Liturgy – Origin of the Alimonies
Das neue Album Origin of the Alimonies der US-amerikanischen Metal-Band Liturgy startet ganz sanft. Zu Beginn de Openers „The Separation of HAQQ From HAEL“ gesellt sich ein Streicher zu einer Flöte – die Sounds werden geloopt und es entsteht eine Untermalung, die beruhigend wirkt. Der Einfluss aus der Klassik ist unüberhörbar. Liturgy ist dafür bekannt, weit über die Genre-Grenzen des Metals hinauszugehen. Sie selbst bezeichnen ihre Musik als „Transcendental Black Metal“. Doch die 2005 gegründete Band um Hunter Hunt-Hendrix experimentiert – sei es mit Hip-Hop oder Prog – und lässt sich musikalisch schwer definieren. Mit dem neuen Album hatte Hunt-Hendrix außerdem ein Coming-Out als Trans-Frau, weshalb die Band oft in den Medien erwähnt wurde. Die Musik hat das nicht verändert. Sie ist weiterhin vielschichtig und über epische Geschichten, Mystik und Philosophie im Text aufgebaut.
Das beruhigende Klassik-Intermezzo als Album-Opener kann man deshalb auch als Overtüre der Metal-Oper „Origin of the Alimonies“ verstehen. Es wird erst nach fast vier Minuten durch einen Trommelwirbel aufgelöst. Die Double-Bass-Drum setzt ein und die Band lässt es mit verzerrten Instrumenten ordentlich krachen. Trotzdem spielen auch die vorherigen Instrumente weiter mit, was dem Sound einen mittelalterlichen Touch verleiht. Das Sanfte und das Aggressive – beides wird in dem gesanglosen Song hintereinander vereint. Den Titel, in dem der Engel Hael erwähnt wird, suggeriert, dass es sich um eine Verbildlichung in Musik handelt. Die Geschichte von Hael und weiteren Charakteren wird auch über das nächste instrumentale Stück „OIOION’s birth“ weiter erzählt. In dem nahtlos übergehenden „Lonely OIOION“ hört man dreschende Schlagzeug-Becken, peitschende Metal-Passagen, die durch etwas wie elektronische Störungen abrupt unterbrochen werden. Anschließend geht alles in ein ruhiges Orgelspiel über. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, denn kurze Zeit später folgen wieder brüllende Gitarren und die Screamo-Stimme von Hunt-Hendrix. Man merkt schnell, bei Liturgy kommt auch auf dem neuen Album alles zusammen – gewaltiger und fulminanter könnte eine Metal-Oper nicht sein.
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Rico Nasty – Nightmare Vacation
Den dystopischen Titel von Rico Nastys neuem Album Nightmare Vacation kann man in Corona-Zeiten nur allzu gut nachvollziehen. Doch das Dunkle gehörte schon immer zur US-Rapperin. Der Erfolg ihrer Underground-Hits der letzten Jahre wie „Smack a Bitch“ ist zum großen Teil ihrer trotzenden, aggressiven Attitüden geschuldet, die gleichzeitig unterhaltsam sind. Ihr Major-Label-Debut enthält als Erinnerung an ihren Durchbruch auch einen Remix ihres alten Hits. Die anderen Songs des Albums schließen an die Aggro-Atmosphäre an, hören sich aber etwas glatter gebügelt an.
Der Beat der ersten Singleauskopplung „Iphone“ ist rockig und verzerrte Gitarren feuern die Rapperin an. Nasty singt hier mit effektbeladener Stimme von einer toxischen Beziehung und intimen Momenten. Die Stimmung auf dem Song ist cyber-poppig und es klingt ein bisschen, als wäre Rico Nasty gezähmt. Die Lyrics sind weniger ungefiltert und direkt. Mit der Hook „This time won’t be nothing like the last time“ lässt sie zum Beispiel viel Raum für Interpretation, gibt sich aber auch der Belanglosigkeit hin. In einem Interview erklärt sie, dass sie damit das Versprechen neuer Social-Media-Apps meint.
Der Song „OHFR?“ – ausgeschrieben „oh for real?“ – erinnert da schon eher an alte Zeiten. Rico Nastys Stimme ist aggressiv, fast schreiend und übertönt den minimalen Beat, der in der Strophe mit zwei hintereinander gespielten Tönen und einem Drum-Gerüst auskommt. So auch der Song Check Me Out, bei dem Nasty über einen reduzierten Piano-Beat rappt. Mit den minimalistischen Beats fährt die Rapperin gut – denn hier überzeugt ihre angespannte Stimme, mit der sie ihr freches, spielerisches Trolling in den Lyrics überträgt. Dann macht Rico Nasty auch Spaß.
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Reema – Memories Fade to Tape
Das Album Memories Fade to Tape der in London aufgewachsenen Singer-Songwriterin Reema erschien im Februar 2020, zunächst ausschließlich auf Vinyl. Das analoge Konzept zieht sich durch die gesamte Veröffentlichung – sie wurde mit Tape-Recorder aufgenommen und auch in der Produktion ohne Computer bearbeitet. Das von Reema gemalte Cover-Artwork macht die Platte außerdem zu einem Liebhaberstück.
Die neun folk-artigen und poppigen Kompositionen der Wahlberlinerin verbreiten Wärme und sind mit Bedacht gespielt. Sie selbst übernimmt in ihren reduzierten Kompositionen das Gitarrenspiel. Oft besteht das Arrangement der Songs wie bei Lioness nur aus einem Arpeggio-Gitarrenspiel, über das sie zaghaft mit hohem Sopran singt. Die Platte selbst beginnt jedoch nicht ausschließlich mit Reemas gezupfter Gitarre. Auf dem ersten Stück „My Feet Won’t Walk Anymore“ hört man außerdem klassische Holzbläser wie Fagott, Klarinette und Querflöte.
Auch auf dem nächsten Song „The Night is Velvet“ sticht ein solches Arrangement von Musiker und Produzent Guy Sternberg heraus. Von Anbeginn formen die Holzbläser ein sanftes Klangbett, das den Song bereichert. Die Bläser tragen mit angereicherten Akkorden aber auch maßgeblich zur mystischen Aura des Songs bei. Selten treten sie aus den langgezogenen Noten heraus, um selbst ein kleines Solo zu spielen – das sich aber nie in den Vordergrund drängt. Wenn dissonante Noten die harmonische Klangwelt aufbrechen, entstehen ganz besondere Momente. Im nächsten Track „Young Ghost“ tritt neben einer unaufdringlichen Schlagzeug-Akzentuierung auch ein Kontrabass auf den Plan. Die interessante Instrumentierung ist maßgeblich für die Kompositionen – in dieser Sache unterscheidet sich Reema ausdrücklich von den vielen Singer-Songwriterinnen unserer Zeit.
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