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Blues Pills – Holy Moly

Das Debütalbum der Blues Pills 2014 war ein Meteoriteneinschlag. Wie ein Heilsbringer am Rockhimmel der Schlaghosen wurde die Band um die schwedische Sängerin Elin Larsson begrüßt, Charts-Topplatzierungen und Headliner-Auftritte folgten. Das in metallischen Gefilden beheimatete Label Nuclear Blast schaffte es mit gekonntem Marketing, Metalheads für die Klangwelten des in den 60er- und 70er-Jahren verwurzelten Rock zu begeistern – mit sichtlichem Erfolg.

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Doch nach dem glorreichen Zweitling Lady in Gold begannen Schwierigkeiten. Mit dem französischen Gitarristen Dorian Sorriaux hatten die Blues Pills einen vielseitigen Filigranvirtuosen in ihren Reihen, der mit noch nicht mal 18 Jahren zu ihnen stieß und mit fein versponnenen Soli (und zahlreichen Live-Sternstunden) aus guten Songs kleine Edelsteine machte. Mit der Zeit hatte Sorriaux allerdings die Retrorockriffs über und verabschiedete sich. Seine Stelle übernahm der bisherige Bassist Zack Anderson, der mit Elin Larsson bisher schon die Songs auf der Gitarre schrieb. Man darf also gespannt sein, wie der ehemalige Tiefsaiter seine Rolle als Gitarrist ausfüllt und wie sich die Band mit André Kvarnström (Drums) und dem neuen Bassisten Kristoffer Schander auf der zum ersten Mal selbstproduzierten Platte Holy Moly schlägt.

Bereits der Opener „Proud Woman“ macht klar, dass die Blues Pills musikalisch ihr Heil in Geradlinigkeit und nach vorn drängender Energie suchen. Es geht hier wie auch beim folgenden Uptempo-Rocker „Low Road“ mächtig ab. Das ist ein Statement. Die verspielten, für Seitenwege offenen Klangerkundungen aus der Sorriaux-Zeit scheinen passé, nicht umsonst singt Elin Larsson voller Verve in einem der elf Songs: „Kiss My Past Goodbye“. Blick nach vorn, heißt die Devise. Man spürt die Energie und Einmütigkeit der Band, mit Volldampf voranzupreschen und die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Einerseits fehlen die subtilen Gitarrenfunken in den Arrangements der früheren Blues Pills, doch man sollte sich von der PS-Zahl der ersten Songs nicht vorschnell täuschen lassen. Denn andererseits ist auf Holy Moly die stilistische Breite größer als je zuvor und statt der aufblitzenden Gitarre machen die Arrangements Platz für viele Farbtupfer. Aufs Ganze gesehen sind die niedertourigen, aber spannungssatten Stücke sogar in der Überzahl – von deren musikalischer Qualität und Intensität ganz zu schweigen. Das atmosphärische „Dust“ ist einer der Höhepunkte, soulig steigert sich „Wish I’d Know“ zu einem wuchtigen Gospelfinale, „California“ und auch „Song from a Mourning Dove“ zeigen, dass die Band abseits typischer Balladen ergreifende Songs schreiben kann.

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Foto: Benjamin Goss

Die Band setzt neben dem kraftvollen Blick in die Zukunft noch ein zweites Statement. Elin Larsson, vom etwas in die Jahre gekommenen Blues- und Retrorock-Publikum gerne als „schöne Schwedin“ apostrophierte Frontfrau der Blues Pills, will sich nicht auf ihre optischen Eigenschaften reduzieren lassen und macht den Eingangssong „Proud Woman“ zum Manifest weiblicher Selbstbestimmung. Wie um dieses Selbstbewusstsein zu unterstreichen, wird ihre Stimme in dem retro daherkommenden Klangbild manchmal bis an die Grenze zum Übersteuern gebracht, was auf Dauer etwas anstrengt. Gleichwohl kann ihre schiere Power, die im Fuzz-Fest „Rhythm in the Blood“ vom treibenden Schlagzeug genial unterstützt wird, ebenso begeistern wie ihr helles, weiches Timbre, das sie in den ruhigen Songs ausdrucksvoll einsetzt.

Holy Moly ist eine Häutung der Blues Pills. Auch wenn sich der Riffarbeiter Zack Anderson als Gitarrist nur selten aus der Deckung wagt und aus den Songs keine eindeutigen Live-Kracher herausragen, zeigt sich die Band voller Selbstvertrauen und als harmonierendes Gefüge. Es spricht für den Mut der Blues Pills, Holy Moly musikalisch etwas straighter, dafür aber stilistisch deutlich vielschichtiger anzulegen. Hut ab!

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The Pineapple Thief – Versions of the Truth

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Lange hat es nicht gedauert, bis Bruce Soord, der britische Akkordarbeiter der Abteilung Artrock, sich wieder zu Wort meldet. Nach der Erfolgsplatte Dissolution (2018) mit seiner Hauptband The Pineapple Thief und einer Soloplatte bringt er nun wieder seine Ananasdiebe an den Start. Versions of the Truth heißt die wie gewohnt bei Kscope, den Spezialisten für klanglich detailfein aufgenommenen Artrock, erschienene neue Platte.

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Foto: Diana Seifert

In unserer Gegenwart der Faktenleugner und -verdreher ist die Thematik hochaktuell, doch gewinnt Soord den eigenen Wahrheiten jedes/r Einzelnen eine persönliche Note ab: Es geht um die Sichtweisen auf zwischenmenschliche Beziehungen und deren Scheitern. Die aufgegriffenen Themen sind nicht ernster als die ohnehin zu Melancholie und düsterer Emotionalität neigenden Songs von Bruce Soord sonst auch, doch diesmal kleiden sich die Lyrics in nicht ganz so widerstandslos ins Ohr gleitende Melodien. Zwar sind auch hier alle Trademarks der Band versammelt, allerdings klanglich erweitert durch elektronische Sprengsel und Soundscapes. The Pineapple Thief gelingt es wieder einmal, Songs zu schreiben, die das genaue Hinhören durch metrische Verschiebungen und allerlei Widerständiges sehr reizvoll machen, aber auch gut einfach so gehört werden können, weil Songdramaturgie und Melodien sehr stimmig sind. Es sind tolle Songs dabei, etwa „Driving Like Maniacs“ oder der Longtrack „Our Mire“, darüber hinaus auch das langsame, dabei aber unruhig drängende „Stop Making Sense“. Allerdings gibt es auch etwas schwächere Titel wie die Singleauskopplung „Demons“ mit leicht uninspirierter absteigender Skalenfigur in den instrumentalen Zwischenspielen oder „Leave Me Be“.

Der Anteil von Jahrhundertschlagzeuger Gavin Harrison an einem Album von The Pineapple Thief war nie höher als in diesem. War der frühere Drummer von Porcupine Tree und momentanes Mitglied von King Crimson, der mittlerweile fest zu The Pineapple Thief gehört, auf den letzten Alben der Band mit seinem filigranen Schlagzeugspiel das I-Tüpfelchen ohnehin schon toller Songs, so hebt er hier manch eher durchschnittliche Nummer durch sein verspieltes, alle Regelmäßigkeit über den Haufen werfendes Prog-Drumming auf eine ganz neue Stufe. Unverkennbar sind schon nach wenigen Sekunden des ersten Titels sein Cymbals-Spiel und die unvergleichlichen Fills. Was Soord mit geschmeidigen Vocals, aber diesmal mitunter etwas flacheren Songs nicht schafft, rettet Gavin Harrison. Auch das ist eine Form von Teamwork in einer Band.

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Walter Trout – Ordinary Madness

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Ordinary Madness heißt das neue Album des amerikanischen Bluesgitarristen Walter Trout. Der Titel dieser noch vor Einsetzen der Corona-Pandemie fertiggestellten Platte ließe sich leicht mit den politischen und gesellschaftlichen Hintergründen in Trouts US-Heimat zusammendenken. Doch darum geht es nicht. Das nach „Battle Scars“ (2015) erste „richtige“ Soloalbum (nach einer Live-, Kollabo- und Bluesraritätenplatte) ist definitiv eine von Trouts persönlichsten Scheiben. Die Texte basieren großenteils auf Notizen, die der schicksalsgeschüttelte Bluesgitarrenvirtuose über mehrere Jahre im Tourbus festhielt und dann – wie es für ihn typisch ist – innerhalb kürzester Zeit in Songs umgeformt wurden.

Elf Titel bilden Ordinary Madness, in denen es textlich um Selbstzweifel und -kritik, Angst, Vergänglichkeit und die heilende Kraft menschlicher Beziehungen geht. Wobei für den Vollblutmusiker Trout, der Komponieren, Spielen, Singen, Auftreten als beste Therapie bezeichnet, Musik in allen ihren Formen selbst schon heilende Wirkung hat. Trouts Lyrics, für die teils auch seine Ehefrau Marie verantwortlich zeichnet, sind nicht nur stärker als früher; Trouts Songwriting rückt sie nun auch mehr in den Mittelpunkt als das für Bluesgitarristen eigentlich üblich ist.

Walter Trout

Foto: Alex Solca

Diese Schwerpunktverlagerung ist schon am Beginn des ersten Songs „Ordinary Madness“ hörbar: Aus elektronischem Gemurmel schälen sich Drums (Michael Leasure) und Bass (Johnny Griparic) mit einem punktierten, schleppenden Rhythmus heraus, über den sich eine melancholische Tastenfigur von Teddy Andreadis legt. Erst wenn dieser Teppich ausgerollt ist, tritt Trout mit Gitarre und Stimme dazu. Der Protagonist weiß auch auf dieser Platte (und selbst ohne Einsatz des lädierten kleinen Fingers der linken Hand), wie man funkelnde, ins Herz schneidende Bluessoli spielt – schon der erschütternde Titelsong ist mit atmosphärischen Solostrecken reich ausgestattet. Aber Trout nimmt seine Gitarrenkünste auf diesem Album merklich zurück und legt die Songs als Zusammenspiel einer gleichberechtigten Band an.

Seine bekenntnishaften Texte singt Trout stimmlich so wandelbar wie er kaum je zuvor geklungen hat. Zwischen fahlem Flüstern und aufgekratztem Schrei ist die gesamte Palette der Blues-Ausdrucksmöglichkeiten vorhanden. Und oft geht Trout das Risiko ein, die musikalischen Stimmungen dem Text folgend als Kontraste aufeinanderprallen zu lassen. Wie gut ihm das gelingt, zeigt schon der im Refrain lebenshungrige Song „Wanna Dance“ und vor allem „Up Above My Sky“. Bei einem so schonungslos expressiven Album verwundert nicht, dass Trout aus den üblichen musikalischen Rastern des Bluesrock ausbricht und für ihn neue Landstriche aufsucht, etwa in dem lockeren Countryrocker „Heartland“ oder in der locker schwingenden Folkballade „My Foolish Pride“. An deftigem Bluesrock („Final Curtain Call“, „OK Boomer“) fehlt es auf „Ordinary Madness“ nicht, doch am meisten gehen die in sich gekehrten und dabei aufwühlenden, langsamen Nummern wie „All Out of Tears“, „Heaven in Your Eyes“ oder „Up Above the Sky“ zu Herzen. Walter Trout hat ein ehrliches, bewegendes Album vorgelegt, das wunderbar in unsere Zeit passt. Nicht nur für ihn könnte es heilende Wirkung haben.

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