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Oft finden sich auf dem Musikmarkt Acts in der zweiten Reihe wieder, die qualitativ mit ungleich bekannteren Absahnern auf Augenhöhe sind. Denn musikalische Qualität und Bekanntheit gehen nicht immer Hand in Hand. Beste Beispiele dafür: Josh Smith, The Pineapple Thief und die Henrik Freischlader Band. Mit ihren neuen Alben sollte allen drei der Sprung in die erste Reihe gelingen.

Josh Smith – Burn To Grow

Josh Smith – Burn To Grow

Hört man Anfang und Ende von Burn To Grow, dem neuen Album des US-amerikanischen Gitarristen und Songwriters Josh Smith, könnte man meinen, der einstige Blueswunderknabe knüpfe mit deftigem Bluesrock stilistisch an sein hochgelobtes letztes Album „Over Your Head“ an. Weit gefehlt. Die elf Songs sind eine stilistisch vielfältige Songblütenlese, die sich viel stärker auf soulige Vibes konzentriert und dabei Gospel, Southern Rock, Funk, Jazz, den R’n’B seliger Tage und weitere Stilarten einrührt. Der bereits im Jugendalter gefeierte Saitenzauberer, der einst mit B.B. King die Bühne teilte und mit Joe Bonamassa tourte, zementiert mit „Burn To Grow“ sein Renommee als Solomusiker. Die neue Scheibe ist ihm eine Herzensangelegenheit – und das hört man in jeder Sekunde. Josh Smith erweist sich als toller Songwriter mit meisterlichen Fähigkeiten als Gitarrist und versierter Sänger mit raspeliger, etwas aufgekratzter Stimme, die bestens zu den Ausdruckswelten der Songs – typische Bluestexte von Liebesfreud und noch mehr Liebesleid – passt. Die Qualität der Songs liegt vor allem in ihren Arrangements, insbesondere den weiblichen Backing Vocals von Monét Owens und farbenreich, wunderbar catchy angelegten Bläsersätzen. Seine fulminanten technischen Fähigkeiten als Gitarrist setzt Smith im Dienste der Songs ein, virtuose Protzigkeit ist ihm fremd. Und wenn er doch zu ausladenden Soli ansetzt, haben sie riesige Spannungsbögen, sind tief empfunden, hoch musikalisch und äußerst kreativ entwickelt.

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® Olly Curtis, Guitarist Magazine

Schon der erste Song ist ein Burner. Von einem bluesig schleppenden Bassriff getragen, entwickelt sich „Half Blues“ mit scharfkantigen Soul-Bläsersätzen zu einem Groovemonster sondergleichen. Smith zelebriert ein Signature-Solo, das in Sachen Timing, Dramaturgie und Emotionalität atemberaubend (und beispielhaft für alle seine Soli) ist. In „Through The Night“ schüttelt Smith lässig Licks aus dem Ärmel, die Mark Knopfler bestens zu Gesicht stünden. Der von kalifornischer Sonne durchstrahlte, durchaus gefällige West Coast Sound bekommt einige Soul-Nuancen, die delikaten Wendungen des einschmeichelnden Solos gleiten widerstandslos ins Ohr. Gospelige Frauenstimmen sorgen immer wieder für Ausdruckstiefe, die in dem emotionssatten „That For You Too“ gipfelt. „Your Love (Is Making Me Whole)“ bringt den Rollentausch; es wird sängerisch ganz von der großartigen Background-Sängerin Monét Owens getragen. Einige harmonische und melodische Wendungen, vor allem in den Balladen, sind einnehmend bis zum fast poppig Eingängigen, aber Josh Smith hat auch höllische Soli auf Lager („Let Me Take Care Of You“). Der abschließende Titeltrack „Burn To Grow“ mit verzerrtem Riff hat eine hart rockende Urgewalt, die an Warren Haynes erinnert, und auch die Bassläufe sind ganz nah an Gov’t Mule. Trotz der Anklänge: Dieses Album trägt unmissverständlich die Handschrift von Josh Smith, der sich mit „Born To Grow“ fest auf der musikalischen Landkarte positioniert.

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The Pineapple Thief – Dissolution

The Pineapple Thief – Dissolution

Er hat es wieder getan. Der britische Schlagzeuger Gavin Harrison hat mal wieder entscheidend dazu beigetragen, eine Band über sich selbst hinauswachsen zu lassen. Schon Porcupine Tree hat er ab 2002 mit seinen fantasievollen und verspielten Drum-Künsten aufgefrischt, und nun gelingt ihm dasselbe als neues festes Bandmitglied bei The Pineapple Thief. Harrison war schon an deren umjubeltem Vorgängeralbum „Your Wilderness“ (2016) als Gast mit dabei, spielte dann die anschließende Tour mit und ist jetzt Teil des Quartetts um Bandkopf, Sänger und Gitarrist Bruce Soord. Die kreativen Energien von Soord und Harrison flossen in Dissolution zusammen, allenthalben bereits als Durchbruchswerk und bisheriger Höhepunkt der Ananasdiebe gefeiert. Erstaunlicherweise klingen The Pineapple Thief, die zuweilen als Epigonen von Porcupine Tree bagatellisiert wurden, hier viel stärker nach ihrem (angeblichen) Vorbild als jemals zuvor. Bruce Soord macht stellenweise den Eindruck eines verstrubbelten Steven Wilson, doch mehr noch wecken manche harmonische Wendungen und Arrangementideen Erinnerungen an typische Porcupine Tree-Trademarks. Die Melodie von „Try As I Might“ könnte einem PT-Song der „Deadwing“-Phase entnommen sein, und auch „Uncovering Your Tracks“ ist ganz nah dran am großen Soord-Vorbild.

Hört man sich tief in die neun Songs von „Dissolution“ ein, wird deutlich: Das Album ist ein zweischneidiges Schwert. Zweifellos ist das Songmaterial des neuen Albums musikalisch bislang am Feinsten ausgearbeitet – die Arrangements zeigen viel Liebe zum Detail, sind noch dichter, stringenter und auch facettenreicher als auf den zwölf Alben zuvor. Das zumindest um einige Nuancen bessere Grundmaterial der Songs hat allerdings der Vorgänger „Your Wilderness“. Dennoch ist „Dissolution“ beachtenswert und voller Preziosen. Soords Texte sind wie gewohnt offen gehalten und stoßen Bilder und Vorstellungen an. Diesmal geht es um die das Verloren-Sein oder Sich-Verlieren im Dschungel der Sozialen Medien; eine Beziehung zerbricht vor den sensationsgierigen Augen der digitalen Welt. Die Grundstimmung der Lyrics wird durch die für The Pineapple Thief typische melancholische Musik unterstrichen, doch erkundet Bruce Soord auch neue Ausdrucksbereiche. Seine solistischen Ausflüge reichen bis zu durchaus beißenden, schrillen und abgedrehten Tönen, wunderbar unterstützt durch Harrisons verspielte, rhythmisch ausgefuchste und dabei immer songdienliche Schlagzeugarbeit, in die man sich gerne nachlauschend versenkt (großartig das Solo im Longtrack „White Mist“).

The Pineapple Thief photo

© James Crumptsy

Das einleitende „Not Naming Any Names“, getragen von Soords Stimme und einem unheilvoll dunklen, klapprigen Klavier, bildet zusammen mit dem folkigen Interlude „Pillar Of Salt“ (vor dem großartigen Longtrack) die Ruhepole. Dazwischen gibt es straighte Rocker wie das metrisch kauzige, aber zündende „All That You’ve Got“ oder „Threatening War“, in dem Bassist Jon Sykes ein kleines Solo vom Stapel lässt, das sein elegant tänzelndes Bassspiel wunderbar ins Rampenlicht treten lässt. Der Höhepunkt ist das elfminütige „White Mist“ mit ausreichend großem Entfaltungsraum für die vier Musiker, ehe der Abschlusssong „Shed A Light“ als großes Crescendo ein versöhnliches und mildes Ende bildet. Soords schwerelose Melodien gehen auch auf „Dissolution“ wunderbar ins Ohr, während synkopierte Rhythmen und unerwartete Breaks so viele Widerhaken bilden, dass man gerne konzentriert lauscht und sich in den feinen Verästelungen der Songs verliert.

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Henrik Freischlader Band – Hands On The Puzzle

Henrik Freischlader Band – Hands On The Puzzle

Den Wuppertaler Sänger, Gitarristen und Songwriter Henrik Freischlader, der seit einigen Jahren zu den Größen der internationalen Blues-Szene gehört, verbindet so einiges mit Josh Smith und The Pineapple Thief. Der Multiinstrumentalist ist ebenso wie Smith ein Allroundtalent mit großen Fähigkeiten auch an den Studioreglern; zudem setzt sich Freischlader mit neuer Band auf Hands On The Puzzle mit den Nachteilen der sozialen Medien auseinander, verbunden mit der Mahnung, sich auf das Wesentliche, Mitmenschlichkeit und Solidarität, zu besinnen. Damit ist er textlich denkbar weit von den üblichen Bluesrock-Klischees entfernt.

Henrik Freischlader Band

© Timo Wilke

Nach der zeitweiligen Reduktion aufs Trio und Ausweitung aufs Oktett (samt Bläsern) geht er mit der Henrik Freischlader Band nun back to the roots. Allerdings ist Teil seines Quintetts mit Moritz Meinschäfer (Drums), Armin Alic (Bass) und Roman Babik (Keyboards) auch der Alt-Saxophonist Marco Zügner. Er ist das Zünglein an der Waage, das dem Album funkige, soulige Schlagseite und auch eine deutliche Prise Jazz verpasst. Die Musiker sind wunderbar aufeinander eingespielt und machen die auch in Artwork und Sound spitzenmäßige Produktion zu einem Erlebnis – allerdings der stillen Art: Atmosphäre und Authentizität sind die Stichworte. Der Gary-Moore-Fan Freischlader gibt sich unprätentiös, bescheiden, ruhig, voll von der Musik durchdrungen. Seine virtuosen Fähigkeiten setzt er ohne Eitelkeit im Dienst der Musik und der Stimmung ein und geht völlig in den Schattierungen des Blues auf – Musik mit Herzblut, Verstand und viel Gespür für geschmackvolle und inspirierte Arrangements. Seine Melodien wirken nie gewollt straff oder mit Ausdruck überladen, sondern schöpfen ihre Kraft aus der natürlich daherkommenden Entspanntheit.

Henrik Freischlader Band

© Timo Wilke

Auf dieser Grundlage gelingen Songs von zeitloser Schönheit und Ausdruckskraft, ob nun mit jazzig-abgehackten Riffs und kurzatmigen Licks wie in „Community Immunity“ oder als Old-School-Shuffle namens „Those Strings“. Der vielschichtige Longtrack „Animal Torture“ ist der musikalische Höhepunkt des Albums, der die Band in Höchstform präsentiert. Der gleichsam jammend ausgelassene Abschlusstrack „Creactivity“ taucht übrigens als Hidden Track aus der Versenkung wieder auf und zaubert einen schrägen Helge Schneider als Shouter hervor. Ein bezauberndes Album!

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