Iggy Pop & Underworld – Teatime Dub Encounters
Obwohl gesagt wurde, dass Iggy Pops Tour 2017 seine letzte war, ist er vom Ruhestand weit entfernt. Er ist sogar so produktiv wie selten. Zwei Jahre nach seinem Album Post Pop Depression kommt nun eine EP heraus, auf der Pop sich mit dem Minimal-Electro-Duo Underworld zusammengeschlossen hat. Die Musiker kennen sich schon länger – beide Parteien waren auf dem Soundtrack zum Film „Trainspotting“ vertreten. Damals konnte man sich eine Zusammenarbeit noch gar nicht vorstellen. Als der zweite Teil des Films vor einem Jahr abgedreht wurde, erinnerte man sich an die Songs und benutzte sie erneut. Dadurch trafen sich die Musiker persönlich und kreierten kurzerhand vier neue Stücke, die es in sich haben. Mit der resultierenden EP zeigen Pop und einer der Pioniere der progressiven Dancefloor-Musik in einer knappen halbe Stunde, dass Punk und Electro auf ganz natürliche Art und Weise zueinanderfinden können.
Die Platte beginnt mit Bells & Circles. Der Beat ist tanzbar und technolastig. Pop erzählt darin mit dunkler Stimme von früher. „I remember smoking on the airplane“, sagt er, als ob er ganz nebenbei in seinem Gehirn nach Stories kramt. Der Sprechgesang wirkt bei Mr. Pop, wie man es von ihm gewohnt ist, extrem lässig. Man erfährt in über sieben Minuten von einem Flug nach Washington, bei dem er eine Stewardess beobachtet und mit ihr flirtet. Später kommen diverse Drogenexperimente dazu, weshalb er ihre Nummer verliert. Am Ende des Songs wird es etwas poppiger – dort mischt sich eine Art Chorus-Gesang im Dada-Stil unter und verleiht dem Stück Charme.
Pop, der laut Eigenaussage eigentlich herzlich wenig mit elektronischer Musik anfangen könne, stehen die Experimente mit dem neuen Genre hörbar gut. In ungewohnter Umgebung konzentriert man sich beim Hören umso mehr auf seine dunkle Stimme. Den punkigen Charakter konnte er bewahren. Und den kann man nicht erlernen oder vortäuschen – Iggy Pop, inzwischen 71 Jahre alt – bringt ihn einfach immer mit.
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Thomas Azier – Stray
Nach seinem zweiten Album brachte der Art-Popper Thomas Azier diesen Juli nun die EP Stray mit vier neuen Songs über sein eigenes Label auf den Markt. Der Niederländer geht grundsätzlich sehr bedacht mit seiner Musik um: Die Tiefe, die durch den teils monatelang andauernden Feinschliff entsteht, spürt man folglich auch auf Stray. Echoes, der erste Titel der EP, liegt eine poppige Melodie mit Gitarrenriff zugrunde. Durch Anreicherungen mit Electro-Effekten baut sich das Stück nach und nach zu einem Hit auf. Das Intro ist ausgetüftelt und gibt einen guten Einblick in Aziers Kompositionen: In der ersten Minute bricht der gesamte Song auf einmal unerwartet weg, als ob jemand den Stecker gezogen hätte. Dann geht es erst richtig los.
Das Unerwartete überträgt sich bei Azier auf die Effekte, aber auch generell auf die Art seiner Songs. Alle Lieder der EP besitzen unterschiedliche Charaktere. Wenn man Echoes als Pop-Stück identifiziert, überträgt der nächste Track White Horses ein dunkles, verruchtes Gefühl ähnlich des Ray-Charles-Hits „Fever“. Das Mysteriöse, das in White Horses besonders hervortritt, ist ein fester Bestandteil in Aziers Musik. Auch bei The Girl beneath the Lion, das mit einer beschwingten Synthie-Riff beginnt, gibt es eine dunkle Komponente, die sich nie ganz auflöst. Vielleicht ist es das, was die französischen und belgischen Hörer so schätzen. Obwohl Azier über zehn Jahre in Berlin lebte, war er mit seinen Veröffentlichungen im französisch-sprachigen Europa und in seiner Heimat am erfolgreichsten. In Frankreich wurde er schon nach zwei EPs von seinem eigenen Label frühzeitig von Universal Music Frankreich entdeckt. Das führte schließlich sogar dazu, dass er letztes Jahr nach Paris zog. Seine Fans werden es ihm danken – Berlin hat jedoch einen großartigen, experimentellen Musiker verloren.
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Florence + the Machine – High As Hope
Die neue Platte von Florence + the Machine beginnt mit der begnadeten, engelsgleichen Stimme der britischen Musikerin Florence Welch. Nur von gezupften Harfenklängen begleitet, erzählt sie von ihren Erlebnissen nach der letzten Tour, mit der sie in den Jahren 2015 und 2016 die ganze Welt bereiste. „The show was ending and I had started to crack“, deutet die körperlichen Anstrengungen der abendlichen Performances an. Der Song war der erste, den Welch nach den Konzerten schrieb und im Studio aufnahm. Es war schon immer ihr Markenzeichen, emotionale Strapazen in träumerisch anmutende Songs zu verpacken und in ihnen eine Geschichte zu erzählen. Ihre Band, in der Harfen und Streicher ein fester Bestandteil sind, trägt zu einem märchenhaften Sound bei. Auch die Songtexte scheinen manchmal überirdisch, weil sie realistische Ereignisse mit fantastischen Erlebnissen paaren.
In „June“ spricht Welch zum Beispiel von einem Engel, den sie sehen kann. Die darauf folgende Pop-Hymne „Hunger“ wirft Szenerien wie die einer wilden Party in den Raum. Durch Erinnerungen aus der Vergangenheit bildet Welch dort gleichzeitig ihre Sehnsucht nach Liebe ab, die sie nun klar identifizieren kann.
Auch wenn das Album musikalisch genau das ist, was man von Florence + the Machine erwarten würde, enttäuscht es nicht. Dafür ist Welchs Stimme viel zu außergewöhnlich und einzigartig. Man freut sich, wenn sie von nur wenigen Instrumenten wie dem dramatischen Piano in „Big God“ begleitet wird, weil ihre Klangfarben dann umso mehr in den Vordergrund treten. Ihre sympathische Hippie-Attitüde spiegelt sich hier in den Rhythmus-Instrumenten wieder, die sich nach und nach hinzugesellen und auch von einer einfachen Straßenband stammen könnten – überall raschelt und klackt es. Da sieht man sie gleich barfuß und feengleich auf der Bühne tänzelnd vor sich.
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