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Geben sich meine Testlautsprecher optisch als Charmeure, entpuppen sie sich klanglich erst einmal als Kratzbürsten. „Geht gar nicht“ ist zugegebener Weise mein erster Eindruck. Jörn Jansen, der die JaWil Heimdall persönlich aus dem Siegerland nach Berlin gebracht sowie auch gleich vor Ort aufgestellt und angeschlossen hat, beruhigt mich. Die Lautsprecher seien flammneu und müssten sich erst einspielen. Die Breitbänder seien erfahrungsgemäß schnell da, aber die Basschassis würden leider einige Zeit brauchen. Na gut. Als Aufstellung empfiehlt er in meinem 18-m²-Raum eine eher wandnahe Position, den Basspegel stellt er mit Hilfe der Mikroschalter an der Aktivelektronik so ein, dass er zum unteren Ende des Übertragungsbereiches leicht abfällt. Bei linearer Einstellung sollen die Lautsprecher ansonsten bis 40 Hertz voll dabei sein.
Herr Jansen behält Recht – zumindest teilweise. Nach zwei Tagen klingen Stimmen schon sehr erträglich, doch die Bassperformance überzeugt mich nach zwei Wochen immer noch nicht. Auch was die räumliche Abbildung betrifft, würde ich von einem Breitbandkonzept mehr erwarten. Ergo fange ich an mit der Aufstellung zu experimentieren. Da, wo sich die meisten Lautsprecher in meinem Hörraum wohlfühlen – mit gut einem halben Meter Luft im Rücken und einem Meter zu den Seiten, rastet die räumliche Abbildung hörbar ein und die JaWil Heimdall machen schon mal klar, dass sie bereit sind, sich in dieser Disziplin mit allem anzulegen, was hier bisher so gestanden hat. Mit dem Bass bin ich allerdings noch weniger zufrieden als bei wandnaher Aufstellung. Zeit, einmal selber mit einem spitzen Schraubendreher auf den Mäuseklavieren der Aktivmodule zu spielen.
Bei der Einstellung, die einen linearen Bassfrequenzgang bis 40 Hertz darstellt, bleibe ich schließlich. Genau so macht Bass Spaß. Mein Hörraum entpuppt sich in Sachen Tiefton immer wieder mal als nicht ganz so unproblematisch, wie ich mir das wünschen würde. Die Jawil Heimdall mit ihren auf geschlossene Volumina arbeitenden Tieftönern funktionieren hier aber schließlich so gut, wie ich es selten höre. Das hat Kraft, ist trotzdem bestens kontrolliert und knackig. Hatte ich in diesem Raum schon mal Probleme mit dem Bass? Kann nur an den Lautsprechern gelegen haben …
Mächtige Trommeln, wie sie etwa die japanischen Kodō Trommler in einer Live Einspielung mit dem Jazzpianisten Yosuke Yamashita bieten (Kodō Vs. Yosuke Yamashita Live), kommen differenziert, dynamisch, körperhaft rüber. Ja, hier schwingen mächtige Trommelfelle. Auch die spezielle Klangcharakteristik der japanischen Trommeln arbeiten die JaWil Heimdall klar heraus. Genauso klar und präzise bringen sie einen Kontrabass zu Gehör. Hier habe ich die eigentümlich spröde Interpretation des Billy Holiday Klassikers „Strange Fruit“ von Cassandra Wilson auf dem Album New Moon Daughter angehört. Dieser Kontrabass schlägt einem irgendwie quer in den Magen, macht ein ungemütliches Gefühl, und genau so ist das in diesem Stück gemeint. Puh, schnell wieder etwas Erfreulicheres.
Ich flüchte mich in synthetische Tieftonorgien. Hier stoße ich allerdings auf den einzig nicht ganz so erfreulichen Aspekt der Bassperformance: So richtig fiese, tiefe synthetische Töne bringen die Lautsprecher schon bei gehobener Zimmerlautstärke an ihre Grenzen. Die Tieftöner führen wirklich gigantische Auslenkungen aus und komprimieren irgendwann einfach. Das sind keine Verzerrungen einer überforderten Aktivelektronik, kein Anschlagen von Schwingspulen an Polplatten, das ist einfach die Grenze dessen, was man aus 11 Litern Volumen pro Treiber rausholen kann. Ich behaupte mal, dass man bei JaWil schon weiß, warum man bei den großen Modellen im Bass auf Hörner setzt. Trotzdem – die aktiven Subwoofer sind klanglich eine ernsthafte Alternative, nur pegelmäßig etwas limitiert.
Überhaupt keine Limits mehr scheint es oberhalb des Bassbereichs zu geben. Denn ab dem Oberbass/Grundton-Bereich entwickeln die JaWil Heimdall Qualitäten, wie man sie sonst vornehmlich von Hochwirkungsgradlautsprechern oder Hornkonstruktionen kennt. Dazu gehört vor allem eine schwer mit Worten zu beschreibende, dafür umso klarer zu erlebende Unmittelbarkeit. Ich scheue mich, von einem „anspringenden“ Klangbild zu sprechen – bei dieser Formulierung schwingt irgendwie mit, dass die Sache anstrengend sein könnte. Und genau das ist sie nicht.
Was ich meine, lässt sich am besten anhand von Stimmen verdeutlichen. Irgendwann musste es soweit kommen, denn es schlummerte auf meinem Musikserver. Lange Jahre habe ich es geschmäht: DAS abgehangene Hörtest-Album schlechthin – Dire Straits, Brothers in Arms. Kann eigentlich keiner mehr hören. Aber ich musste es einfach mal wieder tun. Und war komplett platt. Darüber, dass die Produktion, die 1985 immerhin eine sehr frühe volldigitale Produktion war, wirklich nicht schlecht ist – manch neues Album ist deutlich schlechter produziert. Und darüber, wie klar die Heimdall das Organ von Mark Knopfler von seinem Background-Chor abheben, wie verständlich die Texte rüber kommen, wie klar die Artikulation Knopflers ist. Das ist verdammt gut. Alles kommt sehr dynamisch, gut aufgelöst, tonal auf den Punkt. Die Heimdall konfrontieren einem mit dem vollen Brett musikalischer Information, und sie üben keine Zurückhaltung. Kein Schuss kuscheliger Wärme, kein Weichzeichner, keine sonst wie geartete „Freundlichkeit“.
Und warum nervt es nicht? Weil alles völlig locker, entspannt und unverfärbt wirkt. Kein Zeichen von Stress, von Verzerrungen oder sonstigen Untugenden, die das Hören anstrengend machen. Das gilt natürlich auch für Instrumente. Angerissene Gitarrenseiten, etwa auf Omar Torrez with Orpheus, La Danza En My Corazion, elektrisieren förmlich. Klavieranschläge explodieren bei entsprechender Spielweise – nehmen Sie etwa das Album Place to be von Hiromi. Und gut aufgenommene Stimmen jeder Couleur gehen sofort unter die Haut. Wer sich bisher immer gewundert hat, was mache Leute an Breitbändern und leichten Papiermembranen finden und sich nie zu fragen traute, höre sich die Heimdall an. Die bieten schlicht ein tolles Timing und nicht den leisesten Anflug von Trägheit. Wobei sie ihre Qualitäten mit jedem Musikmaterial ausspielen. Egal ob Elektro oder Klassik – der wunderbaren Unmittelbarkeit der JaWil-Lautsprecher kann (und will) man sich nicht entziehen.
Schattenseiten? Geschmackssache. Die JaWil Heimdall gehören ganz klar zu der Kategorie von Lautsprechern, die sich liebend gern auf jeden neuen Ton stürzen, sich aber vielleicht nicht immer alle Mühe geben, Töne auch sauber bis zu Ende zu führen. Will sagen: Die Transienten-Wiedergabe ist klasse; um auch das feinste Ausklingen eines Tons noch auszukosten, nehmen sie sich weniger Zeit. Das führt zum Beispiel zu präzisen, aber nicht üppigen Klangfarben. Wer hier gerne schwelgt, wird andere Lautsprecher bevorzugen. So treten einem die einzelnen Töne und Klänge sehr dynamisch, aber irgendwie auch ein bisschen „flächig“, weniger körperhaft entgegen.
Meine Diapason Adamantes etwa agieren in dieser Hinsicht anders. Sie sind zwar auch schnell und dynamisch, bieten dabei nicht die Unmittelbarkeit der Heimdall, machen sich aber eher die Mühe, jeden Ton mit Sorgfalt abzuschließen, während die Heimdall schon mit dem nächsten beschäftigt scheinen. Um das Ganze an einem Beispiel zu veranschaulichen: Bei der Wiedergabe eines Trommelschlags konzentrieren sich die Heimdall auf das Auftreffen des Sticks auf das Fell der Trommel, die Adamantes vermitteln darüber hinaus stärker, dass die Trommel auch einen Körper hat, der ebenfalls etwas zum Klangeindruck beiträgt. Und weil man mehr vom Trommelkörper hört, mutet die Trommel über die Adamantes eben körperhafter an als über die Heimdall.
In den Höhen büßt die Heimdall nichts von ihren Qualitäten in Sachen Dynamik und Auflösung ein. Sie bietet hier jede Menge Informationen. So ein bisschen frage ich mich schon, wozu manche Hersteller dünnste Metallbändchen zwischen starke Magnete hängen, hauchdünne Keramik-Kalotten backen oder sogar Membranen aus Diamant züchten, wenn ein schlichter Papierkonus schon so eine Wiedergabequalität bietet. Jaa, vielleicht hat ein exquisites Bändchen noch etwas mehr Differenzierungsvermögen – dafür bieten Bändchen aber selten die Homogenität des Papiertöners. Der eine oder andere Keramikhochtöner mag vielleicht in Sachen Präzision die Nase vorne haben, ob er dabei mit einer so wunderbaren Dynamik, wie sie der kleine Visatöner an den Tag legt, punkten kann, muss er erst mal beweisen. Dieses Chassis provoziert auf jeden Fall einige ernsthafte Fragen.
Absolut überzeugend fällt auch die räumliche Darstellung der JaWil Heimdall aus. Die kleinen Breitbänder, die den gesamten Frequenzbereich ab 900 Hertz wiedergeben, muten hier wie physikalisch ideale Punktschallquellen an und machen einen tiefen, weiten Raum auf, in den man meint, hineingehen zu können. Der gehörte Raum beginnt dabei weitgehend an einer durch die Positionen der Lautsprecher markierten Linie und öffnet sich nach hinten – je nach Aufnahmesituation – ungeheuer weit und tief. Schnell wähnt man sich in einem Konzertsaal. Bei kleinen Jazz-Besetzungen wird die Bühne gerne kleiner, intimer, ich fühle mich an den ersten Tisch vor dem Bühnenrand gesetzt. Sänger und Solisten materialisieren sich mit dem Einsetzen der Musik unmittelbar zwischen den Lautsprechern, haben eine realistische Größe und, wie bereits beschrieben, sehr plastische Konturen. So klingt auf den Punkt gebrachte Räumlichkeit.
Im Vergleich zu meinen Geithain ME 150 mit ihrer recht involvierenden, nach vorne gehenden Räumlichkeit versetzen einen die JaWil Heimdall eher vor den Aufnahmeraum – wenn auch teilweise mit recht geringem Abstand. Insgesamt hört man den ME 150 nicht zuletzt bei solchen Vergleichen die Abstammung aus dem Studiobereich an. Sie sind eher darauf ausgelegt, ein unglücklich ausgerichtetes Mikrofon oder einen etwas zu beherzten Dreh am Regler für den künstlichen Hall hörbar zu machen, während die Heimdall mehr die Energie und den Drive einer Aufnahme in den Fokus rücken. Im Vergleich dazu muten die Sächsinnen geradezu akademisch-nüchtern an.
Natürlich musste ich noch mit den beiden Anschlussmöglichkeiten experimentieren. Und, ja, wird der Subwoofer von den Vorverstärker-Ausgängen versorgt und der obere Teil der Heimdall direkt an die Lautsprecherausgänge des Verstärkers angeschlossen, geht da noch was. Allerdings bewegen sich hier keine Welten. Ein Hauch mehr Konturenschärfe, vielleicht noch ein winziger Zacken mehr Feindynamik – obwohl die eh auf so hohem Niveau liegt, dass ich vielleicht auch nur wieder aufs Neue überrascht bin. Okay, wer die Möglichkeit hat, den aktiven Part separat mit einem Signal zu versorgen, sollte sie nutzen – einfach um des Bewusstseins willen, hier die technisch sauberere Lösung zu wählen. Schlechter hört man anders aber auch nicht wirklich.
Test: JaWil Heimdall | Aktivlautsprecher, Standlautsprecher