereits größeren Standlautsprecher – ein späterer Aus- und Umbau ist jeweils kein Problem, der Kunde zahlt nur die Differenz zur nächsthöheren Ausbaustufe. Seine Erstinvestition bleibt also erhalten, er verliert kein Geld dabei.
Das Hauptmotiv war allerdings ursprünglich ein rein technisches Argument: Die Entkopplung der einzelnen Baugruppen zur Vermeidung von Interferenzen.
‚Modular‘ schließt bei uns aber auch die individuellen Anpassungsmöglichkeiten der Lautsprecher ein: mechanischer Art durch unterschiedliche Bodenplatten, elektrischer Art durch Pegelmodule für Hoch- und Mittelton, Bass und Dämpfungsfaktor. So kann der Lautsprecher gewissermaßen maßgeschneidert werden auf den Hörraum, die vorhandene Elektronik und natürlich auch den eigenen Geschmack.“
Das Modular-Konzept schlägt sich natürlich auch im grundsätzlichen Look von Sehring-Lautsprechern nieder, insbesondere in Gestalt der markanten Linienführungen in Form von Spaltverläufen an den Seiten sowie der Schallwand. Eigentlich so etwas wie ein lupenreines Form-follows-Function-Design, zumal die Gehäuse-Segmentierung eben auch entkoppelnd beziehungsweise resonanzminimierend wirkt. Gleichwohl kommen die „Berliner Baukästen“ meiner Erfahrung nach in Sachen Äußerlichkeiten meist recht gut an – meine damaligen Sehring 703SE waren in dieser Hinsicht sogar echte „Frauenhelden“. Nun, die 903 machen aufgrund ihrer bulligeren Physis (26 x 112 X 43 cm – B x H x T) vielleicht nicht ganz so stark auf Casanova wie die schlanken 703, dennoch war das Echo von Freunden, Kollegen und Nachbarn dennoch größtenteils positiv, was die Optik und aufwändige Verarbeitung des zwischen 19 und 38 Millimeter starken MDF-Gewandes der Sehring 903 angeht.
Der „Basis-Bauklotz“ der Sehring’schen 900er-Reihe ist übrigens ein kompakter Dreiwegemonitor für 7.500 Euro. Das obere Ende der Fahnenstange markiert in Sachen Passivlautsprecher mit 15.500 Euro ein Pärchen 903k, eine spezielle Variante unseres mit 14.400 Euro ausgepreisten – ebenfalls passiv ausgeführten – Testmodells, das im Gegensatz zu Letzterem mit einer stufenförmig-konkav ausgeführten Schallwand daherkommt.
So oder so kommen die 903er aber mit gleich fünf Treibern daher – was der eine oder andere Leser als „ganz schön viele“ empfinden könnte, aber wir haben es eben mit der nicht unbedingt an jeder Ecke anzutreffenden Spezies der 3,5-Wegler zu tun. Wobei der unterste 22-cm-Konus eigentlich nicht mehr als ein besseres Loch ist, um’s mal etwas rustikaler auszudrücken, setzen die Sehring-Entwickler hier doch schlichtweg auf eine Passivmembran (ein antriebsloses Chassis) statt einer schnöden Bassreflexöffnung zur Tieftonunterstützung. „Besser“ deshalb, weil sich am für Bassreflexsysteme typischen Helmholzresonatorprinzip zwar nichts Grundlegendes ändert, man sich über die konstruktiv aufwändigere Membran-Lösung aber weniger Verzerrungen, insbesondere in Form von Strömungsgeräuschen ins Boot holt. Zudem lässt sich die Tuningfrequenz von gerademal 18 Hz, wie sie Sehring für die 903 deklariert, leichter erreichen. Na, an zu wenig Tiefgang werden wir wohl während der Hördurchgänge nicht gerade leiden, wie’s aussieht …
Die beiden darüberliegenden 22er mit beschichteten Aluminiummembranen stammen aus dem gleichen Stall wie der Passivling (Wavecor – mit Sitz in China, von ehemaligen Vifa-Mitarbeitern gegründet), sind aber freilich vollmotorisiert: Stefan Sehring attestiert ihnen unter anderem „einen sehr großen Hub bei geringen Verzerrungen“. Und obwohl baugleich, verantworten die zwei Chassis jeweils unterschiedliche Arbeitsbereiche – schließlich handelt es sich bei den Sehring 903, wir erinnern uns, um 3,5-Wegler:
Der untere der beiden konzentriert sich ganz und gar auf „echten“ Bass und will mit höheren Frequenzen als 80 Hz nichts am Hut haben. Die zuständige Weichensektion sitzt übrigens ebenfalls im Sockel und kann vom Hörer je nach Gusto oder Hörraumsituation „gepegelt“ werden: Per Steckbrücke – an diese gelangt man, indem der untere der beiden rückwärtigen Deckel entfernt wird – lässt sich der Tiefton ausgehend von der Neutralstellung um 2 dB absenken oder anheben.
Der obere Tieftöner macht sich dagegen lang bis 280 Hz, um dann an einen 14-cm-Mitteltöner abzugeben, den Sehring nach eigenen Spezifikation ebenfalls von Wavecor herstellen lässt: Die Membran aus geschöpftem Papier sei sehr leicht und steif bei einer hohen inneren Dämpfung, so die Berliner, bei 1 kHz käme man zudem auf gerademal 0,1 % THD.
Die oberen Frequenzetagen verantwortet bei der Sehring 903 ein Ringstrahler
Ab 3.000 Hz bringt sich dann ein Ringradiator ins Spiel, dessen kleiner Horntrichter als Waveguide fungiert, der die akustische Phase optimiert und das Rundstrahlverhalten verbessert. Die zuständige Mittelhochtonweiche sitzt ebenfalls im oberen Gehäusesegment und ist wie die Bassweiche mit Sand bedämpft. Apropos: Akustische Phasenkohärenz beziehungsweise Zeitrichtigkeit sind Entwicklungsziele, auf die man im Hause Sehring grundsätzlich großen Wert legt. Nur so erhalte man ein tadelloses Impulsverhalten und schlussendlich „einen Lautsprecher, der in der Lage ist, auch komplexe Signale originalgetreu wiederzugeben“, gibt man sich überzeugt.
Typisch Sehring sind zu guter Letzt auch die durchaus vielfältigen Möglichkeiten des Lautsprecher-Eigners, bei der endgültigen Klangabstimmung ein kleines Wörtchen mitzureden:
Dass der Bassbereich um +/-2 dB anpassbar ist, erwähnte ich schon. Doch auch hinter dem oberen rückseitigen Deckel lässt sich spielen: Und zwar mit verschiedenen Widerständen – ein diesbezügliches „Pegelset“ gehört mit zum Lieferumfang, mittels welchem der Bereich zwischen 280 bis 30.000 kHz in einem Umfang von bis zu 4 dB auf die bevorzugte Spur gebracht werden kann. Zudem lässt sich der Roll-off des Mitteltöners mittels eines Ferritkerns verkürzen, der dazu in eine spezielle Spule geschoben wird – mit Kern wirkt das Klangbild etwas ruhiger. Was die Sehring 903 aber gar nicht nötig haben, wie wir gleich hören beziehungsweise lesen werden. Der Kern mag in der Einspielphase der 903 – fabrikneu tönen sie anfangs noch nicht ganz so geschmeidig – seine Berechtigung haben, bei meinen Hörrunden fand er keine Verwendung.
Zu den anderen Einstellungen – auch kleinere Veränderungen lassen sich übrigens gut heraushören – komme ich gleich noch einmal im Hörbericht zu sprechen …
Test: Sehring 903 | Standlautsprecher