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Ich bin ausgewiesener Fan von schnellen, sehr fein auflösenden Kopfhörern. Ich liebe es, beim Musikhören auch die Details entdecken zu können, die auf anderen Systemen verborgen bleiben. Seit gut zehn Jahren ist deswegen auch ein elektrostatischer Kopfhörer eines meiner „Immer-dabei“-Werkzeuge. Wenn ich beim Recording, Mixing, vor allem aber beim Editieren von Musik Gewissheit über Bestandteile haben will, die nachher nur auf wirklich guten Abhörsystemen zur Geltung kommen, besonders aber, wenn ich Klangeigenschaften von Mikrofonen und anderen Tontechnikgerätschaften für meinen „anderen Job“ erkennen will, ist mein Stax SRS-2050 unverzichtbar.
Der Elektrostat hat aber zwei Nachteile: Erstens ist er unpraktisch, weil man ihn nicht einfach irgendwo per Klinkenstecker einstöpseln und loshören kann, sondern immer das Speiseteil verwenden muss, welches per Cinch angeschlossen wird. Zweitens: Die Langzeithörbarkeit ist durchaus eingeschränkt. Nach einer Albumlänge habe ich genug auditive Informationen für den Tag und sehne mich nach weniger anstrengender Schallwandlung. Zumindest den ersten Nachteil pulverisieren Magnetostaten, seit Audeze ist dieses Wandlersystem in aller Munde. Mit Quad tritt nun ein weiterer Hersteller, noch dazu einer mit hohem Erfahrungsschatz bei planaren Schallwandlern, mit einem neuen Magnetostaten-Kopfhörer auf den Plan, dem ERA-1 (Web: www.audiolust.de; Preis des Testgerätes: 699 Euro). Und so kam es, dass ich bei der fairaudio-Redaktion aufgeregt die Augen aufgerissen und mit den Fingern geschnipst habe, als es darum ging, den Test durchzuführen.
Ausstattung
Ein Großteil des ohne Kabel 420 Gramm wiegenden Quad ERA-1 ist aus Metall gefertigt, als nennenswerte Ausnahmen dürften die Gabel, die die Muschel halten, sowie deren silbrige Aufnahme zu nennen sein. Eine Konstruktion übrigens, die ein starkes Kippen der Hörermuscheln nach oben und unten, aber nur einen leichten Links-Rechts-Schwenk der beiden Treiber zulässt.
Der umlaufende, größenverstellbare Bügel ist rundum ummantelt und auf der Unterseite recht weich, ein Kabel beinhaltet er jedoch nicht: Das 2,15 m lange Textilkabel besitzt Y-Form und wird mit Steckern an beiden Ohrmuscheln eingesteckt, auf der anderen Kabelseite ist wie üblich ein Klinkenstecker vorgesehen. Als moderner Kopfhörer mit gerade einmal 20 Ohm Impedanz explizit auch für den Gebrauch an tragbaren Geräten konzipiert, ist dies selbstredend eine 3,5-mm-Stereoklinke, die mit beiliegendem Aufsatz auf 6,3 mm adaptiert werden kann.
Der Quad ERA-1 darf ein leichtes Behältnis mit Reißverschluss sein Zuhause nennen, welches neben Hörer, Kabel und Adapter auch ein zweites Paar Polster aufnimmt. Es kann zwischen Fleecepolstern mit Kunstlederrand und solchen aus weichem Ziegenleder mit kleinen Öffnungen gewählt werden.
Das Unternehmen aus Cambridgeshire hat ein eigenes Treibersystem entwickelt. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Quad nicht zuletzt für seine Elektrostatentreiber für Lautsprecher bekannt ist. Im Quad ERA-1 kommt jedoch kein elektrostatisches, sondern ein magnetostatisches System zum Einsatz, bei dem ein Leiter im Magnetfeld bewegt wird. Anders als bei „normalen“ elektrodynamischen Kopfhörertreibern ist auf der Membran aber eine „vollflächige“ Schwingspule aufgebracht. Es gibt zwei wesentliche Vorteil gegenüber Schwingspulen im Topfmagnet. Einer ist: Der Antrieb der Membran erfolgt gleichmäßig als Ganzes, somit ist die Gefahr von Resonanzeffekten geringer, ein Bewegungsmuster näher am Ideal des Kolbenschwingers möglich. Quad hat nach eigenem Bekunden einen hohen Aufwand betrieben, um die Vibrationsdämpfung zu maximieren und dementsprechend Verzerrungsarmut und Linearität zu erzeugen. Vorteil zwei: Die Membran kann deutlich leichter gebaut werden, was bei gleicher Antriebskraft eine schnellere Bewegung und Richtungsänderung zulässt. Das sind gute Nachrichten für die Impulswiedergabe und den Frequenzgang, dessen obere Grenze mit 40 Kilohertz angegeben wird und dessen untere bei 10 Hertz liegen soll.
Praxis
Der Quad ERA-1 ist wirklich stilvoll designt. Das finde ich nicht unwichtig: Ich entstelle mich nur ungerne, selbst nur temporär und in unbeobachteten Situationen. Der Kopfhörer wirkt leicht technisch-kühl, bleibt dabei aber zeitlos und wird auch in 20 Jahren weder altbacken noch peinlich wirken. Mit der Material- und Verarbeitungsqualität bin ich durchaus zufrieden, mein teurerer Stax SRS-2170 (circa 1.000 Euro) wirkt dagegen durchaus etwas klapprig. Ok, er ist so hässlich, dass er schon wieder kultig wirkt.
Kein Kopf ist identisch mit einem anderen, das gilt sowohl für das komplexe Innenleben als auch für die simplen Dimensionen. Der Verlauf der beiden Anschlusskabel recht weit hinten am Hals ist angenehm und verhindert effektiv, dass man sich bei Nebentätigkeiten mit irgendetwas verhakt. Nicht ganz optimal ist, dass sich der Körperschall des riffeligen Kabels, erzeugt beispielsweise durch Reibung an der Kleidung oder dem Hörsessel, auf die Hörmuscheln überträgt. Beim Leisehören ist das wahrnehmbar. Mir schmeichelt das großzügig gefütterte Kopfband, doch lagert das Gewicht des Hörers, immerhin samt Kabel fast ein halbes Kilogramm, im Dauerbetrieb doch etwas zu sehr auf den Ohrmuscheln und drückt diese nach unten. Das ist selbst bei den etwas dickeren Schafslederpolstern der Fall. Ein etwas höherer Anpressdruck würde dieses Problem lösen. Oder ein größerer Kopf als mein „mittelgroßer“. Einen größeren Kopf wünsche ich mir aber nicht.
Klangeindruck Quad ERA-1
Wer bislang zufrieden über elektrodynamische Kopfhörer mit Topfmagnet hört, wird nach dem Erstkontakt mit einem Flächenstrahlers verwundert sein, wie negativ sich das Gewicht einer aufgeklebten Schwingspule an der Membran bemerkbar macht. Die federleichte und somit schnell zu bewegende Membranfläche eines Magnetostaten ermöglicht ein höchst akkurates Nachzeichnen der analogen Signalspannung. Und genau das tut der Quad ERA-1: Er „klebt“ förmlich am Audiosignal und setzt jede noch so zackige Bewegung dynamisch präzise um. Sicher, das verlangt vom Audiomaterial, nicht zu „eckig“ zu agieren, nicht zu spitz und schrill gemischt zu sein.
So manche Produktion aus der Zeit der euphorisch und unreflektiert genutzten „schönen neuen“ Digitaltechnik-Welt ist auf den Quads geradezu unausstehlich – und nicht „frisch und natürlich“, wie es einem Ende der 80er/Anfang der 90er weisgemacht werden sollte. Das Album Talk von Yes markiert wohl die kompositorische und klangästhetische Talsohle der in den 70ern (wie The Yes Album und Close To The Edge beweisen) so großartigen Band. Der Quad scheint wie geschaffen, meine Meinung dick zu unterstreichen.
Dynamik
In Sachen Feindynamik ist der Quad ERA-1 also blitzschnell und höchst akkurat. Diese Fähigkeit macht ihn auch ideal zum Aufspüren von Fehlern (was ich bei Recording-, Editing- und Mixingtätigkeiten zu schätzen gelernt habe), Mischfehler werden sofort abgestraft. Den Musikgenuss kann so etwas natürlich trüben, wie ein Sportwagen mit enorm straffer Federung zwar auf entsprechendem Fahrbahnbelag hervorragend fährt, auf manchen Holperpisten aber den Wunsch nach gutmütig schwankender Federung einer Citroën-Ente aufkommen lassen kann. Ich will nicht verschweigen, dass es auch jenseits von Elektrostaten und Magnetostaten mittlerweile äußerst flotte Kopfhörer gibt. Sennheisers HD 800 S ist da zu nennen, allerdings sind für ihn auch circa 1.600 Euro fällig. Der Beyerdynamic T1 ist dank Tesla-Technologie ebenfalls reichlich schnell, mit knapp 1.000 Euro aber immer noch deutlich teurer als der Quad ERA-1.
Grobdynamisch stellt der Quad ERA-1 alles, was ich bisher an Wiedergabesystemen kennenlernen konnte, in den Schatten. Ja, meinen Stax eingeschlossen! Pegeländerungen in Mischungen fallen mir auf, die ich zuvor nur erahnen konnte. Das dynamische Geschehen gerade von Orchestern in großer Besetzung ist näher an der Wirklichkeit dargestellt, als ich es bislang kannte. Ich konnte stellenweise die Automationen der Fader in einer Mischung „sehen“ und Lautstärkeunterschiede in verschiedenen Songparts wie mit der Lupe erkennen. Der Bereich, den der Quad-Kopfhörer dynamisch darstellen kann, ist grandios. Denn er verändert seine Eigenschaften mit dem Abhörpegel so gut wie nicht, das Klangbild bleibt identisch. Nah an der unteren Hörschwelle wird das Audiomaterial ebenso fein gezeichnet wie bei typischem Konsumpegel. Und um zu erkennen, bei welchen Hörpegeln die Klarheit zerbricht, der Quad ERA-1 schrill und zerrend wird, sollte man ihn vor allem: vorher absetzen!
Höhenluft
Welchen anderen Grund neben einer hervorragenden Dynamik und Detailzeichnung mag man haben, einen Elektro- oder Magnetostaten als Kopfhörer zu erwägen? Genau: die Höhenwiedergabe. Schön ist, dass der Quad beileibe kein Angeber ist und daher auch nicht dick aufträgt oder „britzelig“ wirkt. Er leistet sich keinerlei Auswüchse, bleibt immer ausgewogen, luftig und natürlich. Bei ausreichend gutem Ausgangsmaterial ist es wirklich ein Vergnügen, auch noch die feinsten Unterschiede und Details in den absoluten Höhen nachzuvollziehen, Reflexionen von Räumen wahrzunehmen und die feinsten Obertonstrukturen und Texturen von Geräuschanteilen – ja sogar von Rauschen – und sogar leichte Knackser im Material wahrnehmen zu können. Im Vergleich mit meinem Stax fehlt ihm das allerletzte Quäntchen Zeichnung, er zeigt sich diesbezüglich aber auf einer Stufe mit anderen hochwertigen Elektrostaten wie den Audeze LCD-X (um 1.500 Euro) und natürlicher als die (für Tauchspulen dieser Preisklasse hervorragenden) Audio-Technica ATH-R70 X (um 300 Euro).
Mitten und Bass
Wie mit dem Lineal gezogen erscheinen die Mitten, was besonders bei Sprachwiedergabe eine enorme Natürlichkeit bewirkt. Eine Ausnahme gibt es jedoch, denn die Hochmitten erscheinen etwas zurückgenommen. Das ist kein Makel, im Gegenteil: Durch den hohen Detailgehalt ist das Hören mit einem hochwertigen Kopfhörer wie dem Quad ERA-1 nichts, was man mühelos den ganzen Tag tun kann. Kommen laufend spitze und scharfe Laute im Bereich des gesprochenen „S“ dazu (dazu zählen auch diverse Anteile von Instrumenten, besonders Snare Drum und Hi-Hat), verspürt man doch recht schnell den Wunsch nach einer Hörpause. Bei Quad scheint man an den „armen Musikhörer“ gedacht und diesen Frequenzbereich etwas entschärft zu haben – dieses Wort passt hier wie sonst selten. Ihre Expertise zeigt sich darin, dass Signale in diesem Frequenzband nicht hohl oder „verändert“ klingen, sondern weiterhin ganz natürlich.
„Offene Elektro- und Magnetostaten sind zwar toll, aber die Basswiedergabe echt mau.“ Ich möchte wissen, wer diesen Mythos in die Welt gesetzt hat, für den Quad ERA-1 gilt das jedenfalls nicht. Mein Stax SRS-2170 ist tatsächlich eher auf der kühlen, schlankeren Seite unterwegs, zeichnet aber noch im tiefsten Bass äußerst präzise. Der Quad hingegen ist nicht zu schmal, nicht zu bauchig, vielleicht ein Mü Richtung „wuchtig“. Er liefert ähnlich wie der „normal-dynamische“ Sennheiser HD-600 ein ordentliches Fundament, das eigentlich bei höheren Pegeln nur noch den Druck im Bauch und auf der Brust vermissen lässt (logisch, ist ja kein Lautsprecher!). Den Druck auf die Ohren spart er sich, was ihn von geschlossenen Systemen unterscheidet. Damit ist der Kopfhörer im Bass erstaunlich nah an einer großen Stereoanlage.
Bühnenbau
Detailreichtum und Schnelligkeit sind gute Voraussetzungen für eine akkurate Darstellung auf der Bühne. Und tatsächlich erlaubt der Quad ERA-1 eine sehr klare Winkeldarstellung im Stereobild. Selbstverständlich erstreckt sich das Bild nicht wie bei der Lautsprecherwiedergabe vor dem Kopf, sondern in ihm, mit der Mittenposition in der Mitte des Kopfes. Bei guten Kopfhörern wie dem Quad ERA-1 hat man allerdings eher das Gefühl, dass sich das Bild auf der Außenseite des Kopfes von Ohr zu Ohr zieht. Auch Raumtiefen lassen sich gut erkennen, dort muss er sich aber den diesbezüglichen Spezialisten Ultrasone ProLine 2500 (nicht mehr erhältlich) und Focal Clear Professional (circa 1.500 Euro) geschlagen geben.
Unterschiede
Der Klang-Unterschied der beiden Polster ist kleiner, als man vielleicht vermuten mag oder von anderen Hörern her kennt. Mit dem „Schaf“ nimmt man den Tiefmitten etwas Fleischigkeit, was vielen Mischungen nicht besonders gut zu Gesicht steht. Mein Eindruck beim schnellen Hin- und Herwechseln der Polster (was glücklicherweise eine Sache von Sekunden ist) und beim asymmetrischen Hören mit gemischter Polsterbestückung, ist, dass die Höhenwiedergabe etwas matter wird, wenn die Echtlederpolster im Einsatz sind. Dafür sind diese zunächst anschmiegsamer, ich habe darunter aber schneller schwitzende Haut bekommen. Die leichte Keilform der Schafspolster ändert die Verhältnisse beim Sitz etwas, da die Hörmuscheln leicht gekippt werden. So extrem wie bei Audeze ist diese Winkelung jedoch nicht.
Ein hochwertiges Bauteil in einer Hörkette kann dann besonders gut aufspielen, wenn alle ihre Bestandteile die Qualitätsstufe halten. Es ist jedoch erstaunlich, dass der Quad ERA-1 schon am Ausgang meines Laptops Spaß gemacht hat und sehr viel von seinem Potenzial zeigen konnte. Mit hochauflösendem Material gefüttert von einem hochwertigen Wandlersystem wie dem Lavry DA11 oder dem Merging Technologies HAPI geht dann allerdings die Sonne auf. Die sehr hohe Geschwindigkeit und die Abwesenheit von verschmierenden Eigenschaften kommen dann voll zur Geltung. Wen es interessiert: Ich habe den Hörer einspielen lassen und immer wieder versucht, Veränderungen im Klangbild zu erkennen – er hat sich aber klanglich kein Stück bewegt.
Wenn es um den letzten Schritt Geschwindigkeit geht, um penibelste Detailzeichnung, dann hat mein Elektrostat die Nase im Zielfoto weiterhin vorn. Die Nasenspitze, um genau zu sein. Trotz des unpraktischen Handlings ist der Stax immer noch meine Waffe der Wahl. Wer aber einen für einen Planarkopfhörer länger hörbaren, gut verarbeiteten und bezahlbaren Schallwandler sucht, der muss sich den Quad unbedingt probeweise auf den Kopf setzen. Bezüglich der Klangqualität leicht, bezüglich der Verarbeitung und des Looks deutlich über dem preiswerteren Hifiman Sundara (circa 500 Euro) gelegen, ist der Quad ERA-1 auch eine starke Konkurrenz zu den teureren offenen Kopfhörern von Platzhirsch Audeze.
Test: Quad ERA-1 | Kopfhörer