August 2014 / Michael Bruß
Ganz ehrlich, ich bin stolz auf Sie. Nachdem ich den ersten Teil des Grundlagenartikels über Psychoakustik bei der Redaktion eingereicht hatte, war mir so ein bisschen bange, ob das Thema angesichts seiner Trockenheit nicht doch ein bisschen „too much“ sein könnte. Doch Ihre Reaktionen waren und sind durchweg positiv – es gibt also keinen Grund, Ihnen den zweiten Teil vorzuenthalten. Also: Augen und Ohren auf und durch!
Wie jetzt? Noch mehr Parameter??
Ja. So ganz fertig sind wir damit noch nicht …
Ganz unabhängig von Parametern wie Tonhöhe, Lautheit oder Rauigkeit lässt sich die Schärfe messen. Diese hat nur im weitesten assoziativen Sinne etwas mit physischer Schärfe zu tun, sondern beleuchtet einen wesentlichen Anteil der Klangfarbenwahrnehmung: Versuchspersonen müssen zur Bestimmung dieser Hörempfindung (es handelt sich also um eine rein subjektiv „messbare“ Größe) Geräusche reproduzierbar entlang einer Skala von stumpf bis scharf einordnen – die Einheit der Schärfe ist acum (von acum, lat. scharf). Auch wenn Sie noch nie etwas von Schärfe in Verbindung mit Tönen gehört haben sollten, so ist sie eine ganz wesentliche Komponente dessen, was wir Klangfarbe¹ nennen, und kann eigenständig beurteilt werden. Die Schärfe ist im Prinzip eine Empfindungsgröße, die durch hochfrequente Anteile in einem Geräusch verursacht wird und weitestgehend pegelunabhängig ist. Auch die Schärfe bildet die menschliche Empfindung linear ab. Der Wert 1 acum ist einem Schmalbandrauschen bei 1 kHz mit einer Bandbreite von 160 Hz (Frequenzgruppenbreite²) und einem Pegel von 60 dB zugeordnet. Da das alles ziemlich abstrakt ist, würde ich akustische Schärfe als Grad des „Zischens“ eines Signals beschreiben.
Schwebung und Rauigkeit als Empfindungsgrößen in der Psychoakustik werden besonders bei frequenzmoduliertem Schall wahrgenommen, also bei nicht stetig hohen, sich überlagernden Schallen. Ein einfaches Beispiel: Werden zwei Sinustöne mit ähnlichem Schallpegel und dicht benachbarter Frequenz gemeinsam abgespielt, so verschmelzen sie zu einem gemeinsamen Ton. Da aber die Frequenzen der beiden Töne unterschiedlich sind, verschieben sich die Phasen der Töne kontinuierlich gegeneinander. Im zeitlichen Verlauf des resultierenden Signals kommt es zu Verstärkungen beziehungsweise Abschwächungen im Pegelverlauf, so dass ein sich periodisch ändernder Lautstärkeeindruck entsteht. Überschreitet die Frequenzdifferenz zwischen beiden Tönen den Wert von circa 15 (30) Hz, so verschwindet die Schwebungsempfindung und es tritt eine Empfindung auf, die als Rauigkeit bezeichnet wird. Wird der Frequenzunterschied weiter gesteigert, so wird die sogenannte Frequenzunterscheidungsschwelle überschritten. Bei Überschreiten dieser Schwelle unterscheidet das Gehör zwei Einzeltöne. Das klingt immer noch rau, doch je weiter sich die Frequenzen voneinander entfernen, desto glatter und angenehmer empfindet man das Signal.
Gemessen wird die Rauigkeit in der Einheit asper. Referenzgröße für 1 asper ist ein mit 70 Hz modulierter 1-kHz-Sinuston mit einem Schalldruckpegel von 60 dB. Hier hören Sie ein einfaches, aber deutliches Beispiel für zwei mit sich vergrößerndem Abstand divergierende Sinustöne. F1 liegt bei 500 Hz, f2 verändert sich von ebenfalls 500 Hz bis auf 700 Hz. Beachten Sie dabei, wie die schneller werdende Schwebung erst immer rauer wird, um in den letzten Sekunden des Hörbeispiels zu zwei unterschiedlichen Tönen zu führen. Die Empfindung von Rauigkeit steht im Zusammenhang mit den kritischen Bandbreiten. Rauigkeit tritt nur auf, solange der Frequenzabstand innerhalb der kritischen Bandbreite liegt. Der Zusammenhang besteht so jedoch nur für Trägerfrequenzen im Frequenzbereich unterhalb von circa 1 kHz. Oberhalb von 2 kHz geht die Obergrenze in einen konstanten Wert von 250-300 Hz über.
Das Rauigkeitsempfinden entsteht aufgrund des beschränkten Frequenzauflösungsvermögens der Basilarmembran: Bei geringem Frequenzabstand überschneiden sich dort die Erregungsmuster zweier Töne. Wenn der Frequenzabstand größer wird und man zwei getrennte Töne wahrnimmt, bedeutet dies, dass die Töne auf der Basilarmembran zwei unabhängige Frequenzmaxima hervorrufen.
Was Schwebung und Rauigkeit für frequenzmodulierte Töne sind, ist die Schwankungsstärke für die subjektiv empfundene Schwankung der Lautstärke. Die Einheit der Schwankungsstärke ist vacil. 1 vacil ist definiert als die Schwankungsstärke eines amplitudenmodulierten 1-kHz-Tons von 60 dB Schalldruck bei einer Modulationsfrequenz von 4 Hz und einem Modulationsgrad von 1,0 = 100 %. Die Schwankungsstärke ist verhältnisskaliert, das heißt ein Geräusch, das doppelt so schwankend empfunden wird wie der Definitionsschall besitzt eine Schwankungsstärke von 2 vacil.
Mit der Impulshaltigkeit werden Geräusche gekennzeichnet, die schnelle Pegeländerungen enthalten (z. B. Knalle, Rammgeräusche). Diese Geräusche zeichnen sich vor allem durch ihre erhöhte Lästigkeit, Auffälligkeit und Schreckwirkung aus. Impulshaltige Geräusche ändern ihren Pegel sehr schnell – Geräusche, die ihren Pegel zwar stark aber langsam ändern, sind nicht impulshaltig.
Tonhaltigkeit oder Klanghaftigkeit liegt dann vor, wenn Einzeltöne innerhalb eines Geräusches zu hören sind. Ist dies der Fall, erhöht das eine mögliche Störwirkung eines Geräusches im Allgemeinen erheblich, was bei der Bildung eines Beurteilungspegels (zum Beispiel zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz) durch einen auf das Messergebnis aufzuschlagenden „Tonhaltigkeitszuschlag“ zu berücksichtigen ist. Der Wert dieses Tonhaltigkeitszuschlags hängt davon ab, wie laut der Einzelton und wie laut das Geräusch im Verhältnis zueinander sind. Einzeltöne treten zum Beispiel häufig bei periodisch arbeitenden Maschinen auf, zum Beispiel dann, wenn eine anregende Frequenz gleich oder annähernd gleich der Eigenfrequenz eines bestimmten Bauteils ist und es so zu Resonanzen bei einer bestimmten Frequenz kommt.
Noch bei mir?
Entschuldigen Sie bitte diesen Rundumschlag und die potenziell erschlagende Vielfalt an Information. Jetzt geht’s aber weiter mit etwas praktischeren Dingen, die auch im HiFi-Alltag ihre Relevanz haben.
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1 Klangfarbe definiert sich durch das Vorhandensein und die Amplitude (Stärke) von Obertönen, die einem Grundton überlagert sind, also das spezifische Gemisch aus Grundton, Obertönen, Rauschanteilen sowie den zeitlichen Verlauf dieses Spektrums und der Lautstärke.
2 Wie in Teil 1 beschrieben fasst das menschliche Gehör Schallreize, die in der Frequenz nahe beieinander liegen, in bestimmten Frequenzbändern zusammen. Diese Bänder werden „Frequenzgruppen“ genannt. Durch Aneinanderreihen dieser Frequenzbänder entsteht die „Tonheit“ genannte Frequenzskala mit der Einheit „Bark“. Der hörbare Frequenzbereich wird in 24 Frequenzgruppen auf eine Skala von 0 bis 24 Bark aufgeteilt.