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Bar Italia – The Twits

Das Londoner Trio Bar Italia startete im letzten Jahr richtig durch. Seit 2020 veröffentlichen die Rocker Musik, damals noch völlig anonym. Das Mysterium um die Personen hinter den alternativen Indieklängen brachte der Band einigen Hype und Aufmerksamkeit. Doch nachdem sie vom Indie-Rock-Label Matador Records aufgenommen wurden, veröffentlichten sie im Frühjahr 2023 nicht nur ihre Namen und sprachen mit der Presse – sie brachten auch zwei neue Alben heraus. Das jüngste, The Twits, erschien im November und ist ein angenehm abwechslungsreiches Werk aus Gitarrenriffs, ein bisschen Krach und interessantem Gesang – bei dem nicht nur Nina Cristante, sondern auch die Bandmitglieder Sam Fenton und Jezmi Fehmi am Mikrofon stehen.

Bar Italia / The Twits

Das Album beginnt mit einem echten Rockbrett. In „My Little Tony“ dröhnen die Gitarren aus den Boxen, das Riff wird konstant geschrammelt und die wechselnden Gesangsparts der Band bringen Schwung in den Track. Da man durch die verschiedenen Gesangsparts zunächst die Orientierung im Song verliert, vergeht die gitarrenlastige Nummer wie im Flug und bleibt immer spannend. Nach einer eingängigen Passage, die man als Chorus bezeichnen könnte, folgt ein längerer Instrumentalteil. In diesem setzt dann Nina Cristante mit ihrer trockenen und selbstbewussten Stimme ein und beendet das Stück völlig unerwartet.

In „Real house wibes (desperate house vibes)” schwebt immer eine kleine Dissonanz mit – sei es in den noisigen Gitarren oder im bewusst unperfekt eingefangenen Gesang. Vor allem die heulenden Gitarrenklänge, die sich wie ein wirbelnder Schleier über das Stück legen, evozieren eine undurchdringliche Atmosphäre. Ganz anders in „twist“. Hier singt Cristante lieblich im Sechsachteltakt, die Gitarren klingen mit leise angeschlagenen Akkorden klar durch die Boxen und das Schlagzeug hält sich bis auf einen klirrenden Schellenring im Hintergrund. Besonders schön ist das Solo aus Einzeltönen und Feedback, das sich perfekt in die luftig-leichte Stimmung einfügt.

Schon die ersten drei Songs zeigen die Vielseitigkeit der Band. Die Mischung aus geheimnisvollem Western-Vibe und instrumentalen Passagen steht ihnen gut – so auch in „Shoo“, einem langsamen Stück, das durch ausgedehnte Soli-Einschübe und Cristantes gedoppelten Gesang auffällt. Für Rockfans auf jeden Fall eine Hör-Reise wert!

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André 3000 – New Blue Sun

Die Aufregung war groß, als der legendäre US-Rapper André 3000, der einst als Mitglied des Duos Outcast zur Rap-Avantgarde gehörte, in einem Interview erklärte, er habe nichts mehr zu rappen, nichts mehr zu sagen. Mit Ende 40 sei er dafür zu alt. Also widmete er sich der Flöte und veröffentlichte nun sein erstes Soloalbum New Blue Sun. Dass das gar nicht so skurril ist, wie es zunächst klingt, merkt man schnell, wenn man die Platte auflegt. Denn diese Musik ist alles andere als ein Witz, sondern im besten Sinne spirituell, jazzig und meditativ. Statt mit Worten lotet André 3000 hier sein Instrument und dessen Möglichkeiten aus. Mal spielt er eine rauschende Bambusflöte, mal eine Kontrabassflöte, mal eine Mayaflöte. Und immer ist er auf der Suche nach Melodien.

André 3000 / New Blue Sun

Der erste Song „I swear, I Really Wanted To Make A ‘Rap’ Album But This Is Literally The Way The Wind Blew Me This Time“ beginnt mit einer Elektroflöte, die eher an eine Geige erinnert. Mit diesen zarten Tönen tastet er sich langsam an die Hauptmelodie des Songs heran und lässt schließlich – nach minutenlangen Synthie-Wolken – das Thema des Songs aus effektvollen Gitarrenakkorden, Synthies und einigen Schlagzeug-Akzenten auferstehen. Ruhig und erhaben baut sich die Flötenmelodie auf, an manchen Stellen fast tänzerisch.

Dass André 3000 seine künstlerische Intuition gut zu nutzen weiß, verrät auch der Titel des Stückes – eigentlich wollte er ein Rap-Album machen, aber es war einfach sein Gefühl, diese neue musikalische Richtung einzuschlagen … Dass hier alles nach Gefühl geht, beweist auch André 3000s Timing beim Flötenspiel. Nie ist eine Melodie sofort da, vielmehr testet der Musiker sie erst aus und setzt die Töne zögerlich, bevor er sie dann wirklich selbstbewusst in das ruhige musikalische Gerüst bläst. Die Platte klingt wie ein ausgefeilter Jam zwischen befreundeten Musikern, die sich Zeit und Raum lassen, um etwas musikalisch Besonderes zu erarbeiten.

Dass André 3000 sich selbst dabei nicht zu wichtig nimmt, zeigt er in den Titeln der Platte. Zwar gibt er mit Namen wie „Gandhi“, „Dalai Lama“, „Lord“ oder auch „Beyoncé“ kleine Denkanstöße. Aber oft sind die Titel einfach nur spielerische Formulierungen. Wer sich spirituell wärmen möchte, sollte diese 90 Minuten an einem dunklen Wintertag einschalten und einfach genießen.

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Delilah Holliday – Invaluable Vol. 1 & 2

Bevor Delilah Holliday sich in Großbritannien mit experimentellen Mixes aus Elektro, Art Pop und Trip Hop einen Namen machte, spielte sie in einer Indie-Punk-Band. Die Punk-Attitüde ist auch heute noch in ihren Kompositionen zu hören – so auch auf ihrem neuen Album Invaluable Vol 1 & 2.

Delilah Holliday Invaluable Vol. 1 & 2

Die Platte beginnt mit einem langsamen Stück namens „Steel Charmed“, in dem die Synthies wabern und angenehm heulen – und die rhythmischen Elemente nach einer langen Intro-Strophe klackernd auftauchen und dem Gesang Struktur geben. Der klingt mal weit weg, mal ganz nah. Oft flüstert Delilah Holliday „Behind Steel Gates“ und antwortet sich selbst mit „I’m Steel Charmed“. Durch die verschiedenen Gesangseffekte und weil der Gesang manchmal leicht schief klingt, wirkt der Song mystisch und gibt einen recht atmosphärischen Einstieg in die neue Platte.

Mit „Burn Money“ geht es etwas beschwingter weiter. Delilah Holliday singt hier poppig und im Chorus wummern die elektrischen Drums. Das experimentelle Schlagzeug, mal elektrisch klirrend, mal blubbernd oder flatternd, macht den Song abwechslungsreich und passt gut zu den ansonsten sehr eingängigen Melodien. „Burn Money“ geht nach zwei Minuten nahtlos in den nächsten Track „Silent Streets“ über, der mit Spoken Word zu einem Techno-Beat erstmals Club-Atmosphäre aufkommen lässt. Allein diese drei Songs zeigen schon, wie breit Delilah Holliday aufgestellt ist.

Wie clubtauglich Hollidays Musik ist, beweisen weitere Tracks des auf zwei Discs aufgeteilten Albums. „Liquid Pearl“ besticht durch ein wummerndes Riff und einen atmosphärischen Zwischenteil, der sich minutenlang hinzieht, um dann wieder zum donnernden Anfangsriff zurückzukehren, das in der zweiten Runde oktaviert und anders akzentuiert wird. Definitiv reinhören, wenn pumpende Beats für mehr Energie gebraucht werden!

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H-E-A-R Tellurium

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