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Die Bluesgitarristin Joanna Connor lässt ein Album vom Stapel, das der rohen Energie eines Livegigs in nichts nachsteht, ihre junge Kollegin Ally Venable festigt ihren Stand als junge Stimme im Bluesrock und die Kantele-Spielerin Sinikka Langeland verwandelt die musikalischen Traditionen ihrer norwegischen Heimat in hypnotische Klänge.

Joanna Connor – 4801 South Indiana Avenue

Joanna Connor 4801 South Indiana Avenue

Joanna Connors neues Album ist nichts für Feingeister. Stattdessen legt die Slide-Gitarren-Virtuosin mit 4801 South Indiana Avenue eine Platte vor, die wie gemacht scheint für die erzwungene Konzertpause während der Corona-Pandemie. Obgleich keine genuine Livescheibe, atmet diese von den Bluesgitarrengrößen Joe Bonamassa und Josh Smith produzierte Aufnahme die Atmosphäre eines verqualmten, überhitzten Bluesclubs. Genau das war der Plan, ist der kryptische Albumtitel doch die Adresse des legendären Chicagoer Bluesclubs „Theresa’s Lounge“. Und so kommen die zehn Cover-Songs, die Bonamassa und Smith für die von ihnen verehrte Bluesurgewalt Joanna Connor ausgesuchten haben, mit roher, ungestümer Energie rotzig und ungeschminkt über die imaginäre Bühne. Klanglich ist das allerdings eher unausgewogen. Die bis an die Grenze zum Übersteuern gebrachte Stimme von Connor, die auf der Klaviatur ungeschminkter Emotionen bis in die Extreme geht und manchmal klingt, als sei sie durch Vintage-Verstärker gejagt worden, steht zusammen mit der schneidenden, ungehobelten Gitarre der Bandleaderin klar im Vordergrund. Die restliche Band, zu der Koryphäen wie Reese Wynans an den Tasten, die beiden Produzenten selbst oder auch Lemar Carter am (leicht metallisch scheppernden) Schlagzeug gehören, rumpelt etwas weiter im Hintergrund.

Joanna Connor

by Maryam Wilcher

Vollkommen ungefiltert, roh und authentisch wurde die sägende Intensität von Connors Stimme eingefangen. Knietief vergräbt sie sich in Luther Allisons „Bad News“ oder haut einem als Einstieg mit fast schon punkiger Attitüde „Destination“ von The Assassins um die Ohren. Das ist nicht schön im klangkulinarischen Sinn, aber von selten zu erlebender Ausdruckswucht. Die Powerfrau Joanna Connor, die in den 1990er-Jahren für Furore sorgte, sich dann familienbedingt vom internationalen Tourleben zurückzog und 2019 mit der furiosen Platte Rise ihr Comeback feierte, ist eine begnadete Slide-Gitarristin, die Funken sprühen lassen und einen wahren Klangorkan entfachen kann. Zu erleben ist das im ungezügelt jaulenden Heavy Boogie „I Feel So Good“.

Joanna Connor

by Allison Morgan

Aber wie bei ihren facettenreichen Liveauftritten stürmt sie nicht einfach nur nach vorn, sondern achtet auf Schattierungen. Und so besänftigt sie dieses krachende Gute-Laune-Biest für einige Momente, als nehme sie sich gerade ein bisschen Zeit zum Jammen mit der Band, um ihre Gitarre dann zum Schluss nochmal loszubrüllen zu lassen. Diese unerwarteten Wendungen, vor denen auch ihre wilden Soli nur so strotzen, geben Klassikern wie „Cut You Loose“, „Part Time Love“ oder „For The Love Of a Man“ eine neue Gestalt. Nur selten hat man Perlen des Chicago Blues wie diese zehn Songs mit so roher Energie entgegengeschleudert bekommen.

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Sinikka Langeland – Wolf Rune

Sinikka Langeland Wolf Rune

Ein Album von unheimlicher poetischer Kraft und ausgesuchter Delikatesse im Klanglichen ist der Norwegerin Sinikka Langeland mit Wolf Rune gelungen. Ihre erste Soloaufnahme für ECM ist im Vergleich zu früheren Bandprojekten noch konzentrierter. Wolf Rune präsentiert die Essenz von Sinikka Langelands musikalischer Persönlichkeit. Es vereint die Tradition der Volksweisen ihrer Heimat Finnskogen (dem von finnischen Auswanderern bewohnten Grenzgebiet zwischen Norwegen und Schweden) mit ihrem äußerst feinsinnigen Spiel auf der Kantele (einer nordischen Kastenzither) und poetischen Texten, die sich aus Mythentexten, Literatur und eigener Dichtung fügen.

Sinikka Langeland

by Dag Alveng

Die Grenzen zwischen dem folkloristischen Musikerbe der Vergangenheit und improvisationsfreudiger Gegenwart, naturhaft raunenden Texten und der famosen Klangtechnik der Jetztzeit verschwimmen und lösen sich in zeitlos wirkenden Gebilden auf („Winter Rune“). Sinikka Langeland gelingt es, anrührende, stimmungsvoll verhangene, karge Klanglandschaften aufzufächern – und das durchaus auf paradoxe Weise. Denn der kristallinklare Klang der in der Regel gezupften Saiten der Kantele verschwimmt durch weiterklingende Töne zu sphärischen, wie ein Naturlaut schwebenden Tonwolken. Die auf kirchentonalen Skalen der Alten Musik basierenden harmonischen und melodischen Wendungen verbreiten ebenso archaische wie melancholische Tiefe („Row My Ocean“, „When I Was The Forest“).

Sinikka Langeland

by Morten Krogvold

Die Musik kann aber auch tanzen und die Kraft ritueller Musik verströmen wie in „Polsdance from Finnskogen“; dabei entfaltet sie ein schillerndes, breites Klangfarbenspektrum zwischen Bass und Oberstimme. Tritt zu den verschiedenen auf Wolf Rune eingesetzten Kantele-Instrumenten dann noch Langelands eindringliche, kaum mit traditionellen Kategorien zu greifende Stimme dazu, entsteht ein Zauber urtümlicher Musikpoesie, dem man sich kaum entziehen kann.

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Ally Venable – Heart of Fire

Ally Venable Heart of Fire

Ally Venable könnte altersmäßig gut und gerne als Tochter von Joanna Connor durchgehen. Mit Anfang 20 gehört die US-amerikanische Gitarristin, Bandleaderin und Songwriterin zu den jungen Hoffnungen des bluesbasierten Rock. Dieser Rolle wird die Texanerin mit ihrer mittlerweile vierten Platte Heart of Fire mehr als gerecht. Ihr Debüt bei Ruf Records, Texas Honey (2019), brachte ihr internationales Lob ein, die Teilnahme an der von Ruf organisierten Tour „Blues Caravan“ 2019 bescherte ihr zusätzliche Fans in Deutschland. Auch die an Heart of Fire mitwirkenden Gäste unterstreichen, dass sich Ally Venable in der Szene mittlerweile einen Namen gemacht hat. Immerhin finden sich unter den Mitwirkenden Größen wie Devon Allman oder Kenny Wayne Shepherd. Als Special Guests unterstützen sie Ally Venables kompakte, im richtigen Maß spielfreudige und druckvoll agierende Band. Die Produktion von Jim Gaines überführt diese erfrischend kraftvolle Blueslesart in ein ausgeglichen wirkendes, angenehm räumlich ausgelegtes Hörpanorama.

Ally Venable

by Lindsay Steele

Musikalisch ist Ally Venable tief im deftig rockenden Texasblues verwurzelt. Als Huldigung an Stevie Ray Vaughan wirkt nicht nur die neunminütige Instrumentalnummer „Tribute to SRV“, die zwischen den improvisatorisch lockeren Rahmenteilen richtig Dampf macht und die Klasse von Venables Gitarrenkunst in den Vordergrund rückt. In den elf Songs spielen allerdings geradlinig-fetziger Classic und Hard Rock („Played The Game“, „Hard Change“, „Do It In Heels“), wie er auch von der etwa gleichaltrigen Gitarristin Laura Cox gefeiert wird, eine ebenso große Rolle wie die Blueswurzeln. Auch mit momentan gängigen Soundelementen, die Venable in ihre Musik schlüssig einbindet, findet sie eine zeitgemäße Form des Bluesrock, etwa mit den elektronischen R&B-Handclaps in dem stampfenden und düster röhrenden „Hateful Blues“.

Ally Venable

by Lindsay Steele

Ally Venable vertraut glücklicherweise ganz auf ihre eigene, jugendlich wirkende Stimmfarbe, ohne sie künstlich aufzurauen oder auf älter zu trimmen, als sie ist. Zu ihrem nach vorn preschenden Gitarrenrock – unter den elf Songs gibt es nur wenige langsame Nummern – passt das bestens. Wenn sie etwas Überdruck auf die Stimmbänder ausübt („Heart Of Fire“ oder „Road To Nowhere“), wirkt das leicht bemüht – zumindest wenn man Joanna Connors ultimative Blues-Rosskur vorher durchgemacht hat. Allerdings erscheinen im Vergleich zu Connor viele Stimmen ziemlich glatt. Was Venables Vocals zuweilen (noch?) ein wenig abgehen mag, gleicht sie durch ihre energiegeladene Gitarrenarbeit mit krachenden Soli locker aus. Auf Fotos mag sie zwar wirken wie die Tochter eines Sparkassendirektors, doch sie haut ein messerscharf geschmiedetes Rockriff nach dem anderen raus. Ohne Zweifel macht sich hier jemand startklar, um die (zum Glück weiblicher werdende) Rockwelt zu erobern. Diesen Eindruck unterstreicht nicht zuletzt Ally Venables kantige Version von Bill Withers Klassiker „Use Me“.

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