Juni 2012 / Victoriah Szirmai
Wer Spearheads „U Can’t Sing R Song“ von 1997 kennt, erinnert sich vielleicht auch an die Textzeilen „I always wanted to let you know like Aretha Franklin you sing just like the queen of soul“. Hat man es nicht so sehr mit der Lyrik des Spearhead-Frontmanns Michael Franti, hält man es vielleicht eher mit den Jazz-Rockern von Steely Dan. Die aber beklagten schon 1980 in ihrem Hit „Hey Nineteen“, dass die fiktive neunzehnjährige Hauptfigur des Songs nicht nur andere Tänze kenne als der Ich-Erzähler, sondern nicht einmal wisse, wer denn die „Queen of Soul“ sei. Wer es geschafft hat, dass sein Ehrentitel wie selbstverständlich in den popkulturellen Kanon eingegangen ist, der trägt diesen vermutlich zu recht. Nicht einmal dem – selbsternannten – „King of Pop“ ist dies vergönnt gewesen. Die Rede ist vielmehr von Aretha Franklin.
Der populäre Journalist und Musikbiographienschreiber Mark Bego schließt sich nun den Huldigungen zum siebzigsten Geburtstag Franklins an und ergänzt seine 1989 erstmals erschienene Biographie durch weitere Kapitel, die das musikalische Schaffen von Franklin in den Neunzigerjahren und im ersten Jahrzehnts des neuen Millenniums beleuchten. Somit ist sein Buch nicht nur die erste, sondern auch die vollständigste Biographie der Soulqueen, deren Titel klar auf der Hand liegt: Das Buch muss einfach „Queen of Soul“ heißen!
Inhaber royaler Titel aber werden, noch dazu wenn sie so verschwiegen sind wie die Detroiterin, seit jeher von der Klatschpresse beobachtet, studiert und gejagt. Schließlich müsse ja auch das bestgehütete Geheimnis ergründbar sein! Bego macht sich diese Herangehensweise zu eigen; denn auch wenn „Aretha Franklin – Queen of Soul“ in erster Linie Musikgeschichte erzählen will, befasst es sich darüber hinaus mit regenbogenbunten Themen wie Gewichtsschwankungen, Scheidungen oder Zickenkriegen, mit Flugangst und immer wieder mit Essen in allen nur erdenklichen Varianten.
Das kann man jetzt mögen oder auch nicht; in jedem Falle aber trägt dieser Ansatz dazu bei, ein komplexe(re)s Persönlichkeitsbild einer Künstlerin zu zeichnen, die kaum Interviews gibt und am Schreiben einer Autobiographie bei Erscheinen der Originalausgabe dieses Buches kein Interesse hatte, obwohl sie es sich später überlegen sollte und 1999 ein seltsam distanziert und zusammengestückelt wirkendes Machwerk publizierte, das bei Käufern und Kritikern gleichermaßen durchfiel. Ungeachtet der Tatsache, dass Bego mit „Aretha Franklin. Queen of Soul“ also nicht – wie etwa Patrick Carr im Falle Johnny Cashs – im Dialog mit dem Künstler die offiziellen Autobiographie verfasst hat, sondern vielmehr auf eigene Faust die unautorisierte Lebensgeschichte Franklins veröffentlichte, ist das Buch mehr als der bloße Blick von außen auf das Leben der Künstlerin, denn Bego ist es gelungen, ihre alten Weggefährten – u.a. ihren ersten Ehemann – aufzuspüren und zum Teil erstmals dazu zu bewegen, sich über ihre Beziehung zu Franklin zu äußern. „Näher“, so sind sich Rezensenten wie Musikfans einig, „wird man der geheimnisvollen Diva nie kommen!“ (Freundin Donna, April, 2012).
Bevor es aber so weit ist, muss sich der Leser durch einige recht langatmige Anfangskapitel kämpfen, die eigens geschrieben zu sein scheinen, um ja nicht in den Ruch des Boulevardjournalismus zu kommen. Überambitioniert und akribisch wird hier auf über einhundert Seiten ausgebreitet, was eine Diskographie im Anhang tabellarisch ebenso hätte leisten können: Songtitel, Chartpositionen, Produzentennamen. Im ersten Drittel ist dieses Buch dann im Grunde genommen auch keine Bio-, sondern eine Diskographie, die man, wenngleich nicht sich komplett sparen, so aber doch radikal hätte kürzen können. Zumindest mir hat sie so einige Startschwierigkeiten bereitet. Irgendwo zwischen drittem und viertem Kapitel habe ich die Lektüre zeitweise sogar abgebrochen, da es einfach nur anstrengend ist, über eine lange Reihe von Songs, Alben und Produzenten zu lesen, die man nicht kennt. Immerhin sind die frühen Aufnahmen der Sängerin und Pianistin bei Columbia nicht im kollektiven popkulturellen Gedächtnis verankert, sondern allenfalls eingefleischten Fans der Materie vertraut.
Ganz anders dagegen ihre Titel für Atlantic Records: Hier wurde schon die allererste, im Februar 1967 erschienene Aufnahme „I Never Loved A Man“ innerhalb von nur drei Monaten so populär, dass sie laut Bego ins „nationale Kulturgut“ einging. Auch die meisten der hierauf folgenden Singles von Aretha Franklin gehören mittlerweile selbst weit über die Grenzen der USA hinaus zum klassischen Liedgut mit Kultstatus, sind Evergreens, Dauerbrenner, Longseller, kurz: unerreicht. Und wer kennt sie nicht: „Respect“, „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“, „Chain of Fools“, „Think“ oder „I Say a Little Prayer“? Mit Kapitel fünf – auf Seite 118 von 343 – fängt das Buch dann auch an, für den durchschnittlichen Interessenten an Franklins Leben interessant zu werden. Die Anfangserfolge bei Atlantic sind jetzt Vergangenheit und Aretha tritt 1969 in eine neue Schaffensphase ein.
Die hohe Informationsdichte des Buches setzt sich jedoch auch jetzt noch in einer wiederholten Aneinanderreihungen von Songtiteln, Chartplatzierungen und Produzentennamen fort – kaum aufgelockert durch die eine oder andere Anekdote zur Songentstehung oder den einen oder anderen O-Ton Franklins selbst. Nach wie vor bin ich mir nicht sicher, ob ein Track-by-Track die einer Biographie adäquate Herangehensweise ist. Vielleicht hat man sich als Leser mittlerweile daran gewöhnt, vielleicht liegt es auch daran, dass die Songs jetzt vertrauter sind – jedenfalls stört es nicht mehr so wie zu Beginn, und der bemühte Autor scheint dieses Gerüst zu benötigen, um sich daran entlang zu hangeln. Dass er letzten Endes dennoch zu Einsichten kommt wie „In diesem Song [Spirit in the Dark] geht es entweder um eine erbauliche religiöse Offenbarung oder ein berauschendes sexuelles Erlebnis“, ist, bei allem nötigen Respekt, an Banalität kaum mehr zu übertreffen. Die Stärke Begos sind Fakten, nicht Schlüsse.
Mit Kapitel sechs dann aber nimmt das Buch ganz beträchtlich an Fahrt auf. Hier – 1976 – gewinnt Franklin zum ersten Mal seit Bestehen der Kategorie nicht den Grammy für die „Best Female R&B Vocal Performance“, den man bis dato auch liebevoll als „The Aretha Award“ bezeichnet hatte; sie produziert ein Soundtrackalbum mit meinem Idol Curtis Mayfield, der nicht besonders nett beziehungsweise zugänglich gewesen sein soll, und anstatt der bislang in „Aretha Franklin. Queen of Soul“ vorherrschenden Aneinanderreihung von Fakten schimmert erstmals ein kleines Stück popmusikgeschichtliches Zeitkolorit jenseits des bloßen Namedroppings durch. Das Kapitel endet im Jahre 1979 mit Arethas letztem Album für Atlantic, bei dem sich die Sängerin in „überarrangiertem Klangbrei verloren“ hatte – und ihre Plattenkäufer gleich mit, denn diese wollten den neuen aufregenden Sound, den Lady Soul nicht zu bieten hatte: Disco.
Erst mit Kapitel sieben, welches die Arista-Jahre behandelt, wird das Buch endlich auch von persönlichem Interesse für mich, denn bei Franklins Songs aus den Achtzigerjahren war ich gewissermaßen live dabei: Diese Alben und ihre Chartplatzierungen habe ich bereits als aktiver Musikkonsument mitbekommen, weshalb die musikalische Biographie Franklins ab hier auch zu einem Stück persönlicher musikalischer Biographie von mir selbst wird.
Anfang der Achtzigerjahre belebt Clive Davis, Gründer und Präsident von Arista Records, die Karriere Franklins nicht nur wieder, sondern führt sie in bislang ungekannte Erfolgshöhen. Kurz zuvor hatte die Sängerin ihr vielgepriesenes Schauspieldebüt im Kultfilm „Blues Brothers“ gegeben, das ihrem Comeback sicherlich den Weg ebnete, der von Produzenten wie Narada Michael Walden oder Luther Vandross sicher ausgeleuchtet wurde, bis er mit Arethas fünfzigstem (!) Album „Who’s Zoomin‘ Who“ 1985 seinen Höhepunkt erreichte. Hier zeigt sich Franklin erstmals nicht nur von ihrer gospeligen, bluesigen, jazzigen und souligen, sondern auch von ihrer rockigen Seite – ein Schachzug, der ihr ein komplett neues Publikum erschloss. Kein Wunder, dass „Who’s Zoomin‘ Who“ bis heute ihr meistverkauftes Alben aller Zeiten ist, denn es gelang, eine Brücke zwischen ihren treuen Hörern aus den Sechzigerjahren und einem jungen Publikum zu schlagen, welches Aretha Franklin bislang nur vom Hörensagen kannte.
Nichtsdestotrotz sollte die im Kirchenchor trainierte Pfarrerstochter an ihrer Überzeugung: „Gospel hat die Inspiration, die Rockmusik nicht besitzt“ festhalten und folgerichtig ihr nächstes – und erstes vollständig selbstproduziertes – Album der Musik ihrer Kindheit widmen. Aretha Franklin wollte durch diesen Live-Mitschnitt in der Kirche ihres Vaters im Chor mit ihren Schwestern und Gaststars wie Mavis Staples die Atmosphäre der Gospelshows der Fünfzigerjahre wiederauferstehen lassen. Mit dieser Platte endet 1988 der Langzeitvertrag mit Arista, aber nicht die Zusammenarbeit mit dem Label, die sich noch über weitere fünfzehn Jahre ausdehnen soll.
In den Neunzigerjahren unternimmt die mittlerweile zur lebenden Legende mutierte Diva den Brückenschlag zwischen Soul beziehungsweise Gospel und Oper: 25 Millionen Menschen verfolgen an den Fernsehschirmen ihre Interpretation von Puccinis Gassenhauer „Nessum Dorma“. Opernarien bezeichnet sie als „symphonischen Soul“, manche Kritiker wollen gar das Genre „Gospel Belcanto“ ausgemacht haben. Gleichzeitig streckt Franklin ihre Fühler durch das von Fugees-Frontfrau Lauryn Hill produzierte „A Rose Is Still A Rose“ in Richtung HipHop aus und zeigt damit, dass sie noch lange nicht in die Nostalgie-Ecke abgeschoben gehört, sondern auch für das junge, urbane Publikum zur relevanten Größe werden kann. Nachdem 2004 ihr Vertrag mit Arista endgültig ausläuft, benötigt Franklin sechs weitere Jahre, um ihr eigenes Label Aretha’s Records zu gründen, auf dem 2011 ihr bislang letztes Album „A Woman Falling Out Of Love“ erscheint. „Aretha Franklin – Queen of Soul“ beschreibt diese Wandlungen in nun bereits gewohnter Ausführlichkeit.
Bei allen Kritikpunkten gelingt es Bego in „Queen of Soul“ zu zeigen, weshalb Aretha Franklin den Titel „Queen of Soul“ verdient hat, und nicht etwa Konkurrentinnen wie Dionne Warwick, Patti LaBelle oder Natalie Cole: „Sie gräbt sich in einen Songtext ein, bis sie auf seinen emotionalen Kern stößt“ beziehungsweise: „Ihre Stimme drückt unsere Gefühle aus“. Was allerdings ganz außerordentlich nervt, ist Begos Hang zu permanenter Wiederholung. Fakten werden generell zweimal wiedergegeben, und man kommt nicht umhin, sich bei Sätzen wie „Den letzten Song auf dem Album, The Woman, schrieb und produzierte Aretha selbst.“ (S. 286) und „Das Ganze endet mit The Woman – von ihr selbst geschrieben und produziert“ (S. 287) leicht gehirngewaschen zu fühlen.
Was mich an dem Buch jedoch am meisten stört, ist nicht seinem Autor anzulasten: die auffallend vielen Druck- und Grammatikfehler, gepaart mit einem unglaublich schlampigen Lektorat. Da wird aus Blueslegende B.B. King schon einmal B.B. Kind und aus Nachwuchs-Crooner Tevin Campell Kevin Campbell. Das geht natürlich gar nicht. Trauriger Höhepunkt der lieblos und eilig wirkenden Herausgabe ist das Splitten eines doppelseitigen Bildes in zwei verschiedene Bildteile mit dazwischen befindlichen Textseiten. Das ist umso bedauerlicher, da dieser Festschrift für Aretha Franklin eine angemessenere, ich bin versucht zu sagen: würdigere Verpackung zu wünschen gewesen wäre.
Mark Bego, „Aretha Franklin – Queen Of Soul“ Hamburg, Edel 2012 368 Seiten, EUR 19,95, ISBN 978-3-8419-0121-7