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Die genannten Charakterzüge haben – logo – auch sehr erfreuliche Auswirkungen auf die Darstellung von akustischen Instrumenten. Ein sehr hörenswerter Prüfstein in dieser Hinsicht ist etwa das Album Antigone von Clair Obscur. Ein Projekt der französischen Brüder Demarthe, das ursprünglich als „Soundtrack“ zu einer Inszenierung von Sophokles’ Antigone komponiert wurde. In Sachen Aufnahmequalität erinnert es mich an die formidablen Spätwerke von Talk Talk beziehungsweise Mark Hollis – hohe Dynamik sowie ein grundsätzlich angenehm „unbehandelt“ und pur wirkendes Klangbild, ein offenbar im positiven Sinne sehr schnörkellos produziertes Album. Die 30 Stücke sind häufig nicht länger als 2 Minuten und lassen eine ungemeine Vielzahl an Instrumenten wie Geige, Bratsche, Cello, Flöte, Klarinette, Trompete, Klavier etc. zu Wort kommen – die sich in der Regel nicht in komplex-dichten Arrangements verlieren, sondern die Bühne meist mehr oder weniger alleine betreten, sodass man sich zu Testzwecken sehr gut einzeln auf sie fokussieren kann.
Nun, beim Abklopfen der Mittel/Hochtonwiedergabe der Sehring 903 mittels Antigone kommen mir wiederholt bestimmte Lautsprecher in den Sinn, die neben den Spendor SP100R2 mit zu meinen absoluten Lieblingen zählen, und ebenso wie diese noch als vergleichsweise bezahlbar durchgehen, hat man höhere High-End-Weihen im Blick: und zwar die schnellen, hochtransparenten, gleichsam sehr langzeittauglichen, aber nicht gerade ausnehmend plastisch zu Werke gehenden Quadral Vulkan VIII R.
Denn die Sehring 903 vermögen fast so etwas wie eine Synthese aus den Vulkan und meinen britischen Monitoren – die eher auf die Wiedergabe organisch-warmer Klangfarben sowie eben Plastizität bedacht sind und sich dafür in Sachen Auflösung ein wenig zurücknehmen – herzustellen.
In puncto Akribie und Feindynamik, mit denen feine Rauigkeiten, Luftströme oder Oberton-Schwebungen in den Texturen der Bläser und Streicher zu Gehör gebracht werden, sollten die Sehring 903 den bändchenbewehrten Vulkan VIII R jedenfalls kaum nachstehen. Mit Blick auf die Plastizität, sprich die Fähigkeit einzelne Instrumente greifbar herauszuschälen sowie das Talent diese ausnehmend farbecht, mit einem wohligen Maß an Sonorität und Deckkraft darzustellen, sind die Berliner zudem zweifelsohne auf Augenhöhe mit ihren Sparringspartnern aus dem südenglischen East Sussex. Okay, die Sehring 903 kosten ja auch fast das Doppelte, von daher sollte die Rechnung „two in one“ ungefähr auch aufgehen, könnte man meinen. Ich selbst kenne preisunabhängig aber keinen Lautsprecher, der die genannten Talente in dieser Art und Weise in sich vereint – vielleicht mit Ausnahme der formidablen Lansche No.3.1, bei denen es mir leider aber nicht vergönnt war, diese in meinem eigenen Hörraum genau unter die Lupe zu nehmen.
Da gerade das Stichwort Plastizität fiel, noch eine kurze Ergänzung zum Thema „Bühne“, die – logisch, ansonsten wär’s ja auch mit der Plastizität Essig – nicht nur tadellos ortungsscharf gerät, sondern sich höher aufbaut und damit mächtiger wirkt als über meine Spendor vermittelt. Beide Lautsprecher eint wiederum eine sich nach vorne, Richtung Hörer streckende Bühnenillusion, die eher eine involvierende Teilhabe als nüchterne Draufsicht bietet.
Und da bisher noch gar nichts zum Thema Grobdynamik und Bassqualität aufs Tapet kam, legen wir abschließend das insbesondere bei hohen Laustärken schon recht infernalisch wirkende „Come with us“ (gleichnamiges Album) der Chemical Brothers ein, das mit einem nervösen Geigen-Lauf und pulsierendem Basssequenzer beginnt, um dann mittels Sprechgesang eine Spannungssteigerung zu erfahren, bevor sich ein Beat-Gewitter entlädt, das schließlich in mächtig-tiefe Bassschübe mündet.
Dies ist einer jener Titel, bei denen sich gerade bei höheren Pegeln bemerkbar macht, dass meine Spendor SP100R2 ein zufriedenstellendes, aber eben nicht immer auf Höchstleistungen getrimmtes Dynamik- und Timingverhalten aufweisen. Was die energetisch-brachiale Wirkung dieses Titels ein wenig bremst, zumal die bei vielen anderen Songs angenehme Wärme der Engländer hier fast ein bisserl „dicke“ wirkt. Ja, der Unterschied zu den Sehring 903 tritt – neben Auflösungsaspekten – bei solchen Herausforderungen recht deutlich zu Tage, zumal die Berliner auch in Sachen Tiefgang merklich weiter nach Süden langen.
Die lässige Souveränität (man bekommt das Gefühl, grobdynamisch wirklich für alle Lebenslagen mit ausreichend Hubraum versorgt zu sein) und punktgenaue, dennoch unaufdringliche Präzision (locker-atmend, statt kantig-streng) hieven die 903 auch in puncto Bassqualität/Grobdynamik auf ein Niveau, das mit zum Besten zählt, was mir bisher untergekommen ist. Zumal in meinem mit zirka 30 qm nicht übermäßig großem Hörraum keine Tendenz zum Dröhnen oder Wummern auszumachen ist.
Als Benchmark in Sachen Tieftonwiedergabe, von Aktivlautsprecheren einmal abgesehen, erinnere ich mich stets gerne an die erwähnten Thiel CS 3.7 und würde behaupten, dass man sich zwischen Berlin und Tennessee durchaus auf ein Patt einigen kann, wenn mich meine Erinnerungen nicht gänzlich trügen: Die 3.7 bieten wohl ein noch etwas präziseres Timing sowie nachdrücklichere Konturiertheit und Drahtigkeit im Bass. Die Sehring 903 setzen mit organischer Lockerheit und Plastizität dagegen und lassen einzelne Bassdrumschläge noch greifbarer, körperhafter erscheinen. In dieser Hinsicht wird die 903 wohl ebenso einer Quadral Vulkan VIII R überlegen sein, die ebenfalls mit einer formidablen Tieftonqualität gesegnet ist – so plastisch und tiefreichend habe ich sie dennoch nicht in Erinnerung.
Zu guter Letzt noch ein Hinweis für Leisehörer: Die Sehring behalten auch bei geringen Lautstärken ihre Meriten bei, Dynamik und Tiefton kommen in solchen Abhörsituationen sogar überdurchschnittlich gut zur Geltung.
Test: Sehring 903 | Standlautsprecher