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Witch Camp (Ghana): I’ve Forgotten Now Who I Used To Be

Der Glaube, dass es Hexen gibt, ist in Ghana trotz Aufklärung der Regierung immer noch weit verbreitet. Seit über 100 Jahren gibt es Witch Camps in dem Land, in der ausgestoßene Frauen Schutz suchen können. Dabei handelt es sich um Frauen mit psychischen Krankheiten, Behinderungen oder Frauen, die aus Familiensituationen fliehen mussten.

Witch Camp (Ghana) I’ve Forgotten Now Who I Used To Be

Der mit einem Grammy ausgezeichnete Produzent Ian Brennan und die Filmemacherin Marilena Delli Umuhoza besuchten drei dieser „Hexen Camps“ in Ghana und nahmen dabei über sechs Stunden Musikmaterial auf. Daraus entstand das bereichernde und außergewöhnliche Album I’ve Forgotten Now Who I Used To Be. Die 20 Songs darauf sind spontan vorgetragene Lieder von den Frauen in den Camps, die anonym bleiben. Bis auf die englischen Titel sind die meist kurzen Lieder in ghanaischen Dialekten gesungen oder gesprochen und mit wenigen Instrumenten wie Trommeln angereichert.

In I Must Build A New Home, dem ersten Song auf dem Album, läuten Glocken und eine starke Frauenstimme singt eine Melodie, die sich unregelmäßig wiederholt. Der Song dauert nur knapp eine Minute an und wird zu einer Sequenz, die man nicht so schnell vergisst. In Hatred Drove Me From My Home singt eine fragile, rauchige Frauenstimme zu einem gezupften Saiteninstrument. Im Hintergrund hört man Stimmen und Naturgeräusche. Die Songs gehen schnell ineinander über und weil sie jeweils kurz gehalten sind, baut sich eine Aura auf, die den ausgedrückten Schmerz auf eine magische Art und Weise überträgt. Die Frauen singen und halten sich so am Leben, obwohl das Leben ihnen nicht gerecht wird. Sie sind Ausgestoßene, die in der Musik ihren Halt finden. Das ist echt und berührt, obwohl man die Texte nicht versteht. Selbst Wizard Drum, ein Lied, das zum Großteil nur mit einer Sprechtrommel vorgetragen wird, hat durch den ungewöhnlichen Rhythmus, der eher organisch als Metronom-genau angeschlagen wird, eine faszinierende Wirkung. Das Album zeigt, was Musik sein kann und in ihrer Essenz auch sein sollte: Die Übertragung von Gefühl.

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Mathias Modica presents Kraut Jazz Futurism Vol. 2

Mathias Modica presents Kraut Jazz Futurism Vol. 2

Das deutsche Musiklabel Kryptox gibt es seit drei Jahren und es spiegelt die Tendenzen der Jazz-Futurism- und Kraut-Szene mittels ausgewählter Veröffentlichungen wider. Gründer Mathias Modica ist in der Musikwelt kein Unbekannter. Mit seinem ersten Label Gomma machte er schon vor Jahrzehnten mit Experimental-Disco und elektronischen Auskopplungen eine unterrepräsentierte Szene sichtbar. Für Kryptox verwendet er dafür Album-Compilations: Vor zwei Jahren erschien die erste Ausgabe von Mathias Modica presents Kraut Jazz Futurism, die schnell viele Liebhaber gewann. Nun kam diesen Frühling die zweite Ausgabe heraus. Das Album ist eine Momentaufnahme des musikalischen Zeitgeistes, bei dem auch viele Berliner Größen mitmischen. Das zeigt, dass es Zeit wird, Berlin nicht nur als Techno-Metropole wahrzunehmen. Auch wenn durch die Pandemie sämtliche Clubs und Konzertorte still sind, existiert in der Hauptstadt doch eine große musikalische Vielfalt.

Die 15 Songs auf Mathias Modica presents Kraut Jazz Futurism Vol. 2 zeigen, wie unterschiedlich Jazz sein kann. Oft geht es um Fusion. Mal hört man Einflüsse des klassischen Big Band Jazz, wie in den funkigen und beschwingten Bläserarrangements des Songs Hickups von Wanubalé. CV Vision’s Song 1The U hingegen ist mit minimalistischem Schlagzeug, mechanischem Bass und Synthies ein Verschmelzen von Kraut und Electronica. Als Abschluss der gelungenen Zusammenstellung bekommt man den Song 360° of Harmony von Spiritczualic Enhancement Center zu hören, der zwischen Psychedelic, Jazz und Trance wabert. Das internationale Musikerkollektiv aus Berlin war letztes Jahr die Live- und Improvisations-Band des ehemaligen Can-Sängers Damo Suzuki in Berlin. Das Konzert fand kurz vor Pandemiebeginn im Februar 2020 statt und beim Abschied auf der Bühne sprachen die Mitglieder ihre Dankbarkeit aus – sie wären alle Schüler der Can-Akademie. So kommen Jazz und Kraut ganz natürlich zusammen.

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Tony Allen: There is no end

Tony Allen There is no end

Fast genau ein Jahr nach seinem Tod erschien im Mai 2021 das posthume Album There is no end von Afrobeat-Schlagzeuglegende Tony Allen. Die Platte beginnt mit einem Statement von Allen. Mit verzerrter Stimme und atmosphärischem Hintergrund spricht er von seiner Philosophie über das Leben und über die Musik. Er war schon immer vom Rhythmus getrieben.

Eigentlich hätte Allen sich nach seiner Zeit als Drummer von Fela Kuti auf dem Afrobeat-Genre ausruhen können. Er galt mit seinen prägenden, schwungvollen Beats und seinen scheinbar mühelosen Kreuzungen von Zählzeiten am Schlagzeug sowieso als Legende. Doch Allen wollte immer weiter – sozusagen den Beat der Zeit finden.

Mit den neuen Songs auf dem Album beweist er genau das. There is no end ist zwar geprägt von seinem ikonischen Afrobeat mit dem charakteristischen Snare-Doppelschlag am Schlagzeug. Doch es ist gleichzeitig auch ein zeitgenössisches Hip-Hop-Album, welches Newcomer des Genres wie dem in L.A. wohnenden Rapper Koreatown Oddity oder der in Sambia geborenen, australischen Rapperin Sampa the Greatest eine Bühne gibt. Sampa the Greatest rappt auf der ersten Single des Albums unvergleichlich – sie spricht auf dem herausragenden Song Stumbling Down mit minimalistischem Beat aggressiv, schnell, schwungvoll, frech oder emotional. Dabei fallen die Becken-Akzente des Schlagzeugs während eines langgezogenen Drumrolls von Allen zu Beginn der zweiten Minute des Songs genau in die Lücken ihrer Worte „Always trying to take my pride, wanna try and change my mind, never wanna see me shine“.

Das ist nur ein Beispiel, wie Tony Allen Rhythmen bis ins Unerkenntliche zerstückelt und als Fill neu einfädelt. Er hat auf dem Album alle Beats geschrieben und aufgenommen. Seine Handschrift ist dabei zeitgenössisch und Old-School zugleich. Denn hier hört man keine Drum-Machine, sondern ein organisches Schlagzeug, das den Beat formt und weiterführt. Im Epilog spricht Allen abermals – diesmal ist die Stimme klar und deutlich zu verstehen. „What I’m doing is exploring. There is no end to the line of music. What we have to do is to explore“, sagt er und hinterlässt so eine Mission für andere MusikerInnen.

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