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Henrik Freischladers hochinspiriertes neues Studioalbum sowie das federleichte Meisterstück Sandglass der Krautrocker KRAAN sind hoffnungsfrohe Früchte der Pandemie. Die Monate, in denen das Bühnenleben der Künstler ausgebremst war, haben beide kreativ genutzt. Unterdessen überbrückt die altehrwürdige und offenbar ewigjunge Blues Company die Wartezeit mit dem Livekracher Take the Stage.

Henrik Freischlader – Missing Pieces

Auf seinem letzten Studioalbum legte die Henrik Freischlader Band noch Hands on the Puzzle (2018). Bei den nun erschienenen Missing Pieces kann es sich, weil seinerzeit kein einziges Teilchen gefehlt hatte, nur um einen kostbaren Rahmen für das Puzzle handeln, fein gearbeitet mit edelstem, schillerndem Perlmuttfinish. Der neue Streich ist eine bestens passende, ja zwingende Ergänzung zum ersten Studioalbum, das die Henrik Freischlader Band in der momentanen Besetzung als Quintett aufgenommen hatte. Missing Pieces setzt einen Goldstandard als Gesamtpaket: Dichte, relevante Songs verbinden sich mit einem transparenten, natürlich und wie auf der Bühne live eingefangenen Klang, der das Handgemachte dieser Musik bestens unterstützt. Abgerundet wird das Ganze durch die Aufmachung der Doppel-LP mit Einlegeblättern samt kunstvoller und hochatmosphärischer Fotos plus Lyrics zu jedem Song; man kann die Einzelblätter nach Gusto hinter das durchbrochene Cover schieben und damit ganz unterschiedliche Bilder entstehen lassen. Das ist wirklich perfekt zusammengepuzzelt.

Henrik Freischlader Missing Pieces Cover

Von Kollegen aus dem Bluesrock-Bereich hebt sich Henrik Freischlader nicht nur musikalisch durch jazzige Harmonik und viele stilistische Erkundungstouren auf benachbarte Genres ab. Auch seine persönlichen Texte haben deutlich mehr Tiefe als die gewohnten Stereotype des Genres. Vor allem aber drücken sich in ihnen klare Haltungen, Botschaften und Werte aus: Mitmenschlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Konzentration aufs Wesentliche. War die letzte Platte schon so etwas wie ein Aufruf zu Empathie, so wirkt Missing Pieces wie die Bergpredigt. Freischlader macht die christliche Basis seiner Haltung explizit. Und doch hat diese zu Mitgefühl und Umkehr appellierende Musik nichts Missionarisches. Nein, sie schafft es durch kompositorische Inspiration, Hörer für die Botschaft der Songs zu öffnen. Freischladers Musik kommt völlig ohne Camouflage daher und nimmt durch Ehrlichkeit und Verletzlichkeit für sich ein.

Henrik Freischlader Band Missing Pieces

© Timo Wilke

Freischladers Texte sind weitaus bedeutungsvoller als die bluesübliche lyrische Auslegeware für virtuose Gitarrensoli. Folgerichtig steht der Bandkopf mit seiner Gitarre noch weniger im Fokus als früher. Das macht Missing Pieces zu einer richtigen Bandplatte. Freilich gibt es sie, die krachenden, vor Intensität vibrierenden Soli (etwa in „What Have I Done To You?“). Der Star ist hier aber die Band, die sich als eingefleischte und -gespielte Einheit präsentiert. Viel Freiraum bleibt aber nicht nur für die Band, sondern auch stilistisch. In den 13 Songs ist zwischen jazzigen, swingenden Nummern, treibenden Funkstücken und herzzerreißendem Slow-Blues ein großes Spektrum abgebildet; manchmal überlagern sich unerwartete Farbtupfer innerhalb eines einzigen Stücks. Die Platte beginnt quasi mit einem Choralvorspiel. „Opening“ ist ein elegisches Intro, in dem Freischlader seine Gitarre über zunächst butterweichen, dann immer dringlicheren Tastenharmonien singen lässt, ehe „New Beginning“ diese nach innen gewandten, heilenden Vibes zu einem ersten Höhepunkt verdichtet. In Sachen Farbigkeit schlägt „Another Missing Piece“ dem Fass den Boden aus. Da gibt es einen karibischen Groove, (wie auch in anderen Songs) leicht an Hip-Hop erinnernde Gesangssequenzen, swingende Leichtigkeit in den Keys und eine tight groovende Rhythmussektion – und mittendrin findet man sich unversehens in hymnisch aufblühendem Soul wieder.

Mit gospelhaften Anklängen, punktgenau eingesetzten, virtuosen Bluestupfern und einer hoffnungsvollen, bejahenden Grundhaltung ist diese Platte ein angenehmes, da überraschend positives Zeugnis dieser Pandemie-Zeiten. Diese Musik ist unglaublich entspannt, gelassen, gutgelaunt und ohne jeden überflüssigen Schnörkel gewissermaßen ganz bei sich.

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KRAAN – Sandglass

KRAAN Sandglass Cover

Die letzten beiden Livezeugnisse der Krautrocklegende KRAAN lieferten den Beweis, dass die mittlerweile sage und schreibe 50 Jahre bestehende Formation als Trio mit den Gründungsmitgliedern Peter Wolbrandt (Gitarre), Hellmut Hattler (Bass) und Jan Fride (Schlagzeug) weiterhin lebt und pulsiert. Trotzdem ist eine Meisterleistung wie das neue Studioalbum Sandglass eine Überraschung. Die erzwungene Konzertpause während der Corona-Pandemie setzte bei den drei Herren kreative Energien frei. Dass jedem der drei Kraniche die Erfahrung eines halben Jahrhunderts (!) Fusion-Jazzrock in den Flügeln steckt, zeigt dieses „Alterswerk“, das den wiewohl sachlich zutreffenden Begriff mit jugendlicher Frische verhöhnt. Das Trio muss nicht mal im selben Studio muszieren, um traumwandlerisch miteinander zu harmonieren. In diesem Fall genügten Soundfiles, die zwischen ihnen zirkulierten.

KRAAN Sandglass

© WP.Steinheisser

Von Anfang bis Ende nimmt diese Groovemesse mit ansteckender Spielfreude für sich ein. Im Gegensatz zu den jamfreudigen Bühnenauftritten liefern die 13 dichten Songs eine zugänglich-griffige, aber auch detailreiche und klanglich ausgefeilte Sternstunde des melodieorientierten Jazzrock. Dabei weiß sich die kompositorische und musikalische Qualität der Ausnahmekönner an ihren Instrumenten hinter einem vollkommen unangestrengten und unaufgeregten Gesamteindruck zu verbergen. Angetrieben vom unvergleichlichen Bassspiel von Hellmut Hattler, der mit akkordischer Wucht und einen funky Punch für Groove ohne Ende sorgt, webt Jan Fride feine, von Erdenschwere losgelöste Drumpattern ein, während sein Bruder Peter Wolbrandt wunderschöne und mit jedem Hören neue Schichten eröffnende Gitarrenmelodien aus den Saiten pflückt.

Kraan Sandglass

© Steffen Meyer

Das Titelstück „Sandglass“ stellt Hellmut Hattler zum ersten Mal auch als Sänger vor. Überhaupt finden sich auffallend viele gesungene Titel auf diesem Album. Lavalampenschwaden aus dem Keyboard, das fernöstliche Düfte einströmen lässt, sind Farbtupfer in einem locker vor sich hinrockenden Einstieg nach Maß. Einer der schönsten Titel ist „Solitude“, das von einem kraftvollen Bassriff in Gang gebracht wird, Raum für zauberhafte Soli bietet und dann von einem Ohrwurmrefrain gekrönt wird, der federleichtes Popappeal verströmt. Seinen Mittelpunkt – seine Seele, wenn man so will – hat Sandglass in einem Stück wie „Pick Peat“. Ausgehend von einem fetten Bassriff zelebriert es Jazzfunk, lässt die instrumentalen Schichten des Trios kompakt ineinandergreifen und rockt dabei locker vor sich hin – ebenfalls eines der Herzstücke. Geradezu magisch ist „Moonshine on Sunflowers“, das die Kuhweide der schwäbischen Alb mit Trip Hop und südamerikanischen Grooves vereint. In den Keyboardspuren verewigt grüßt aus dem Jenseits der verstorbene KRAAN-Tastenmann Ingo Bischof. Diese metaphysische Note passt wunderbar zu diesem glänzenden Album, das den 50. Geburtstag von KRAAN feiert und das Trio im zweiten Frühling präsentiert: Jazzrock-Dynamik in selten dagewesener Lockerheit.

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Blues Company – Take the Stage

Cover Blues Company Take The Stage Cover

Statt einer neuen Studioplatte legt die Blues Company, Deutschlands älteste Bluesband, mit Take The Stage einen weiteren brillanten Livemitschnitt vor. Konzertalben gibt es in ihrer Diskographie mehrere, darunter klanglich so außerordentliche Produktionen wie Ain’t Nothing But …, das nicht selten beim Testhören vorm Lautsprecherkauf zum Einsatz kommt. Trotzdem ist die nun ebenfalls bei inakustik erschienene Aufzeichnung eines Auftritts im Rahmen des Bowers & Wilkins Ryhthm’n’Blues Festivals 2017 eine wertvolle Ergänzung. Denn Take The Stage unterstreicht die hohe Qualität dieser seit 44 Jahren bestehenden Bluesinstitution aus Osnabrück. Die Blues Company ist ein durch jahrelanges Musizieren perfekt eingespieltes Team. Auch auf der Bühne greifen die Rädchen dieser Qualitätsmaschine reibungslos ineinander. Doch was abgesehen von dem blinden gegenseitigen Verständnis der Bandmitglieder viel wichtiger ist: Sie haben sich über die Jahrzehnte ihre Lust am Blues bewahrt und gehen in jeder Sekunde mit Leidenschaft und Herzblut zu Werke. Genau das machen die 14 Songs auf Take The Stage erlebbar.

Blues Company Take the Stage Tosho Todorocic

© Manfred Pollert

Gleich am Anfang der prall gefüllten Scheibe steht mit „Till the Lights Go Out“ eigentlich ein Rausschmeißer-Rock’n‘Roll, der das Quartett der Blues Company zusammen mit den beiden Bläsern von The Fab. BC Horns und The Soul Sistaz auf hohe Betriebstemperatur bringt. Bis zum Schlusshöhepunkt mit „Hideaway/Peter Gunn“, einem ihrer angestammten Finalstücke zum Lichterausknipsen, bei dem die Band in die Vollen geht, ist das Spannungsniveau hoch. Bei der Blues Company bedeutet das aber keineswegs ein Energiebarometer am Anschlag, sondern vielmehr Spannung, die sich vor allem im Leisen zeigt und aus dem intensiven Zusammenspiel generiert. Es sind die liebevoll aus dem Ausdruck jeder Verszeile heraus gekitzelten Licks, in denen die hohe Blueskunst von Leadgitarrist und Sänger Todor „Tosho“ Todorovic offenbar wird. Ungemein lässig macht er die Songs zu einem intensiven Erlebnis.

Blues Company Take the Stage

© Manfred Pollert

Natürlich gibt es auch veritable Sologlanzstücke, etwa von Bassist Arnold Ogrodnik in „Walking Blues“. Aber die Ausnahmestellung der Blues Company zeigt sich vor allem in ruhigen Bluessongs wie „If I Only Could“ oder dem frühen Song „Red Blood“, in denen eine stille, aber unbezwingbare Kraft spürbar wird und die von ihrer behutsam eingesetzten Dynamik leben: Die Band schraubt die Spannung zusammen mit den beiden einfühlsamen Backgroundsängerinnen sowie Trompete und Saxophon sukzessive hoch, die dann von einem Moment zum anderen wie mit einem stechenden Schmerz in sich zusammensackt. Das ist Blueskunst voll subtiler Finesse. Die Blues Company beherrscht sie auch mit knapp 50 Jahren immer noch perfekt.

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