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Drei neue Platten zeigen Gitarrenkunst auf allerhöchstem Niveau und sind doch alles andere als Nischenprodukte für Fans der sechs Saiten. Jon Gomm erfindet die Klangmöglichkeiten der Akustikgitarre neu, der Jazzgitarrist Terje Rypdal statuiert ein Exempel, wie eine Stratocaster zum Singen zu bringen ist und Bluesrocktitan Joe Bonamassa huldigt mit frischen Songs seinen frühen Helden des britischen Blues.

Jon Gomm – The Faintest Idea

Jon Gomm – The Faintest Idea_cover

Eigentlich muss man Jon Gomm beim Musikmachen zusehen, denn die Faszinationskraft dieses Ein-Mann-Orchesters besteht vor allem in der Erzeugung eines erstaunlichen Panoptikums an Klängen. Der britische Virtuose auf der Akustikgitarre ist durch seinen Hit „Passionflower“ 2012 zum Internetstar geworden. Im Gegensatz zu diversen Saitensprintern auf Youtube und anderswo hat Jon Gomm als Künstler allerdings wirklich Substanz. Gomm erfindet die Akustikgitarre komplett neu.

Eine Übertreibung? Wer das vermutet, lasse sich einmal von den Videos zu seiner neuen Platte The Faintest Idea zum Staunen bringen. Dass Gomm mit der rechten Hand die Gitarrensaiten überm Schallloch zupft, ist eine Seltenheit. Die meiste Zeit bearbeitet er die Saiten mit beiden Händen am Gitarrenhals; verschiedene Tapping- und Flageolettklänge bringen zauberhafte Klänge hervor und sogar die Stimmwirbel nutzt Gomm für das melodische Spiel! Mit tief gestimmten Basssaiten hat er seine Tieftönerbasis gleich dabei, der gesamte Gitarrenkorpus dient ihm als Drumset. Noch was vergessen? Ach ja, zu dieser manuellen Geschicklichkeitsnummer singt er auch noch mehr als passabel und schreibt feine Songs mit poetischen Texten.

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© Elizabeth Gomm

The Faintest Idea ist Jon Gomms Debüt bei den Artock-Spezialisten Kscope und das passt perfekt. Das fein abgestimmte Zusammenspiel von Saitenklängen, Percussion und Gesang wird von Andy Sorenson in weite, von Synthies gestützte Klangwelten eingebettet, wie sie für Produktionen des britischen Labels typisch sind. An Hall wird nicht gespart, überproduziert ist das Album trotzdem nicht. Die ungeheure Weite bekommt den stimmungsvollen Nummern ganz gut, denn die elf Tracks atmen in den butterweichen Melodien viel Popappeal. Dazu passt Gomms meist im Falsett hauchende, ätherische Stimme, die Krönung dieser klanglichen Märchenwelt.

Jon Gomm

© Tom Martin

Am besten funktioniert diese Mischung gleich bei den ersten beiden Songs, die zu Recht vorab als Singles ausgekoppelt wurden. „Deep Sea Fishes“ entfaltet, ausgehend von einer wiederholt angeschlagenen Note über groovige Percussion weitgespannte Melodien. Die Meditation über die „Schönheit“ von Fischen der dunklen Tiefsee geht anschließend in dem pathetisch aufgedonnerten „Cocoon“ in einen catchy Ohrwurmrefrain über. Zuweilen liebäugelt Jon Gomm ein wenig zu sehr mit leichtgewichtigen Popmelodien (in dem Dancemusic-nahen „Dream Factories“ oder „Song for a Rainy Day“), aber er entschädigt für diese etwas seichten Ausflüge mit wunderschönen Gitarrenmelodien wie im Zwischenspiel von „Tempest“. Gegen Ende hin wird das Album etwas schwächer. Aber dem Neuerfinder der Akustikgitarre ist mit The Faintest Idea eine tolle Songkollektion mit großartiger Popmusik gelungen, bei der seine virtuosen Fähigkeiten an der Gitarre nur ein Teil des Gesamtpakets sind. Sein jüngster Streich ist absolut kein Nischenprodukt für Gitarren-Aficionados, sondern Gomms Passierschein zu einem breiteren Publikum.

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Terje Rypdal – Conspiracy

Der Norweger Terje Rypdal gehört einer anderen Generation an, aber auch er ist ein Klangvisionär. Er brachte in den 1970er-Jahren mit seinen schwebenden, verzerrten Klangschraffuren und schier endlos gezogenen Melodien seiner Fender Stratocaster sowie rockigen Kanten einen ganz neuen Tonfall in die Jazzwelt, der bis heute unzählige Jazzgitarristen beeinflusst hat. Die weit gespannten, majestätischen und organisch wirkenden Naturklänge und sein singender Ton, der ohne Anschlagsgeräusch wie ein Streichinstrument anschwillt, machen mit Rypdals geschmackvollem Vibrato seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Tonfall aus. In seinem künstlerischen Output bilden seit 50 Jahren Improvisation und Komposition, Jazz und Rock mit einer Prise Psychedelic sowie zeitgenössische Kunstmusik für Orchester, Chor oder Kammermusikensemble kommunizierende Röhren. In den vergangenen Jahren beackerte Rypdal vor allem letztere Felder, doch nun wendet er sich mit einer neu zusammengestellten Band seinen Anfängen zu.

Conspiracy, die erste Studio-Aufnahme für das Traditionslabel ECM seit rund 20 Jahren, knüpft direkt an die Großtaten des experimentierfreudigen Norwegers aus den 70er-Jahren wie Odyssey, Whenever I Seem To Be Far Away oder Waves mit deren eigensinnigem Brückenschlag vom Rock zum Jazz an. Altbacken oder rückwärtsgewandt wirken die sechs neuen Titel allerdings überhaupt nicht. Man erkennt vielmehr, dass der David Gilmour der Jazzgitarre vor einem halben Jahrhundert zeitlose Musik geschaffen hat. Deswegen wirkt es genauso frisch und unverbraucht, wenn er heute – mit 73 Jahren – wieder Musik im Geiste seiner Anfangszeit erschafft.

Terje Rypdal Conspiracy

Die rund 35 Minuten Musik von Conspiracy sind eine klangtechnisch schlichtweg überwältigend realisierte, intensive und assoziationsreiche Reise – aus der das Titelstück herausragt. Als einziges Stück geht es mit treibenden Drumgrooves von Pål Thowsen rockig nach vorn. Eine Basslinie schraubt sich langsam nach oben und gibt Rydals Solo mit roher Energie und verzerrten Klängen frei, das von Keyboarder Ståle Storløkken wild und genüsslich weitergeführt wird. Der Drive des Titelstücks ist die Ausnahme in einem Umfeld, das mit meditativen, sich langsam, aber machtvoll entwickelnden Sounds sinfonisch-epische Größe zeigt. Schön, dass Rypdal in diesem Zusammenspiel von Altmeistern dem jungen Bassisten Endre Hareide Hallre besonders viel Raum zugesteht. In „By His Lonesome“ steht er ganz im Spotlight und darf traumverloren butterweiche Melodielinien ziehen, die Rypdal ganz sparsam und sachte kommentiert.

Durchweg begeistert der im Osloer Rainbow Studio perfekt eingefangene Klang (der Rezension liegt die Vinyl-Fassung zugrunde) mit räumlicher Tiefenstaffelung. Es werden weite Hallräume geboten, doch die akustischen Einzelereignisse bleiben genau ortbar, etwa die Glöckchen im zweiten Track oder die famose, dichte Bandleistung im Eingangsstück. Dort dringen über unruhig flackernden Beckenschlägen nach einer gefühlvollen Gitarrenarie von Rypdal, die vom Fretless-Bass fortgeführt wird, allmählich alle Mitglieder mit ihren solistischen Sonnenstrahlen durch das mystische Nebelmeer. Dieses Album ist perfekt für verhangene Herbsttage und ein Highlight in der umfangreichen Diskographie von Terje Rypdal. Was für ein Comeback!

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Joe Bonamassa – Royal Tea

Joe Bonamassa – Royal Tea

Zu den Wurzeln zurückzukehren, könnte auch das Jahresmotto des Gitarrenvirtuosen Joe Bonamassa sein. Der Tausendsassa und Titan des Bluesrock, strahlender Wunderwuzzi an seinem Instrument und nimmermüder Workaholic, hat sich kürzlich erst sein Debüt „A New Day Yesterday“ nochmals vorgenommen und mit neu gesungenen Vocals überarbeitet. Nun ist bereits sein mittlerweile 14. Studioalbum da, auf dem er seinen musikalischen Inspirationsquellen, dem britischen Bluesrock der 1960er- und 1970er-Jahre, huldigt. Dieses Herzensprojekt namens Royal Tea war folgerichtig, nachdem er auf der Liveplatte British Blues Explosion bereits die Helden seiner Anfänge – u. a. Eric Clapton, Jeff Beck, John Mayall, Paul Kosoff, Rory Gallagher – ehrte und auf der Vorgängerplatte Redemption einige Riffs à la Jimmy Page vom Stapel ließ.

Joe Bonamassa

© Jim Herrington

In Zusammenarbeit mit dem bescheidenden Altmeister Bernie Marsden sowie in Unterstützung des früheren Cream-Texters Pete Brown sowie Pianist Jools Holland entstand in London eine fulminante Songfolge, die Bonamassa dann mit seiner bewährten Livetruppe in den Abbey Road Studios eingespielt hat. Das Qualitätssiegel auf dem Cover „Made in England“ trägt diese Scheibe vollkommen zu Recht. Produzent Kevin Shirley hat dafür gesorgt, dass das Ergebnis klanglich genug Fleisch an den Knochen hat; es wirkt druckvoll und dicht.

Joe Bonamassa

© Marty Moffatt

Gegen Ende hin mischt Bonamassa zwar ein paar Country- und Folktöne ein, doch bis dahin suhlt er sich hochinspiriert im musikalischen Nährboden des britischen Bluesrock – und wirkt dabei kein bisschen epigonal. Natürlich garniert er tief empfundene Bluesballaden wie „Why Does It Take So Long To Say Goodbye“ mit funkelnden Soli, die technisch, aber auch in Sachen Emotion alle Register ziehen. Die größte Überraschung ist allerdings, dass Bonamassa auf Royal Tea eigentlich zum ersten Mal seine fast schon progressive Seite auslebt und Songs geschrieben hat, die in ihren unerwarteten, großen Entwicklungen für einige Überraschungen sorgen. Allein schon der beinahe epische Titeltrack begibt sich vom filmmusikalisch opulenten Anfang bis hin zu deftig gewürztem, fast schon metallischem Rock und wieder zurück auf eine weite Ausdrucksreise. Und auch das komplett von Bonamassa selbst geschriebene „Beyond The Silence“ ist einfach wunderbar eindringlich und zeitlos. Kurz und gut: Royal Tea ist ein königliches Vergnügen und setzt Bonamassas Schaffen die Krone auf.

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