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September 2008 / Victoriah Szirmai
In Zeiten, in denen – von einigen positiven Ausnahmen mal abgesehen – die großen Plattenfirmen mit dem Verschicken physischer Tonträger zwecks Bemusterung armer Musikjournalisten gern geizen und stattdessen lieber in den allgemeinen Nornengesang des Niedergangs der Plattenindustrie einstimmen, ist der neugierige Schreiber immer öfter auf die Online-Presseportale der jeweiligen Labels angewiesen, um sich wenigstens halbwegs ein Bild bzw. Klang von dem zu machen, worüber er da schreiben soll und will. Also sitzt er lauschend und Notizen machend an seinem Laptop, ärgert sich über die Benutzerunfreundlichkeit der meisten Portale und muss sich obendrein von Freunden verspotten lassen: Auch ich wurde in letzter Zeit wiederholt Opfer der Sticheleien eines sehr guten Freundes, dessen Urteil ich in Musikfragen für nicht gänzlich unmaßgeblich halte, ob ich mal wieder meine „Konservenlautsprechermusik“ höre. Nun gut, flüstert eine zunehmend schwerer zu ignorierende Stimme in meinem Kopf, mithin ist’s wohl an der Zeit für den Kauf von einem Paar schönen, handlichen Laptoplautsprechern, will man doch auch mal das ein oder andere zu rezensierende Stück klangschön abspielen.
Neue Lautsprecher mussten also her, klein, kompakt, nicht teuer und wenigstens von einer Qualität, die eine merkliche Verbesserung den eingebauten Boxen gegenüber gewährleistete. Jetzt habe ich statt des scheppernden Blechklangs einen eher dumpfen U-Boot-Klang … Schrammelsound, passend eigentlich nur zu Schrammelmusik. Nächsten Monat machen wir das anders – vielleicht haben ja die Herren Herausgeber ‘ne Idee?!
(Wir denken mal drüber nach, Vic …:-) Die Red.)
Dirtylectroclash: Stereo MCs / Double Bubble
Nach drei Jahren der Studio-Abstinenz meldet sich das Brixtoner Soundkollektiv Stereo MCs endlich wieder zurück. Zwar haben die Jungs und Mädels dieses Jahr schon den Live-Mitschnitt Live at the BBC veröffentlicht, aber ein Studio-Album ist doch etwas ganz anderes.
1985 von Sänger Rob Birch und DJ Nick Hallam gegründet, haben sich die Stereo MCs seit ihrem bahnbrechenden, 1989 mit kleinem Budget für das Eigenlabel Gee Street aufgenommenen Debütalbum 33-45-78 mit spröden Beats und einer gewollt rudimentären Produktion längst eine feste Fangemeinde erspielt – sowohl national als auch international. So war ihre Single Elevate my mind vom Album Supernatural (1990) die erste britische Hip Hop-Nummer, die sich in den amerikanischen Pop-Charts platzieren konnte. Zwei Jahre später brachte ihnen das Album Connected, welches den damals populären Club-Sound Acid House aufgriff, zwei Brit Awards in den Kategorien British Group und British Album sowie den Tour-Support von U2 und den Happy Mondays ein, infolgedessen ihnen der internationale Durchbruch endgültig gelang.
Ohnehin scheint das Touren das eigentliche Metier der Stereo MCs zu sein – nicht umsonst haftet ihnen der Ruf des besten Live Dance Acts der Welt an, den sie auch hartnäckig zu verteidigen wissen. So beispielsweise erspielten sie sich im Time Out Review ihres 2005er Glastonbury Konzerts einen Goldenen Stern – eine Ehre, die sie sich mit Live-Größen wie Coldplay, den Kaiser Chiefs und Razorlight teilen. Gleichzeitig machten sich die Stereo MCs als Remixer namhafter Songs und Künstler einen Namen, wie beispielsweise von Madonnas Frozen, Terrnanovas Just Enough oder Trickys Makes Me Wanna Die. Im Jahr 2000 lieferten sie ihren Beitrag zu K7s legendärer DJ Kicks-Serie ab, und auch 2002 folgte noch einmal ein ganzes Remix-Album auf Brunswick/Universal. 2003 und 2005 folgten wieder neue Studioalben, während 2006 und 2007 ganz im Zeichen der Live-Auftritte standen, als die MCs weltweit alle verfügbaren Festivalsommer rockten …
Klar, dass bei aller Umtriebigkeit die Pläne für ein weiteres Album immer wieder verschoben wurden. Die Treue der Fans allerdings hat sich ge- und wird belohnt: Double Bubble wartet zusätzlich zum regulären Material mit der Bonus-CD Bonus-Bubble auf, die mit den fünf Easy-Listening Tracks Joy, Master Of My Own Mind, Hot Blood, Soul Girl und You Got It All fürs Wiederrunterkommen vom Tanzen sorgt, zu dem Double Bubble animiert. Hier nämlich experimentiert, rappt, sampelt, scratcht und frickelt man sich in der Besetzung Rob Birch, Nick Hallam, Owen If, Cath Coffey und Rachel Birch durch das Album, das a) ganz viel 80er-Old-School Battle-Style mit schmutzig-modernen Electro-Beats paart, die wohl nicht zuletzt der Kollaboration mit dem erst 19-jährigen Brixtoner Lokalmatador Tic-Toc zu vedanken sind, b) Affinitäten zum Zombie HipHop/Dark Pop/LoFi-Thriller-Stil der launigen Zeichenbrett-Bande Gorillaz, dem Electroclash der Brazilian Girls oder der Sexual Revelution von Macy Gray anklingen lässt und c) alle Sounds, alle Impulse, die die MCs während der letzten zwei Jahre aufgeschnappt haben, die sie plattenauflegend in den Clubs dieser Welt verbrachten, absorbiert und in einer höchst vitalen Mischung nach außen kehrt.
Da finden sich Electro Stomp (The Here and Now) und hektisch-urbane Sounds (City Lights) neben dem düster-reflexiven Pictures oder der epischen Disco-Nummer Black Gold. Die mit ihrer klagenden Spaghettiwesterntrompete im Spiel-mir-das-Lied-vom-Tod-Stil gehaltene Auskopplung Gringo (Ragged & Ruthless) war bereits vor Erscheinen des Albums eine kleine Sensation in der weltweiten Online-Community, nicht zuletzt dank des spacig-futuristischen Fallschirmsprungverfolgungsjagd-Videos. Zum Schluss wird das Album etwas ruhiger, und ganz am Ende überrascht der kleine aber feine Hidden Track I Wanna Know, der halbakustisch zart um die Ecke biegt.
Fazit: Ein durch und durch überzeugendes Comeback. Hier haben viele Köche den Brei keinesfalls verdorben, sondern vielmehr aus den unterschiedlichsten Zutaten ein höchst originelles Menü komponiert. Und als wäre ihr dies noch nicht genug, arbeitet die Band momentan an einem Live-Album, welches als Gratis-Download erhältlich sein soll. Die Stereo MCs gehören nun einmal nicht zu denen, die sich auf vergangenen Lorbeeren ausruhen.
Plattenkritik: Stereo MCs | Keziah Jones | Charlotte Sometimes | The Klezmatics | Relax Compilation