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Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Klassisch progressiv
  2. 2 Progressive Audio A901: Klang & Vergleiche

Über Produkte des Herstellers Progressive Audio haben wir in fairaudio schon öfter berichtet. Allerdings ging es bisher dabei um die Lautsprecher des Unternehmens. Wer nachliest, wird feststellen, dass die Schallwandler von Progressive Audio stets eine im besten Sinne neutrale, präzise und phasenstabile Wiedergabe anstreben. Die hohe und unter allen denkbaren Umständen einzuhaltende Impulstreue macht dann auch einen wichtigen Teil der Klangphilosophie von Progressive Audio aus. Eigentlich im hifidelen Umfeld keine wirklich überraschende Zielsetzung, die allerdings nicht selten, gewollt oder ungewollt, zu wenig Beachtung findet. Aus meiner Beschäftigung mit den „progressiven“ Schallwandlern, lässt sich aber sagen, dass die gehörten Modelle des Essener Herstellers dem propagierten Ideal schon recht nahe kommen – und dass man sich an diese ungeschönte und direkte Art der Wiedergabe ziemlich schnell gewöhnen kann.

Diesmal dreht es sich um den Vollverstärker A901 aus dem Hause Progressive Audio. Elektronik ist nämlich der zweite Schwerpunkt des Unternehmens, das bereits seit 2003 den Vollverstärker A1 und kurz darauf den stärkeren A2 fertigt. Beiden Amps ist ein vollsymmetrischer Schaltungsaufbau und der verzerrungsarme Class-A-Betrieb gemein. Dabei stellt bereits der kleinere A1 den angeschlossenen Lautsprechern 2 x 30 reine Class-A-Watt an 8 Ohm zur Verfügung.

Progressive Audio A901 Innenansicht

Hinter den in Abschirmdosen befindlichen Übertragerkapseln ist mittig die Platine mit der Eingangsstufe platziert, welche auch die Lautsstärkeregelung beherbergt. Aufgrund der Verwendung von Schaltnetzteilen statt Ringkerntrafos wiegt der Progressive Audio A901 „nur“ noch 17 Kilo

Ralf Koenen, Inhaber, Ideengeber und Entwickler von Progressive Audio sieht übrigens keinen Sinn darin, die Verstärkung arbeitsteilig von dedizierten Vor- und Endstufen erledigen zu lassen, denn schließlich führe der hürdenreichere Signalweg zu höherem Grundrauschen und auch die längeren Kabelwege sowie zusätzlichen Schnittstellen dürften nicht gerade zur Verbesserung des Audiosignals beitragen. Ganz abgesehen davon, dass die erforderlichen Verbindungskabel und das zusätzliche Gehäuse die Kosten nicht unerheblich in die Höhe treiben ließen. Lieber überlässt Koenen den Job der Volumenregelung relaisgeschalteten Präzisionswiderständen, welche die Lautstärke in engen 0,75-Dezibel-Schritten regulieren. Übrigens finden aus klanglichen Gründen nicht mehr die allseits so beliebten und lautlos schaltbaren Reed-Relais Verwendung. Der Unterschied sei so signifikant, dass die leisen Klackgeräusche der Relais bei der Lautstärkenänderung zwecks besserer Performance in Kauf genommen werden müssten.

Das Design von Progressive Audio A 1 und A 2 erfuhr während der langen Bauzeit nie eine grundsätzliche Änderung. Hier standen Bauhaus und Kubismus gleichermaßen Pate, was zugegebenermaßen auch heute noch seinen Reiz hat. Nicht verwunderlich also, dass die Essener bei ihrem neuesten Streich, dem A1-Nachfolger Progressive Audio A901 der gestalterischen Linie weitgehend treu geblieben sind. Nur weniges hat sich äußerlich geändert. Eher nebensächlich ist die 20 Millimeter dicke, aus Acryl statt Aluminium bestehende Frontplatte, welche den Progressive Audio A901 nun ziert. Funktional bedeutender sind die Tasten unter dem Display, mit denen sich der Neue von seinem Vorgänger unterscheidet. Damit ist die Bedienung des Integrierten nun auch ohne Fernbedienung möglich. Die Taster dann noch eindeutig zu beschriften, wäre offenbar wohl etwas zu viel Stilbruch auf einmal gewesen …

Progressive Audio A901 Komplettaufnahme

Doch während äußerlich Evolution vorherrscht, hat unter dem Aludeckel des Progressive Audio A901 eine kleine Revolution stattgefunden. So werden nun geregelte, ultraharte Schaltnetzteile anstelle klassischer Transformatoren zur Bereitstellung der Betriebsspannungen verbaut. Den aus der Medizintechnik stammenden, recht kostspieligen Exemplaren traut Progressive Audio zu, selbst bei fiesesten Impulsen nicht einzubrechen und konstant ausreichend Strom bereitstellen zu können. Progressive Audio führt dabei ins Feld, dass selbst überdimensionierte Trafos samt riesiger Elko-Batterien in diesen Fällen Einbrüche von wenigen Millivolt aufweisen würden, welche letztlich zu einer Verfälschung des Klangbilds beitrügen.

Über Halbleiter

Ein weiteres, nicht unwichtiges Detail betrifft die eingesetzten Transistoren. Zur Erinnerung: Ein Transistor ist im Prinzip ja nicht anderes als ein Schaltelement, bei dem eine größere Spannung durch eine kleine Schaltspannung, mithin das Musiksignal, moduliert wird. Wobei der Schalter nicht nur völlig offen oder geschlossen sein, sondern auch stetig verlaufende Zwischenstufen annehmen kann: Zugrundeliegend ist hier das in seiner Leitfähigkeit veränderbare Halbleitermaterial, in der Regel Silizium.

Progressive Audio A901 Ausgang

Die sauerstoffarmen Kabel zu den Ausgangsterminals. Hinter der kleinen Platine befinden sich die beiden SiC- Transistoren

Doch Ralf Koenen geht hier einen besonderen Weg und verwendet bereits seit 2010 im A1 und A2 Transistoren, die Siliziumcarbid (SiC) als Halbleiter nutzen. Siliziumcarbid-Transistoren sind eine Errungenschaft der HF-Technik. Den Dreifüßlern können dabei nicht nur enorm schnelle Schaltzeiten abverlangt, sondern auch extrem hohe Betriebstemperaturen zugemutet werden. Kein Wunder, dass Elektronik mit Siliziumcarbid-Transistoren nicht nur in der Photovoltaik-Technik, sondern sogar in Satelliten oder Raumsonden Anwendung findet.

Dabei ist Siliziumcarbid, das auch als Siliziumkorund bezeichnet wird, beileibe keine Erfindung der Neuzeit, sondern bereits seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts bekannt. Da es eine strukturelle Verwandtschaft zu Diamant aufweist und somit sehr hart ist, nahm SiC schon früh in der Schleif- und Frästechnik einen festen Platz ein.

Progressive Audio A901 Übertrager

Die Platine mit der Übertragerkapsel –  die sich innen befindenen Übertrager kommen mit recht wenigen Wicklungen aus

Auch SiC-Transistoren gibt es schon eine Weile, doch erst der amerikanische Halbleiterhersteller SemiSouth-Laboratories unternimmt schließlich den Versuch, sie tatsächlich auch für Hifi-Zwecke nutzbar zu machen. Eine extrem steile, damit Röhren nicht unähnliche Kennlinie macht Siliziumcarbid für den Einsatz in Hifi-Verstärkern so interessant. Allerdings ist die Ansteuerung dieser Dreifüßler nicht ganz unproblematisch. Zudem lassen sich die von herkömmlichen Transistoren gewohnt hohen Leistungen bei gleicher Bandbreite nicht so einfach mit SiC-Transistoren generieren. So ist zunächst, trotz ausgesprochen euphorischen Zuspruchs vom Verstärker-Spezialisten Nelson Pass, die Reaktion der Fachwelt eher zurückhaltend.

Progressive Audio gelingt es schließlich, die SemiSouth SiC-Transistoren für den Einsatz in hochwertigen Verstärkerschaltungen zu „zähmen“, was klanglich offenbar so überzeugend gerät, dass letztlich die SiC-Transistoren in den Ausgangstufen beider Vollverstärker des Herstellers verbleiben dürfen.

Als SemiSouth Laboratories Ende 2012 unerwartet den Geschäftsbetrieb einstellt, muss sich Ralf Koenen nach Ersatz für „seine“ speziellen Transistoren umsehen und wird bei Infineon fündig. Zwar fallen die Kennlinien der bei Infineon hergestellten SiC-Transistoren noch etwas steiler aus, woraus eine weniger verlustbehaftete Verstärkung resultiert, doch machen andere elektrische Besonderheiten eine umfassende Änderung der Ansteuerung nötig. Dank einschlägiger Erfahrung in der HF-Technik vermag der Entwickler auch diese Hürde zu nehmen und so verrichten im neuen Progressive Audio A901 weiterhin SiC-Transistoren ihren Dienst.

Progressive Audio A901 Schaltnetzteile

Gleich zwei Schaltnetzteile versorgen aufgrund des vollsymmetrischen Aufbaus jeweils einen Kanal

Um präzise zu sein, nur zwei pro Kanal, obwohl die Schaltung des neuen Progressive Audio A 1 ebenso wie die seiner Vorgänger vom Eingang bis zu den Lautsprecherklemmen vollsymmetrisch ausgelegt ist. Wie das genau vonstattengeht und ob die Infineon-Transistoren dabei in einer denkbaren, echten Single-Ended-Schaltung ihren Dienst verrichten, lässt Progressive Audio offen. Im Übrigen wurde die maximale Ausgangsleistung moderat auf 2 x 35 Watt an 8 Ohm angehoben, wobei an 4 Ohm-Lasten weiterhin gut das Doppelte angefordert werden darf. Natürlich arbeitet auch der A901 weiterhin im klangförderlich verzerrungsarmen  Class-A-Betrieb und verzichtet dabei auf den eisernen Griff einer Über-Alles-Gegenkopplung.

Der Kauf eines Progressive Audio A1 hat zuletzt immerhin die Investition von 11700 Euro erforderlich gemacht. Bei Progressive Audio ist man stolz darauf, den Preis dank ökonomischerer Fertigungsabläufe nahezu konstant halten zu können. Aktuell kostet ein Progressive Audio A901 11800 Euro. Damit positioniert er sich nicht nur im Segment besonders anspruchsvoller Vollverstärker, sondern wird vermutlich auch unter Vor-Endverstärker-Kombinationen mehr als nur ein Wörtchen mitreden wollen.

Der Aufbau des Progressive Audio A901

Betrachtet man die aufgeräumt wirkende Rückseite des Progressive Audio A901, finden sich zwei Paar symmetrische XLR- sowie daneben zwei weitere Paar Cinch-Eingänge. Hinter den Buchsen werden die ankommenden Signale von piekfeinen Eingangsübertragern aus der eigenen Fertigung in Empfang genommen. Tatsächlich gelte dies auch für die bereits symmetrisch eingehenden Signale, bemerkt Entwickler Koenen. Er könne auf diese Weise eine noch linearere Übertragung sicherstellen. Voraussetzung dafür seien natürlich absolut erstklassige, in diesem Falle nur wenige Wicklungen umfassende Transformatoren. Auch hier will sich der Essener schaltungstechnisch ungern in die Karten blicken lassen, Fakt sei jedoch, so Ralf Koenen, dass sich etliche namhafte Wettbewerber mit den selbstgewickelten Übertragern beliefern lassen würden.

Progressive Audio A901 Terminal von Furutech

Die Lautsprecherklemmen stammen vom japanischen Zulieferer Furutech

Die Bi-Wiring-Lautsprecherterminals kommen wie die Eingangsbuchsen vom japanischen Edelzulieferer Furutech. Solide Schraubanschlüsse packen Spades und Kabelenden vollkommen sicher und gewähren auch Bananensteckern Zugang.

Eine kleine Überraschung hält der Progressive Audio A901 bereit, wenn man versucht ihn anzuheben: Aufgrund der leichteren Schaltnetzteile, welche ja die massiven Ringkerntypen des alten A1 abgelöst haben, müssen nur noch 17 Kilo bewegt werden. Der häufig geplagte Testerrücken weiß das dankend zu schätzen.

Analog zum äußeren Eindruck, sieht es auch beim Blick ins Innere aufgeräumt und klar strukturiert aus. Hinter den in Abschirmdosen befindlichen Übertragerkapseln ist mittig die Platine mit der Eingangsstufe platziert, welche auch die Lautstärkenregelung beherbergt. Danach folgt die mit etlichen JFETs bestückte Treiberstufe. Augenfällig auch die jeweils vorn an beiden Innenseiten der Kühlkörper montierten Netzteile, währenddessen die SiC-Transistoren paarweise pro Kanal in der Nähe der Lautsprecherterminals residieren. Offensichtlich setzt man auch beim Essener Hersteller auf kurze Signalwege und minimiert interne Kabelstrecken. Wo dies unumgänglich ist, kommen besonders sauerstoffarme Kupferleiter zur Anwendung.

Die Verarbeitung weckt bei mir Erinnerungen an hochwertige Messgeräte: Solidität, Passgenauigkeit und Präzision sind Prinzip. Was nicht nur für das Gehäuse des Progressive Audio A 901, sondern auch für die vor Ort bestückten und manuell verlöteten Platinen gilt. Klanglich unnötigen Glamour oder gar eine Materialschlacht sollte man aber nicht erwarten, auch wenn die Frontplatte inzwischen mit einer beachtlichen Dicke imponiert.

Progressive Audio A901: Klang & Vergleiche

Progressive Audio A901 Rückseite

Wie üblich erhält auch der Essener Vollverstärker ausreichend Zeit, sich mit dem Stromnetz verbunden warm zu spielen. Eine Maßnahme, die laut Konstrukteur Ralph Koenen nicht zwingend erforderlich sei, denn schon kurz nach dem Einschalten seien die Schaltungen in der Lage 95% ihrer klanglichen Leistungen abzuliefern. Trotzdem gehe ich lieber auf Nummer sicher.

Erpfenbrass CD Hart Verzwungen Vol. 2Die Formation Erpfenbrass aus Gerstetten macht mit Hart Verzwungen, Vol.2 (siehe Plattenkritik von Victoriah Szirmai | auf Amazon anhören) den Anfang. Der geslappte Bass auf „Sneaky“, der die Tieftöner meiner Acapella La Campanella zu flotten Exkursionen animiert, sorgt für ein erstes Déjà-vu. Auch wenn es wie ein Äpfel-mit-Birnen-Vergleich anmutet: Die Ähnlichkeit zu dem, was Ralf Koenens zierlichere Progressive Audio Extreme 2 Aktiv vor einiger Zeit in meinem Hörraum veranstaltet haben, ist wohl kaum zufällig. Pieksauber und schnell habe ich da den Bass bezeichnet. Attribute, die auch jetzt zutreffen.

Allerdings geht es nun mit meinen Acapella La Campanella – dank des zusätzlichen Volumens und der insgesamt größeren Membranfläche – noch ein Treppchen tiefer in den Basskeller hinunter. Das folgende Stück „Balkan“ perlt mit an frisches Quellwasser erinnernder Klarheit aus den Lautsprechern. Da ist er wieder, der typische Progressive-Audio-Klang. Wenngleich sie in Essen eher ziemlich klar davon Abstand nehmen, einen bestimmten „Sound“ zu kreieren – die präzise Impulsantwort gilt bei Progressive Audio ja nicht umsonst als Königsdisziplin bei der Musikreproduktion.

Fernbedienung des Progressive Audio A901

Möge die Macht mit Dir sein – das massiv-metallene Fernbedienungszepter des Progressive Audio A901

Und Impulse lassen nicht auf sich warten: Scharf zerschneiden die Balkan-Bläsersätze den Luftraum des Aufnahmestudios, dann die Tuba voll und satt, während sich der Schlagzeuger an Trommeln und Becken abreagiert. Erpfenbrass ist vor allem eine Riesengaudi. Da der Progressive Audio A901 mit exemplarischer Ortungsschärfe agiert und die Akteure auf der imaginären Bühne gut zu separieren weiß, entsteht ein hervorragend organisiertes und sehr stabiles Klangbild, das auch mit zunehmend dynamischer Attacke nicht in sich zusammenbricht.

Damit lässt es der Progressive Audio A901 aber nicht bewenden, sondern wirft gleich noch eine tonale Neutralität in die Waagschale, die nur wenige Amps so konsequent über alle Frequenzen durchzuhalten imstande sind. Manche der Verstärkerkollegen tönen etwas gnädiger, sprich, sie offerieren eine insgesamt wärmere Abstimmung. Oder sie schlagen eine andere Richtung ein und versuchen mittels prononcierter Strahlkraft im Hochtonbereich besonders hohes Auflösungsvermögen zu suggerieren.

Progressive Audio A901 Anschlüsse

Eingangsseitig bietet der Progressive Audio A901 je zwei Cinch- und XLR-Doppel

Nicht so der Progressive Audio A901, der sich geradezu als Messeisen für tonale Balanciertheit anbietet. Das mag im Endergebnis einigen vielleicht einen Hauch zu schlank klingen, doch fehlt es in meinen Ohren weder den Mitten, noch im tiefen Register an Substanz. Hochtonseitig wird erwartungsgemäß „Klartext“ gesprochen, nie aber zu kristallin, spröde oder gar harsch reproduziert. Sicher, die „angewärmte“ Performance, die einige Integrierte charmant und gnädig klingen lässt, ist das nicht gerade. Die steht allerdings bei Progressive Audio auch nirgendwo auf der Agenda. Die Abwesenheit eines bestimmten „Sounddesigns“ allerdings schon.

Diana Damrau Grand OperaBeim Griff ins ernste Fach wirkt der geschulte Sopran Diana Damraus dafür wie von störenden Artefakten befreit (Meyerbeer Grand Opera, Erato) (auf Amazon anhören). Im Vergleich zu meiner Kombi aus Accustic Arts Tube Preamp II Mk2 und der, inzwischen von einem Dartzeel NHB-108 abgelösten Stereoendstufe Audionet Amp I V2 erscheinen die oftmals kritischen hohen Töne über den Progressive Audio A901 geradezu wie glatt poliert und strahlen in allen Facetten, fast als habe man eine opake, sie überdeckende, klebrigen Masse abgetragen. Trotz der deutlichen Ansprache umgibt die Töne dabei eine Art organische, nahezu liquide Qualität, die an die Wiedergabe mit guten Röhrenverstärkern erinnert. Ich kann den abwechslungsreichen Arien Meyerbeers nun länger und besser folgen, ohne gehörtechnisch zu ermüden. Das gefällt.

Gergely Boganyis dunkel timbrierter Fazioli-Flügel (Frederic Chopin, The complete Nocturnes, Stockfisch) profitiert gleichfalls von dieser konkret-direkten Darstellung des Essener Verstärkers. Weder wird das große Instrument unnötig aufgebläht noch seine tonale Balance in Richtung Steinway-Sound verschoben. Dafür flutet der von resonantem Holz dominierte samtene Ton des Flügels meinen Hörraum, fast so als stände der Fazioli F 308 tatsächlich vor mir.

Während der Devialet D-Premier durch seine gleichfalls kompromisslos neutrale Auslegung dem A901 in tonaler Hinsicht sehr nahekommt und außerdem bei Erscheinen in 2011 mit einem Preis von 11000 Euro die gleiche Preisklasse besetzte, taucht meine aktuelle Vor/End-Kombi aus Accustic Arts Tube Preamp II Mk2 sowie Dartzeel Stereoamp NHB-108 die Klänge in ein eher abgetöntes, weicheres Licht.

Avsaih Cohen Trio From DarknessEtwas dunkler abgestimmt, gibt die Accustic Arts/Dartzeel-Kombi den Kontrabass Avishai Cohens auf seinem 2015 eingespielten triobesetzten Jazzalbum From Darkness (auf Amazon anhören) auch hörbar sonorer und holziger wieder als der A 901. Mithin erzeugt das deutsch-schweizerische Team eine etwas involvierendere Atmosphäre und klingt insgesamt emotionsgeladener, allerdings ohne sich dabei in Gefühlsduseleien zu ergeben. Der Progressive Audio dröselt derweil etwa das Klavierspiel Nitai Hershkovits akribischer auf, was ihn noch detailgenauer, aber auch eine Spur vordergründiger als die Kombi erscheinen lässt.

Damit lässt sich prima leben, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass allein für den Erwerb des Stereoamps aus Petit-Lancy am Genfer See mal eben 24300 Euro fällig werden. Immerhin eine gut doppelt so hohe Investitionssumme.

Deutlich günstiger, nämlich ab etwa 6000 Euro, gibt es beispielsweise den Brystons B-135 SST2, der – so meine Erinnerung – im Mittenband und Hochton doch um einiges weicher und weniger konkret als der Progressive Audio A901 agiert. Bei einem vergleichbar tief reichenden Bass, ohne freilich die Kontur und Beweglichkeit des A901 zu erreichen. So ist schnell klar, dass die Qualitäten des Progressive Audio nicht für den Preis des Kanadiers zu bekommen sind.

Da bei Progressive Audio bekanntlich der „richtige Impuls“ im Zentrum des akustischen Universums steht, kommt gerade der vom A901 zu erwartenden dynamischen Qualität eine besondere Bedeutung zu. Wer sich mit den Boxen und Verstärkern der Essener ein wenig auskennt, wird kaum erstaunt sein, dass der Progressive Audio A901 hier einem Porsche 911 GT3 nicht unähnlich um die Ecken fegen kann.

Asian Roots TakeDake with NeptuneWie beim Wedeltest, wo ja schnelle und abrupte Richtungsänderungen gefragt sind, ist bei dem an- und abschwellenden Stakkato japanischer Bambustrommeln auf TakeDake Asian Roots (Denon CD) höchste Aufmerksamkeit angesagt. Sonst könnten unfreiwillig einige der feinen Tempoänderungen unterschlagen oder der aus unzähligen Einzelschlägen so kunstvoll gewobene Perkussionteppich, über dem die Shakuhachi, eine japanische Bambusflöte, ihre Melodien entfaltet, zu einem dröhnend prasselnden Urwaldregen mutieren.

Eine Aufgabe, die für unser Testprobanden allenfalls eine Lockerungsübung darzustellen scheint. Und um die Grenzen maximaler Impulsleistung des 901 auszuloten, geht es mit den Bambustrommeln sowieso nicht tief genug hinab.

Für dieses Ansinnen eignet sich „Power“ von Marcus Miller, das mit einem Live-Mitschnitt vom Jazz Festival in Lugano 2008 (Extended Dynamic Experience Vol.4, STS) auf der SSD meines Innuos Zenith SE vertreten ist, sehr viel besser. Bei Lautstärken, welche die Grenzen auch nachsichtigster Nachbarn auszuloten imstande sind, zeigt sich das Siliziumcarbid der Transistoren tatsächlich von seiner ultraharten Seite. Obwohl der Dämpfungsfaktor laut Auskunft des Entwicklers nicht allzu hoch ausfällt, hat der Verstärker meine beiden LaCampanella-Lautsprecher erstklassig im Griff. Ohne merkliche Aufweichungstendenz stellt der Progressive Audio A901 die Saitenarbeit des Ausnahmebassisten in den Hörraum. Wenn es sein muss, packt der 901 mit fast schon eisenharter Hand zu, was gerade bei Millers explosiver Slap-Technik für erstaunlich realistische Momente sorgt. Momente, die selbst Amps mit nominell mehrfacher Leistung in meinem Hörraum nicht überzeugender gelungen sind. Ja, auf dem dynamischen „Slalomparcours“ lässt sich der A901 so schnell nicht abhängen …

Progressive Audio A901 Display

Generell ist von Leistungsmangel beim Progressive Audio A901 herzlich wenig zu spüren. Natürlich machen es die Acapella La Campanella mit ordentlichem Wirkungsgrad und gutmütigem Impedanzverlauf unserem Probanden auch nicht besonders schwer, sich in Szene zu setzen, dennoch erstaunt, dass es etwa dem an 8 Ohm Lasten immerhin 2 x 100 Watt bereitstellenden und ungleich teureren Dartzeel NHB-108 nicht gelingt, fühlbar mehr Schmackes und Wucht zu entwickeln.

Es braucht schon den Devialet D-Premier – immerhin mein interner Maßstab in Sachen Souveränität und Dynamik integrierter Verstärkerlösungen – und seine 2 x 240 Class-D-Watt, um den A901 beim subjektiven Leistungsempfinden etwas auf Abstand halten zu können.

Allerdings hat der wackere Gallier schließlich das Nachsehen, wenn Tiefenstaffelung und Raumabbildung gefragt sind. Hier muss er sich dem Progressive Audio A901 letztlich geschlagen geben, denn so weit in die Tiefe wie dieser vermag er den Raum nicht auszuleuchten. Bereits in der ersten Szene der Fledermaus (Johann Strauß, Die Fledermaus, Carlos Kleiber, Deutsche Grammophon) kann der Progressive Audio den galanten Alfred, welcher unsichtbar hinter der Bühne vom „Täubchen, das entflattert ist“ trällert, tatsächlich auch recht deutlich hinter dem rechten Lautsprecher wiedergeben. Adele, die Kammerzofe erscheint auf der anderen Seite, schreitet zur Mitte und geht dann nach vorn auf das Auditorium zu. Beides ist auf einer breiten, sich nach hinten weit öffnenden Bühne gut nachvollziehbar. Der A901 lässt wirklich keine Zweifel daran, wie sehr es den Aufnahmetechnikern dieser vermutlich aus dem Jahr 1976 stammenden Produktion darum ging, den akustischen Anschein einer Liveaufführung zu erwecken.

Progressive Audio A901 am Netz

Übernimmt der D-Premier die Verstärkung, rücken die Protagonisten näher zueinander und scheinen auf der Bühne am Ende gar aufeinander zu treffen. Der Raum wird insgesamt kompakter und weniger luftig abbildet. Oje, das liest sich jetzt krasser, als es sich im Hörraum darstellt. Aber es sind nun mal die Feinheiten, um die in dieser immerhin fünfstelligen Preisklasse gerungen wird. Da ist es schon irgendwie beruhigend, das letztlich auch das Team Accustic Arts/ Dartzeel die Szene „richtig“ zu reproduzieren vermag und bei der Abbildung in der Höhe sogar noch leicht hinzugewinnen kann.

Was freilich keinesfalls die Meriten schmälern soll, die sich der Progressive A901 mit dem Aufzeigen luftiger Räume und der präzisen Darstellung einzelner Schallereignisse verdient hat. Gelingt ihm das doch so gut, dass abermals deutlich teurere Vor-End-Kombis zum Vergleich herangezogen werden müssen.

Billboard
Mutec REF 10 Nano

Test: Progressive Audio A901 | Vollverstärker

  1. 1 Klassisch progressiv
  2. 2 Progressive Audio A901: Klang & Vergleiche

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