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Volle Fahrt voraus! Beim Einschalten des Vorverstärkers könnte man sich eventuell ein wenig erschrecken, da der Lautstärkeregler in die letzte vor dem Ausschalten gewählte Position zurückkehrt – umgekehrt fährt die Lautstärkeregelung vor dem Ausschalten der Vorstufe natürlich auch wieder ganz herunter. Die vielen Relais führen dabei eine regelrechte Klack-Show auf: Klack, klack, klack. Das macht irgendwie Spaß.
Lassen wir aber nun die Relais-Spielereien beiseite und kommen zum Klang. Und der beeindruckt von den ersten Takten an mit satter Autorität. Die wunderschön eingefangene Violine und das Piano der auf dem Audiofon-Label erschienen Sonaten von Mozart, Prokofiev, Beethoven, Brahms und Bloch, gespielt von Pavel und Lazar Berman, fluten den Hörraum mit einer geradezu allumfassenden Klanglandschaft. Die Violine erklingt lieblich und detailliert, voller Nuancen im Bogen- und Saitenton, und die Korpusresonanzen werden vollständig intakt übertragen – genauso wie die Wucht des Pianos in seiner ganzen Pracht, vom tiefsten bis zum höchsten Ton, vermittelt wird. Das ist wahrlich mitreißende, großartige Verstärkung in ihrer besten Form. Wie es sonst nur die besten Röhrenverstärker vermögen, transportiert diese Transistor-Kombination ein Gefühl körperhafter Realität von Instrumenten und Stimmen, das sehr lebensecht wirkt.
Vor kurzem wohnte ich einer der unvergesslichsten Live-Performances meines Lebens bei. Die Jenolan-Höhlen, ein riesiges Geflecht von labyrinthartigen Höhlen voller Stalagmiten und Stalaktiten unweit meines neuen Wohnorts in den oberen Blue Mountains (ein Gebirgszug im australischen Bundesstaat New South Wales, Anm. d. Red.), diente als ungewöhnlicher Auftrittsort für das weltweit gefeierte Paganini-Duo. Dieses gab eine Aufführung von Sinti- und Roma-Musik aus Rumänien, Russland und Ungarn zum Besten. Tief unten – in einer Art natürlichem Amphitheater, das im Ruf steht, die beste Akustik überhaupt zu bieten – spielte das Duo die wohl herzzerreißendste, ergreifendste und gefühlvollste Musik, die ich jemals hören durfte. Nach dem Konzert hatte ich die Gelegenheit, mit dem Violinisten Gustaw J. Szelski und dem Gitarristen Georg Mertens-Moussa über musikalische Themen zu sprechen. Und natürlich habe ich sofort die (von beiden Musikern signierte) „Blue Mountain Gypsies“ betitelte CD des Duos gekauft.
Nach meiner Rückkehr ins traute Heim, noch in derselben Nacht, fuhr ich die Strumenti hoch und legte die zuvor erstandene CD ein – und die gerade erst erlebten unvergesslichen Erfahrungen fluteten nochmals über mich hinweg. Diese Aufnahme ist als Livemitschnitt im Studio entstanden, und obwohl die akustischen Gegebenheiten dort natürlich ganz andere sind als in den Jenolan-Höhlen, vermochte es die Strumento-Kombi, die besondere „Live-Energie“ von Violine und Gitarre erstaunlich gut zu übermitteln. Der Klang dieser Aufnahme war außergewöhnlich nahe dran an dem, was ich kurz zuvor in der Höhle erlebt hatte!
Das Strumento-Gespann offeriert eine sehr feinfühlige Detaildarstellung mit exzellenten mikrodynamischen Schattierungen und einer präzisen Trennung der instrumentalen Ebenen. Auf Curanderos Aras zum Beispiel befinden sich einige äußerst komplexe klangliche Strukturen, deren verzwickte Instrumentierung und Stimmeffekte viele Komponenten anscheinend derart verwirren können, dass das klangliche Resultat von Songs wie „Segue“ mit ihnen irgendwie limitiert ausfällt, ja geradezu verstopft wirkt. In diesem Fall jedoch konnte ich einen extrem gut aufgelösten Mix genießen, mit sehr akkurater Klangfarbeninformation und einer Offenheit und räumlichen Fokussierung, die ziemlich packend ist.
Um die Fähigkeiten von HiFi-Komponenten zur Darstellung realistischer Dynamik und ihre Kontrolle im Bass zu überprüfen, ziehe ich gerne das Master of Chinese Percussion-Album von Yim Hok-Man heran. Im Falle des Strumento-N°4-Endverstärkers erlebte ich beides: Eine atemberaubende Dynamik und die kompromisslose Kontrolle der tiefen Register, dazu einen kultivierten und sehr ausgedehnten Hochtonbereich (auf dieser Aufnahme befinden sich auch so einige Glocken und Blechattacken, nicht nur die unglaublich mächtigen Trommeln). Dabei offenbarte sie eine Art von tonaler Wahrhaftigkeit, die mit jener der allerbesten Röhrenverstärker konkurrieren kann.
Der Vorverstärker ist zudem versiert darin, wunderschön texturierte Klangfarben zu transportieren, genauso wie alle anderen grundlegenden klanglichen Qualitäten, die ein Pre in dieser Preisklasse eben mitbringen muss. Dennoch komme ich nicht umhin, festzustellen, dass er in einem Bereich nicht ganz die exzellente Klasse seines Endverstärkerbruders sowie die meiner anderen Vorverstärker-Referenzen halten konnte: nämlich, wenn es um das geht, was ich „dynamische Intensität“ nenne. Der Strumento N° 1 limitierte minimal die fundamentale Explosivität eines wahrhaftig heftigen Fortissimo und verringerte auf subtile Art und Weise die Tiefe der dynamischen Kluft zwischen ganz leise und ganz laut. Jedoch ist dies der einzige Aspekt, bei dem die N° 1 „nur“ vier von fünf möglichen Sternen einheimst, die sie sich ansonsten spielerisch in allen anderen Klangbereichen verdient.
Weibliche und männliche Stimmen kommen mit diesen Verstärkern außergewöhnlich realistisch und physisch präsent rüber. Das Wort „lebensecht“ kommt ziemlich oft in meinen Notizen vor. Ebenso „holographisch“. Die Audia-Flight-Kombi projiziert eine gigantische Bühne mit einer extrem akkuraten Platzierung von körperhaften Klangbildern, die sich weit hinter die Ebene der Lautsprecher erstreckt, insbesondere wenn die Wilson Audio Alexia über das hauseigene „Aspherical Propagation Delay“-System mit optimaler Laufzeitverzögerung eingerichtet war. Die Lautsprecher verschwanden dann akustisch vollständig. Aber nicht nur das: Mit den Strumenti kreierten sie einen Klangraum, in den ich geradezu eintauchen konnte – oder anders ausgedrückt, der mich vollständig verschluckte.
Obwohl insbesondere der Endverstärker in der Lage ist, so richtig heftig zuzulangen (was ihn zum idealen Spielpartner für Freunde der härteren musikalischen Gangart macht), muss ich betonen, dass er auch einer der feinsinnigsten, tonal kultiviertesten, nuanciertesten und „körperhaftesten“ Transistorverstärker ist, die ich je zu hören die Freude hatte. Das Gleiche gilt auch für den Vorverstärker – solange man nicht auf waffenscheinpflichtige dynamische Extremtaten fixiert ist.
Fazit: Es tummeln sich ja immer mehr Firmen auf dem Markt, die für ihre Lautsprechersysteme und/oder Elektronik astronomische Preise aufrufen, oft sogar jenseits der 50.000-Dollar-Grenze. Oh Mann, nur so aus dem Bauch heraus fallen mir mindestens zehn davon ein! Die Strumento N° 1 und N° 4 liegen preislich deutlich unter dem. Könnten die Strumenti in dieser Hinsicht etwa die Botschafter eines Umdenkens sein? Nun, diese Beurteilung bleibt jedem selbst überlassen …
Mit Sicherheit jedoch sind beide Komponenten grandios klingende Kunstwerke, die spektakulär gut designt und verarbeitet sind und diesbezüglich keinerlei Vergleiche scheuen müssen. Ich habe kürzlich einige ziemlich dicke Dinger jenseits der 50.000-Dollar-Grenze für ein Print-Magazin getestet, und insbesondere die Strumento-N°4-Endstufe wird von keinem in Verlegenheit gebracht – weder in klanglicher Hinsicht, noch was die Verarbeitungsqualität angeht. Ich werde diese Kombi schmerzlich vermissen. Forza Italia!
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Test: Audia Flight Strumento N° 1 und N° 4 | Vor-End-Kombi