April 2016 / Victoriah Szirmai
Dem einem uralten Überlebenstrieb gehorchenden Motto höher-schneller-weiter-und-größer setzt die Philosophie des Genughabens die Frage „Warum wachsen?“ entgegen: Warum eine noch größere Wohnung, warum noch mehr Tage arbeiten, den nächsten 24-Stunden-XL-Supermarkt erreichen oder den neuesten TV-Screen mit Leinwandausmaßen ins Wohnzimmer schleppen, wo wir doch wissen, dass uns all diese Errungenschaften nicht glücklich(er), sondern im Gegenteil nur krank, dick und depressiv machen.
Bewegungen wie Slow Food oder Slow Music sind als Reaktion auf die stets nach neuer Befriedigung gierende Maßlosigkeit entstanden; und tatsächlich scheint Selbstrestriktion kein Mangelzustand, sondern der wahre Luxus unserer Zeit zu sein. Dazu gehört die Besinnung auf die kleinen Dinge, die aktuell auch bei Teddy Thompson & Kelly Jones und Lil Maxine hoch im Kurs stehen.
Wir alle kennen sie, diese Duettalben in betulicher Heile-Welt-Terzseligkeit. Die gehen öfter, wie etwa bei Pete Yorn & Scarlett & Johansson, mal schief, aber man gibt ihnen, Ol‘ Blue Eyes Frankie Boy und Nancy im Ohr, immer wieder eine Chance.
Diesmal zahlt sich das aus, denn der 1976 geborene britische Folkrocker Teddy Thompson, Sohn von Richard und Linda Thompson, und die zwischen New York, Nashville und Los Angeles pendelnde Singer/Songwriterin Kelly Jones verzaubern auf ihrem ersten gemeinsamen, von The Everly Brothers, Buddy Holly und Sam Cooke inspirierten Album Little Windows (auf Amazon) auf Anhieb mit charmanter Nostalgie. Wer also auf besagte Terzen, Close-Harmony-Gesang, berückende Folkpopmelodien und einen Früher-war-alles-besser-Countrybeat steht, der ist gleich mit dem Opener „Never Knew You Loved Me Too“ perfekt bedient. Nähme man auf „Make A Wish On Me“ noch einen Wechselbass dazu, das Stück könnte auch in den Alpen beheimatet sein. So aber kann man es ob seines dezenten Johnny-Cash-Appeals wohl am ehesten unter Americana archivieren.
Aus dem Kontrast von männlichen und weiblichen Vocals verstehen Thompson & Jones auf „Better At Lying“ eine Harmonie erwachsen zu lassen, in der sich zwei Hälften zu mehr als einem Ganzen fügen, während „Wondering“ der Soundtrack zu einem Wochenende sein könnte, dessen Rockabilly-Bluegrass-Twang-Gitarre schlechter Laune keine Chance lässt. „I Thought That We Said Goodbye“ ist einfach nur entzückend und spricht mit einem tiefempfundenen „Hach!“ alle Freunde des unerreichten Paul Simon an. Ein Stück, das einfach alles wieder gut macht.
Und damit geht dieses Zehn-Song-Album, das von Produzent Mike Viola auf der Suche nach dem authentisch-nostalgischen Sound live auf einer 16-Spur-Maschine aufgenommen wurde, schon in seine zweite Hälfte, eröffnet durch den langsamen Waltz „Don’t Remind Me“, in den man sich voller Vertrauen blindlings fallenlassen kann wie in ein weiches Bett, wobei es zum Zudecken ein Wohlfühl-Gitarrensolo gibt. Fein! „As You Were“ erinnert mit seinem irgendwo zwischen 50er-Easy-Listening und 60er-Beat-Vorstufe angesiedelten Sound an The Mamas & The Papas, ja sogar ein bisschen an die frühen Beatles, und auch der basslastige Shuffle „Only Fooling“ mit seinem Blues-Pattern lässt entzückt ausrufen: „Alles so schön retro hier!“
Das gilt auch für das Uptempo-Hillibilly-Stück „You Can’t Call Me Baby“, das förmlich nach einem Banjo schreit, aber auch den Rock’n’Roll-Überschlag schon andeutet, bevor sich ganz zum Schluss die Orgel noch einen kleinen Scherz erlaubt. Mit „You Took My Future“ schließt Little Windows ebenso klassisch, wie es begann: Allein mit Akustikgitarre und Close-Harmony-Gesang. „I’m stuck inside this sad old song“, singen Thompson & Jones, und dies gilt auch für diese keine halbe Stunde dauernde Platte, die den Hörer in die guten alten Zeiten zurückversetzt und dort festhält, denn manchmal, so will es scheinen, braucht man eben doch die musikalische Versicherung, dass die Welt noch in Ordnung ist.
Auf Amazon:
Teddy Thompson & Kelly Jones/Little Windows
Weniger Wohlgefühl denn intellektuellen Kitzel vermittelt die österreichische Sängerin und Pianistin Lise Huber mit ihrem neuen Projekt Lil Maxine, an dem seinem Namen zum Trotz so rein gar nichts mädchenhaft ist. Mit Oliver Steger am Bass und Konstantin Kräutler an den Drums hat sie mit A Little Girl’s Lovesongs (www.lilmaxine.com) ein Trioalbum eingespielt, dessen mal fein ziselierter, mal experimentell groovender Sound als Kulisse für Hubers Liedgeschichten dient. Der Auftakt wird von einem verträumten Piano gemacht, dem sich allmählich ein fauler Bass und ein Besenschlagzeug zugesellen. Diese tiefenentspannte Stimmung setzt sich auch dann fort, wenn der Gesang einsetzt, der derart nah mikrophoniert ist, dass man jede Gemütsregung, jeden Seufzer, das allerkleinste Atmen hört.
Ein Song zum Aufwachen ist das, und tatsächlich entwickelt er sich mit zunehmender Spieldauer auch zum echten Wachmacher, bei dem man das Anfangsvolume herunterdrehen muss, um nicht aus dem Bett zu fallen. Diese songimmanente Entwicklung ist ganz charakteristisch für die Lovesongs von Lil Maxine, bei denen am Schluss nichts mehr ist, wie es anfangs noch schien. Zum Beispiel beim bassdrumdominierten „Cold“, das eigentlich nach einem Shouter an den Vocals verlangt und zunehmend schwieriger zu verdauen, ja: richtiggehend enervierend wird, was nicht zuletzt am alarmierenden Tritonuspattern von Hubers Piano liegt. Ohnehin scheint das Trio auf möglichst uneingängliche Harmonien zu setzen, was Jazzfans sicherlich jubeln macht, Pophörer allerdings spätestens mit Stück Nummer drei endgültig abgeschreckt haben dürfte.
Auch „My Home“ ist eines dieser Stücke, die der an unvorhergesehenen musikalischen Entwicklungen Interessierte erst im Songverlauf zu mögen lernt und die damit ungleich spannender sind als Instant-Ware, die auf Anhieb gefällt. Die manifestgleich vorgetragene Textzeile I’m not alone aus dem mit seinen nuancierten Vocals bestechenden „The Missing Piece“ korrespondiert mit dem Sometimes I’m lonely-Vers des Openers, und langsam wird klar, was Huber meint, wenn sie von dem Album als einem in sich geschlossenen Zyklus spricht. „Der Himmel über Wien“ klappert sich mit einem ganz feinen Rhythmus heran, verspielt, aber mit düsterem Gegengewicht, nicht zuletzt geschuldet einem dem Schlagzeuger in nichts nachstehenden Bassisten.
Mit harmloseren Harmonien versetzt könnte „Seize The Day“ Soundtrack zum loungigen Chill-Out sein, doch dank der Vorliebe von Hubers listigem Piano für Untergründiges, ja: hintergründig Alarmierendes ist man auch hier zum genauen Hinhören gezwungen. Schließlich geht dieses Trio nie den einfachen Weg, und auch seine Hörer entlässt es an keiner Stelle aus der Pflicht. Doch je mehr man sich in die Klangfarben der Lovesongs einhört, umso leichter fällt einem das Loslassen und Genießen. Zum Beispiel das betörend düstere und doch oh-so-kraftvolle „Say Goodbye“ mit Referenz an Übertorchsong „Cry Me A River“ oder die energetische Spoken-Word-Nummer „Niemandsland“. Schlicht zauberhaft die Aleksey-Igudesman-Komposition „It Doesn’t Matter“, die sich dem Lovesong-Zyklus wie von selbst einfügt, bevor er mit dem an Susanne Sundfør erinnernden „Desidera“ seinem Höhepunkt zustrebt: Wenn es je einen Torch Song in Reinform gegeben hat, dann diesen hier! Behutsam fängt Lil Maxine den Hörer mit dem achtminütigen „This Is Lupo Song“, den Lina Neuner für das Wiener Jazzworldsingersongwritertrio pom pom pommegranate geschrieben hat, ein und setzt Gehör und Geist wieder auf Neustart. Mitunter, so wird auch dem Letzten klar, sind die kleinen Dinge eigentlich ganz groß.
Auf Amazon (ab 22.04.2016):
Lil Maxine/A Little Girl’s Lovesongs