Marc Matter & Stefan Römer – Deconceptual Voicings
Man stelle sich vor, es liegt ein ausgeschnittenes Bild vor einem. Man zerschneidet es und setzt es neu zusammen, sodass eine ganz andere Komposition zustande kommt. Stefan Römer hat genau dieses Kollagen-Konzept an Tonspuren angewendet. Zusammen mit Marc Matter sampelte er Wortfetzen und Sprachpassagen aus Interviews mit acht KünstlerInnen aus der Konzeptkunst, die er in den Nullerjahren für seinen Essay-Film Conceptual Paradise traf und befragte. So kamen acht neue Musikstücke zustande, die nur aus Sprache und Stimmgeräuschen zusammengesetzt sind. Das Projekt, in dem Römer und Matter gesprochene Ideen und Konzepte aus Interviews mit KünstlerInnen noch einmal verstärken, wurde vom Musikfonds finanziell unterstützt.
Auch, wenn sich die Idee abstrakt anhört, sind auf der Platte Deconceptual Voicings Songs zustande gekommen, die teilweise poppige Läufe enthalten und im Ohr bleiben. Wie der nach unten laufende Bass, der im ersten Song child of pop and movies aus Dum-Dum-Dum-Wortfetzen besteht. Von diesem unterlegt, spricht Künstlerin Martha Rosler mit angeregter Stimme über ihre Arbeit. Ihre „Idea!“-Ausrufe bilden dabei so etwas wie einen Chorus. Es kann aber auch konzeptionell werden: aus Sol LeWitts Interview schnitten Römer und Matter das sperrige Stück a serial progression. Hier wird LeWitts Satz „The idea of a serial progression“ so lange gekürzt, bis das gesprochene „Progression“ zu „Gression“ wird und am Ende nur noch „Ion“ übrig bleibt und einen Beat formt. Diese Art von repetitivem Muster und Pattern findet man auch in Sol LeWitts künstlerischer Arbeit.
Der Grundgedanke von Deconceptual Voicings kommt deshalb gut zum Tragen. Römer und Mattes ging es nicht darum, gefällige Musik zu kreieren. Ihre Songs geben nicht nur den ausgesprochenen Ideen der KünstlerInnen eine musikalische Bühne. Sie fangen ihren Charakter auch strukturell ein.
FKA twigs – Magdalene
Die Sängerin und Tänzerin FKA twigs hat nach ihrem Debut 2014 ein neues Album veröffentlicht. Magdalene beginnt mit kirchenähnlichem A-capella-Gesang, in dem FKA twigs wiederholt „if I walk out the door, it starts our last goodbye“ singt. Das „last goodbye“ ist so prägnant, dass man sofort an das Ende einer Beziehung und den Schmerz denkt, der damit verbunden ist. In hohem Sopran und viel Hall kündigt FKA twigs damit eine neue Ära in ihrem Schaffen an. Anders als bei dem surrealistisch aufgeladenem Vorgänger, lässt FKA twigs auf Magdalene in ihre Seele blicken. Die Texte sind persönlich und geben ihrem Liebeskummer und dem Weg zur Selbsterkennung Raum.
FKA twigs ist der Gesamtkunstwerk-Alter-Ego von Tahliah Barnett. Die britische Kreative drückt sich nicht nur musikalisch aus. Neben den Electro-Pop-Balladen auf der neuen Platte führte sie oft Regie an ihren Musikvideos und ist als virtuose Tänzerin bekannt. Im Video zur ihrer Single home with you kommt alles zusammen. In den Bildern zur Electro-Klavierballade sieht man die Reise einer Frau, die futuristisch gekleidet aus einem Underground-Club kommt. Bei minimalem Beat und verzerrter, angsteinflößender Stimme drängt sie sich zwischen Neonlicht und düsteren Gestalten. Auf der Straße vor dem Club wartet ein Auto auf sie, mit dem sie sich auf einen Roadtrip in die Natur begibt. Mit den neuen Bildern von Bäumen und Wiesen wird das Lied sanfter, ihr zarter Sopran mit Klavierbegleitung klingt klar und pur. Twigs saß in der Regie, ist selbst die Protagonistin im Clip und verantwortlich für die Tanz-Choreografie im Auto. Bei einem Haus in der Natur findet sie zwischen wehender Wäsche an den Leinen ungeschminkt und mit jungem Alter Ego wieder zu sich. Das metaphorisch und symbolisch aufgeladene Video zeigt, wie originell Twigs ist. Die Musik entwickelt sich im Song und Pop-Strukturen existieren nicht. Genau das macht viele der neuen Lieder so stark, besonders am Anfang des Albums. Die einem bekannten Muster folgende Single holy terrain, auf dem Rapper Future einen Gastauftritt hat, gehört deshalb zu den schwächeren Songs. Trotzdem kann man nicht anders als Twigs zu bewundern. Der Weg zu sich selbst ist immer unberechenbar und wird selten so schön künstlerisch ausgedrückt wie auf Magdalene.
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Battles – Juice B Crypts
Battles sind wieder da – inzwischen sind Ian Williams und John Stanier nur noch zu zweit. Dass sie von einer Vierer-Besetzung über die 12 Jahre zwischen dem ersten und dem jetzt erschienenen vierten Album immer weniger Mitglieder wurden, macht aber nichts. Battles herrlich groovende progressive Math-Rock-Musik funktioniert auch im Duo. Der Instrumenten-Allrounder Williams am Keyboard, den Synthies und der Gitarre und der studierte Orchester-Perkussionist Stanier standen schon immer für den unverkennbaren Sound der Band. Der besteht aus dröhnenden Bassmotiven, die monoton im Hintergrund grooven, einem mechanischen Schlagzeug und piependen, funky Keyboard-Soundschnipseln und Loops, die immer wieder eingeworfen werden und die Songs aufmischen.
Der Sound der Band ist so gefestigt, dass man auf der neuen Platte Juice B Crypts fast meinen könnte, sie hätten ein paar Ideen von ihrer allerersten EP aus dem Jahr 2006 genommen und weiterverwertet. Bei dem Song A Loop So Nice… hört es sich zwar zunächst so an, doch entwickelt sich der Titel mit einem Feature der R&B-Sängerin Xenia Rubinos in ganz neue Richtungen. Die Indie-Musikerin singt sich in dem nahtlos anknüpfendem Song They played it twice fast die Seele aus dem Leib. Obwohl eine Stimmeinlage auf der Platte eine nette Abwechslung ist, bräuchte die Musik von Battles das nicht.
Nachdem Tyondai Braxton aus der ursprünglichen Formation die Band verließ, wurden die Features für Gesangsparts so etwas wie eine Tradition bei Battles. Über die Jahre kam so eine beeindruckende Liste aus Indie-Szene-Namen auf ihren Alben zusammen. Darunter befinden sich zum Beispiel die Blonde-Redhead-Sängerin Kazu Makino, Elektropopper Gary Numan oder Liquid Liquid’s Sal Principato. Trotz Prominenz im Studio sind die stärksten Songs der neuen Platte aber instrumental. Besonders der spielerische, aus Electro-Arpeggien bestehende Anfang des Albums macht Spaß. Hier zeigt sich, dass Battles aus einem Drum-Beat, geloopten Bass und klirrenden Electro-Arpeggien immer noch ganze Hymnen schreiben können.
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