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Anadol – Felicita

Felicita, also Freude, heißt das neue Album von Anadol. Die in Berlin lebende, türkische Musikerin wollte diesem Gefühl in ihrer Musik nachgehen und hat ein experimentelles Meisterwerk mit fünf Tracks kreiert, in das sie auch Einflüsse aus türkischem Pop, Arabeske, Jazz, Griechischer Folklore und Chanson einbringt. Die in Istanbul aufgenommenen Songs, die zwischen knapp drei Minuten und einer Viertelstunde variieren, hören sich häufig wie lange, ruhige Jams mit viel lauernder Energie an. Ein gutes Beispiel dafür ist das experimentelle Zwischenspiel auf “İstasyon Plajında Bir Tren Battı“ (übersetzt: Ein Zug ist an der Station Strand gesunken) – hier hört man ein revolutionäres Saxophonspiel, bei dem das Instrument tatsächlich so klingt, als würde es den im Titel erwähnten Zug nachahmen.

Anadol Felicita

Das Album beginnt aber eher ruhig mit dem Song „Gizli Duygular“. Hier fließt ein stimmiger Mix aus Synthie-Tönen aus den Boxen, die orientalisch und mystisch klingen. Nach dem ruhigen, einminütigen Intro wabern immer mehr Töne hinzu, die sich über einem ruhigen Bass aufbauen und schließlich von einen meditativen Drumbeat aufgefangen werden. Immer wieder streuen die MusikerInnen noisy Sequenzen in das Klanggerüst, was dem Song eine interessante Würze verleiht. Eine Stimme hört man das erste Mal nach dreieinhalb Minuten. Sie ist stark mit Effekten belegt und taucht wie die einzelnen Instrumente immer wieder auf und unter. Teilweise agiert die Vokalistin selbst wie ein Instrument und erinnert an eine an Effektpedale angeschlossene Gitarre. Obwohl der Song fast zehn Minuten währt, ist er gefühlt schnell vorbei, stets passiert etwas neues Unerwartetes, denn Anadol verfolgt keine traditionellen Songstrukturen, strebt gleichwohl ein fluides Zusammenspiel an, bei dem alle MusikerInnen ihren Beitrag leisten. Besonders überraschend ist die letzte Minute, in der die Instrumente inklusive Drums verstummen und für wenige Sekunden ein Reggae-artiger Beat einsetzt.

Den Chanson-Einfluss der Musikerin hört man wohl am deutlichsten auf „Ablamın Gözleri“. Das von Drum-Machine und Marsch-artigen Betonungen geprägte Lied ist nur knapp drei Minuten lang, insbesondere die geheimnisvollen Zwischenspiele und der zitierte Text in Sprechgesang machen den Track markant. Felicita erschließt nicht nur neue Sounds, sondern vermittelt ein neues Zusammengehen verschiedenster Einflüsse und musikalischen Ausdrucks – unbedingt reinhören!

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Sudan Archives – Natural Brown Prom Queen

Sudan Archives Natural Brown Prom Queen

Auf ihrem neuen Album Natural Brown Prom Queen zeigt die US-amerikanische Künstlerin Sudan Archives, wie gut und erfrischend Soul und R&B in Kombination mit experimentellem Hip-Hop klingen können. Brittney Denise Parks, so Sudan Archives bürgerlicher Name, komponiert und produziert ihre Songs selbst. Ihre Beats sind oft von afrikanischen Sounds aus dem Sudan und Ghana inspiriert und manchmal kommt ihrer Geige, die sie seit dem Kindesalter spielt, eine besondere Rolle zu.

Das hört man zuerst auf dem Track „NBPQ (Topless)“. Dort vermischen sich orientalische Musikeinflüsse mit Hip-Hop. Der klatschende Beat verändert sich nach über einer Minute, bleibt quasi stehen und lässt Chorstimmen mit Sudan Archives säuselndem Gesang erklingen. Der ursprüngliche Beat taucht danach immer wieder auf, doch neue Parts zeigen, wie frei Sudan Archives mit Songstrukturen umgeht. Gen Ende hört man schließlich ein zitterndes Geigenspiel, quasi ein Solo, das die Künstlerin gekonnt in die wüstenartigen Sounds des Songs einfädelt.

Genauso abwechslungsreich geht es auf den restlichen Songs der Platte weiter, die ein 53-minütiger Flow aus Sounds, Raps, Beats und Interludes sind. Sudan Archives eliminiert dabei jegliche Vorhersehbarkeit mit neuen Instrumenten oder Motiven, die plötzlich auftauchen. „Ciara“ erinnert zum Beispiel erst an die frühen Destiny’s Child oder den R&B der Nullerjahre. Doch immer wieder tauchen disharmonischen Motive auf und zur Hälfte des Songs erklingt ein spaciges, ungewöhnliches Zwischenspiel, in dem Sudan Archives mit heftig verzerrter Stimme wie ein Alien klingt.

Das Interlude „Do Your Thing (Refreshing Springs)“ verrät schließlich, was Sudan Archives antreibt. Der kurze Track beginnt mit einem kitschigen digitalen Klavierspiel, über das eine Stimme ertönt, die die Künstlerin mit ihrem Namen „Brit“ anspricht. „Hey Brit, just get up there“, sagt sie und kommentiert unter anderem das freie Spielen ohne Noten. „Find the note that you hear in your ear (…) Get up there and do your thing”. Sollte das ein Ratschlag einer früheren Lehrerin gewesen sein, hat dieser sich definitiv in Sudan Archives Kopf festgesetzt – die Künstlerin macht genau das, was sie will und brilliert damit.

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Emma Elisabeth Live at Clouds Hill

 Emma Elisabeth Live at Clouds Hill

Im Februar 2022 erschien das neue Album Some Kind Of Paradise der schwedischen Wahlberlinerin Emma Elisabeth. Im Frühling folgte dann ein Live-Album, das die Singer-Songwriterin vor Publikum in dem Hamburger Clouds Hill Studio aufnahm. Auf diesem findet man viele, aber nicht alle vorher veröffentlichten Songs, was das Live-Album zu einer halbstündigen Soundwelle aus Vintage-Gitarren, Americana, Country und Pop macht.

Der Live-Aspekt tut den Songs auf Live at Clouds Hill auf jeden Fall gut – der erste Track „Some Kind Of Paradise“ versprüht mit einer ungefilterten Stimme und wabernder Gitarre noch mehr Grunge-Einfluss als auf der polierteren Album-Aufnahme. Dass die Live-Version zudem noch einen Tick langsamer ist, akzentuiert die Stärke des Songs, der mit verhaltenen Drums nie richtig auflebt und so selbst im Chorus eine dunkle Spannung hält. Nach diesem charakteristischen Opener fällt es jedoch manchmal schwer, Emma Elisabeth in den Songs herauszuhören. Obwohl die Tracks in Sachen Songwriting, Gesang sowie Live-Vortrag solide sind, fehlt es an einer musikalischen Identität.

Der beschwingte Song „Heart On A String“ mit Akustik-Gitarre und melodischem Gesang zeigt zum Beispiel Einflüsse aus dem Folk- oder Singer-Songwriter-Genre – Neil Young könnte als Vorbild gedient haben. Doch fragt man sich, was Emma Elisabeth’s Sound hier genau ausmacht. Deshalb sind die Tracks mit stärkerem Charakter und mehr Unvorhersehbarem am interessantesten. Dazu gehört auch „Vampires“, der in der Bridge mit einem ungewöhnlichen Akkordwechsel überrascht und am Ende mit lautem Jubel endet. Das lädt dazu ein, die Platte bei Regenwetter im Wohnzimmer aufzudrehen und sich in Konzertstimmung zu versetzen.

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