Theoreme – Les Artisans
Theoreme erschafft mit ihrem neuen Album Les Artisans eine ganz eigene Welt aus Sounds und rhythmischen Loops. Seit ihrem ersten Album 2016 war es ruhig geworden um die Musikerin. Maïssa D. aus Lyon, die hinter dem Namen steckt, moderierte währenddessen ihre Radioshow Dopazione auf Radio Lyle – und musikalische Richtungen wie Punk, Experimental und Underground Hip Hop, die sie dort regelmäßig spielte, scheinen auch in ihrer eigenen Musik durch.
Das Album beginnt mit dem titelgebenden Song, der mit einem Bass-&-Drum-Beat beginnt. Theoreme rappt in Französisch darüber und ihre Stimme durchbricht nur schwach den wabernden, hypnotischen Beat, zu dem sich Synthesizer gesellen und eine drängende Atmosphäre aufbauen. Dadurch, dass sich die Motive in den Instrumenten nur minimal verändern und höchstens der Bass gen Ende des Songs rumpliger wird, gerät der Song zu einem Mantra, das durch Thoremes Sprechgesang auflebt. Auch der nächste Track Les Gifles Du Pariétal folgt diesem Muster. Ein hüpfender Bass, kombiniert mit einem simplen Drum-Beat und Theoremes markanter Stimme – die Kombination geht deshalb auf, weil aus dieser simplen Formel ein Gefühl beschworen wird.
Der pulsierende Rhythmus in Theoremes Songs versetzt einen in Berlins Underground Clubs und verlassene Industrie-Hallen, in denen die Musik ein Abbild der rohen Architektur wird. Die Monologe auf der Platte sind catchy und repetitiv. Auf Radionucléides singt Theoreme jedoch ungewohnt melodiös, was der Balance aus Stimme und pochender Komposition guttut. Zwar steht auch hier der Rhythmus im Vordergrund, doch es entsteht ein Flow, der über vier Minuten immer weiterläuft. Da ist es auch egal, ob man jedes Wort übersetzen kann. In dieser Musik geht es um etwas anderes! Trés Bien!
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Damon Albarn – The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows
Damon Albarns markante Stimme kennt man von vielen seiner Projekte – sei es von der Band Blur oder den virtuellen Gorillaz, mit denen er viele Alben veröffentlichte. Seltener veröffentlicht Albarn jedoch Platten als Solo-Künstler. Nun kommt nach seinem Debut 2014 sein zweites Album The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows heraus, auf dem er es ruhig angehen lässt.
Das Album beginnt mit dem titelgebenden Song, auf dem sich Delay-behaftete Gitarrentöne mit Synthie-Schleifen vermischen und Albarn in langgezogenen Noten darüber singt. Seine weiche Stimme lässt einen in der Musik versinken. Das Lied kreist ohne Beat und eine gezupfte Akustik-Gitarre rührt den meditativen Sound sanft an. Am Ende des Songs rauscht das Meer und schon davor kam durch die fast spirituelle Aura des Lieds das Bild einer gewaltigen Naturlandschaft auf.
Das könnte auch Albarns Inspiration gewesen sein, denn er besitzt seit Januar 2021 die islandische Staatsbürgerschaft und hat das Album auf dem Inselstaat geschrieben. So kann man sich die Melancholie und Schwere erklären, die in der Musik mitschwingt. Auch der nächste Song The Cormorant ist trotz eines leichten Drum-Patterns gleichermaßen anziehend, trist und schön. Albarn ist ein Meister darin, Dissonanzen so einzusetzen, dass sie das Stück harmonisch nicht zerstören, sondern fragil machen. Und so schreitet die Musik und fließt von einem Song in den nächsten.
Als Up-Beat-Songs mit Aufschwung behaupten sich der instrumentale Track Combustion und Royal Morning Blue, doch auch bei diesen Stücken endet Albarn gebremst und bedacht. Polaris sticht mit einem experimentellen Anfang, Saxophon-Einlage und einer schlichten Orgel-und-Gesang Strophe heraus, die von einem klackernden Beat unterlegt wird. Und über allem schwingt Damon Albarns Stimme, die subtil aus den Tönen bricht. Ein ungeschöntes Album, das genau mit seiner Ehrlichkeit beeindruckt.
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DAF / Robert Görl – Nur Noch Einer
Deutsch Amerikanische Freundschaft, auch DAF, war neben Kraftwerk die einflussreichste deutsche Electro-Gruppe der 80er-Jahre. Nach der ebenso überraschenden wie traurigen Nachricht, dass Frontmann Gabriel Delgado-López letztes Jahr in Portugal verstarb, wird man erneut überrascht. Denn nun bringt Bandmitglied Robert Görl, der mit Delgado-López den Kern von DAF ausmachte, das Album Nur Noch Einer heraus. Der Titel gleicht einer Feststellung, die bitter ist. Görl ist das letzte lebende Bandmitglied von DAF und nahm das lange geplante DAF-Album, zu dessen Studioaufnahmen es gemeinsam nie kam, einfach selbst auf. So stellte er sich hinter das Gesangsmikrofon und schrieb erstmals auch die Texte – angelehnt und als Hommage an Delgado-López.
Die Nostalgie erkennt man an den Songtiteln. In Erste DAF Probe imitiert Görl mit quietschendem Stylophon und einem Hau-Drauf-Beat am Schlagzeug die erste Probe mit seinem verstorbenen Freund. Hallende Lacher durchbrechen den treibenden Track – hier wird nicht trübe zurückgeschaut, sondern Görl erinnert sich an den Spaß von damals. Dass sich alles wirklich nach DAF-Sound von damals anhört, liegt daran, dass die elektronischen Basistracks lange unveröffentlicht brachlagen und nun endlich benutzt wurden.
Doch Delago-López‘ Gesang und lyrische Finesse ist schwer zu ersetzen und hier hat das Album seine Schwachstelle. Denn der schwarze Humor, den Delgado-López so gut beherrschte, überträgt sich nicht mehr. Am besten gelingt das Spiel mit den Worten noch bei „Kunststoff“, bei dem Görl über einem bretternden und dystopischen Electro-Beat „Kunststoff, alles ist Kunst / alles an dir ist Kunst / du bist so plastisch / (…) dein Körper ist so künstlich“ singt und auf die allgemeine Tendenz zur Oberflächlichkeit eingeht. Doch der Witz geht hier durch Pessimismus verloren. So wird das Album zu einem Abschied, den man auch als Chance verstehen kann – denn wie sich Görl ohne DAF anhören wird, ist eine Frage, die er in Zukunft bestimmt beantworten wird.
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