Die Franzosen Klone haben – ebenso wie die schwedische Kultband Opeth – mehrere stilistische Häutungen durchgemacht und sind nun weit entfernt von ihren Anfängen im Death Metal. Das zeigen ihre mit faszinierenden Stilmischungen und Klangmixturen gespickten aktuellen Alben. Aber wahrscheinlich werden auch die nur ein weiteres Etappenziel ihrer unerschrocken verfolgten künstlerischen Entwicklung sein.
Klone – Le Grand Voyage
Le Grand Voyage, das neue Album der französischen Band Klone, beginnt mit Donnergrollen und Gewitterregen, am Ende sind wiederum Natur-Samples mit zwitschernden Vöglein zu hören. Was sich in dieser verkürzten Beschreibung reichlich kitschig nach einer cineastischen Soundscape-Reise vom Dunkel zum Licht anhört, ist musikalisch facettenreich und ungemein fesselnd. Denn diese kurze Passage mit Naturgeräuschen ist nur der Rahmen einer im Wortsinn des Albumtitels großen Reise. Die Reise führt nach innen, durch Täler und Schründe des Seelenlebens: Verlorensein, Sinnsuche, Vergeblichkeit angesichts des Todes, Friedenssehnsucht, existenzielle Fragen nach dem Warum, Wohin und Wozu. Doch Klone verharren nicht dort unten in der Ausweglosigkeit; der letzte Song „Silver Gate“ verheißt ein durchaus kraftvolles, frische Energie schöpfendes „Und trotzdem“. Überhaupt wirkt diese nach innen schauende Seelenreise nie larmoyant.
1995 im Bereich Death Metal, Progressive Metal, Gothic und Doom gestartet, besetzt die einstmals als ernstzunehmende Tool-Adepten gehandelte Band mit sphärischen-düsteren Klangfeldern nun den Bereich des melancholischen Post-Rock. Das erinnert nicht wenig an Genregrößen wie Anathema, Katatonia, Riverside oder Antimatter. Daher ist es nur folgerichtig, dass Klone ihre Labelheimat nun bei Kscope gefunden haben, den britischen Spezialisten für klanglich ausgefeilte Rockmusik der progressiven und atmosphärischen Sorte. Le Grand Voyage ist ein durchaus typisches Kscope-Album mit ausgeklügelten Klangschichtungen, die mit gut eingebundenem Hall zu intensiver Wirkung gelangen. Melancholischer Musik, wie von Klone zelebriert, steht das bestens zu Gesicht und macht diese Aufnahme zu einer Sternstunde vor allem des Kopfhörer-Musikgenusses. So entfalten sich die Ebenen und klanglichen Feinheiten dieser Musik am besten.
In den neun Songs bewegen sich Klone in einem vergleichsweise engen klanglichen und stilistischen Rahmen, doch innerhalb dessen entwirft das Sextett aus Poitiers faszinierende Klangbilder. Die Band gibt ihrer Musik Zeit und Raum, um sich zu entfalten. Ihre Musik soll im Kosmos widerhallen, so der Anspruch der Band. Die Songs schweben Nebelschwaden gleich vorbei und bleiben doch hängen, reizen zum näheren Hinhören, weil sich Vorder- und Hintergrund laufend verändern. Meist steht die kernige, für diesen Musikstil angenehm wenig weinerliche Stimmfärbung des großartigen Yann Ligner im Fokus. Doch mitunter rücken die betörenden Melodielinien nach hinten, um jazzigen Saxophoneinlagen von Matthieu Metzger (wie in „Indelible“), bratzelnd-schwermütigen Gitarrenostinati von Aldrick Guadagnino, einem traumhaft schönen Gitarrensolo von Guillaume Bernard (in „Sealed“) oder vor allem den wundervoll eleganten, fein geschwungenen Bassmelodien von Jean Etienne Maillard mehr Präsenz zu geben. Genau diese Balance von dichten Songs und technischer Beschlagenheit, die ganz in den Dienst musikalischer Atmosphärenzeichnung gestellt wird, macht die ‚große Reise“ mit teils klang-cineastischer Größe und Opulenz zu einer musikalisch packenden, in sich erstaunlich runden Produktion. Mit dieser Scheibe braucht sich Klone vor keinem der Genrekollegen zu verstecken.
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Opeth – In Cauda Venenum
Viel stärker noch als Klone hat die schwedische Progressive-Metal-Band Opeth ihren Stil im Laufe ihrer mittlerweile fast 30-jährigen Karriere in neue Richtungen gelenkt. 1990 war Opeth von seinem Frontmann, Sänger, Gitarrist und Songwriter Mikael Åkerfeldt – dem einzig bis heute verbliebenen Gründungsmitglied – als ausdrücklich „böseste Band“ ins Leben gerufen worden. Anfangs im Death Metal wurzelnd, hat Åkerfeldt die Band durch komplexe Songbauten, in die mehr und mehr auch akustische Teile dicht eingewoben wurden, in Richtung Prog-Metal entwickelt. In den frühen 2000er-Jahren galt Opeth als eine der einflussreichsten Bands dieses Genres, die nach Dream Theater ganz eigene Nischen besetzen konnten – und eine treue Fangemeinde um sich scharte. Doch Åkerfeldt ging seinen künstlerischen Weg, der ihn etwa in enge Verbindung zu Steven Wilson brachte, unbeirrbar weiter. Er vergraulte, nachdem ihn reiner Metal zunehmend langweilte und kalt ließ, mit neuen Einflüssen aus Folk, der kompletten Aufgabe früher eingemischter Growlpassagen und viel progressivem Seventies-Vibe zahlreiche Fans – gleichzeitig kamen aber viele neue hinzu. Die auf den krassen Traditionsbruch mit Heritage folgenden Scheiben sind Meilensteine progressiver, einfallsreicher Rock-Musik mit Metal-Elementen, insbesondere das Pale Communion, das kaum überbietbar schien. Nun legt Opeth ein Album vor, das wie eine Zusammenfassung der letzten drei Scheiben wirkt, eine Summierung von deren besten Ingredienzen, versetzt mit einem guten Schuss neuer Ideen und Klangfacetten.
In der Tat bleibt sich Åkerfeldt treu und macht hier vieles neu: Das Album Nr. 13 In Cauda Venenum schrieb der Bandkopf – als persönliche musikalische Vision ohne Einbezug der Bandvorlieben – zunächst allein und zum ersten Mal auf Schwedisch. Eine englischsprachige Fassung steht ihr gleichberechtigt zur Seite; konsequenterweise wird das mit einem „überparteilichen“ lateinischen Titel versehene Album als Doppelalbum ausgeliefert. Wenn aber Åkerfeldt erzählt, die schwedische Fassung sei die ursprüngliche, so ist das beim Hören nachvollziehbar, denn die Sprachmelodie der schwedischen Fassung fügt sich mit dem musikalischen Einfall in Rhythmus und Melodie noch dichter zusammen als das in der englischsprachigen Fassung der Fall ist. Zum ersten Mal setzt Opeth neben theatralischen Chorpassagen auch Geräuschkulissen und Sprachsamples ein. Zu hören ist da etwa Schwedens früherer Ministerpräsident Olof Palme. Das ist durchaus bezeichnend, denn insgesamt ist dieses Album in puncto Lyrics viel intensiver, ernster, bedeutungsvoller. Waren früher manche Textzeilen auch nach dem Klang der Einzelworte zusammengefügt, so spielt für Åkerfeldt nun die Botschaft eine wesentliche Rolle – auch wenn er sich, was die Interpretation der durchaus politischen Texte anbelangt, nicht festlegen mag.
In Cauda Venenum (übersetzt: „Im Stachel sitzt das Gift.“) zeigt Opeth auf ihrem bisherigen Höhepunkt in Sachen Freude am Experiment und musikalische Vielschichtigkeit. Die Songs sind nicht nur klanglich bis ins Detail ausgefeilt, sondern auch formal voller Beziehungsreichtum – für Freunde progressiver Rockmusik ein besonderer Genuss, der sich bei jedem Hören aufs Neue einstellt, weil stets etwas noch nicht Entdecktes ins Bewusstsein rücken kann. Wenn etwa der sphärische Chor im einleitenden „Livets trädgård“/„Garden of Earthly Delights“ sich harmonisch in eigenwilligen Schritten nach oben bewegt, so findet das seine Fortsetzung in der Chromatik des druckvollen Folgesongs „Svekets prins“, einem Highlight des Albums. In diesem Song wird man nach den pathetischen Choreinwürfen erst einmal durch einen instrumentalen Mahlstrom gedreht, ehe sich Åkerfeldt im Falsett zu Wort meldet – frühere Opeth-Fans müssen hier ganz stark sein, denn die Band könnte kaum weiter entfernt von ihren Anfängen sein. Der Sänger zeigt sich auf In Cauda Venenum als insgesamt noch ein Stück gereifter und farbiger. Er kann immer noch aggressive Vehemenz vermitteln („Hjärtat vet vad handen gör“), aber dieses Album lebt von seinen großartigen Melodien, die sich geschmeidig auf die von Opeth gepflegte Modal-Harmonik legen und sowohl catchy als auch kunstvoll-verschroben („Charlatan“) daherkommen.
Mikael Åkerfeldts erklärtes Ziel war es, ein Album von epischer Größe vorzulegen. Das ist Opeth gelungen – dazu auch eines, das zum Schluss hin nochmal deutlich wächst. Allein die Breite der Stile, die hier kunstvoll verwoben werden, ist erstaunlich. Sie reicht von psychedelisch verwabertem Jazzrock, psalmodierendem Chorgesang und luftig-leicht wirkenden Folkvocals über geschmeidig und voluminös klingendem Fingerpicking bis hin zu aufblitzenden Jahrhundert-Gitarrensoli von Fredrik Åkesson oder Retrosounds von Joakim Svalberg an den Tasten. Und natürlich sind da weiterhin die typischen Opeth-Trademarks, wenn etwa in „Hjärtat vet vad handen gör“ ein Iron-Maiden-Bass-Galopp sich im Labyrinth ungerader Taktarten zu verirren scheint. Was aus diesem Kaleidoskop an Stilen und Farben gemacht wird, ist schlichtweg große Musik. Dieses Siegel hat das Album ohne Zweifel verdient und damit untermauert Opeth seinen Anspruch auf einen Platz im Musikolymp.
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