„Sendy Audio“ ist ein Firmenname, der alles andere als einen hohen Bekanntheitsgrad genießt. Sowas kann sich schnell ändern, und die Möglichkeit, einen neuen magnetostatischen Kopfhörer hören zu können, lasse ich mir nur ungern entgehen. Der offene, ohrumschließende Planarhörer Sendy Aiva (699 Euro | www.audiodomain.de) ist dem Land der Mitte entsprungen, auch wenn man aufgrund des stilisierten Fischschuppen-/Seigaiha-Wellenmusters auf den Außenseiten der Hörmuscheln und den Steckern sowie des irgendwie schrägen Namens auch auf Nippon – da nennt man sich ja auch gerne mal „Roland“ – hätte tippen können.
Und schon ist man mitten in einem Thema, welches der Sendy Aiva dem Betrachter förmlich aufdrängt: die Optik. Sendy mischt selbstbewusst Materialien und Stile: Die edel wirkenden, geölten Holzschalen aus dem Tropenholz der Microberlinia (Zebrano), die perforierten Lederpolster, die recht technisch wirkende Metallbügelkonstruktion und das verzwirbelte transparente Kabel fallen definitiv ins Auge. Die Gravitation zerrt mit 420 Gramm am Aiva, das Kabel nicht mit eingerechnet.
Im Sendy Aiva sind Membranen verbaut, die 9,7 x 7,6 Zentimeter Fläche besitzen, aber nur drei Mikrometer dick sind. Über den Frequenzgang ist 5 Hz – 50 kHz zu lesen, freilich ohne Angabe des bei den Eckfrequenzen herrschenden Dämpfungswertes. Dass die Impedanz des Planarhörers mit 32 Ohm reichlich niedrig ist, lässt vor allem Interessenten aufhorchen, die auch einfachere Mobilsysteme als Quellen zu nutzen gedenken.
Praktisches
Zwischen der ersten Inaugenscheinnahme und den ersten Tönen aus einem Kopfhörer steht der Moment des Aufsetzens. Diese Dreifaltigkeit entscheidet wesentlich darüber, ob man einen Hörer mag oder eher nicht. Und wie bei einem Kleidungsstück ist das „Anziehen“ sehr individuell. Ich freue mich, dass meine Ohrmuscheln unter den Hörmuscheln des nicht zu schweren Sendy Aiva ausreichend Platz haben und der Anpressdruck genau passend ist, sodass ich nicht befürchten muss, den Hörer unbequem zu finden oder sogar Rötungen zu bekommen.
Bei kleineren Köpfen als meinem Durchschnittsdickschädel wird man jedoch feststellen, dass das Kopfband dann auch in der Minimalstellung nicht mehr ausreichend spannt. Bei mir hat es noch so gerade eben etwas Zug, wodurch die Hörmuscheln nicht oben auf meine Pinna drücken. Mit einem Torx-Schlüssel scheint man den Mechanismus zwar öffnen zu können, allerdings lässt sich das Band nicht ohne weiteres kürzen, da es kontinuierlich breiter wird.
Es ist interessant, dass das beidseitig geführte und mit Steckverbindungen an den Muscheln ausgestattete Kabel zunächst auf den (noch) äußerst selten anzutreffenden 4,4-mm-Pentaconn-Verbinder umsetzt. Statt eines alternativen Kabels auf den üblichen 3,5-cm-Klinkenstecker muss man zwingend auf den kurzen Adapter zurückgreifen. Ich bin zwar nicht zuletzt aus Gründen der Ressourcenschonung kein Freund von ausufernden Lieferumfängen, hier hätte ich das aber begrüßt: An vielen Kopfhörerausgängen zerrt zusätzliches Gewicht an der Buchse. Zudem ist jede Adaptierung der Signalqualität nicht zuträglich. Wer einen 6,3-mm-Klinkenausgang nutzt, muss sich einen weiteren Adapter zulegen.
Sendy Aiva: Klangtest & Vergleiche
Die Mitspieler
Zum Vergleich stehen drei Kopfhörer mit unterschiedlichen Wandlerprinzipien in den Startlöchern: Der Stax SR-2170 ist mein seit zehn Jahren ständig zur genauen Analyse von Audiomaterial genutzter Elektrostat, mit dem Sennheiser HD 800 S steht mir ein Tauchspulen-Dynamiker der Referenzklasse zur Verfügung, der Audeze LCD-2 ist der einzige Hörer, der ebenfalls planarmagnetisch Spannungen in Schwingungen umsetzt. Allen drei Hörern gemein hingegen ist, dass sie teurer sind als der Sendy. Den gleich bepreisten Quad ERA-1 habe ich zwar nicht vorliegen, aber noch sehr gut im Hörgedächtnis.
Das Holz des Sendy Aiva erinnert mich an Zimmermänner. Ich lasse den guten Bob Dylan (bürgerlich: Robert Zimmermann) aber ausnahmsweise links liegen und widme mich nach langer Zeit mal wieder den Carpenters (engl. für Zimmermann). Das Geschwisterpaar Karen und Richard darf mit „Rainy Days And Mondays“ (auf Carpenters von 1971) den Einstand am Sendy Aiva geben. Die Mundharmonika im Intro, die auf manchen Kopfhörern aufgrund ihrer Schärfe so manches nervöses Augenzucken und Zahnschmerzen verursachen kann, fügt sich gut in die Mischung ein. Auch Karen Carpenters bisweilen etwas zu spitz geratenen T- und S-Laute zeigen sich zu meiner Freude nicht zu bissig.
Gut eingepegelt?
Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie die tonale Abstimmung des Planarhörers ist: Generell natürlich anmutend, sind die Mitten bis in die Präsenzen leicht zurückgenommen, der Superhochton, die „Luftigkeit“ und die Tiefen kommen dadurch in Relation automatisch mit etwas mehr Pegel rüber. Im Vergleich wirken der Stax und Sennheiser etwas spitzer, der Sendy Aiva ähnelt hier ein wenig dem Audeze. Beide sind etwas verhaltener und unaufgeregter, was auch der Langzeithörbarkeit zugutekommt. Ich erinnere mich auch an den Quad ERA-1, welcher aber mit einer schmalbandigeren Rücknahme des Präsenzbereichs arbeitete. Der Sendy hingegen besitzt eine breitere, sanftere Delle im Bereich unterhalb des Superhochtons bis zu den Tiefmitten. Wie nicht anders zu erwarten, arbeitet der Aiva jedoch ohne bewusste Färbung und Anreicherung des über ihn gehörten Materials; „kalt“ ist er aber auf jeden Fall nicht.
Wo das allgegenwärtige, hochfrequente Bandrauschen der Carpenters-Aufnahmen auf manchen Tauchspulen-Dynamikern ein wenig in den Hintergrund tritt, ist es über den Sendy stellenweise durchaus prominent. Es zeigt sich hier jedoch auch der Unterschied zu den teureren Vergleichsmodellen von Sennheiser und Stax, die auch noch kurz vor dem Ultraschallbereich sehr hohe Pegel generieren. Das allerletzte Stückchen Luftigkeit kann der Stax-Elektrostat erzeugen, der auch bezüglich der Feindynamik ein wenig agiler, manchmal aber auch geradezu aufgekratzt und nervös zu Werke geht – wohl ein Grund, weshalb ich den Stax nicht zum Genusshören einsetze. Der Sendy hingegen ist dafür sehr gut geeignet!
Feine Sache
Insgesamt ist der planarmagnetische Sendy mit Blick auf seinen Preis und sein Konstruktionsprinzip feindynamisch sehr gut aufgestellt: Bis hinab in den Bass spielt er schnell und konturiert. Die Detailauflösung ist so hoch, dass sich alle relevanten Feinheiten zum Musikhören erkennen lassen, ohne dass er dabei mit einer zu hohen Informationsflut „nervt“. Ein gelungenes Beispiel liefern erneut die Carpenters: Auf „I Won’t Last A Day Without You“ (auf A Song For You, 1974; auf Amazon anhören) ist die ziemlich leise singende Karen mit einem Kondensatormikrofon in den Strophen recht nah mikrofoniert, wodurch Schmatzgeräusche etwas zu stark in den Vordergrund treten. Während der Stax hier gnadenlos alles freilegt, zeigt sich der Sendy etwas rücksichtsvoller. Trotzdem kommt die Phrase „to turn to“ vor dem ersten Refrain noch knackig, ist der „sparkelnde“ Gesangshall fein konturiert und der Schellenkranz im Refrain fein herausgearbeitet. Ein interessanter Unterschied ergibt sich im Vergleich von Audeze und Sendy: Der Audeze, obwohl nicht mit zu hohem Pegel im Hochtonbereich spielend, wirkt insgesamt etwas ungebremster und freier in seiner Darstellung. Dass der Sennheiser trotz seines als landläufig behäbiger geltenden Wandlerprinzips dennoch beinahe so schnell und fein spielt, rechtfertigt dessen hohen Preis (1.599 Euro).
Beats & Bass
Seine Eigenschaften verliert der Sendy Aiva auch im Bass nicht. So wird der E-Bass auf „Superstar“ (1971) weder überanalytisch noch in irgendeiner Art schwammig wiedergegeben, was auch hier ein wundervolles Hörerlebnis produziert. Auf „This Masquerade“ (auf Now & Then, 1973; auf Amazon anhören) sind der rhythmusgebende E-Bass und die tiefen Register Karen Carpenters Stimme ebenfalls ideal austariert. Sie drücken nicht, dröhnen nicht, sind dabei dennoch greifbar, spielen konkret und insgesamt eher stramm. Zum absoluten Subbass hin, wie ihn in erster Linie Orgel-Pedalwerke und elektronische Schallquellen produzieren, wird der Pegel des Sendy ein wenig schwächer als bei Stax, Audeze und auch Quad. Das gilt wohlgemerkt nur für den Pegel, nicht für die Kontur des Klanges. Hier ähnelt der Aiva tatsächlich etwas dem Sennheiser HD800, welcher ebenfalls sehr tief spielt und dort auch noch mit hoher Auflösung, aber eben keinem auffallend hohen Pegel mehr.
Stereo, stereo …
Die auf „Only Yesterday“ (auf Horizon, dem 1975er-Album mit einer gruseligen „Mr. Postman“-Version; auf Amazon anhören) im zweiten Teil der Strophe einsetzenden Picking-Gitarren, die (nicht von Karen gespielten) Schlagzeugfills über die im Panorama verteilten Toms, das nach rechts versetzte Tenorsaxophon im Post-Refrain, besonders aber die von links ertönende Hi-Hat und der darauf antwortende Hall von rechts sind gute Parameter, um zu erfahren, wie es ein Wiedergabesystem mit der Darstellung der Stereowinkel hält.
Es zeigt sich, dass der Sendy Aiva mit einem interessanten Stereoeindruck arbeitet. Die Stereoauflösung in der Phantommitte ist sehr fein, Signale, die sich auf halbem Weg nach links oder rechts befinden, rutschen etwas stärker nach außen als bei den Vergleichshörern. Dies führt zu einem leichten „Stapeln“ auf dem linken und rechten Kanal, verstärkt aber gleichzeitig die gefühlte Breite. Dazu kommt, dass der Sendy Aiva es besser als der Sennheiser und der Audeze schafft, die Abbildung der Mitte ein wenig nach vorne zu verlagern, wodurch die manchmal anstrengende Im-Kopf-Lokalisation etwas verringert werden kann – das gefällt mir und trägt bei mir erneut zu einem angenehmen Gefühl bei langen Hörsessions bei. Das konnte im Vergleich nur der Sennheiser HD800 noch etwas besser.
Die räumliche Tiefe ist beim Sendy Aiva ausgeprägt genug, um die allgegenwärtigen Schnulzen-Streicher und die Seventies-Reverbs den wohligen, weichen Raum erzeugen zu lassen, in den die anderen Signale eingebettet werden. Da macht sogar der breite, einlullende „every shalalala, every shingelingeling“-Backgroundchor auf „Yesterday Once More“ (auf Now & Then von 1973) Spaß.
„Calling Occupants Of Interplanetary Craft“ (Passage, 1977) ist eine Singleauskopplung, die nicht nur mit einem Wahnsinns-Artwork glänzt, sondern auch etwas abwechslungsreichere, starke dynamische Wechsel liefert. Es wird nicht verwundern, dass der planarmagnetische Sendy diese Abstufungen mit einer großen Leichtigkeit nachzeichnet. Über weite Bereiche der gewählten Hörlautstärke zeigt sich der Aiva gleichmäßig. Bei sehr hohen Pegeln sind es interessanterweise die Hochmitten, die sich zuerst überschlagen und zu kratzen beginnen – allerdings geschieht das erst bei deutlich zu ungesunden Pegeln, die man seinen Ohren höchstens einmal kurz zumuten sollte.
Everybody‘s Darling
Wirklich herausragend ist, wie selbstverständlich der Aiva an allen Kopfhörerausgängen spielt. Ob nun am Lavry DA-11, am Merging Technologies HAPI oder sogar an einfachen und bezüglich ihres Kopfhörerausgangs eher verlachten Geräten wie einem iPhone 5 oder einem MacBook Air: Der Sendy Aiva ist unprätentiös.
Natürlich gilt immer die Regel des schwächsten Glieds einer Kette, doch kann man auch mit dem Smartphone oder am Ausgang einer einfachen Stereoanlage die Wiedergabe genießen. Auch an schwachbrüstigen Kopfhörerverstärkern kann der Planarhörer noch ausreichend laut spielen sowie – und das ist wichtiger – genug Leistung abrufen, um die kurzen Anstiege im Musikmaterial auch kinetisch umzusetzen, ohne die Feindynamik zu verringern. Und wirklich: Das schaffen weder der Audeze noch der Sennheiser!
Reine Fanveranstaltung?
Ich habe mich in diesem Review auf eine Musikrichtung versteift, ja sogar eine einzige Gruppe. Doch natürlich wurde der Sendy Aiva mit höchst unterschiedlicher Musik befeuert. Von Soloinstrumenten über Kammermusik und große Orchester mit Chor, von sanft plätschernder Ambient- und Fahrstuhlmusik bis hin zu Clicks-n-Cuts und Metal-Gewitter zeigt der Sendy keinerlei Vorlieben oder Abneigungen. Nur für „technisches Analysehören“ würde man einen mittenlineareren Kopfhörer bevorzugen.
Test: Sendy Audio Aiva | Kopfhörer