Februar 2017 / Lorina Speder
Die fünfköpfige Instrumentalband Tortoise aus Chicago veröffentlichte am Anfang 2016 nach sieben Jahren ein neues Album namens „The Catastrophist“. Wie zuvor arbeiteten die Post-Rocker mit dem berühmten amerikanischen Label Thrill Jockey zusammen. Tortoise wurden 1990 gegründet und gelten als einer der Wegbereiter des Post-Rock.
Neben dieser Musikrichtung werden in ihrer Musik aber auch Einflüsse aus dem Krautrock, Minimal, Jazz und Elektronika hörbar. In den neuen Songs überwiegen jedoch die elektronischen Einflüsse. Die Band, die gewöhnlich mit zwei Bässen und drei Schlagzeugen aufnimmt, legt den Schwerpunkt der Musik auf die Rhythmusgruppe. Meist sind die Stücke deshalb im Uptempo gespielt, aber sie wirken nie gehetzt. Durch die Synthesizer, die fast in jedem Song eingesetzt werden, wirkt der Sound sanft und weich. Vielleicht ist es genau diese Stimmung, die die Vergleiche zur Band Yes in Zeitungsartikeln über die Band rechtfertigen. Die Weichheit kommt neben den Synthies aber auch von den Instrumenten, die die Melodien kreieren. In den neuen Songs benutzt Tortoise Vibraphones oder Marimbas, insgesamt klingt die Band durch den Einsatz dieser ungewöhnlichen Instrumente auch etwas exotisch. Neben den rhythmischen Songs, in denen die drei Schlagzeuge vollen Einsatz zeigen, gibt es auf dem neuen Album aber auch ruhige Lieder.
„The Clearing Fills“ ist eines davon. Der meditative Anfang erinnert fast an die frühen Genesis und verleitet zum Träumen. Das minimal eingesetzte Schlagwerk gibt wie ein Sekundenzeiger den Takt an und überlässt den Gitarren und dem Klavier den Vorrang. Im unaufgeregten Verlauf des Songs bekommt die Snare, die unregelmäßig mit einem Besen angeschlagen und gestrichen wird, fast eine Solo-Stellung. Es sind bestimmt diese interessanten Details, die das japanische Publikum an der Band so schätzt. Schon seit 1995 touren Tortoise regelmäßig in dem Land und produzierten sogar Platten, die ausschließlich dort verkauft werden. Vielleicht können wir uns in Sachen Musikgeschmack noch einiges von den Japanern und deren Vorlieben abgucken.
Die in Berlin lebende japanische Klavierspielerinn Aki Takase hat ein neues Jazz-Album auf den Markt gebracht. Die zehn Lieder auf Tama Goldfish enthalten fast sämtliche Facetten, die Musik abbilden kann: Mal sind die Stücke ruhig, mal belebt, experimentell und auch klassisch. Bis auf zwei Kompositionen sind alle Lieder Eigenkompositionen von Takase. Das mit einem Solo-Bass beginnende Lied „Icy Blue“ wurde vom Jazz-Bassisten Jan Roder geschrieben. Durch das Schlagzeugbecken und die perlenden, hohen Tönen des Klaviers kommt eine Stimmung auf, die den Namen des Stücks alle Ehre macht.
Hier wird Musik bildlich: Die herabfallenden Töne klingen fast plätschernd, als ob sie das Element Wasser nachahmen, und wirken mit dem rauschigen Klang des Beckens wie Tropfen. Der Komponist und Bassist Jan Roder übernahm auch den Bass-Part auf den anderen Stücken. Oliver Steidle, der bei allen Liedern am Schlagzeug saß, schrieb das treibende und mit viel Schwung aufgenommene Stück „Oja“. Neben den instrumentellen Songs ist das dritte Lied „Seven Eleven“ mit einem Gesangspart eine schöne Bereicherung für das Album. Das Lied bekommt vokale Unterstützung von Merran Laginestra. Das Hauptthema kommt im Lied zwei Mal vor, direkt am Anfang und am Ende. Dabei wird der rhythmische Gesang vom Klavier gedoppelt und bleibt im Ohr. Der mittige instrumentale Part lässt Raum für Improvisation. Dort wandert das Klavier harmonisch und wird vom akzentuierenden Schlagzeug begleitet. Auch der Bass kommt nach der Hälfte der instrumentalen Phase hinzu und leitet vor einer Pause das End-Thema mit dem Gesang ein. Insgesamt ist das Album mit den vielen Einflüssen und Facetten auch für Nicht-Jazzer eine wirkliche Entdeckung. Es zeigt, wie bildlich Musik sein kann und führt uns damit in andere Welten.
Jenny Hval, die norwegische Sängerin und Autorin, ist schon länger im Musikbusiness unterwegs. Blood Bitch ist ihr bereits neuntes Album – allerdings benutzt sie ihren Geburtsnamen erst seit vier Veröffentlichungen. Aber nicht nur ihr Künstlername, auch ihre Musik veränderte sich mit der Zeit. Aus Gitarrenmusik wurden immer elektronischere Klänge. Das neue Werk beeindruckt mit avantgardistischen Sound-Elementen und Hvals seltsam-schönen Gesang, der sich in ungewöhnlichen Melodien verliert und instinktiv klingt. Dass Hval aber textlich mit sehr überlegten Aussagen arbeitet, liegt bestimmt nicht nur daran, dass sie auch freie Autorin ist. Ihre Musik hatte schon immer eine Botschaft. Hval beschäftigt sich auf dem neuen Album mit Blut – sie thematisiert Perioden, weibliche Vampire und besingt die Farbe „rot“: Im Song „In the Red“ heißt es zum Beispiel: „it hurts everywhere“. Ihre feministische Message ist dabei unüberhörbar und durchdringt die Musik. Auch das Lied „Untamed Region“ beschäftigt sich mit dem weiblichen Zyklus. Wie in einem Film hört man zuerst das Geräusch eines schreibenden Stiftes auf Papier – begleitet von einem orgelartigen Tasteninstrument.
Nach der ruhigen Hälfte richtet sich Hvals Stimme an die Zuhörer. Sie fragt sich sprechend, ob das Blut auf dem Bett ihres ist – sie hatte es zu dieser Zeit im Monat nicht erwartet. Für die Sequenz schlüpft sie in einen Charakter. Dies wird in den aufgenommenen Gesprächen, die immer mal wieder auftauchen, fortgesetzt. Hval schafft es mit der neuen Musik und den verschiedenen Rollen, die ihr Leid klagen oder dem Zuhörer direkte Fragen stellen, ferne Welten zu kreieren, in denen sie gesellschaftliche Tabu-Themen ansprechen kann. Ihre atmosphärischen Klänge helfen dabei, eine Stimmung zu erzeugen, in denen Hvals hoher Gesang nicht zerbrechlich wirkt. Das Besondere an der Musik ist nämlich, dass sie die intimen und verletzlichen Texte der Künstlerin bestärkt. Um das Album zu erleben, sollte es an einem Stück und möglichst ohne Unterbrechungen angehört werden. Erst so machen die fast filmisch klingenden Szenen, die unregelmäßig eingespielt sind, wirklich Sinn und verbinden sich mit der Musik der folgenden Titel.