Wenn Highend der Komparativ zu HiFi ist, wie lautete dann der Superlativ? Möglicherweise „UItra High-End“ – so jedenfalls bezeichnet CH Precision, ein junges, am Genfer See nahe Lausanne beheimatetes Audio-Unternehmen, sein Geschäftsfeld (Vertrieb: https://ibex-audio.eu/). Die Schweizer konnten sich in den letzten zehn Jahren einen exzellenten Ruf innerhalb der absoluten Audio-Top-League erarbeiten – vor allem international. Nun haben sie ihren ersten Vollverstärker auf den Markt gebracht, und das spontan Auffälligste an diesem „CH Precision I1“ ist seine Unauffälligkeit. Gleitet der Blick aus drei-vier Metern Entfernung über ihn, werden Uneingeweihte kaum auf ein Preisschild von 33.700 Euro spekulieren. In der Basisausführung, wohlgemerkt. Nimmt man noch ein paar Optionen hinzu oder gar die hauseigene, hochpräzise Masterclock T1, lässt sich auch das Doppelte ausgeben. Nachdem sich der leichte Schwindel vom Blick in die CH-Preisliste gelegt hatte, war mir klar: Dieses Geschoss muss ich mir mal ganz in Ruhe anhören!
Firma & Geschichte
Die beiden Eigner von CH Precision, Verstärkerspezialist Florian Cossy und Digitalexperte Thierry Heeb, kennen sich schon seit der Schulzeit und arbeiteten in den Neunzigern bei der bekannten Schweizer Nobel-Audioschmiede Goldmund zusammen, die sie 1999 verließen, um gemeinsam Anagram zu gründen. Eine Firma, der dank speziellen Know-hows in der Audio-Digitaltechnik schnell Erfolg beschienen war, sodass auch andere neugierig wurden – und schließlich Cambridge Audio kam, um das junge Unternehmen von Heeb und Cossy zu kaufen. Parallel zum Engagement bei Anagram betrieben die beiden Freunde noch ein OEM-Business als Hardware-Zulieferer für High-End-Audiomarken. Auch dieses Geschäftsfeld wurde mit dem Start von CH Precision in 2009 verkauft, nicht zuletzt um für die eigenen Ideen und die darauf aufbauenden Produkte Exklusivität zu wahren.
Zurzeit arbeiten sieben Personen bei CH Precision in im französischsprachigen Kanton Waadt gelegenen Préverenges, alle Zu- und Auftragsarbeiten finden ebenfalls im Hochlohnland Schweiz statt. So auch die Gehäusefertigung, die von einem Zulieferer erledigt wird, der „im Hauptberuf“ für die eidgenössische Luxusuhren-Industie arbeitet. Die Qualität ist entsprechend. Optische Zurückhaltung, technischer Look und geradezu besessener Anspruch ans Finish schließen sich bei CH Precision also nicht aus, sondern sind symptomatisch für die Schweizer. In gewisser Weise erinnert mich das an das britische Analog-Traditionshaus SME.
Grundlegendes
Auch der erste Integrierte im Programm von CH folgt natürlich der Firmenphilosophie der Schweizer, die sich grob so umreißen lässt: OP-Amps finden nur als regulierende Zuarbeiter der Verstärkerschaltung Verwendung, nicht aber im Signalweg selbst, dort kommen ausschließlich diskrete Bauteile zum Einsatz. Die Schaltungstopologie (und die Stromversorgung) ist dabei durchgängig symmetrisch, vom Eingang bis zum Ausgang, den übrigens Reinsilber-Lautsprecherklemmen von Argento darstellen. Röhren spielen bei CH Precision keine Rolle, die Geräte sind allesamt transistorisiert.
Die Endstufensektion im CH Precision I1 ist ein Class-AB-Design, je Kanal arbeiten zwei Paar Bipolar-Transistoren in Push-Pull-Konfiguration. Die Besonderheit hierbei nennt sich „ExactBias“ – damit ist eine Regelschaltung gemeint, die die Vorspannung der Ausgangstransistoren temperaturabhängig in Echtzeit kontrolliert. Hierzu wird die Temperatur direkt im Transistor selbst – und nicht die der Kühlelemente, die naturgemäß langsamer auf Änderungen reagieren – gemessen, sodass Schwankungen im Millisekundenbereich registriert und ausgeglichen werden können. Dies sorge für stets konstante Arbeitsbedingungen in der Ausgangsstufe, unabhängig von äußeren Temperatureinflüssen und – noch wichtiger – momentaner Arbeitslast der Endstufe aufgrund von dynamischen Anforderungen, hohen Abhörpegeln oder fordernden Lautsprecherlasten. Die zum Patent angemeldete ExactBias-Schaltung lasse deshalb ein klanglich besseres Ergebnis zu, als selbst mit Class-A möglich wäre, ohne die Vorteile von Class-AB (höhere Effizienz, geringere Abwärme) zu opfern, so jedenfalls die Überzeugung der Schweizer.
Modularität
Zu den CH-Grundsätzen gehört auch die Modularität der Geräte, und dementsprechend ist der CH Precision I1 aufgebaut. In der Basisausstattung kommt er mit einem Digitaleingangsmodul, das koaxiales S/PDIF, Toslink, AES/EBU sowie den proprietären CH-Link (der I2S ähnelt) bereithält, sowie mit drei Hochpegeleingängen, von denen einer symmetrisch ausgeführt ist. Je nach Kundenbedürfnis kann der CH Precision I1 dann weiter ausgebaut werden: Ein USB-B-Input zum Anschluss eines Computers lässt sich ebenso integrieren wie ein UPnP-Streamingmodul, eine MC-Phonokarte, weitere Digitaleingänge etc.
Ein Vorteil der Modulbauweise liege auch in der höheren Zukunftssicherheit, so die Schweizer – nicht nur stehe ein Upgrade-Pfad bereit, den man einschlagen könne oder eben nicht. Auch auf jetzt noch nicht absehbare Änderungen, beispielsweise in der Digitaltechnik, ließe sich adäquat reagieren, nämlich mittels Austausch des entsprechenden Digitalboards und nicht des ganzen Gerätes. In dieser extremen Preisklasse ist das tatsächlich ein starkes Argument, wie ich finde. Apropos: Natürlich lässt sich auch die Firmware des CH Precision I1 aktuell halten, hierfür steht ein USB-A-Anschluss auf der Rückseite des Amps bereit.
Netzwerksteuerung
Direkt über diesem finden wir einen RJ45-Anschluss, und das auch bei Geräten, die keine Streamerkarte an Bord haben. Der Hintergrund: Alle CH-Komponenten lassen sich über das heimische Netzwerk bedienen und konfigurieren. Neben dem Anschluss des CH Precision I1 mittels Patchkabel an den heimischen Router ist dazu noch die CH-Controll-App nötig. Die gibt es nur für Android-Geräte, was schon etwas eigenwillig ist, aber sei‘s drum. Jedenfalls lässt sich via App so einiges an diesem Verstärker steuern: Übliches wie Quellenwahl, Pegel, Eingangsempfindlichkeit, Mute, absolute Phase, Balance ja sowieso. Und auch eher Kosmetisches wie die Helligkeit, das Farbschema sowie die Auswahl der im riesigen Frontdisplay des I1 angezeigten Infos. Doch es geht noch weiter: Hat man etwa seinen CH Precision I1 mit einer Phonokarte bestückt – übrigens ein Strom- und kein Spannungseingang –, so lässt sich nun bequem per Fingertipp auf dem Tablet zwischen sechs Entzerrkurven (RIAA, eRIAA, EMI, Columbia, Decca und Teldec) wählen. Schöne neue Analogwelt!
Feedback à la carte
Noch viel cooler finde ich allerdings die Möglichkeit, ebenso komfortabel aus sechs unterschiedlichen Gegenkopplungs-Settings zu wählen. Die Anzeige geht von 0 % bis 100 % in 20 %-Schritten und gibt die Relation von globalem zu lokalem Feedback an. Je höher die Über-alles-Gegenkopplung, desto niedriger, logischerweise, die Ausgangsimpedanz – und umgekehrt. Beim CH Precision I1 reicht sie von < 0,02 Ohm (was der 100-%-Einstellung entspricht) bis circa 0,2 Ohm (= 0 %). Durch diese Feinjustage des Feedbacks lässt sich das Matching mit dem jeweiligen Lautsprecher entscheidend beeinflussen. Auf so etwas warte ich ja nun schon länger! Mehr dazu im Klangteil.
Übrigens: Alle Einstellungen lassen sich, keine Bange, auch ohne App und Netzwerk-Einbindung vornehmen – nämlich durch diesen „Double-Jog-Dail“ auf der rechten Seite des I1. Für den braucht man zwar schon eine kleine Eingewöhnungsphase, da hier zwei unabhängige Drehregler zusammen mit kurzen und langen Pushs auf den inneren Dreher beherrscht werden wollen und die Menüstruktur durchaus herausfordernd ist. Aber nach fünf Minuten hat man’s verstanden und muss zugeben: Angesichts der Komplexität der möglichen Einstellungen ist dieses User-Interface ziemlich elegant gemacht. Eine kleine Metallfernbedienung, die die Grundfunktionen An/Aus, Lautstärke/Mute und Quellenwahl steuert, gibt es auch. Nettes Gimmick: Die Fernbedienung lässt sich magnetisch an der Seite des Verstärkers befestigen.
Digitales Herz
Es ließe sich noch viel zur Technik des CH Precision I1 schreiben, doch ich spare mir den Platz lieber für Wichtigeres auf – für die Klangeindrücke. Eines aber doch noch, und dies mag den einen oder anderen Audiophilen überraschen: Der CH Precision I1 besitzt ein digitales Herz. Nicht nur werden eingehende Digitalsignale upgesampelt, digital weiterverarbeitet und schließlich mit einer Samplingfrequenz von 352,8 beziehungsweise 384 kHz ins Analoge gewandelt, bevor sie an die Ausgangsstufe gelangen. Auch alle analogen Signale werden zunächst digitalisiert und schlagen dann den gleichen Weg wie die digitalen Konterparts ein. Ja, auch die Phonosignale. Das aber nicht aus Kostengründen (wäre ja auch noch schöner!), sondern weil es die klanglich beste Lösung im Rahmen des Platzangebotes eines integrierten Verstärkers darstelle, so die Schweizer. Also wird die Entzerrung auf digitale Weise vorgenommen.
Als weiteren Grund für die Wandlung der Analogsignale ins Digitale führt CH Precision die Lautstärkeregelung an, die bei einem solchen Design am besten „hybrid“ erfolge: Der I1 kombiniert 6-dB-Pegelschritte, die analog geschaltet werden, mit einer zwischen diesen relativ groben Stufen liegenden, in 0,5 dB-Steps arbeitenden digitalen Lautstärkeregelung. Das Ganze ist, wie sollte es anders sein, eine Eigenentwicklung, die ihre Wurzeln im D/A-Wandler CH Precision C1 und der Line-Vorstufe L1 hat. Auflösungsverluste durch die halbdigitale Pegelregelung müsse keiner befürchten, so CH Precision, denn solche gäbe es allenfalls dann, wenn mehr als 2 Bit (= 12 dB) „geopfert“ würden, was hier nie der Fall sei.
Klangeindrücke: CH Precision I1
Zunächst einmal zum Gesamteindruck – und sofort fangen die Schwierigkeiten an. „Ultra High-End“ ist nicht ganz einfach in Worte zu fassen. Wenn Komponenten zu einem Zehntel des Geldes schon überzeugen – und das tun viele –, was gibt es zu solchen „Über“-Kreationen dann noch zu sagen? Musikalisch stimmig auf höchstem Niveau? Schon richtig, aber auch recht nichtssagend. Mäßiges Preis/Leistungs-Verhältnis? Stimmt auch, doch das ist eine Binse bei solch einem Cost-no-object-Gerät. Wer in dieser Preisklasse unterwegs ist, hat sich von „budgetärer Normalvernunft“ schon länger entkoppelt, dem geht‘s ums Absolute, nicht um supersmarte Kosten-Nutzen-Erwägungen. Wogegen nichts einzuwenden ist. Im Gegensatz zur Höhe meines Kontostands.
Steile These?
Okay, fange ich noch einmal anders an: „Höchste Auflösung führt zu höchster Natürlichkeit.“ Vermutlich werden nicht wenige Audiophile diese Aussage für eine recht steile These halten, hat „Auflösung“ doch einen zwiespältigen Ruf: Einerseits will man es ganz genau wissen, andererseits seine Musik auch nicht durch „kalte Analyse“ zergliedert beziehungsweise unharmonisch präsentiert bekommen. Mir geht es auch so. Ich sehe nur nicht, wo hier der Widerspruch liegen soll. Okay – wenn man einen exponierten Hochton oder all zu schlanken Grundtonbereich mit Auflösung verwechselt, ja dann … Aber das ist ja ungefähr so, als würde man ein mit günstiger Kompaktkamera aufgenommenes, etwas schwammiges und verrauschtes Foto schon deshalb für detailreich halten, weil man es mit ein paar Photoshoptricks nachgeschärft und kontrastreicher gemacht hat. Davon kann hier nicht die Rede sein. Zumal der CH Precision I1 – um im Bild zu bleiben – eher einer Mittelformatkamera gleicht. Nicht nur preislich.
Einmal alles, bitte!
Ich bin ja nun keinen ganz schlechten Standard gewohnt, mein gut 10.000 Euro günstigeres Set-up aus DAC, Vor- und Endstufe – genau diese Geräte vereint der I1 in der Basiskonfiguration ja unter seiner Haube – verschweigt im Grunde nichts. Doch im Vergleich zur geradezu unglaublich differenzierten Finesse, die der CH Precision I1 an den Tag legt, wirkt sie fast schon profan. Das lässt sich überall heraushören.
Beispielsweise bei Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen, originellerweise einmal dargeboten von einem Streichertrio (namens ZillacusPerssonRaitinen; auf Amazon hören): Die Klangfarben wirken mit dem Schweizer einfach echter – nicht im Sinne von künstlich saturiert, sondern feiner und genauer abgestuft –, was Geige, Bratsche und Cello nicht nur klarer voneinander, sondern jeden einzelnen Ton jedes einzelnen Instruments genauer unterscheidbar und sein farbliches Changieren „verfolgbarer“ macht. Noch den kleinsten Klangschattierungen und -texturierungen wird ganz nebenher nachgegangen, so als verstünde sich das doch wohl von selbst, während eine derartige Transparenz en passant zu bieten doch gerade die hohe Kunst darstellt. Eine Kunst, die meine Vor-End-Kombi in diesem Maße leider nicht beherrscht. In Relation zum Schweizer Edelamp neigt sie dazu, die Dinge zu homogenisieren, nicht jede Schattierung nuanciert herauszuarbeiten, ja, ihr Timbre wirkt monochromer. Und das meint, ich wiederhole mich, nicht einfach „blasser“ oder farblich ins Rote oder Blaue verschoben – nein, es geht darum, dass die Bandbreite der möglichen (Klang-)Farbwerte geringer und die Stufen zwischen ihnen gröber wirken. Im direkten Vergleich, versteht sich, fehlt der einem, fehlt einem nichts, doch hat man ihn … tja.
Raumeindruck
Diese wunderbare Differenzierungsfähigkeit betrifft freilich nicht nur die klangfarbliche Echtheit und Reinheit des Klangbildes. Gerade auch was die Raumdarstellung angeht, gehört der CH Precision I1 zum Besten, was ich bis dato erleben durfte. Und tatsächlich: in jeder Hinsicht. Meine Musical-Fidelity-Monos können, wenn gefordert, eine sehr weiträumige Bühne aufbauen. Aber gerade was die Tiefe – und eigenwilligerweise auch die Höhe – der Abbildung angeht, legt der CH Precision I1 noch mal einen drauf, da nützt offen(hör)bar auch die konzeptionell bessere Kanaltrennung der Monoendstufen nix.
Aber nicht nur wird ein 3-D-haftes Abbild der Raumdimensionen geboten, auch der 3-D-Look der einzelnen Klänge im Raum, sprich deren Plastizität und Körperhaftigkeit, liegt eine Klasse über dem, was ich sonst so bei mir höre. Besagte Streicher werden nämlich weniger flächig, wolkig, übertrieben gesagt: zerfaserter gereicht, sondern präzise herausskulptiert, aber ohne jeden Anflug von Kantigkeit. Nein, es wirkt lokalisationsschärfer und organischer. Auf so etwas stehe ich ja, da merkt man, dass die nächste Stufe der Highend-Leiter erklommen wurde, wenn sich gewohnte klanglichen Trade-offs auflösen und man wirklich beides bekommt. Und noch etwas: Mit dieser Plastizität einher geht das Gefühl, jeden Ton in konzentrierterer Form serviert zu bekommen, es wirkt „weniger wässrig“ und deshalb bestimmter, fester, nachdrücklicher – mehr so wie „das echte Ding“, nicht die fadenscheinige Kopie.
Übrigens: Wo der Bühnenraum beginnt – vor, bei oder hinter der Grundlinie der Lautsprecher – liegt ganz bei der Aufnahme, der CH Precision I1 hat hier keine Präferenz. Das passt zu seinem Naturell. Der Schweizer mischt sich nicht geschmäcklerisch ins Geschehen ein, sondern nimmt sich maximal zurück und versucht, die Musik in Reinform durchzulassen.
Vermischtes
Mal eine Handvoll vermischter Eindrücke: Jack Johnsons Gitarrenpicking beim Song „Tylor“ (Album: On And On) wirkt konzentrierter, plastischer und gleichzeitig weniger trocken-spröde, also weicher. Das Harfenspiel von Joanna Newsom bei „Sprout & The Bean“ auf The Milk-Eyed Mender – gleicher Eindruck. Valeska Steiners Gesang auf „This is the beginning“ (Album: Boy/Mutual Friends; auf Amazon hören) kommt feiner aufgelöst rüber, man fühlt sich näher dran – und genau deshalb wirkt er samtiger. Gleiches erlebe ich beim Tori Amos Song „Little Amsterdam“ (Album: Boys For Pele; auf Amazon hören): Geschmeidigkeit durch höchste Auflösung und nicht durch freundliches Verrunden oder Unterschlagen. Überhaupt scheint mir hier wieder einmal räumlich alles transparenter, beispielsweise erfolgt die Trennung der Lead-Stimme von den Backing-Vocals klarer.
Worin der CH Precision I1 auch ein Meister ist: Leise Signale ganz, ganz, ganz akkurat zu „führen“, sie nie versuppen zu lassen, egal ob nun die Instrumentierung im Stück dichter wird oder es plötzlich dynamisch richtig zur Sache geht. Das bereichert das Klangbild ungemein, es wirkt wie mit dem feineren Pinsel gemalt – gerade soundscapeartige Musik profitiert: Das Notwist-Album The Devil, You + Me (auf Amazon hören) durfte ich noch einmal neu entdecken, in Nicolas Jaars Space is only Noise geradezu in Details baden.
Geländegängig?
Ein Feingeist also, dieser CH Precision I1: klangfarblich super-differenziert, räumlich hoch akkurat und plastisch, generell sehr detailreich spielend und gerade leisen und leisesten Signal(anteil)en gegenüber treu und durchlässig. Wenn diese subtilen Dinge so toll klappen – dann jetzt mal her mit der akustischen Brechstange! Pegel, Bassgewitter, dynamische Schweinereien! Zur Einstimmung gebe ich mir ein paar fiese, fordernde Tracks über meine Anlage – deren Endverstärkungspart glaubhafte 2 x 700 Watt an 8 Ohm bereitstellen kann. Der CH Precision I1 schafft laut Datenblatt gerade mal ein Siebtel dessen. Ich habe also eine gewisse Erwartungshaltung.
Die der CH Precision achselzuckend schreddert, als ich ihm Tuxedomoons „A Home Away“ (Album: Cabin In The Sky) reiche und Pegel von ihm fordere. Derart elastisch-beweglich führt er den E-Bass-Lauf vor, so unbeteiligt-stoisch spuckt er die Synthi-Subbässe aus und hält dabei das Klangbild bis in die feinsten Verästelungen hinein stabil, dass ich mich wirklich frage, wo zum Teufel er diese dynamische Souveränität eigentlich hernimmt.
Versuch einer Erklärung beziehungsweise Eingrenzung: Ich höre über einen Lautsprecher mit einer Sensitivität von 96 dB/W/m, und auch wenn ich der Meinung bin, dass so ein Horn mit 16-Zoll-Woofer für die unteren Lagen nach mehr verlangt als einer Handvoll Watt – es gibt definitiv schwieriger anzutreibende Lasten als diese Blumenhofer Genuin FS1 Mk2. Bei einem Lautsprecher mit 10 dB geringerem Kennschalldruck und dafür eine Oktave mehr Tiefgang sähe der Wettbewerb zwischen dem Schweizer Integrierten und meiner Vor-End-Kombination in Sachen grobdynamische Durchsetzungsfähigkeit im Tiefbass wahrscheinlich anders aus.
Zweites: Was heißt schon „Dynamik“? Da muss man genauer hinschauen. Feindynamisch hängt der CH Precision I1 (nicht nur) meine Elektronik ab, aber das ist schnell klar – um es herauszufinden, muss man nur mal einer gut eingefangene Stimme lauschen, derartig eng am Ton und damit jeder Pegelabstufung auf den Fersen – das ist wirklich ganz selten. Grobdynamisch verhält es sich dagegen so, dass die Kombination aus Octave-Pre und Musical-Fidelity-Endstufen etwas mehr Substanz im (Tief-)Bass ausliefern und die auch sehr trocken halten kann. Der CH Precision I1 bietet etwas weniger Wumms, wirkt nicht ganz so knochentrocken – aber dafür in der Tat noch agiler, noch elastischer und in sich differenzierter. Ganz platt: Der CH Precision I1 wirkt minimal schneller und wendiger, die großen Musical-Monos können, wenn gefordert, die höheren Gewichte stemmen. Bei Dynamiksprüngen ohne ernsthafte Beteiligung im Tiefton (scharfe Bläsereinsätze etwa) geben sich beide nichts.
Die Sache mit der Gegenkopplung
Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, worüber ich noch kein Wort verloren habe? Über die Tonalität. Und das ist kein Zufall, denn es gibt wenig zu sagen, außer: perfekt balanciert und neutral, von unten bis oben.
Lieber schreibe ich noch etwas über die Steuerung der Gegenkopplung, denn das Feature ist wirklich klasse. Generell verhält es sich so: Je höher der eingestellte Wert, desto höher auch der Dämpfungsfaktor – und damit gewinnt die Basskontrolle, das tonale Untergeschoss wird also trockener. Demgegenüber steht, dass die mittleren und oberen Lagen ein wenig von dieser besonders feinstofflichen Samtigkeit einbüßen. Bei mir war es zudem so, dass höhere Werte die Abbildungspräzision leicht verbesserten. Jeder Lautsprecher wird anders reagieren – und das ist ja gerade das Schöne an diesem Feature, dass man einen Abgleich mit seinem Lautsprecher vornehmen kann, damit es richtig passt. Man kann den Gegenkopplungswert natürlich auch musikabhängig justieren: Ein fieser Industrial-Track mit Bassgewittern verlangt eher nach 100 %. Als nächstes dann ein verträumter Girl-with-a-guitar-Song? Zero und genießen! Dekadenterweise reicht zum Wechseln einfach ein Tipp aufs Tablet und der I1 schaltet im laufenden Betrieb um. Großartige Sache.
Module, Module …
Hier ist nicht der Platz, jedes optionale Modul des CH Precision I1 ganz genau vorzustellen – ein paar Hinweise aber doch:
Ein Digitaleingangsmodul hat der CH Precision I1 standardmäßig mit an Bord, leider bietet es aber keinen USB-B-Input. Hierfür gibt es einen separat zu erwerbenden Eingang, für den 2.700 Euro extra aufgerufen werden. Nach meiner Einschätzung ist der koaxiale S/PDIF-Eingang des Standardmoduls dem USB-Input klanglich aber leicht vorzuziehen, wenn Sie also eine Quelle besitzen, die den entsprechenden Ausgang bietet, brauchen Sie nicht extra zu investieren. Der CH Precision I1 lässt sich freilich auch mit einem vollwertigen Streamer ausstatten. Das entsprechende Board gefällt mir klanglich ebenfalls einen Hauch besser als der USB-Eingang. Die Datenzuführung erfolgt ausschließlich über LAN-Kabel, preislich liegt es bei 4.800 Euro.
Das Phonoeingangsmodul des CH Precision I1 ist ziemlich klasse, mit ihm ist man klanglich ziemlich weit vorne. Für die 4.000 Euro, die das Modul kostet, ließe sich allerdings auch eine gute Phonovorstufe wie etwa die von B.M.C. Audio erwerben. Und damit geht dann doch noch ein bisschen mehr. Etwas mehr Auflösung, eine großzügigere Raumdarstellung, noch reinere Darstellung der Klangfarben. Bedeutend sind die Unterschiede wahrlich nicht, und das ist dem CH-Modul hoch anzurechnen. Aber auch hier zeigt sich, dass es nicht so ist, dass die optionalen Boards des CH Precision I1 gleich teuren separaten Komponenten automatisch den Rang ablaufen.
Test: CH Precision I1 | Vollverstärker