Groupe RTD – The Dancing Devils of Djibouti
Das ostafrikanische Dschibuti ist nicht gerade für seine Musik-Exporte bekannt. Das könnte daran liegen, dass Musik noch immer vom Staat kontrolliert wird. Die Groupe RTD ist deshalb eine einzigartige Möglichkeit, dem Land auch musikalisch näher zu kommen. Die Combo ist, wie der Name suggeriert, eigentlich die Hausband des nationalen TV-Programms RTD. Entdeckt wurde die dschibutische Musikgruppe von Ostinato-Records-Gründer Vik Sohonie, der aus New York anreiste, die Archive des Rundfunks durchkämmte und die Aufnahmesession von Groupe RTD für die Platte The Dancing Devils of Djibouti organisierte. 2020 wurde diese Session dann auf seinem Label veröffentlicht.
Die neun Mitglieder von Groupe RTD legen sich bei der Musik ordentlich ins Zeug. Der erste Song Buuraha U Dheer (The Highest Mountains) besteht aus einem beschwingten Beat, über den Saxophonist Mohamed Abdi Alto auf verspielte Weise mit dem arabischen Gesang von Sängerin Asma Omar konkurriert. Wo Omar langgezogene Noten singt, bläst Abdi die Töne staccato-artig durch sein Instrument. Die Musik auf dem Album vereint Jazz, arabische Tonleitern, Afrobeat und einen Gesang, der oft an Bollywood-Klassiker erinnert. Die musikalischen Grundlagen der ersten zwei Songs sind durch gerade Takte und Gitarrenbetonungen im Off-Beat im jamaikanischen Reggae verwurzelt. Im wilden dritten Song Kuusha Caarey (The Pearl Necklace) stehen die an die 80er Jahre erinnernden Keyboard-Sounds im Wechsel mit dem Gesang von Sänger Hassan Omar Houssein im Vordergrund. Hier wirbelt die Percussion im Hintergrund und versprüht Dynamik.
Eine ruhige Auszeit bekommen die Hörenden beim Song Alto’s Interlude. Hier steht ein Saxophon-Solo im Zentrum, das auf die Harmonien und die vom Keyboard aufgezogene Soundwolke reagiert. Im unmittelbar anschließenden Song darauf zieht das Tempo wieder ordentlich an – The Dancing Devils of Djibouti macht seinem Namen alle Ehre und ist eine wahre Entdeckung!
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Yu Su – Yellow River Blue
Die chinesischen Wurzeln von Yu Su erkennt man nicht nur am Titel ihres Debutalbums Yellow River Blue. Die in Vancouver ansässige DJane und Musikerin bezieht sich aber nicht nur auf den Gelben Fluss, sondern verwendet für ihre Tracks chinesische Titel und Klänge von traditionellen Instrumenten. Schon im ersten Song Xiu taucht man durch das nach einer Liuqin-Laute klingende Arpeggio in fernöstliche Welten ein. Der lockere Beat ist mit Yu Sus sanfter Stimme angereichert und verlockt nach knapp über anderthalb Minuten auch zum Tanzen.
Trotzdem unterscheiden sich die Songs auf dem Album von Sus Techno-Sets, die sie schon in Clubs wie dem Boiler Room in London präsentierte. Die Lieder sind relaxter, die Beats sind unterschwellig und nicht im Fokus. Deshalb strahlen sie stets eine gewisse Ruhe aus. Man könnte fast meinen, dass die Kompositionen so vielseitig und -schichtig sind, dass sie im Fahrstuhl, Wartezimmer, Club oder im eigenen Wohnzimmer funktionieren würden.
Nach dem schillernden ersten Track Xiu wird es bei Futuro minimalistisch. Hier mischt sich eine hohe, synthetische Melodie nach ein paar Momenten unter klackernde Geräusche, die den reduzierten Beat ausmachen. Yu Su arbeitet auf dem Album mit Kontrasten, denn der nächste Song Touch-Me-Not ist mit schwebenden Klangwolken und fließenden Synthie-Sounds gefühlt das komplette Gegenteil. Selbst, wenn nach einer Weile die Sounds staccato-artig abgehackt klingen, dominiert das Meditative im Song.
Es ist die Detailverliebtheit, die Yellow River Blue zu etwas Besonderem macht. Man bekommt das Gefühl, dass Yu Su alles bis ins Kleinste durchdacht hat – sei es die Songfolge, die Eigenarten der Komposition, das Kreieren von haptischen Sounds oder wann genau sie ihre eigene Stimme einsetzt. Auch die Songnamen könnten nicht passender sein. Wenn es auf Gleam zwitschert, zischt und man bisweilen an das Quietschen beim Rubbeln von Glas erinnern wird, muss man ihr zustimmen – Gleam glänzt.
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Balthazar – Sand
Die belgische Band Balthazar hat mit Sand ihr fünftes Album veröffentlicht. In einem Interview erklären die Indie-Rocker aus Gent, dass sich das Warten als Thema wie ein roter Faden durch das Album zieht. Man könne gerade nicht mehr im Moment leben oder auf die Zukunft vertrauen, sagen sie. Das bezieht sich natürlich auf die aktuell unsichere Zeit der Corona-Pandemie, in der das Album entstanden ist.
Der erste Song mit dem Titel Moment kann aus diesem Grund als Sehnsuchts-Statement aufgefasst werden. „Anytime, anyhow, I’m living for this moment“, singt Frontman Maarten Devoldere und erinnert damit an Zeiten, in denen man sich unbedacht treiben lassen konnte. In der Strophe singt er aber auch von der Illusion, in der er lebt. Das Lied beginnt mit einem zurückgenommenen Drum-Beat, der von klackernden Trommeln und Rhythmus-Instrumenten angereichert wird. Der verspielte Charakter löst sich jedoch durch langgezogene Akkorde im Chorus auf. Im Zuge der Pandemie ist die Band offenbar experimenteller geworden, was die Instrumentierung angeht. Drumsamples und Synthesizer kannte man bei Balthazar in diesem Ausmaß noch nicht. So wie etwa in Moment: Nach über zwei Minuten setzen blubbernde Sounds ein, die ein Zwischenspiel darstellen und dem Song neben den klassischen Bandinstrumenten wie Gitarre, Drums und Bass zusätzliche Tiefe geben.
Der Song Hourglass geht auf den Titel des Albums Sand ein. Die Geduld, das Warten und die Pause – all das wird im Songtext ausgedrückt und mit dem Symbol der Sanduhr angereichert. Doch der Chorus, in dem Devoldere „Only Sand“ singt, kommt textlich gesehen zu einem realistischen Schluss. Denn als Metapher für alles, was in eine Sanduhr hineininterpretiert werden kann, beobachten wir im Endeffekt nur Sand beim Fallen. Der Song ist deshalb ein Highlight auf dem Album, weil er das Warten so gut vertont. Der getrommelte Beat im Song fühlt sich wie ein permanentes Zeiger-Ticken an und das dissonante Solo, das sich in chromatischen Tönen nach unten bewegt, fängt das Runterzählen der Tage, Stunden oder Minuten beim Warten perfekt ein. Hourglass macht deutlich, dass Balthazar es mit dem neuen Album schaffen, nicht in ein Pandemie-Klischee zu verfallen. Sand ist allgemeingültig, schwankt im Charakter zwischen Frust und Hoffnung. Die Pandemie muss für dieses Album nicht existieren – macht es aber umso verständlicher.
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