Anna Calvi – Hunter
Auf ihrem dritten Album Hunter gibt Anna Calvi gehörig Gas. Eigentlich hat die britische Musikerin mit italienischen Wurzeln stets einen Hauch von Romantik in ihrer Musik. Das rührt besonders von ihrer ausgebildeten Stimme her, die manchmal durchaus an Opernarien gemahnt. Doch in den neuen Songs entdeckt man außerdem Calvis Power, die schon die ganze Zeit in ihr gesteckt haben muss. Auf Hunter schreit ihre Sologitarre wie nie zuvor und jault in besonders leidenden, langgezogenen Tönen. Den Spannungsaufbau hierzu baut die studierte Musikerin mittels einer düsteren, balladesken Strophe auf, in der ihre Stimme – „nothing lasts“ permanent wiederholend – ganz im Vordergrund steht.
In Songs wie diesen erkennt man das Wirken von Calvis Mentoren wie Brian Eno oder Morrissey. Auch Nick Cave hatte sie bereits auf Tour begleitet. Genau wie bei Cave hat auch Calvis Musik etwas Geheimnisvolles, das sie wie im Song Indies or Paradise überträgt. Im zeitlosen Rock-Beat und typischer Bass-Gitarre-Drums -Gesang-Besetzung rumpelt der Song in der Strophe und der gezischte Gesang tut sein Übriges, um Funken überspringen zu lassen. Das dreckige Gitarrensolo ist düster, gemein und der Höhepunkt des großartigen Songs. Obwohl sich Calvi im Liedtext wünscht, an dem Ort „in the air in paradise“ zu sein und sich wie ein Tier fühlt, beschäftigt sich die Britin in ihrem Album viel mit Geschlechterrollen. Allein der erste Song heißt „As a man“ und sie säuselt darin „If I was a man“ über den coolen Beat – man kann die Atmosphäre eines James-Bond-Titelsongs quasi spüren, so klassisch und verrucht klingt der Track.
Über die gesamte Platte macht Calvi immer wieder auf die subtilen Unterschiede in der Wahrnehmung der Geschlechter aufmerksam. In Don’t beat the girl out of my boy greift sie die Thematik schon im Titel auf. Der Song ist vielleicht der einzige, der Popsong-Qualitäten mit einem locker leichten Gitarrenriff aufweist. Gen Ende bekommt man noch einmal eine volle, vibrierende Gesangseinlage von Calvi präsentiert.
Zum Glück scheut sie sich nicht mehr davor, ihr geniales Gitarrenspiel und den meisterhaften Gesang zu verstecken. Sie muss sich niemandem beweisen, zeigt mit der neuen Platte aber ganz leger, dass sie weiß, ihre Stimme und ihr Instrument besser als die meisten zu beherrschen.
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Mogwai – KIN
Es dauert einige Sekunden, doch dann setzt das Klavier ein und der erste Song Eli’s Theme von Mogwais neuem Album KIN beginnt. Das Tasteninstrument wird ruhig und bedächtig gespielt. Der Name des Songs leitet sich vom Hauptcharakter Elijah des Science-Fiction Films KIN ab, der dieses Jahr in Hollywood floppte und auch kaum in Deutschland gezeigt wurde. Bei 30 Millionen Dollar Produktionsaufwendungen nahm der Film an den Kinokassen nicht einmal ein Drittel der Kosten ein. Dass sich der Film vermutlich nicht anzusehen lohnt, heißt aber nicht, dass der Soundtrack des Streifens unbeachtet bleiben muss. Denn dieser ist den britischen Postrockern von Mogwai wirklich gelungen.
Die Musik überträgt eine außergewöhnliche Spannung, die sich auch durch ruhige Songs wie Scrap zieht. Sie wird über eine Atmosphäre aus Synthesizern kreiert, zu denen sich Klaviertöne und mit Delay versehene Gitarrentönen gesellen. Das Schlagzeug mischt die dabei entstehenden, meditativen Melodien immer wieder auf.
Das wohl gewaltigste Stück des Albums ist Flee. Es beginnt mit rüttelnden Schlägen, die wie mit viel Bass und digitalen Effekten belegte Tomschläge des Schlagzeugs klingen. Wie in einem Sog baut sich in Wiederholschleife eine Klaviermelodie auf. Über Minuten schwillt der Klang des Stücks durch den Schlagzeugeinsatz immer weiter an, bis er sich nur noch wiederholt und abrupt in eine Pause übergeht. Die Mitglieder von Mogwai dürften live alle Hände voll zu tun haben. Denn die Sounds klingen mächtiger als vier Personen auf der Bühne.
Die besondere Qualität der Band war schon immer, dass sie mittels einfacher Akkorde Lieder kreieren – meistens rein instrumental und unterm Strich gerade nicht simpel. Das passiert auf KIN erneut. Obwohl man vom Klavier oft Moll-Dreiklänge hört, die jeder Anfänger sofort nachspielen könnte, erschaffen sie dabei eine Stimmung, die nicht gewöhnlich, sondern komplex und außerweltlich ist.
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John Parish – Bird Dog Dante
Mit minimaler Hintergrundmusik einer verträumt angespielten Gitarre, einem Klavier und dem gleichmäßigen Schlagen eines hohlen Stocks werden die Ohren der Hörer beim ersten Songs von John Parishs neuem Album Bird Dog Dante von seiner unglaublich klaren Stimme eingenommen. Sie ist in der Aufnahme lauter als die Instrumente und hat etwas ähnlich Durchdringendes wie John Lennons Gesang in dem Klassiker „A Day in the Life“.
Der Vergleich mit den Beatles ist nicht ganz abwegig. Denn der Multiinstrumentalist gehört zum festen Bestandteil der britischen Musikszene. Zwar ist er eine Generation jünger als die Pilzköpfe, doch kann man auch ihm die Lenkung der Pop- und Rockmusik aus England verdanken. Das hat er bisher vor allem als Produzent von vielen PJ Harvey-Alben getan. Die Zusammenarbeit mit ihr begann schon in den 80er Jahren, als beide in einer gemeinsamen Band spielten. Durch PJ Harveys Soloalbum 1995 bekamen die Musikerin und ihr Produzent Aufmerksamkeit von der globalen Musikszene – doch es dauerte bis 2002, dass Parish ein Soloalbum aufnahm.
Seine inzwischen dritte Platte beweist nun, dass er nicht nur ein großartiger Produzent ist, sondern auch das gewisse Extra für eigene Musik übertragen kann. Denn das Gefühl, dass er in seinen neuen Songs kreiert, fängt durch die gewählte Instrumentalisierung und schlichte Präsentation sowohl den Charme der Pop-Rock-Musik aus den 60er Jahren als auch ein zeitgenössisches Verständnis von Musik ein. Der Charakter eines jeden Instruments kommt durch die unkomplizierten Arrangements zur Geltung und auch die Instrumente an sich glänzen durch den bedachten Umgang mit Effekten, die unsere heutige Zeit möglich machen.
„The March“ ist zum Beispiel ein ruhiges, zeitloses Lied, in dem John Parishs Gesang mit einer weiblichen Stimme harmoniert. Eine unaufgeregte Sologitarre nimmt wie eine dritte Person viel Raum im Stück ein. Dabei entsteht eine angenehme Ausgeglichenheit zwischen Instrumenten und Stimmen, in der John Parish sich mit seinem Gesang nie ganz in den Vordergrund drängt. Auch deshalb ist dieses neue Album so großartig und beruhigend.
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